Osnabrück - Über diesen oben abgebildeten Dialog bin ich vor kurzem im Netzwerk Twitter gestolpert. Und er hat nochmal einige Erfahrungen bestätigt, die ich selbst oft gemacht habe bzw. von denen ich mir habe berichten lassen. Was Menschen zu anderen Menschen sagen, wenn diese in einer Trauer- und Verlustkrise stecken, ist oft schwer zu ertragen. Da wird - sicher unbewusst - verglichen, runtergemacht, die Schwere der Trauer zu relativieren versucht. Aber vor allem wird, meistens immer, all den Menschen, die andere verloren haben, ihre Berechtigung zu trauern abgesprochen. Das geschieht mehr oder minder subtil, gerät aber kränkend. Auch wenn die Sprecher das weder beabsichtigen, noch es merken. Zugegeben, so ging es mir sicher auch schon einmal, vor meiner Ausbildung zum Trauerbegleiter.
Denn, zugegeben, bevor ich mich selbst so intensiv mit diesen Themen beschäftigt habe, wusste ich natürlich auch nicht immer, was ich idealerweise sagen sollte, wenn mir jemand vom Tod eines ihm oder ihr nahen Menschen erzählte (und heute zu behaupten, ich hätte jetzt die Weisheit mit Löffeln gefressen, wäre gleichermaßen übertrieben, auch, wenn das hier gelegentlich so rüberkommen mag). Was willst du auch sagen, wenn es im Grunde nichts zu sagen gibt - keinen Trost jedenfalls geben kann. Und wenn Du Dich konfrontiert siehst mit dieser Wand aus Ratlosigkeit und Hilfslosigkeit. Sich hilflos fühlen, das ist es vermutlich, was die meisten Menschen unbewusst zu diesem psychologischen Trick greifen lässt - die Trauer der anderen lieber kleinzureden, um sie selbst besser ertragen zu können. Also sagt man sowas wie: "Ihr habt ja eine so schöne Zeit miteinander gehabt, das darfst du nicht vergessen". Was aber für die Trauernden nicht anders klingt als: "Schau doch mal auf das Positive und wühl Dich doch nicht immer so rein in Deinen Trauerschlamm." Und so geht es weiter.
Nicht alles, was die anderen zu einem sagen, ist hilfreich, manchmal würde man es gar nicht gerne hören, auch wenn es eigentlich so gemeint ist. (Thomas-Achenbach-Foto) |
Das war eine der Aufgaben, die wir in einer kleineren Lerngruppe während unserer Ausbildung zum Trauerbegleiter zu erledigen hatten: Sätze zu sammeln, die zwar gut gemeint sein mögen, aber doch eher verletzen und die insgeheim die Trauer abzuschwächen versuchen. Was dabei zusammengekommen ist - auch dank engagierter Kolleginnen -, kann sich sehen lassen. "Die Zeit heilt alle Wunden", zum Beispiel - Nein, das wollen Trauernde gar nicht gern hören. Denn der Schmerz des Verlusts ist ja oft das vermeintlich Einzige an großer Energie, das geblieben ist von dem verlorenen Menschen, so wird es oft erlebt. Und davon geheilt werden, gar befreit, das hieße doch auch, den Menschen noch weiter zu verlieren, oder? Oder: "Da mussten andere auch schon durch" - Mag ja sein, aber jeder Mensch hat das Recht auf seinen eigenen Schmerz und seine eigene Intensität und sein eigenes Leiden, außerdem will ein Leid auch erstmal durchlebt werden, was nützen da die anderen? Ach, und es gibt noch so viel mehr.
"Das hätte man doch bestimmt verhindern können" - Ja?
Es war das Beste für sie/für ihn. Irgendwann müssen wir doch alle sterben. Man weiß nicht, was ihr/ihm alles erspart geblieben ist. Das Leben geht weiter. Ich weiß genau, wie es Ihnen geht. Gott hat es so gewollt, er hat sie/ihn zu sich gerufen. Sie werden darüber hinwegkommen. Sie haben doch noch ihre Kinder. Sie müssen sich der Sache jetzt stellen. Sie müssen jetzt loslassen. Sie müssen auch irgendwann wieder nach vorne schauen. Wenn der Arzt das nur eher festgestellt hätte, wer weiß, ob sie oder er dann nicht noch leben würde. Sie müssen jetzt ganz tapfer sein. Ich weiß noch genau, wie das bei mir damals war, davon erzähle ich jetzt erstmal. Oder bei einem Unfall: Er oder sie ist ja auch immer ziemlich rasant gefahren. Oder bei Lungenkrebs: Er oder sie hat ja auch immer soviel geraucht. Oder bei Suizid: Das hätte man doch bestimmt irgendwie merken können und verhindern können. Und, und, und. Jeder Satz ist, im Grunde genommen, ein Schlag in die Magengrube, wenn man mal drüber nachdenkt. Oder auch der hier:
Wer zerrissen ist, darf sich auch seine Bruchstücke ansehen
"Jetzt reiß dich mal zusammen". Sowas bekommen Menschen in einer Verlustkrise tatsächlich zu hören. Wie aber soll das gehen, wenn man innerlich ganz in Einzelteile zerrissen ist? Wäre es da nicht viel besser, sich die einzelnen Teile anzugucken, Stück für Stück, und mal zu gucken, ob sich nicht auch mit einem zerrissenen Innern erstmal weiteratmen lässt. Vielleicht gar weiterleben, wenn auch ganz anders als vorher. Wobei man über diese oben genannten Sätze auch eines sagen muss:
Manchmal darf man sich auch einfach die Bruchstücke seines Lebens ansehen - denn wo etwas zerrissen ist, gibt es kein "sich zuammenreißen können" mehr. (Thomas-Achenbach-Symbolfoto) |
Man kann den Menschen, die solcherlei Dinge sagen, nicht immer einen Vorwurf machen. Zwar erfüllt jeder einzelne dort oben aufgeführte Satz nur die eine Funktion - die Trauer zu entkräften, die Schmerzen abzumildern, das Erlebte von seiner Funktionalität als Einzelschicksal zu befreien -, aber das geschieht nicht bewusst, nicht so manipulativ, wie es hier vielleicht den Anschein mag. Denn auch das Umfeld von Trauernden fühlt sich ja überfahren von der Situation, überfordert, letztlich hilflos. Und wer in den oben genannten Sätze eben diese Botschaft herauszulesen versteht - ich fühle mich genauso hilflos wie Du und ich weiß deswegen gar nicht, was ich sagen soll -, der kann vielleicht verstehen, warum diese Aussagen so gesprochen werden. Hat sie vielleicht sogar selbst einmal so gesprochen. Damals, irgendwann, in einem anderen Leben, vor diesem neuen Leben - dem Leben nach dem Tod. Also dem der anderen. Bleibt natürlich die Frage: was hilft denn nun eigentlich wirklich? Nun, damit habe ich mich bereits an anderer Stelle beschäftigt - siehe hier.
Mit einem dicken Danke für die tolle Zusammenarbeit und für die gute Zeit an Petra Temmen, Birgit Lemper, Luise Rüter und Irina Porzler.
"Ihr hattet doch eine so gute Zeit" - "Du musst jetzt nach vorne schauen" - "Da muss jeder mal durch" - "Das Leben ist nun einmal endlich" - Undsoweiterundsoweiter.... |
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Der Autor dieser Zeilen bietet Trauerbegleitung an in Osnabrück und im Osnabrücker Land an und hat eine Ausbildung zum Trauerbegleiter absolviert (Große Basisqualifikation gemäß des Bundesverbands Trauerbegleitung) und bietet Podcasts rund um das Thema Trauer an (bitte hier klicken). Thomas Achenbach ist der Autor der Bücher "Männer trauern anders - was ihnen hilft und gut tut", 168 Seiten, Patmos-Verlag und "Mitarbeiter in Ausnahmesituationen - Trauer, Pflege, Krise", 220 Seiten, Campus-Verlag. Mehr Infos auf www.thomasachenbach.de.
Lesungen, Vorträge, Workshops, Seminare, Trauergruppen und mehr: Alle aktuellen Termine mit Thomas Achenbach finden sich unter diesem Link
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Der Podcast von Thomas Achenbach: "Trauergeschichten - Menschgeschichten", Gespräche über Leben, Tod und Sterben, jetzt online
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