Osnabrück - Nicht wenige Menschen in einer Trauer- und Verlustkrise kenne ich, die gehen jeden Tag oder zumindest jede Woche einmal zum Grab der Gestorbenen. Es tut ihnen gut, dort zu sein und es ist ein wichtiges Ritual für sie. Wenn uns jetzt in Zeiten der Coronakrise wegen Ausgangssperren wie in Bayern oder wegen gesperrter Friedhöfe auch der Gang zum Grab verwehrt bleibt, haben diese Menschen damit auch keinen Zugang mehr zu einem wichtigen Ritual. Sie sind nicht die einzigen, denen die Krise die Trauer erschwert - alle, die jetzt eine Trauerfeier und eine Beerdigung organisieren müssen, sehen sich mit massiven Auflagen konfrontiert. Das kostet zusätzliche Energie. Was dabei helfen kann, das beschäftigt aktuell in vielen Diskussionen das Internet, so zum Beispiel in speziellen Bestatterforen bei Facebook. Wie sollen wir umgehen mit der Trauer in Zeiten des Coronavirus? Hier ein paar Ideen, Anregungen und "Best-Practice"-Beispiele. Außerdem äußern sich Bestatter zu der Frage: Was bedeutet das Mehr-als-zwei-Menschen-Kontaktverbot für Beerdigungen?
Wenn das Grab als Trauerort nicht mehr zur Verfügung steht, dann ist es vielleicht an der Zeit, sich daheim eine eigene kleine Trauerecke einzurichten. Oder, falls es einen gibt, im eigenen Garten eine Ecke zu schaffen, die diese Funktion erfüllt. Manche der Menschen, die ich bislang begleiten durfte, haben das ohnehin getan. Die Idee dabei ist dieselbe: Es gibt einen Ort, den ich aufsuchen kann, zu dem ich mich bewusst hinbegen, den ich aber auch wieder verlassen kann. Einen Ort, an dem ich vielleicht das Gefühl habe, dem gestorbenen Menschen dort nahesein zu können. Manchen reicht es schon, diesen Ort mit einem Foto und einer Kerze zu schmücken - oder, falls es ein Platz im Garten ist, dort einen besonderen Stein hinzulegen -, manche richten sich richtige Erinnerungstischchen mit Gegenständen und Dekorationen ein. Das bleibt jedem Menschen überlassen, was dem Einen gut tut, ist dem Anderen vielleicht schon zuviel. Etwas anderes ist es natürlich mit den aktuell geplanten Trauerfeiern.
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So wünschen sich die Behörden derzeit ihre Friedhöfe: Menschenleer. Oder, besser gesagt: Lebenden-leer. Die Gestorbenen können ja gerne bleiben... (Foto: Thomas Achenbach) |
Auf einer Trauerfeier wird manchmal geweint. Tränen sind Körperflüssigkeit. Wer weint, der schnäuzt sich auch. Klare Sache: Die Übertragung von Viren - zudem von so hochansteckenden wie es das Coronavirus sein soll - ist auf einer Trauerfeier noch wahrscheinlicher als in einem, formulieren wir es mal nüchtern, "trockeneren" Kontext. Kein Wunder also, dass vor allem Trauerfeiern neben allen anderen Familienfeiern besonders im Fokus der Behörden und der Sicherheitsauflagen stehen. Gottesdienste sind derzeit eh nicht mehr zugelassen, was meisten Kirchen auch zum Verbot von Trauerfeiern ausweiten. Und nachdem die Landesregierungen am Sonntag, 22. 3., das offizielle Kontaktverbot zu mehr als zwei Personen ausgesprochen hatten (das mittlerweile hier und da wieder gelockert worden ist, zumindest für Beerdigungen), war die Unsicherheit noch größer geworden - was bedeutet das für Beerdigungen? Wie mir mehrere Bestatter via Facebook in einer kleinen Umfrage mitteilten, gilt in den meisten Ländern wohl folgende Ergänzung zum Kontaktverbot (wie sie in einem Text aus NRW zu finden ist): "Zulässig sind Erd- und Urnenbestattungen sowie Totengebete im engsten Freundes- und Familienkreis". Doch wie für alle kurzfristig erlassenen Regeln in diesen Coronatagen gilt auch hier: All das kann und wird sich ständig wieder ändern und hat keinen Anspruch auf Dauergültigkeit.
Trauer und Kontaktverbot - da bleibt was auf der Strecke
Viele halten die Trauerfeier einfach am offenen Grab ab und achten auf einen großen Abstand zwischen den Teilnehmern. Und doch bleibt etwas auf der Strecke: Am Grab zu kondolieren ist nicht mehr möglich, die Menschen verziehen sich stillschweigend am Ende der Ansprachen. Es mangelt an Umarmungen, an tröstenden Gesten, am Reichen der Hände. Gefühlt mangelt es jedoch an etwas Anderem: nämlich an Menschlichkeit und Mitgefühl und an dem Wenigen, das hätte tröstend sein können.
Beim Glockengeläut sollen die Menschen aktiv werden
Eine schöne Idee, wie sich trotzdem kreativ und angenehm das Gedenken an einen frisch verstorbenen Menschen gestalten lässt, stammt aus dem österreichischen Au in der Region Vorarlberg. Ein auf Facebook weitergereichter Post aus dieser Gemeinde trägt diese Idee in die Welt: "Ein Licht für Lukas!!", ist dieser Post überschrieben. Und so geht es weiter: "Liebe Pfarrgemeinde, wir würden sehr gerne für unseren lieben Lukas Rüscher eine Lichterkette machen. Heute Abend um 20 Uhr läuten die Glocken der Pfarrkirche Au. Jeder ist eingeladen zeitgleich in seiner Parzelle am Straßenrand ein Licht aufzustellen um Ihm zum Abschied die Straßen von Au noch zu beleuchten, durch die er so gerne fuhr. Mögen ihn viele Lichter begleiten auf seinem neuen Weg. Danke für Euer Licht!" Soweit die Idee aus Österreich, die bei Facebook eine Reihe positiver Reaktionen hervorgerufen hat. Aber gibt es auch gute Ideen aus Deutschland? Ja, gibt es. Und sind sie aktuell auch alltagstauglich (immer vorausgesetzt: in diesem sich jeden Tag ändernden Alltag)?
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Echte Musik auf einer Trauerfeier - ist derzeit nur schwer möglich. Weil: Alles menschgemacht. Schwierig. (Foto: Thomas Achenbach) |
Derzeit ist die Lage in Deutschland, wie auch in anderen Bereichen, unübersichtlich. In manchen Städten Gemeinden sind derzeit nur stille Beerdigungen ohne Ansprachen und mit einer festgelegten Anzahl von Teilnehmern möglich, in anderen Gemeinden werden diese Regeln wieder anders gehandhabt. Wie so oft fehlt es an der einen, bundesweit einheitlichen Regelung. Dementsprechend lassen sich auch nicht alle guten Ideen überall ein- und umsetzen, was schade ist. Denn wie die Diskusssionen in den Onlinemedien zeigen, gibt es viele gute Anregungen und Lösungsvorschläge. Eine ganze Sammlung guter Ideen lässt sich aktuell beispielsweise auf Twitter finden, wo das Berliner Bestattungsinstitut Thanatos eine Diskussion über Trauerfeiern in Coronazeiten angestoßen hat. Hier ist eine Auswahl der besten Anregungen:
- Dass die Traueransprache aufgenommen und ggf. auf CD gebrannt werden könnte, war hier auf diesem Blog bereits Thema in einem anderen Zusammenhang
- Den Ablauf der Trauerfeier samt zeitlicher Vorgaben vorab auf Papier festhalten und zu einem festgelegten Zeitpunkt während der Zeremonie alle, die an der Trauerfeier nicht selbst teilnehmen können, daheim oder in einer Kirche eine Kerze anzünden lassen
- Fotos von diesen brennenden Kerzen könnten online geteilt und/oder später per Post zugeschickt werden (beide Ideen sind eine von mir komprimierte Zusammenfassung mehrerer online geäußerter Gedanken ähnlichen Inhalts)
- Dass alle, die nicht zur Trauerfeier kommen können, zu einer festgelegten Zeit ein bestimmtes Lied anhören, schlägt die Berliner Bestatterin "Charons Tochter" beispielsweise auf Instagram vor
- Dass man am Sarg nicht nur eine Schaufel Erde hineinwirft, sondern für jeden nicht anwesend sein könnenden Verwandten/Freund/Bekannten ebenfalls eine (ebenfalls von Charons Tochter) - oder dass für jeden eine Rose bereitsteht zum Hineinwerfen, egal ob anwesend oder nicht, was das Anfassen des Schaufelstiels vermeidet (ist so verschiedentlich im Facebookdialog zu finden).
- Das gemeinsame Kaffeetrinken auf die Post-Corona-Zeit verschieben und als zusätzliche Feier gestalten, die Trauerfeier an sich aber jetzt schon abhalten, schlagen viele vor
- Ein paar Worte aufschreiben, die vorgelesen und ggf. mit ins Grab gegeben werden können, schlägt Nutzerin "Lotta" vor
- Die Trauerfeier von der Beerdigung entkoppeln - und sie später vielleicht am bereits fertig gestalteten Grab abhalten (hoffentlich: inklusive Kondolenzmöglichkeit), schreibt Nutzerin "CoffeeQueen"
- Die evangelischen Kirchen in Osnabrück und der Region Osnabrück haben bei Trauerfeiern angeboten, sich vor der Trauerhalle zu treffen und dann immerhin den gemeinsamen Gang zum Grab als Trauergang abzuhalten (übrigens im Falle von Sargbeerdigungen bei reduzierter Zahl an Sargträgern wegen Ansteckungsgefahren)
- Eine Idee von mir: Ich mag selbstgestaltete Fotobücher sehr gerne und fände es reizvoll, den gesamten Abschieds- und Beerdigungsprozess in Form einer Fotoreportage als Buch später anderen zugänglich zu machen, so dass alle sehen könnten: So hat der Sarg ausgesehen, so hat das Grab ausgesehen, so haben wir alles gestaltet etc. (ginge ggf. auch als Blog)
- Was "Charons Tochter" in einem Blogbeitrag auf dem Internetportal www.bohana.de empfiehlt, ist noch folgendes: "Etwas
bei der Trauerfeier dabeihaben, dass man dann der Trauergemeinde mit der Post
schickt. Das können gepresste Blumenblätter des Blumenschmucks sein mit einem
Foto der Urne/des Sarges mit dem Blumenschmuck. Oder ein Baumwollband, dass um
die Urne/den Sarg gewunden wird und dann vor dem Senken abgemacht, in Stücke
geschnitten und in einen Briefumschlag gesteckt und verschickt wird. Man könnte
diese dann jeweils individuell begraben oder kontrolliert verbrennen, jeder in
seinem Garten. Oder man könnte sie aufheben und dann zu einer späteren
Trauerfeier oder einer Gedenkfeier mitbringen".
- Was sehr viele empfehlen: Die Trauerfeier auf Video aufzeichnen oder sie direkt online zu streamen - wobei bei Letzterem berücksichtigt werden muss, dass oftmals nicht alle der Adressaten dasselbe technische Vermögen haben bzw. dasselbe technische Equipment (nicht jeder kann Facetime, Skype oder Facebook-Live-Videos benutzen).
Was beim Filmen von Trauerfeiern übrigens auch sonst - schon rein rechtlich - berücksichtigt werden muss, ist gar nicht so wenig. Erstens: Falls Musik eingesetzt wird und das Video hochgeladen wird, könnte dies Urheberrechte verletzen. Auf jeden Fall ist es ein GEMA-pflichtiger Vorgang - und genau um solche Fragen ging es beim Thema Uploadfilter. Denn die Idee eines solchen Filters ist es, auch die Videos herauszufiltern, die einen derartigen potentiellen Urheberrechtsverstoß beinhalten könnten. Zweitens: Unter Umständen sind auf dem Video Menschen zu sehen, die wegen ihrer Funktion bei der Trauerfeier dabei sind, städtische Friedhofsangestellte beispielsweise. Diese müssen ebenso wie alle anderen Teilnehmer darüber informiert sein, dass die Feier gefilmt und hochgeladen wird, ansonsten ist es ein Eingriff in die Persönlichkeitsrechte. Noch mehr Kopfzerbrechen bereitet mir allerdings etwas anderes.
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Gemeinsam trauern, gerne, aber bitte mit ganz viel Abstand! (Foto: Thomas Achenbach) |
Weil ohnehin die Urnenbestattungen heutzutage rund 70 Prozent der Bestattungen (oder mehr) ausmachen, empfehlen viele der Diskusssionsteilnehmer übrigens, mit dem Bestatter auszumachen, dass die Urne mit der Asche einfach zurückgehalten werde, solange bis eine Trauerfeier mit weniger Auflagen wieder möglich ist. Manche Bestatter machen dies wohl aktuell auch mit, wobei es je nach Bundesland verschiedene Auflagen gibt. Ich habe da allerdings Bedenken. Die Idee mag gut sein - aber ob sie auch in der näheren Zukunft hier in Deutschland weiter durchführbar sein wird, halte ich persönlich für fragwürdig. Denn worauf wir uns wohl oder übel werden einstellen müssen, ist eine massive Zunahme der Sterbezahlen. Ohne zu apokalyptisch werden zu wollen, aber...:
Elf Seiten Todesanzeigen in nur einer Zeitung
Wie die Schreckensbilder und die täglichen Horrornachrichten aus Italien zeigen, könnte auch in Sachen Tod und Trauer auf uns als Gesellschaft noch manches zukommen, was zusätzlich belastend werden kann. Vieles von dem, was die Menschen dort erleben, ist immer auch im Grenzbereich zum Traumatischen: Von elf Seiten Todesanzeigen in einer Lokalzeitung berichtet das Nachrichtenportal von RTL.de, von viel zu vielen Särgen in der Stadt Bergamo, die vom Militär daher auf andere Städte umverteilt werden müssen, berichtet der "Stern" in seiner aktuellen Ausgabe. Schnell wird einem klar:
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Darf man einem Sterbenden noch die Hand halten? Aktuell ist klar: Ja, aber nur im engsten Familienkreis, so z. B: in Niedersachsen. (Foto: Thomas Achenbach) |
Wenn ein solcher Kollaps des Bestatttungswesens bei uns ebenfalls eintreten sollte, sind wir als Gesellschaft - und wir als Trauerbegleiter - noch viel stärker gefragt, uns die Trauerbereitschaft nicht nehmen zu lassen, wie es nach den massiven Traumata des Zweiten Weltkriegs allzu oft geschehen ist, sondern zu versuchen, möglichst kreativ und gestaltungsbereit auch mit diesen schrecklichen Ereignissen umzugehen zu lernen. Was in Sachen Trauer auf unsere Gesellschaft zukommen könnte, braucht jetzt ganz schnell das, was hier auf diesem Portal und auf den von mir besuchten Messen bislang immer nur im Kleinen gefordert worden ist, von wenigen, mutigen Stimmen: Wir brauchen eine neue Trauer- und Umgangskompetenz, jetzt, dringend, rasch.
Abschiedszeilen zum gemeinsamen Zeitpunkt verbrennen
Dazu könnte zum Beispiel diese letzte Idee gehören, die die Berliner Bestatterin "Charons Tochter" auf ihrem Instagram-Account geteilt hat: "Dass es statt einer Trauerrede vielleicht eine Zeit ist, in der jeder ein paar Zeilen des Abschieds aufschreibt und dann werden diese entweder irgendwo gesammelt oder an der Kerze angezündet und verbrannt und damit in den Himmel geschickt, wo 95% des verstorbenen Körpers durch die Einäscherung auch hingehen - genau in diesem Moment... Macht Fotos von diesen Momenten und teilt sie unter euch als Trauergemeinschaft." Und weiter schlägt sie vor, mit diesen Fotos bei einer später stattfindenden Trauerfeier den Raum zu dekorieren. Man sieht: Es gibt viele gute Ideen. Wir sollten sie weiter sammeln. Und immer kreativ bleiben.
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Der Autor dieser Zeilen bietet Trauerbegleitung an in Osnabrück und im Osnabrücker Land an und hat eine Ausbildung zum Trauerbegleiter absolviert (Große Basisqualifikation gemäß des Bundesverbands Trauerbegleitung) und bietet Podcasts rund um das Thema Trauer an (bitte hier klicken). Thomas Achenbach ist der Autor der Bücher "Männer trauern anders - was ihnen hilft und gut tut", 168 Seiten, Patmos-Verlag und "Mitarbeiter in Ausnahmesituationen - Trauer, Pflege, Krise", 220 Seiten, Campus-Verlag. Mehr Infos auf www.thomasachenbach.de.
Lesungen, Vorträge, Workshops, Seminare, Trauergruppen und mehr: Alle aktuellen Termine mit Thomas Achenbach finden sich unter diesem Link
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Der Podcast zu diesem Blog: Warum eine bayerische Behörde mit einer bislang einmaligen Initiative zum Vorreiter in Sachen Trauerkultur wird - ein Interview
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Lesungen, Vorträge, Workshops, Seminare, Trauergruppen und mehr: Alle aktuellen Termine mit Thomas Achenbach finden sich unter diesem Link
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