"Wenn Papa jetzt tot ist, muss er dann sterben?" - Schon der Titel seines neuen Buches ist original Ralph Caspers. Ein bisschen augenzwinkernd und ironisch, gleichsam aber seine Zielgruppe ganz ernstnehmend. Und den Autoren - den kennt jedes Kind. Sei es aus der "Sendung mit der Maus", aus dem Kika, aus der Sendung "Wissen macht Aah" oder einem anderen Fernsehformat. Immer ein bisschen nerdig, immer ein bisschen witzig, ein guter Typ. Was nur die wenigsten wissen: Ralph Caspers hat im Alter von 15 Jahren seinen Vater verloren. Und er war dann vermutlich mit all den Erfahrungen konfrontiert, denen er jetzt mit seinem Buch entgegentritt: Vor allem die Hilflosigkeit und eigentlich gut gemeinte Ungeschicktheit der Erwachsenen. Die sind es auch, die die wahre Zielgruppe des Buches sind, auch wenn manche der Passagen sich genausogut als Vorlesestoff für wissbegierige Kinder eignen. Denn Ralph Caspers ist halt einer, der selbst komplexe Sachverhalte wie einen Verwesungsprozess so erklären kann, dass sich echte Aha-Effekte einstellen.
Den kennt man! Ralph Caspers moderiert unter anderem die TV-Sendung "Quarks" (Foto: WDR-Presse/Linda Meiers, mit freundlicher Genehmigung) |
Das gelingt ihm im ersten Teil seines Buches wirklich gut. In angenehm kurzen, angenehm verdichteten, dabei aber wunderbar simplen Informationshappen arbeitet sich Caspers in munterem Plauderton durch alles, was Kinder (und Erwachsene) zum Thema Tod, Trauer und Sterben so wissen sollten und wissen wollen. Für alle Fragen, mit denen neugierige Kinder ihre überforderten Eltern löchern, gibt es gute Antworten. Darf ich etwas in den Sarg mit hineinlegen (Antwort: Ja, so ziemlich alles, das kann bei der Trauerverarbeitung sogar ein wohltuender Prozess sein). Darf ich auch lachen, wenn ich in Trauer bin (Antwort: Ja, natürlich, Du darfst alles tun, was Dir gut tut). Aber auch tiefergehende Fragen wie: Was kann ich gegen das Vergessen meiner Erinnerungen tun? Wie schnell muss der Tote abgeholt werden? Was ist, wenn ich mich vor dem Tod noch mit der gestorbenen Person gestritten habe? Und, und, und... Dabei hat das Buch gleich mehrere Zielgruppen im Blick.
(Dieses und alle folgenden Fotos: Thomas Achenbach) |
Immer mal wieder wendet sich Ralph Caspers direkt an die Eltern und beantwortet einige ihrer drängendsten Fragen: Darf ich mich von meinem Kind trösten lassen? Darf ich vor meinem Kind auch weinen? Hier räumt Ralph Caspers mit dem Trugbild auf, dass die Eltern immer die "Starken" sein müssen bzw. dass Starksein eben nichts damit zu tun, sich nicht von Tod und Trauer berührt zu zeigen. Für trauernde Eltern kann es sehr wohltuend und hilfreich sein, wenn sie diese Erlaubnis bekommen. Und die vielleicht allerwichtigste im Buch behandelte Frage lautet: Wieviel Wahrheit vertragen Kinder? Antwort, zusammengefasst: Eine Menge! Vielleicht sogar mehr als die Erwachsenen, manchmal. Das wäre jedenfalls meine ganz persönliche These.
Bittere Pillen zu schlucken - das Thema hat Tiefenwirkung
Eine These, die nicht überall auf Wohlwollen stößt, dessen bin ich mir bewusst. Denn was das Thema Kinder und der Tod angeht, habe ich selbst schon manche bittere Pille schlucken müssen und hier auch schon kontrovers diskutierte Blogbeiträge veröffentlicht ("Bitte nehmt die Kinder mit...." - siehe hier). Was für mich total selbstverständlich wäre, nämlich den Kindern im Falle eines gestorbenen Angehörigen einen möglichst unverkrampften Umgang mit dem Tod anzubieten, indem man sie zum Beispiel fragt, ob sie den toten Körper vielleicht noch einmal sehen möchten, begleitet durch einen Erwachsenen, zum Beispiel, das war für manche meiner allerbesten Freunde fast ein Affront und eine Zumutung. Wie brutal, wie gemein, sowas könne man doch nicht machen... Wäre fast zum Streit gekommen. Mit einem wertvollen Lerneffekt für mich.
Nämlich diesem: In Sachen Kinder und der Tod niemals die Tiefensprengkraft des Themas unterschätzen. Viele Eltern haben da offenbar eine große Scheu - oder Angst. Was das alles mit Ralph Caspers neuem Buch zu tun hat? Nun, eine ganze Menge, wie die ersten Amazon-Leserrezensionen des Buches deutlich machen. Denn das Buch erhält dort viel Kritik, vor allem wird seine "Härte" gegenüber den Kindern und sein vermeintlich zu geringer Anteil an "christlichem Glauben" bemängelt. Unverständlicherweise, wie ich finde. Denn, hey Leute, bitte nicht vergessen: Ralph Caspers hat das alles doch selbst erlebt! Also wer, wenn nicht einer wie er, dürfte seine Erfahrungswerte mit der Welt auch in der Form teilen, dass er sagt: Wie ihr damit umgegangen seid, das hat mir nicht gut getan - und deswegen sage ich Euch jetzt mal, was mir stattdessen gut getan hätte.
Denn genauso ließe sich das Buch ebenfalls lesen. Wobei seine persönliche Geschichte hier allenfalls in kurzen Erwähnungen am Rande thematisiert wird. Die Marke Ralph Caspers ist halt eine Erklärmarke, kein Betroffenheitsprodukt. Diesem Anspruch wird auch "Wenn Papa tot ist..." in all seinen Teilen gerecht. In seinem Mittelteil geht das Buch der Frage nach, welche Besonderheiten jeweils ein spezieller Todesfall mit sich bringen kann und was dann hilfreich sein könnte - dabei werden wie bei einer mathematischen Gleichung alle nur erdenklichen Konstellationen durchgespielt. Gestorben ist (bitte einsetzen): Mutter, Vater, Geschwisterkind, Oma, Opa, Tante, Nachbar, Freund der Familie, Haustier, Schulfreund, Spielfreund, Cousine, Cousin.... you name it. Das von der Trauer betroffene Kind ist (einsetzen): Baby, Kindergartenkind, Grundschulkind, Teenager, in der Pubertät... Das Buch guckt mit großem Verständnis auf all diese erdenklichen Situationen und bietet Erklärungen an. Was wir bei Teenagern zum Beispiel oft erleben, das scheinbar unberührte Weitermachen mit dem Alltag von vor dem Todefall, ist ebenso ganz normal wie das Grundschulkind, das übergangsweise wieder mit dem Bettnässen anfängt. Und vieles mehr.
Aber warum fällt es uns Eltern bloß so schwer, sich auf dieses Thema und seine Besonderheiten einzulassen? Warum erzählen wir unseren Kindern lieber solche Fantasiegeschichten, von denen wir doch genau wissen, dass sie einer realistischen Prüfung durch Kinderfragen niemals standhalten werden? Denn warum sollte man die Oma auf der Wolke nicht besuchen dürfen? Es gibt doch Hubschrauber und Flugzeuge! Warum müssen wir die Oma überhaupt verbuddeln? Wie soll sie denn von unter der Erde nach da oben auf die Wolke gelangen? Nicht wenige Eltern dürften sich angesichts all dieser und weiterer Fragen in einem Wurzelgeflecht mystischer Erläuterungsversuche verfangen haben, die am Ende weitaus esoterischer geworden sind als man sich das anfangs vorgestellt hatte. Und warum tun wir so etwas? Vielleicht, weil uns der Tod selbst soviel Angst macht? Weil wir unseren Kindern die schreckliche Wahrheit "ersparen" wollen, dass wir alle einmal sterben wollen. Alle. Mama, Papa, die Geschwister, die Freunde, die Haustiere, manche sogar nach einem gar nicht mal soooo langen Leben, gemeinerweise? Aber was genau ersparen wir unseren Kindern eigentlich damit, wenn wir ihnen das vorenthalten? Was, wenn nicht die Chance darauf, eines Tages einen wirklich guten Umgang mit dem Tod pflegen zu können - und nicht in diese schwerfällige Hilflosigkeit zu verfallen, die unseren elterlichen Umgang mit dem Thema auszeichnet?
Genau an dieser Leerstelle möchte Ralph Caspers ansetzen. Das ist gut so. Es gibt jedoch zwei Passagen, mit denen ich nicht so ganz einverstanden bin. Wenn es zum Beispiel um die in einem Trauerprozess immer mal wieder auftauchenden Schuldfragen geht, steht dort im ersten Teil des Buches nur ein sehr kurzer Absatz, der es im Wesentlichen bei einem "Nein, natürlich bist Du nicht schuld" belässt. Das ist natürlich richtig, allerdings geht es bei Schuldgefühlen ja oft um etwas ganz anderes - nämlich um die eigentlich wohltuende Illusion, der enormen Ohnmacht dem Ereignis des Todes gegenüber doch noch etwas entgegensetzen zu können. Deswegen wird in der Qualifizierung zum Tauerbegleiter grundsätzlich empfohlen, Schuldgefühle nicht einfach so vom Tisch zu wischen. Zwar gibt es weiter hinten im dritten Teil des Buches einen vertiefenden Abschnitt zum Thema Schuld, der all diesen Erkenntnissen gerechter wird - aber dass ein so großes Thema in zwei verschiedenen Sektionen etwas unterschiedlich behandelt wird, gehört zu den Schwachstellen des Buches, was mein zweiter Kritikpunkt wäre.
Aktueller Stand der Forschung: Gibt es Trauerphasen?
An anderen Stellen wiederum gibt es einen eindrucksvollen Einblick in viel aktuelles Wissen, zum Beispiel was die verschiedenen Trauerphasen angeht, bei denen ich zwar die Ideen des Dualen Prozessmodells vermisst habe, die ich kürzlich hier vorgestellt habe - mich aber andererseits gefreut habe, dass die Traueraufgaben nach William Worden dort auftauchen (ebenfalls schon hier vorgestellt). Kurzum: Es ist ein wertvolles Buch, das viel sinnvolle Hilfe anbieten kann. Von mir gibt es eine Rundum-Kauf-und-Lese-Empfehlung dafür. Und die Oma darf dann auch runter von der Wolke - weil es niemals grausam ist, den Kindern die Wahrheit anzubieten. Solange man es kindgerecht tut. Danke, Ralph Caspers!
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Der Autor dieser Zeilen bietet Trauerbegleitung an in Osnabrück und im Osnabrücker Land an und hat eine Ausbildung zum Trauerbegleiter absolviert (Große Basisqualifikation gemäß des Bundesverbands Trauerbegleitung) und bietet Podcasts rund um das Thema Trauer an (bitte hier klicken). Thomas Achenbach ist der Autor der Bücher "Männer trauern anders - was ihnen hilft und gut tut", 168 Seiten, Patmos-Verlag und "Mitarbeiter in Ausnahmesituationen - Trauer, Pflege, Krise", 220 Seiten, Campus-Verlag. Mehr Infos auf www.thomasachenbach.de.
Lesungen, Vorträge, Workshops, Seminare, Trauergruppen und mehr: Alle aktuellen Termine mit Thomas Achenbach finden sich unter diesem Link
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