Es gibt viele Modelle, die in Worte oder in Phasen zu fassen versuchen, was wir allgemein als den Trauerweg kennen. Die meisten Menschen haben irgendwann schon einmal etwas von den Modellen der Psychologinnen Elisabeth Kübler-Ross oder Verena Kast gehört, die verschiedene Phasen wie Zorn, Nicht-Wahrhaben-wollen, Verhandeln und ähnliches beschreiben. Doch gibt es inzwischen eine ganze Reihe von neuen Ideen, die oftmals dem tatsächlichen Trauergeschehen viel näherkommen. Zu den wohl wichtigsten Modellen neuerer Art gehört eines, das inzwischen in der Trauerliteratur fast schon als ein neuer Standard gehandelt wird.
Auf einer Seite des durch seinen Trauerprozess innerlich zerrissenen Menschen ist immer der Schmerz, es geht nicht ohne ihn (Foto/Zeichnung: Thomas Achenbach). |
Es stammt aus den Niederlanden - und tatsächlich kommen die damit vermittelten Ideen den tatsächlichen Lebenswelten von Menschen in einer Trauer- und Verlustkrise am nächsten. Dieses „Duale Prozessmodell der Trauerbewältigung“, das die niederländischen Forscher Dr. Margaret Stroebe und Dr. Henk Schut von der Universität in Utrecht 1999 vorgelegt haben, beschreibt die Trauer mehr als einen steten Wandel von einer neuen Lebensorientierung und Lebensgestaltung auf der einen Seite des Pendels zu einer starken inneren Schmerzbezogenheit, Verlustorientierung und Inneneinkehr auf der anderen Seite des Pendels – nur dass dieses Pendel eben ständig in Bewegung ist und mal von der einen, mal von der anderen emotionalen Seite angezogen wird - beziehungsweise dass es immer beide Pole sind, die parallel im Menschen existieren. Siehe das Beispiel oben. Allerdings haben beide Forscher irgendwann eingesehen, dass ihr Modell nicht ganz vollständig ist - und dieses letzte wichtige Detail wird leider allzu oft nicht berücksichtigt, wenn es um das Duale Prozessmodell ist.
Denn im Jahr 2016 haben Margaret Stroebe und Henk Schut noch einmal neue Überlegungen zum Dualen Prozessmodell vorgelegt und haben das Modell nochmal ein wenig nachgeschärft. Beide hatten in den zurückliegenden 17 Jahren die Erfahrung gemacht, dass ihrem Modell eins fehlt: Nämlich die kolossale Überforderung, die Trauer oft für die Betroffenen bedeutet. Und an dieser Stelle kippt die Gleichung - denn je größer die Überforderung für die Betroffenen, desto geringer die neue Lebensorientierung. Wobei auch klar ist, dass nichts in Stein gemeißelt bleibt in einem Trauerprozess und dass die Kräfteverhältnisse immer wieder aufs Neue austariert werden. Noch kürzlich hatte ich am Rande meiner Vorträge über Männer und Trauer mit solchen Fällen zu tun.
Aber erst wenn beide Teile aneinandergefügt werden, ergibt sich das passende Gesamtbild der Situation (Foto/Zeichnung: Thomas Achenbach). |
Da gab es beispielsweise denn Mann, der vier ganze Jahre nach dem Verlust seines Sohnes scheinbar gar nicht zu trauern schien - bzw. die Trauer überhaupt nicht an sich rankommen lassen konnte. So dass seine Frau schon ganz verzweifelt war und erste Gedanken an eine Trennung aufgekommen waren. Doch irgendwann war auch in diesem Mann etwas in Fluss gekommen und er hatte sich langsam und in kleinen Schritten mit seiner Trauer beschäftigen können. Beides ist okay so, beides darf so sein - wenn die Überforderung zu groß ist, dann ist es eine probate Taktik, sich dem erstmal nicht zu stellen. Und wenn es dann eines Tages geht, kommt auch das Duale Prozessmodell wieder mit ins Spiel. Dann heißt es: Es gibt keine neue Lebensorientierung ohne den Schmerz, niemals das eine ohne das andere.
Alle Folgen aus der Serie "Wie Trauernde ihre Gefühle erleben":
- Darf ich einen Menschen auf seinen Trauerfall ansprechen - oder mache ich damit alles nur viel schlimmer - zur Folge 1 der Serie, hier klicken.
- Wie eine Familie den Geburtstag der gestorbenen Tochter als Abschieds- & Lebensfest gestaltet - und warum das anderen Mut machen kann - zur Folge 2 der Serie, hier klicken
- Warum Trauernde sich schlichtweg zerrissen fühlen müssen - wie das "Duale Prozessmodell" das Erleben von Trauernden abbildet - zur Folge 3 der Serie, hier klicken
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Der Autor dieser Zeilen bietet Trauerbegleitung an in Osnabrück und im Osnabrücker Land an und hat eine Ausbildung zum Trauerbegleiter absolviert (Große Basisqualifikation gemäß des Bundesverbands Trauerbegleitung) und bietet Podcasts rund um das Thema Trauer an (bitte hier klicken). Thomas Achenbach ist der Autor der Bücher "Männer trauern anders - was ihnen hilft und gut tut", 168 Seiten, Patmos-Verlag und "Mitarbeiter in Ausnahmesituationen - Trauer, Pflege, Krise", 220 Seiten, Campus-Verlag. Mehr Infos auf www.thomasachenbach.de.
Lesungen, Vorträge, Workshops, Seminare, Trauergruppen und mehr: Alle aktuellen Termine mit Thomas Achenbach finden sich unter diesem Link
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