Ein guter Freund berichtet beim gemeinsamen Abendessen von einer jungen Familie, die er gut kennt und deren Kind kurz nach der Geburt gestorben ist. Und von seiner eigenen Hilflosigkeit angesichts dieses Prozesses. Und wie so oft steht die Frage im Raum: Sollten wir den Verlust denn überhaupt ansprechen, macht das die Betroffenen nicht noch trauriger als sie ohnehin schon sind? Das ist eine wichtige Frage, die mit gutem Recht immer wieder aufs Neue besprochen sein will. Für mich ist es außerdem ein neuerliches Anzeichen dafür, wie wichtig es sein kann, dass es "Traueraktivisten" gibt (das Wort prägte eine gute Kollegin), die diese Themen immer wieder in die Gesellschaft tragen und für ein gegenseitiges Verständnis werben.
Denn das ist so wichtig, finde ich: Verständnis für beide Seiten aufzubringen, eben auch für diejenigen, die nicht akut von dem Trauerfall betroffen sind. Denn wer kann sich schon komplett freisprechen von diesen Unsicherheiten? - Also, ich gewiss nicht. Nicht im Privaten, jedenfalls, so ganz ohne professionelles Setting, trotz all meiner tagtäglichen Beschäftigung mit diesen Themen.
Darin spiegelt sich die Unsicherheit unserer Gesellschaft wieder, wie sich mit allen Themen rund um Tod, Trauer und Sterben souverän umgehen lässt. Einer Gesellschaft, die Tag für Tag zigtausend Fernsehkrimi-Unterhaltungstode aushält, aber bei einem echten Kontakt mit dem Tod immer wieder ganz ratlos davorsteht, weil ihr alle Konventionen abhanden gekommen sind. Und mir wird durch die Frage immer wieder bewusst, wie wichtig doch zwei wesentliche Botschaften und ihr stetiges Wiederholen sind - nämlich diese beiden:
1.) Nein, es macht die Menschen nicht trauriger, ganz im Gegenteil. Menschen, die einen solchen Verlust erleiden mussten, sind innenraumgreifend ausgefüllt von diesem Kummer. Und das über einen sehr langen Zeitraum, dazu weiter unten gleich mehr. Den Verlust ins Wort zu bringen, ist das, was hilfreich sein kann: Jede Anerkennung dieses Verlusts und dieses Schmerzes kann eine wichtige Unterstützung für die Betroffenen in ihrem Prozess sein. Es anzusprechen, erstmal ganz sanft und vorsichtig, ist nie verkehrt. Es totzuschweigen schon eher, auch wenn ich gut verstehen kann, wie groß die Unsicherheit bei allen Nicht-Betroffenen ist. Deswegen als Ermutigung: Das Wichtigste (und das Einfachste), was du tun kannst, ist, den Menschen mit ihrem Verlust einfach zuzuhören. Nur zuhören, auch wenn sie sich vielleicht oft wiederholen. Und, nein, du brauchst selbst nichts dazu sagen. Gar nichts, wirklich. Stell Fragen. Das reicht. Ehrlich. Du machst ihnen ein großes Geschenk (und sehr viel mehr machen wir in der Trauerbegleitung auch nicht, ehrlicherweise, nur halt aus einer verinnerlichten Haltung heraus).
2.) Die Betroffenen haben mit ihrem Trauerfall lebenslänglich. Ein solcher Schmerz bleibt nicht nur über Wochen oder Monate, auch seine Intensität nimmt nicht allzu bald ab. Ein solcher Schmerz bleibt über Jahre, mehrere, viele, von denen die ersten zwei oder drei oft besonders hart sein können. Ich denke da an verwaiste Eltern - Mütter wie Väter -, die mir so etwas gesagt haben wie: "Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht an mein gestorbenes Kind denke" - auch noch Jahrzehnte nach dem Ereignis. Die Wunde mag irgendwann vernarben, aber die Narbe bleibt dick und fett in der Seele kleben und reißt immer mal wieder auf. In all diesen Jahren brauchen die Hinterbliebenen Freunde, die treu sein können, auch wenn das für die Freunde selbst hart werden kann. Aber das ist es, worum es geht: Es geht ums Aushalten. Das ist so wichtig.
Übrigens, was "Traueraktivisten" angeht, eine Notiz noch dazu:
Das Wort gefällt mir immer besser. Geprägt hat es meine Kollegin Iris Willecke. Ich finde es super. Klar, eine gewisse Nähe zu den Themen Klima und Klebstoff ist nicht von der Hand zu weisen. Ebenso wie der Vorwurf, auf eine terroristische Art und Weise etwas brutal in die Gesellschaft zu tragen, das vielen missfällt. Trauerterrorist, das passt genausogut. Trauer ist oft auch Terror. Für die Hinterbliebenen vor allem.
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