Osnabrück - In meiner Jugend gab es eine Phase, in der ich die Romane von Stephen King förmlich verschlungen habe. Ganz so viele wie heute gab es damals noch nicht, aber auch nicht gerade wenige. Und zu meinen absoluten Lieblingsbüchern hat - neben dem grandiosen "The Shining" - immer der "Friedhof der Kuscheltiere" gehört. Wegen seiner besonderen Bedrängnis, der dichtgewebten Atmosphäre und wegen seiner menschlichen Tragik. Heute, nachdem ich nun schon einige Jahre als Trauerbegleiter unterwegs bin, hat der Roman für mich nochmal an Tiefenschärfe gewonnen: Was Stephen King in dieser Gruselgeschichte beschreibt, ist eine sehr exakte Beobachtung davon, wie sich Trauer anfühlen kann - und sie funktioniert nur im Buch, nicht aber im Film, denn das Buch lässt uns den Protagonisten so schmerzlich nahe sein in ihren Gefühlswelten.
Den gestorbenen Menschen wenigstens einmal wiedersehen können. Oder ihn wieder ins Leben zurückholen zu können - diese tiefsitzende Sehnsucht gehört oft zu einem Trauerprozess dazu. Manchmal wird sie zu einem alles überstrahlenden Verlangen, das die Trauernden als besonders schmerzhaft erleben, weil ja klar ist, dass es nicht realistisch ist. Eltern, die ein Kind verloren haben, geht es oft so. Das ist ebenso menschlich wie nachvollziehbar. Mit dem "Friedhof der Kuscheltiere" sticht Stephen King genau in diese Wunde - er lässt die Hauptfigur, den Arzt Louis Creed, verschiedene Verluste erleben, die ihn am Ende etwas Schockierendes tun lassen.
(Alle Fotos: Thomas Achenbach) |
Eine Tat, die so gigantisch ist wie es die Sehnsucht nach den Gestorbenen eben verlangt - und damit umso nachvollziehbarer in ihrer Tragik. Soweit, so klassisch der Gruselplot. Und doch besticht der Roman durch seine Feinfühligkeit. Im "Friedhof der Kuscheltiere" geht Stephen King noch subtiler vor als in anderen seiner Werke, überzeugt mehr durch ein sorgfältig aufgebautes atmosphärisches Grundrauschen als durch plakative Schockeffekte. Das macht diese Geschichte zu einer Studie über Trauer und über die Unfähigkeit von uns Menschen, den Tod akzeptieren zu können - was schon sehr früh im Buch beginnt. Aber bevor wir einen Blick auf die Handlung werfen, ist es wichtig, um die Entstehungsgeschichte dieses Buches zu wissen.
An der Todesstraße - King verarbeitet eigene Erfahrungen
Stephen King berichtet davon in einem Vorwort, das sich in den neueren Ausgaben des Romans finden lässt (es gibt eine 2011 veröffentlichte Neuübersetzung des Romans): So war der Autor gegen Ende der 70er Jahre als Dozent an der Universität von Maine angestellt. Er hatte für sich und seine Familie ein Haus gemietet, das nicht allzu weit von seiner Arbeitsstätte entfernt lag - und es stand an einer stark befahrenen Straße, auf der viele Lastwagen unterwegs waren. So kam, was kommen musste: Eines Tages wurde der Kater der Familie von einem Lastwagen überrollt. Beinahe auch sein Sohn. Und Stephen King fragte sich, wie es ihm wohl gehen würde, wenn tatsächlich einmal eines seiner Kinder unter den Lastwagen geraten sollte. Das war der Auslöser. Auf dieser Prämisse beruht der "Friedhof der Kuscheltiere". Alles, was es jetzt noch brauchte für eine gute Gruselgeschichte, war nur ein kleiner Schuss lovecraftscher Zauberdüsternis.
Denn der titelgebende Friedhof ist nicht nur einer, auf dem gestorbene Haustiere beerdigt werden - sie kommen auch von dort zurück. Eine uralte Indianermagie macht es möglich. Das erfährt die Familie Creed aber erst im Laufe der Geschichte. Denn diese Familie - die sich aus der klassisch-romantischen Kernfamilie zusammensetzt: Mutter, Vater, Kind und, natürlich, Katze - zieht ebenfalls in ein Haus an einer vielbefahrenen Landstraße. Direkt hinter dem Haus beginnt ein Wald und der kleine Trampelpfad darin führt zu einem verwunschenen Ort - dem titelgebenden Friedhof. Würden nicht immer wieder die schweren LKW vor der Tür herdonnern, wäre es beinahe eine Idylle.
Eine Aura der Bedrohung als Grundton
Wie Stephen King es versteht, alleine nur dieser Straße von Anfang an einen Grundton des Bedrohlichen beizumischen, der sich zur Aura verdichtet, ist ebenso meisterlich, wie er es versteht, das Thema Tod immer mal wieder in die Geschichten und Vorgeschichten der Protagonisten hineinzuweben: und zwar, wie im echten Leben, durch eine gemachte Erfahrung hier und eine gemachte Erfahrung dort. Erfahrungen, die zwar immer mal wieder eine Rolle spielen und "aufpoppen" können, sich aber nicht in den Vordergrund drängen. Bis eines Tages die Katze der Familie überfahren wird - und das Drama seinen Lauf nimmt, dessen tragischer Kulminationspunkt schon bald erahnbar wird.
Manches klingt in dem Buch an, wovon mir Menschen aus ihren eigenen Trauergeschichten berichtet haben: Die Angst vor dem Tod, die so groß ist, dass darüber nicht gesprochen werden darf - und wie sehr sich dieses Nicht-Hingucken vorab rächen kann, wenn der Tod dann doch ins Leben tritt. Die gewaltige Sehnsucht nach den gestorbenen Menschen, die einen verzehren kann. Eine Sehnsucht, die bis ins Reich der Toten hineinwirken kann - eine Trauer, die als grenzenlos erlebt wird und die einen komplett in den Bann schlägt. Innenraumgreifend. Wozu wären wir also bereit, wie weit würden wir gehen, wenn wir uns plötzlich mit Möglichkeiten konfrontiert sähen, die über das Bekannte hinausgehen? Stephen King ist klug genug, seinen Stoff nicht in die gewohnten Zombieklischees abdriften zu lassen. Zwar werden im Verlauf der Geschichte auch Menschen von den Toten zurückkehren - man ahnt es bald -, aber sie werden wirken wie die Menschen, die sie waren. Anfangs jedenfalls, denn natürlich gibt es eine bösartige Veränderung. Und obwohl die Hauptfigur Louis Creed genau weiß, wie schief es gehen kann, wagt er am Ende trotzdem die Verzweiflungstat - und redet es sich schön, sagt sich, dass es diesmal auf jeden Fall funktionieren wird. Das ist ein kluger Schachzug.
Der wahre Schrecken ist menschlich: Trauer ist Horror
Der wahre Horror dieses Buches sind eben nicht die wiederauferstandenen Toten oder ihre Schreckenstaten. Der wahre Horror dieses Buches ist die Unerbittlichkeit, mit der unser Verlangen nach den Gestorbenen uns um den Verstand bringen kann. Der wahre Horror dieses Buches ist genau das, was für viele echten Menschen in der echten Welt ihre seelische Alltagsqual geworden ist. Der Roman ist ein Meisterwerk. Und trotz gegenteiliger Versuche unverfilmbar.
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