Montag, 26. Juli 2021

So facettenreich kann Trauer sein: Eine Liste von Themen zur weiteren Beschäftigung mit den Themen Trauer, Tod und Sterben (aber auch für angehende Trauerbegleiter oder an einer Qualifizierung Interessierte)

Osnabrück - Das Thema Trauer in all seinen Facetten abzubilden, ist vermutlich unmöglich. Denn Trauer ist immer ein hochindividueller Prozess und bei jedem Menschen immer anders. Und doch gibt es Gemeinsamkeiten, spannende Forschungsergebnisse und mehr. In den vergangenen Jahren habe ich hier auf diesem Blog schon vieles geschrieben. So vieles, dass ich das Gefühl habe, schon recht viele Facetten zum Thema Trauer beleuchtet zu haben. Hier sind ein paar Lesetipps aus diesem Blog, für alle, die sich näher mit dem Thema Trauer auseinandersetzen wollen. Übrigens auch für alle, die sich mit der Idee beschäftigen, selbst einmal Trauerbegleiter zu werden - mir ist aufgefallen, dass ich über die Jahre einiges an Tipps und Impulsen zu den Themen Professionelle Gesprächsführung, professionelle Haltung und anderen angesammelt haben.




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Von der Trauerbegleitung bzw. der Hospizbewegung für das Leben lernen - Tipps, Tricks und Strategien zum Überstehen von Krisen und anderes:


- Der Trick mit der Selbstwirksamkeit - was uns in seelischen Krisen helfen kann, wie wir mit nur kleinen Schritten für gute Prozesse in einer Krise sorgen können

- Angehörige beim Sterben begleiten, worauf es dabei ankommt - und warum uns ein rasselndes Atmen nicht so arg beunruhigen muss - ein bisschen "Letzte Hilfe"

- Meine Lieblingszitate rund um Trauer, Tod und Sterben aus diesem Blog - hilfreiche Sätze von Interviewpartnern, Gesprächspartnern und von anderen

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Artikel über das Erleben von Trauer, Schuldfragen, das "Bearbeiten" von Trauer:


- Trauer und Schuldgefühle gehören zusammen - warum sich so viele Trauernde nach dem Tod eines Menschen schuldig fühlen

Wie lange darf Trauer dauern? Ist es normal, wenn es jahrelang weh tut? Und ab wann wird trauern krankhaft?

- Wer ein Kind verloren hat, sollte nicht arbeiten gehen müssen - wie wir von einer neuen britischen Rechtsprechung viel Gutes lernen und abgucken können 

-  Keine Sorge, alles normal - was Trauernde in einer Verlustkrise alles so vermeintlich "Merkwürdiges" tun und warum einem das nicht peinlich sein sollte

- Warum sich Trauernde förmlich zerrissen fühlen  - eine Einführung in das "Duale Prozessmodell der Trauer" und seine Fallstricke

- Wie uns die Trauer vor Aufgaben stellt und was das für den Trauerprozess bedeuten kann - über die "Aufgaben der Trauer"

- Entrümpeln, Ausmisten und Aufräumen nach dem Tod eines nahestehenden Menschen - was mache ich mit all diesen Sachen und warum ist das so hart?

- Was soll nach dem Tod eines Menschen gefeiert werden? Nur der Todestag, auch der Geburtstag? Und wie geht das am besten?


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Artikel für alle, die sich für eine Qualifizierung zum Trauerbegleiter bzw. innerhalb der Hospiz- und Palliativszene interessieren:


- Professionelle Gesprächsführung mit Menschen in einer Krisensituation - was wir vom Modell der Spiegeltechnik für die Trauerbegleitung lernen können

- Eine Frage der Haltung: Trauerbegleiter sollten stabil sein und sich mit ihren eigenen Schicksalsschlägen beschäftigt haben - warum Haltung so wichtig ist

- Sieben Gründe, warum ich Trauerbegleitung gerne in Form eines Spaziergangs anbiete und warum das ein optimales Setting für eine gute Begleitung sein kann

- Wir sind auf dem Weg in eine Sterbegesellschaft - Zahlen, Fakten und Daten darüber, warum Hospiz- und Trauerkultur mittelfristig immer wichtiger werden 

- Warum die "Aberkannte Trauer" bzw. die "Sozial nicht anerkannte Trauer" immer wieder vorkommt und warum das für die Betroffenen so hart sein kann


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Die ersten fünf Folgen aus der Artikelserie "Die besten Filme über Trauer, Tod und Sterben":


- Was uns das Teenager-Drama "Vielleicht lieber morgen" mit Emma Watson über Trauer, Trauma, Flashbacks und Trigger erzählt - zur Folge 1 der Serie

- Warum die australisch-französische Filmperle "The Tree" mit Charlotte Gainsbourg eine sehr exakte Studie über das ist - zur Folge 2 der Serie

- Was uns das mit Oscars ausgezeichnete US-Drama "Manchester By The Sea" über Schuld und Familiensysteme in Trauer erzählt - zur Folge 3 der Serie

- Wie der Tod zweier Söhne ein Familiensystem ins Wanken bringt und warum "The Door In The Floor" nach John Irving ein Fim übers Erzählen ist - Folge 4

- Der Suizid der Mama bringt das System einer Familie ins Wanken, eindrucksvoll und doch zurückhaltend genug gezeigt in "Der letzte schöne Tag" - Folge 5


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Der Autor dieser Zeilen bietet Trauerbegleitung an in Osnabrück und im Osnabrücker Land an und hat eine Ausbildung zum Trauerbegleiter absolviert (Große Basisqualifikation gemäß des Bundesverbands Trauerbegleitung) und bietet Podcasts rund um das Thema Trauer an (bitte hier klicken).

Alle aktuellen Termine, Lesungen, Vorträge, Workshops, Seminare etc. mit Thomas Achenbach finden sich unter diesem Link 

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Ebenfalls auf diesem Blog: Warum die Mutter von Rolf Zuckowski auf dem Sterbebett einen Song ihres Sohnes zitierte - der Kindermusiker über seine Trauererfahrungen

Ebenfalls auf diesem Blog: Tipps zum Umgang mit Trauernden und mit Trauer - was Menschen in einer Trauer- und Verlustkrise hilft und was man Trauernden sagen kann 

Ebenfalls auf diesem Blog: Der Fluch der Tapferkeit - warum es Menschen in der modernen Gesellschaft so schwer fällt Trauer als etwas Normales anzuerkennen

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Donnerstag, 15. Juli 2021

Es naht eine Zeit, in der wir die Sehnsucht nach den Toten jederzeit werden stillen können - aber was macht das dann mit der Trauer? Werden wir immer noch begreifen können, dass Menschen gestorben sind, wenn wir jederzeit mit ihren digitalen Abbildern sprechen können? Wie das "Digital Afterlife" in Kürze die Bestatterbranche und die menschliche Trauer komplett verändern könnte...

Osnabrück - Mit den Toten reden können. Und sie antworten Dir. Also nicht nur in Deiner Phantasie, sondern in echt - Du bekommst eine tatsächlich gesprochene Rückantwort auf das, was Du gesagt hast, und es bezieht sich auf Dein Gesagtes. Du kannst die Toten auch sehen. Bis vor wenigen Jahren war das Zukunftsmusik, jetzt ist es bereits Realität. "Digital Afterlife" heißt diese sich entwickelnde Branche. Zum Einsatz kommen aus alten Videos und Fotos destillierte Bilder und ein mit der Stimme des toten Menschen programmierter Chatbot, also ein computerisiertes Sprachsystem, gekoppelt an eine künstliche Intelligenz. Aber wie wird sich das auf die Menschheit auswirken, wenn die Sehnsucht nach den Gestorbenen nicht mehr länger unstillbar bleiben muss? Wie wird es die Trauer verändern? Und wie das, was ich anbiete - also die Trauerbegleitung? 

Mit das Quälendste, das die Trauer uns bringen kann, ist diese enorme Sehnsucht nach dem oder den gestorbenen Menschen. Eine so starke Sehnsucht, dass sie sich manchmal sogar in Form eines Nachsterbenwollens manifestieren kann, weil wir der Idee verfallen können, dort sein zu wollen, wo die Gestorbenen jetzt sind. Diese Sehnsucht ist unstillbar und gerade deswegen so quälend. Und eben weil sie so gewaltig sein kann, ist sie auch ein phantastisches Geschäftsmodell. Kein Wunder also, dass manche Menschen gerade daran arbeiten, diese Unstillbarkeit abzuschaffen. Werfen wir einen Blick in Richtung Südkorea und einen zweiten Blick in Richtung Kalifornien/USA, stoßen wir bereits auf die ersten Techniken, die das ermöglichen. Die Süddeutsche Zeitung hat in ihrer Samstagsausgabe vom 15./16. Mai 2021 zusammengefasst, wie weit diese Technologien schon fortgeschritten sind - in einem ebenso erschreckenden wie erhellenden Artikel.


(Foto: Pixabay.com, CC-0-Lizenz)

Man stelle sich das vor: Beim Bestatter wird nach der Auswahl des Sargs und des passenden Ritualgestalters für die Trauerfeier auch direkt ausgesucht, in welcher Form der gestorbene Mensch zu uns zurückkehren könnte. Reicht es auf dem Smartphone oder sollte es besser in der Virtual Realitiy sein? Was die TV-Serie "Upload" auf dem Streamingportal Amazon Prime derzeit komödiantisch durchspielt, könnte in gar nicht allzu ferner Zeit zum erweiterten Standardangebot eines jeden Bestatters gehören: Dass wir von den gestorbenen Menschen digitale Kopien anfertigen können und mit ihnen interagieren können. Das mag verrückt klingen, aber es hat bereits einen Namen und mehrere Anbieter: unter dem Stichwort "Digital Afterlife" kannst Du Dir bei einer Firma Deine Toten lebendig werden lassen. Jetzt schon. Was Du dafür brauchst, ist lediglich eine gute Portion an digitalem Material, das den gestorbenen Menschen zeigt - Videos, vor allem, aber auch Fotos, Sprachaufnahmen, Audionachrichten aus Whatsapp etc. -, die Du einer Firma zur Verfügung stellst. Und diese Firma macht daraus einen Avatar, dem Du in der Virtual Realitiy (VR) begegnen und mit dem Du interagieren kannst. Einfach die VR-Brille aufgesetzt, schon sitzt Dein Toter wieder neben Dir auf dem Sofa. Ach, hallo, wieder da...? 

Weltbekannt: Die wiederbelebte gestorbene Tochter

Der gestorbene Mensch könnte Dir einen Witz erzählen. Oder ein Lied singen. Alles kein Problem. Das bislang wohl bekannteste Beispiel für eine solche digitale Wiederbelebung ist im Februar 2020 um die ganze Welt gegangen: Die siebenjährige Na Yeon, die an einer seltenen Krankheit gestorben war, wurde für ihre Mutter von der Firma "Vive Studios" als Avatar in die virtuelle Realität zurückgeholt. Wie realistisch das Kind aussieht, lässt sich anhand einiger auch in Deutschland in Nachrichtenmagazinen gezeigten Videos eindrucksvoll selbst erleben (z. B. über die Website des Spiegels unter diesem Link). Überhaupt, die Sehnsucht nach den gestorbenen Kindern - in den Männergruppen mit verwaisten Vätern, die ich selbst erleben durfte, war das immer wieder ein großes Thema. Aber ist es auch gut, wenn diese Sehnsucht erfüllt werden kann? Werden die Menschen in einer Trauer- und Verlustkrise das als hilfreich erleben, als tröstend - oder wird die Realität dadurch nur noch unaushaltbarer? 


(Foto: Pixabay.com, CC-0-Lizenz)


Eine der Grundfrage, die wir dann ebenfalls neu denken müssen: Braucht Sehnsucht die Unerfüllbarkeit? Ist diese Unerfüllbarkeit nicht im Grunde die Definition von Sehnsucht? Braucht es also für die Hinterbliebenen die Gnadenlosigkeit des Todes, damit sie sich wirklich einem Begreifen annähern können? Denn dieses Begreifen ist von einer enormen Bedeutung für den Trauerprozess. Eines der überzeugendsten Trauermodelle, das es gibt und das ich immer wieder gern zitiere, stammt von dem amerikanischen Forscher und Psychologen Dr. William J. Worden, der sein Modell als "Die Aufgaben der Trauer" - The Tasks Of Mourning - beschreibt (ich habe an anderer Stelle bereits ausführlicher darüber geschrieben)Worden sagt, dass uns die Trauer in Wahrheit vor Aufgaben stellt, die wir zu absolvieren haben. Und die erste und zugleich die schwierigste Aufgabe, sagt Worden, ist das Begreifen. Was genau heißt das?

Als Trauerbegleiter in den virtuellen Raum einsteigen

Es geht darum, die Tragweite des Verlusts zu akzeptieren, diesen als neue Realität anerkennen zu lernen. Der oder die Gestorbene ist tot, wird nicht wiederkehren, das muss erstmal verinnerlicht werden. Oft geht das nur in ganz kleinen Stücken oder ganz kleinen Schritten, oft berichten Trauernde, dass der Verstand dort weiter ist als das Herz es jemals sein könnte. Es ist ein enorm wichtiger, aber enorm schwieriger Prozess - für den aber die Abwesenheit der gestorbenen Menschen, die Endlichkeit des Lebens, die entscheidende Grundzutat ist. Was aber geschieht mit uns, wenn diese Abwesenheit wiederum, sagen wir, "aufgeweicht" werden kann? Wird es den Prozess des Begreifens verzögern? Wird es ein wirkliches Begreifen vielleicht gar verhindern? Oder wird es keine Rolle spielen, weil wir im Inneren doch irgendwie wissen, dass der Avatar des gestorbenen Menschen ja gar nicht echt ist? Zumal die Technik sich immer weiter entwickeln wird, sprich: Die technisch neu erzeugten Menschen werden in naher Zukunft immer besser wie echte Wiederbelebte wirken und agieren können. Das wiederum bedeutet - für die Trauer:


(Foto: Pixabay.com, CC-0-Lizenz)


Ich glaube, wir werden das Phänomen der Trauer in Teilen neu definieren müssen und neu denken müssen, wenn sich die virtuelle Wiederbelebung einmal durchgesetzt haben sollte. Zum Beispiel könnte es denkbar sein (und, in Teilen, vielleicht auch sinnvoll) eine Trauerbegleitung direkt in diesen virtuellen Raum zu verlagern. Sich als Trauerbegleiter in manche der Kontakte zwischen dem toten Menschen und dem leben Menschen mit einzuschalten, vielleicht als eine Art Scharnierfunktion oder um den Übergang vom digitalen in den echten Raum mitgestalten zu können - aber natürlich nur, wenn der zu begleitende Mensch dem zugestimmt hat, es handelt sich ja trotz aller Digitalität immerhin um etwas sehr Intimes - und zutiefst Menschliches. Jede Menge Pixel und Datenvolumen, aber alle vollgesogen von Menschlichkeit. Eine merkwürdige Welt kommt auf uns zu.

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Der Autor dieser Zeilen bietet Trauerbegleitung an in Osnabrück und im Osnabrücker Land an und hat eine Ausbildung zum Trauerbegleiter absolviert (Große Basisqualifikation gemäß des Bundesverbands Trauerbegleitung) und bietet Podcasts rund um das Thema Trauer an (bitte hier klicken). Thomas Achenbach ist der Autor der Bücher "Männer trauern anders - was ihnen hilft und gut tut", 168 Seiten, Patmos-Verlag und "Mitarbeiter in Ausnahmesituationen - Trauer, Pflege, Krise", 220 Seiten, Campus-Verlag. Mehr Infos auf www.thomasachenbach.de

Lesungen, Vorträge, Workshops, Seminare, Trauergruppen und mehr: Alle aktuellen Termine mit Thomas Achenbach finden sich unter diesem Link 

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Auf Youtube ansehen: Vortrag "Männer trauern anders" aus dem Forum St. Peter in Oldenburg (Nidersachsen) aus dem Juni 2021 - Link zum Video  

Ebenfalls auf diesem Blog: Die besten Filme über Trauer, Tod und Sterben - was uns Spielfilme über das Erleben von Trauer erzählen können

Ebenfalls auf diesem Blog: Trauer, wie lange dauert das eigentlich - und wann ist es endlich mal vorbei? Mein erster Mutmacherbrief an Trauernde

Ebenfalls auf diesem Blog: Der Trick mit der Selbstwirksamkeit - wie wir uns selbst gut in seelischen Krisen helfen können: psychologische Tipps

Ebenfalls auf diesem Blog: Trauer und Schuldgefühle gehören zusammen - warum sich so viele Trauernde nach dem Tod eines Menschen schuldig fühlen

Ebenfalls auf diesem Blog: Warum sich Trauernde förmlich zerrissen fühlen  - eine Einführung in das "Duale Prozessmodell der Trauer" und seine Fallstricke

Ebenfalls auf diesem Blog: Warum sich ein Suizid viel öfter verhindern ließe als wir das glauben und warum es so wichtig ist, immer wieder darüber zu reden

Ebenfalls auf diesem Blog: Tipps zum Umgang mit Trauernden und Trauer - was Menschen in einer Verlustkrise hilft, was man Trauernden sagen kann 

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Donnerstag, 8. Juli 2021

Wie ein ganz kleiner Dialog aus einem bemerkenswerten Film deutlich macht, was Trauernden gut tun kann (und was nicht) und wie wir gut mit ihnen ins Gespräch kommen können - Von Bill Murray für das Leben lernen

Osnabrück - Er hat gerade seine Frau verloren, der alte Grantler Vincent von nebenan, großartig gespielt vom unvergleichlichen Bill Murray. Und als der Nachbarsjunge Oliver ihm sagt, wie leid ihm das tut, entwickelt sich ein kleiner, aber bemerkenswerter Dialog zwischen den beiden. Es ist die Sorte Dialog, in dem so vieles drinsteckt, was die Menschen tatsächlich erleben, dass er eine nähere Betrachtung lohnt - auch wenn er aus nur vier Zeilen besteht.

Oliver hat gerade erst mitbekommen, dass die Frau von Vincent, die wegen einer Erkrankung in einem Pflegeheim gelebt hat, gestorben ist - und weil Vincent daselbst einen Schlaganfall erlitten hatte, hat er diesen Sterbeprozess ebenfalls gar nicht mitbekommen. In der deutschen Synchronfassung heißt es dann:

Oliver, der Junge: Tut mir leid, Vincent... - mein Beileid.

Vincent, der Nachbar: Hab nie verstanden, warum die Leute das sagen.
Oliver, der Junge: Sie wissen nicht, was sie sonst sagen sollen.
Vincent, der Nachbar: Wie wär's mit: Wie war sie so? Vermisst Du sie? Oder: Was wirst Du jetzt tun?

Alle Filmfotos: Polyband, mit freundlicher Genehmigung bei Abdruck des Hinweises: DVD/Blue-Ray erhältlich via Polyband Medien)



Als Trauerbegleiter kann ich da nur sagen: Von Vincent lässt sich was lernen. Von Bill Murray sowieso. Und weil ich zu denen gehöre, die grundsätzlich alles im Originalton gucken, hier die Original Fassung dieses Dialogs): 

Oliver: Sorry, Vin, for your loss.

Vincent: Never understood... why people say that.

Oliver: They don't know what else to say.

Vincent: How about, "What was she like?" "Do you miss her?" Or: "What are you gonna do now?"



Der Film ist derzeit, im Juni 2021, via Netflix und auf DVD oder Blueray verfügbar


--------------- Alle Folgen aus der Serie "Die besten Trauerfilme": ------------

- Was uns das Teenager-Drama "Vielleicht lieber morgen" mit Emma Watson über Trauer, Trauma, Flashbacks und Trigger erzählt - zur Folge 1 der Serie

- Warum die australisch-französische Filmperle "The Tree" mit Charlotte Gainsbourg eine exakte Studie über das Trauern ist - zur Folge 2 der Serie

- Was uns das US-Drama "Manchester By The Sea" alles über Schuld und Familiensysteme in Trauer erzählt (Oscar-Preisträger) - zur Folge 3 der Serie

- Der Tod zweier Söhne, ein eingestürztes Familiensystem - warum "The Door In The Floor" nach John Irving ein Fim übers Erzählen ist - Folge 4

- Der Suizid der Mama und wie eine Familie weiterzumachen versucht, eindrucksvoll, aber zurückhaltend gezeigt in "Der letzte schöne Tag" - Folge 5

- Ein poetischer Film über Japan, alternde deutsche Ehepaare und die ewige Nähe des Todes - Dorris Dörries "Kirschblüten Hanami" ist eine Wucht - Folge 6

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Der Autor dieser Zeilen bietet Trauerbegleitung an in Osnabrück und im Osnabrücker Land an und hat eine Ausbildung zum Trauerbegleiter absolviert (Große Basisqualifikation gemäß des Bundesverbands Trauerbegleitung) und bietet Podcasts rund um das Thema Trauer an (bitte hier klicken). Thomas Achenbach ist der Autor der Bücher "Männer trauern anders - was ihnen hilft und gut tut", 168 Seiten, Patmos-Verlag und "Mitarbeiter in Ausnahmesituationen - Trauer, Pflege, Krise", 220 Seiten, Campus-Verlag. Mehr Infos auf www.thomasachenbach.de

Lesungen, Vorträge, Workshops, Seminare, Trauergruppen und mehr: Alle aktuellen Termine mit Thomas Achenbach finden sich unter diesem Link 

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Auf Youtube ansehen: Vortrag "Männer trauern anders" aus dem Forum St. Peter in Oldenburg (Nidersachsen) aus dem Juni 2021 - Link zum Video  

Ebenfalls auf diesem Blog: Was bedeutet "Personen auf der Fahrbahn", warum hört man das so oft - eine ganz persönliche These dazu, was dahintersteckt

Ebenfalls auf diesem Blog: Wie der Suizid der Mama das System einer Familie ins Wanken bringt, eindrucksvoll erzählt in einem sensiblen sehenswerten Film

Ebenfalls auf diesem Blog: Der Trick mit der Selbstwirksamkeit - wie wir uns selbst gut in seelischen Krisen helfen können: psychologische Tipps

Ebenfalls auf diesem Blog: Warum sich Trauernde förmlich zerrissen fühlen  - eine Einführung in das "Duale Prozessmodell der Trauer" und seine Fallstricke

Ebenfalls auf diesem Blog: Warum sich ein Suizid viel öfter verhindern ließe als wir das glauben und warum es so wichtig ist, immer wieder darüber zu reden

Ebenfalls auf diesem Blog: Tipps zum Umgang mit Trauernden und Trauer - was Menschen in einer Verlustkrise hilft, was man Trauernden sagen kann 

Ebenfalls auf diesem Blog: Was muss ich machen, wenn ich wegen Trauer krankgeschrieben werden möchte? Geht das überhaupt und wenn ja, wie denn?

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Donnerstag, 1. Juli 2021

Die besten Filme über Trauer, Tod und Sterben, Folge 5 - Was der deutsche Suizid-Film "Der letzte schöne Tag" alles richtig macht und wie realistisch er die ersten Tage nach dem Tod einer Mutter zeigt - Wie Familien auf den Suizid eines Mitglieds reagieren - Serie über "Die besten Trauerfilme", Tipps/Rezensionen

Osnabrück - Er spielt Verstecken, beim Leichenschmaus für seine Mutter. Und während der 7-jährige Piet zwischen vielen Füßen auf dem Fußboden sitzt und auf das kleine Nachbarsmädchen wartet, das ihn suchen soll, unterhalten sich die Erwachsenen jenseits der Tischplatte über ein Thema, das sie als "Selbstmord" bezeichnen. Eine weibliche Stimme, zaghaft: Man solle doch besser Suizid sagen. Eine männliche Stimme, entschieden: Das sei doch nur lateinisch für dasselbe. Ob der arme Junge da unten wohl ahnt, dass es dabei um seine soeben beerdigte Mutter geht? Dass die Erwachsenen ihm unbeabsichtigt offenlegen, was ihm der Vater lieber verheimlichen wollte? 

Aber Piet hört gar nicht richtig hin. Er ist vertieft ins Spiel; Kind, das er noch ist. Beim Spielen hat die Trauer keinen Platz. Eine von vielen Szenen, die "Der letzte schöne Tag" zu einem starken und sehenswerten Film machen - und zu einer sehr exakten Studie darüber, wie sich das Weitermachen für eine Familie anfühlt, wenn sich jemand aus ihrem vermeintlich so festen Gefüge das Leben genommen hat. Damit gehört der 2011 veröffentlichte Film unbedingt in diese Serie über die besten Trauerfilme - zumal er für einen Fernsehfilm in mehrfacher Hinsicht ungewöhnlich ist. 

Lästereien auf der Trauerfeier - gerade tot, schon belächelt


Was können uns Spielfilme über das Erleben von Trauer erzählen? Können wir etwas über das Leben lernen? Kommen sie der Lebenswirklichkeit von Menschen in einer Trauer- und Verlustsituation nahe? Diese Fragen bilden sozusagen das Grundgerüst für meine Reise durch die Welt der Trauerfilme, die ich für diesen Blog unternehmen möchte. "Der letzte schöne Tag", gedreht für die ARD als ein so genanntes Fernsehspiel, bietet auf all diese Fragen viele Antworten. Zum Beispiel dieser Leichenschmaus: Der frische Witwer bleibt nahezu unbeteiligt, während sich die Gespräche an den Tischen um die gestorbene Familienmutter, also seine Frau, drehen. Die sei ja immer so unordentlich gewesen. Und so schwierig. Dass sie krank gewesen ist, hat der von Wotan Wilke Möhring eindrucksvoll gespielte Lars Langhoff seinen beiden Kindern immer wieder gesagt. Depressiv, verschlossen, überfordert. Dass sie sich deswegen umgebracht habe, hat er zumindest seiner Tochter erzählt. Dass das nichts mit den Kindern zu tun habe. Und doch wird diese Krankheit in den Leichenschmaus-Gesprächen zu etwas Bizarrem und Fremdartigen gewendet, wird die Tote zum Sonderling erklärt. Als dann später auch noch an manchen Tischen herzlich gelacht wird, dreht sich die 14-jährige Tochter Maike Langhoff angewidert weg. "Das hier hat doch gar nichts mit Mama zu tun", sagt sie. 


(Alle Fotos: Hager-Moss-Film-GmbH/ARD, mit freundlicher Genehmigung)

Wie realitätsgetreu dieser Film sein Thema zu durchleuchten versteht, zeigt sich schon zu Beginn: Gleich zum Start erledigt die Mutter noch eine Reihe von Telefonanrufen. Sie erkundigt sich bei der pubertierenden Tochter Maike, wann diese fürs Kino verabredet sei. Was die Tochter ziemlich nervt - Kontrollanruf oder was? Sie ruft ihren Sohn Piet an und sagt ihm, dass sie ihm eine spontane Übernachtung bei seinem Lieblingsfreund organisiert hat, worüber der sich sehr freut, jedoch wartet ja schon das Fußballspiel, ob denn noch was sei? Sie ruft ihren Mann an um zu fragen, ob es spät würde am Abend, was es wird, denn es ist der erste schöne Tag des Jahres und als Landschaftsgärtner muss die Pflanzzeit ausgenutzt sein. Es ist aber auch der letzte schöne Tag des Jahres, wie der Filmtitel uns sagt. Und bald wird allen klar: All diese Anrufe verfolgten einen perfiden Zweck. Sie waren Teil eines klug ausgetüftelten Plans. So ist das tatsächlich, wenn Menschen fest entschlossen sind, sich das Leben zu nehmen: Sie basteln sich ein Organisationspuzzle rund um den Zeitpunkt ihres Suizids. Der Film läuft keine Viertelstunde, dann ist der Suizid längst vollzogen. Mit den Warums und Wiesos hält sich die Geschichte gar nicht erst auf, das ist nicht ihr Thema. Sie will erzählen, wie es den Hinterbliebenen geht, den Zurückbleibenden, der Familie. Auch den Kindern.


Wenn wir die Mutter erstmals sehen, ist sie schon tot


Dass die Mutter übrigens bei all diesen Anrufen gar nicht zu sehen ist, sondern nur die Angerufenen und ihre Reaktion, ist der klugen Dramaturgie des Films geschuldet: wir sehen die von Julia Koschitz gespielte Sybille Langhoff erst als Tote. Und auch in den wenigen Erinnerungsrückblenden, in denen sie wieder auftaucht, bleibt sie geisterhaft, matt, sie spricht nicht, verharrt in Erstarrung. Bis es ihrem Mann einmal reicht und er auf den Tisch haut. Da zeigt sich die Depression der Frau - diese Starre zu erleben macht andere wütend. Auch das ist tatsächlich so


Dass die größte Leistung beim Schaffen eines Films eben die Schreibleistung ist, also das Drehbuch, geht in unserer allgemeinen Überfixierung auf die Regie als den kreativen Pol allzu oft unter. Und doch kann eine noch so sensible Regie nur gelingen, wenn das zugrundeliegende Buch auch etwas taugt. Bei "Der letzte schöne Tag" gelingt der Spagat: Sowohl die Drehbuchautorin Dorothee Schön als auch der Regisseur Johannes Fabrick hätten in diesem Film eigene Erfahrungen mit Suizid verarbeitet, heißt es in verschiedenen Berichten darüber. Worin sich wieder einmal zeigt, dass der Suizid in Deutschland eben nicht etwa ein Nischen- oder Randthema ist, sondern ein viel häufiger vorkommender Sterbealltag als etwa der Tod durch einen Verkehrsunfall (wie ich für mein Faktenstück zu diesem Thema bereits recherchiert hatte, das sich hier finden lässt)

Faktencheck: Was der Film richtig macht


"Der letzte schöne Tag" betrachtet nur die kurze Zeitspanne vom Tod bis zu den Tagen kurz nach Beerdigung und Trauerfeier. Unspektakulär erzählt, ohne Verkitschung oder dramaturgische Überzeichnung, unprätentiös, manchmal nur in atmosphärischen Skizzen verdichtet, aber genau reingefühlt in jedes einzelne Mitglied dieser Familie... -  das muss man erstmal können. Und der Film macht dabei so vieles richtig. Zum Beispiel das hier: 

1.) Wer einen Suizid begehen will, der plant alles sehr genau. Wie uns nicht nur die Anrufe der Ehefrau und Mutter zeigen, sondern auch die E-Mail, die Lars Langhoff einige Stunden nach ihrem Suizid bekommt. Zeitversetzt und mit genau eingestellter Verzögerung versandt, informiert die inzwischen gestorbene Sybille Langhoff ihren Mann darüber, was sie getan hat. Ihr vermeintlich letztes Lebenszeichen ist ihr Todeszeichen. 

2.) Wer die Kinder schützen will, macht es ihnen damit noch schwerer. "Du hast mich belogen", sagt ein Mitschüler irgendwann zu dem 7-jährigen Piet. "Deine Mutter war gar nicht krank, die hat sich umgebracht". Alle wissen das. Nur Piet weiß das nicht. Dass er das nicht weiß, ist nicht aus böser Absicht geschehen, sondern aus einer Mischung aus Liebe, gutem Willen und großer Überforderung. Aber geholfen ist ihm damit nicht. Dass Kinder auch sehr harte Wahrheiten rund um den Tod gut vertragen können, ja, dass sie ein Recht darauf haben, ist immer wieder auch Thema in diesem Blog (zum Beispiel hier).



3.) Die Hinterbliebenen bleiben nach außen sehr gefasst, auch die Kinder. Irgendwie geht ihr Alltag weiter und irgendwie schaffen sie es, darin funktionsfähig zu bleiben. Zwar gibt es auch Zusammenbrüche, aber nur als kurzzeitige Momentaufnahmen. Ob er denn gleich zum Schwimmen gehen könne, fragt der Junge Piet - nur Minuten nachdem er vom Tod seiner Mutter gehört hat. Und tatsächlich können gerade Kinder in ihre Trauer hinein- und auch wieder rausspringen. Schon bald gehen die Kinder auch zurück zur Schule. Das Leben geht weiter - und ist doch durch blutige Schnitte geteilt in das Davor und das Danach. Dieses Hin- und Herpendeln zwischen Normalität und Bestürzung, zwischen davon berichten Menschen in einer Trauer- und Verlustsituation oft. "Du bist ja so stark", bekommen sie oft gesagt. Und denken sich insgeheim: "Tja, was soll ich denn machen? Mich auf die Straße legen? Einfach zusammenbrechen?" Geht ja alles gar nicht. Also weitermachen. Genau. 

4.) Es gibt große Schuldgefühle. Beide Kinder glauben im Verlauf der Geschichte, dass sie schuld am Tod ihrer Mutter sein könnten. Und der frische Witwer Langhoff fragt sich beim Bier trinken mit seinem Chef, wer seine Frau eigentlich war und ob er sie überhaupt jemals richtig gekannt haben. Und er denkt sich: Ich hätte doch noch etwas tun müssen. Ich hätte etwas tun können. Das ist klassisch für das Leiden der Angehörigen und Freunde. Schuld gehört zum Trauerprozess, aber vor allem gehört sie zur Trauer nach Suizid. Sie erfüllt dann übrigens eine wichtige Funktion, aber das bereits das Thema eines anderen Beitrags auf diesem Blog.



5.) Die Hinterbliebenen wollen auch vom Sterbenden gewürdigt bzw. gesehen werden - wenigstens im Abschiedsbrief. Dass die Mutter ihrer Tochter Maike das verweigert, tut der Jugendlichen besonders weh. "Du und die Kinder, ihr könnt hoffentlich glücklicher leben ohne mich“, schreibt sie. "Die Kinder, nur die Kinder", zischt die 14-jährige Maike verächtlich. Sie wäre gern mit ihrem eigenen Namen angesprochen worden. Sie hätte sich so gerne von ihrer Mutter - auch in deren Abschied - gesehen gefühlt. Und doch stimmt auch das, was ein Polizist dem frischen Witwer lapidar mitgibt: "Seien Sie froh, dass sie einen Abschiedsbrief haben". Den gibt es durchaus nicht immer. 

6.) Das neue Bewusstsein für Verletzlichkeit und Verluste. Als der Vater das erste Mal ein Bier trinken geht abends, hat der kleine Piet Angst, dass nun auch der Vater einfach wegbleibt und nie wiederkehrt. 
Diese neue Verwundbarkeit, die nicht nur kindlich sein muss, die plötzlich ins Leben hineinbrechende Erkenntnis davon, wie endlich wir als Menschen alle sind. Menschen, die eine Trauer- und Verlustsituation erlebt haben, kennen solche und ähnliche Prozesse. Wenn plötzlich die Sirene eines Krankenwagens zu hören ist, zucken sie plötzlich zusammen, auch wenn es ihnen Jahrzehnte zuvor nichts ausgemacht hat, einen Krankenwagen zu hören. Wenn in Romanen oder in Fernsehserien alleine zu dramaturgischen, also zu plakativen Zwecken gestorben wird, legen sie das Buch beiseite oder schalten den Fernseher aus - obwohl sie Jahrzehnte lang viele Bücher und Serien mit Toten darin ausgehalten haben. Wem der tatsächliche Tod ins Leben eingedrungen ist, der mag darin vorerst kein Unterhaltungsmaterial mehr sehen wollen. Und, und, und...


7.) Einerseits Alltägliches und andererseits Chaos, die verrückte Parallelität von allen Trauerfacetten, beherrscht das Alltagsgeschehen: Einerseits geht alles weiter wie gewohnt, Schule, Arbeit, Leben. Andererseits gucken die anderen Leute so merkwürdig, drehen sich aber rasch wieder weg, sobald man sie ansieht. Einerseits geht der Mann wieder arbeiten. Andererseits fährt er in einer emotionalen Überreaktion wieder zum Todesort seiner Frau (übrigens ein Ort, den Menschen in einer Verlustsituation oft aufsuchen). Einerseits findet die Tochter ein wunderschön durchgeführtes Luftballonritual mit zur Mama aufsteigenden Gedanken, Wünschen und Schleifchen dann doch zu "kitschig", oder jedenfalls tut sie so, andererseits aber postet sie in einem sozialen Netzwerk: Meine Mutter hat sich umgebracht (hier ist es noch "Schüler VZ", so eine Art deutschlandweiter junger Facebook-Vorläufer). Und freut sich dann, wie viele neue Freundschaftsanfragen sie dadurch bekommt. Einerseits gibt es das gemeinsame Anschauen der beim Bestatter aufgebahrten Mama - wiederum ohne den kleinen Piet, der auch unbedingt gefragt gehört hätte -, andererseits aber die plötzliche Bestürzung darüber, dass sie mit einem Lippenstift geschminkt ist, den sie nie getragen hat. Einerseits hat vor allem der kleine Piet, aber auch der Witwer, immer mal wieder Halluzinationen der sie nachts heimsuchenden Mama/Ehefrau, die fast wie ein Geist ins Haus zurückzukehren scheint. Bis sich Piet andererseits entscheidet, mit der Gestalt ins tägliche Gespräch zu gehen (Menschen in einer Trauer- und Verlustsituation tun so etwas), derweil der Vater allerlei quälende Erinnerungen an schmerzhafte Gespräche vorab durchlebt. 

Die Kinder gelingen überzeugend 


Das alles ist nicht nur ungemein stimmig geschrieben, sondern auch hervorragend gespielt. Vor allem die Jungschauspieler stechen dabei hervor. Immer mal wieder gibt es ganz rührend gewordene Familienszenen. Herrlich, wenn der junge Piet seinem Vater zeigt, wie gut er die Zähne geputzt hat - Lippen hochziehen, Zähne zeigen, blitzt alles? Mit seiner Langhaarfrisur erinnert Schauspieler Nick Julius Schuck frappant an den kleinen Wuschelkopf Tom aus der Kultserie "Ich heirate eine Familie", aber das nur am Rande.



Aber: Ist es auch ein geeigneter Film, der einem so etwas Komplexes wie Trauer nahebringen kann....? Werfen wir einen Blick auf das Fragen-Grundgerüst für diese Artikelserie: 

- 1.) Was sagt der Film darüber aus, wie Trauer ist - wie sie sich anfühlt? 

Ziemlich viel - und dann auch wieder nicht: Was dem Film trotz aller Genauigkeit fehlt, ist der eigentliche Trauerprozess. Denn der beginnt so richtig erst an der Stelle, an der die Geschichte hier aufhört. Das liegt daran, dass "Der letzte schöne Tag" nur die Zeitspanne vom Tod bis in den Tagen nach der Trauerfeier betrachtet. Er wirft ein Schlaglicht auf einen eher kurzen Abschnitt. Aber wer schon einmal einen Menschen verloren hat - zumal durch einen Suizid -, der weiß: Was jetzt noch folgt an Auf und Ab, das kann sehr lange dauern. Jahre, oftmals. Jahrzehnte, manchmal auch. Gehört alles dazu. 

- 2.) Ist der Film für Menschen in einer Trauer- und Verlustsituation empfehlenswert? 

Durchaus ja, aber nicht für alle. Zwar vermeidet der Film krasse Bilder sowie jegliche Überspitzung. Dennoch dürfte, wer gerade einen Menschen durch Suizid verloren hat, noch zu betroffen und angefasst sein, um das ertragen zu können. Das gilt vor allem für die Szene, in der Lars Langhoff seine tote Frau im Wald findet. Der weitere Verlauf dieser Geschichte zeigt dann wiederum so vieles, was Menschen in vergleichbaren Situationen bekannt vorkommen dürfte, dass es fast wie ein (minimaler) Trost wirken könnte - nach dem Motto: Ach guck mal, bei denen ist es ja genauso wie bei uns... Das kennen wir auch. Vor allem lässt Drehbuchautorin Dorothee Schön 
ihre Familie Langhoff alles durchleben, was auf Menschen in so einer Situation zukommt, vor allem in den ersten Tagen: Das Organisieren der Trauerfeier und Beerdigung. Das Aufräumen des Kleiderschranks. Die Schuldgefühle. Und mehr. 

- 3.) Kann der Film seinem Publikum die Gefühle von Trauer und Verlust und allem, was dazugehört, nahebringen (vor allem Zuschauern, die nicht davon betroffen sind)? 

Definitiv: Ja. 


- 4.) Meine persönliche Lieblingsszene aus dem Film? 

Ehrlich gesagt: Es ist schwer, das auf eine einzige Szene runterzubrechen. "Der letzte schöne Tag" überzeugt als Gesamtleistung. Für mich als textgetriebenen Menschen ist das Gedicht, das bei der Beerdigung von Sybille zitiert wird (und das am Ende des Films nochmal rezitiert wird): Das Gedicht "Letztes Lied" von Mascha Kaléko kann einen mit seiner rilkenahen Sprachschönheit tief im Inneren anrühren. Eine bereichernde Entdeckung (mehr dazu und den Gedichtstext gibt es hier). 

- 5.)  Welche ganz persönlichen Fragen werden durch den Films in einem angeregt? 

Was sagen uns die Menschen, wenn sie nichts sagen? Können wir ihre Signale richtig wahrnehmen und richtig interpretieren? Was tragen wir selbst in unserem Inneren mit uns herum, ohne es mit anderen zu teilen? Denn was mit das Eindrucksvollste an diesem Film ist: Am Ende stellen wir fest, dass wir Sybille zwar öfters erlebt haben - als eine Art Geistererscheinung, in Rückblenden -, aber wir haben sie nicht einmal sprechend als Figur sehen können. Am Anfang des Films kommt ihre telefonierende Stimme aus dem Off. Wenn sie dann auftaucht, ist sie still. Und doch schreibt sie in ihr Tagebuch: Ich kann nicht mehr. 

- Mein Fazit und meine Empfehlung: Realistisch, eindrucksvoll, nachvollziehbar und immer nah dran an den Figuren - ein Familiensystem in seinen ersten Tagen nach einem Suizid. Alles was danach geschähe, wäre eine TV-Serie wert. Aber bitte in dieser oben gelobten Qualität


--------------- Alle Folgen aus der Serie "Die besten Trauerfilme": ------------

- Was uns das Teenager-Drama "Vielleicht lieber morgen" mit Emma Watson über Trauer, Trauma, Flashbacks und Trigger erzählt - zur Folge 1 der Serie

- Warum die australisch-französische Filmperle "The Tree" mit Charlotte Gainsbourg eine exakte Studie über das Trauern ist - zur Folge 2 der Serie

- Was uns das oscar-prämierte US-Drama "Manchester By The Sea" alles über Schuld und Familiensysteme in Trauer erzählen kann- zur Folge 3 der Serie

- Der Tod zweier Söhne, ein Familiensystem und seine Geschichte - warum John Irvings "The Door In The Floor" ein Fim übers Erzählen ist - Folge 4

- Der Suizid der Mama und wie eine Familie weiterzumachen versucht, eindrucksvoll, aber zurückhaltend gezeigt in "Der letzte schöne Tag" - Folge 5

- Ein poetischer Film über Japan, alternde deutsche Ehepaare und die ewige Nähe des Todes - Dorris Dörries "Kirschblüten Hanami" ist eine Wucht - Folge 6

- Warum der Spielfilm "Das Zimmer meines Sohnes" unbedingt sehenswert und bemerkenswert realistisch eine Familie in Trauer abbildet - Folge 7 der Serie

- Ein kluger Film darüber, wie Trauer als latente Grundschwingung das Leben junger Menschen beeinflussen kann, "Dieses Sommergefühl"Folge 8 der Serie

- Als Familie nach dem Tod eines Kindes in der Ferne den Neustart wagen - was das mit Geschwistern und Eltern macht, erzählt "In America" - Folge 9 der Serie 

- Warum "Blaubeerblau" der perfekte Einsteiger-Film für alle ist, die sich an das Thema Hospiz noch nicht so richtig herangetraut haben - Folge 10 der Serie

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Der Autor dieser Zeilen bietet Trauerbegleitung an in Osnabrück und im Osnabrücker Land an und hat eine Ausbildung zum Trauerbegleiter absolviert (Große Basisqualifikation gemäß des Bundesverbands Trauerbegleitung) und bietet Podcasts rund um das Thema Trauer an (bitte hier klicken). Thomas Achenbach ist der Autor der Bücher "Männer trauern anders - was ihnen hilft und gut tut", 168 Seiten, Patmos-Verlag und "Mitarbeiter in Ausnahmesituationen - Trauer, Pflege, Krise", 220 Seiten, Campus-Verlag. Mehr Infos auf www.thomasachenbach.de

Lesungen, Vorträge, Workshops, Seminare, Trauergruppen und mehr: Alle aktuellen Termine mit Thomas Achenbach finden sich unter diesem Link 

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Im Trauergeschichten-Podcast zum Hören: "Darf ich das - ist das normal?" - was sich Trauernde so alles fragen und was es darauf für Antworten gibt  

Ebenfalls auf diesem Blog: Trauer und Schuldgefühle gehören zusammen - warum sich so viele Trauernde nach dem Tod eines Menschen schuldig fühlen

Ebenfalls auf diesem Blog: Wie uns die Trauer vor Aufgaben stellt und was das für den Trauerprozess bedeuten kann - über die "Aufgaben der Trauer"

Ebenfalls auf diesem Blog: Entrümpeln, Ausmisten und Aufräumen nach dem Tod eines Menschen - was mache ich damit und warum ist das so hart?

Ebenfalls auf diesem Blog: Der Trick mit der Selbstwirksamkeit - wie wir uns selbst gut in seelischen Krisen helfen können: psychologische Tipps

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Ebenfalls auf diesem Blog: Warum sich ein Suizid viel öfter verhindern ließe als wir das glauben und warum es so wichtig ist, immer wieder darüber zu reden

Ebenfalls auf diesem Blog: Tipps zum Umgang mit Trauernden und Trauer - was Menschen in einer Verlustkrise hilft, was man Trauernden sagen kann 

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