Mittwoch, 22. Juni 2016

Wo ist der Unterschied zwischen Trauer und Trauma? Warum tut sich unsere Gesellschaft mit beidem so schwer? Ein Vortrag des Psychologen Thomas Weber brachte hilfreiche Erkenntnisse


Osnabrück/Bremen - „Trauma“. Das mag ein großes Wort sein. Eines, das Angst macht. Doch auf der Messe „Leben und Tod 2016“ in Bremen war es der Diplom-Psychologe Thomas Weber vom Zentrum für Trauma-und Konfliktmanagement aus Köln (ZTK), der den Zuhörern zu mehr Gelassenheit bei diesem Thema riet: „Jeder Mensch wird bis zum Ende seines Lebens traumatisiert werden“, sagte er. Denn das gehöre einfach dazu. Schon die Geburt sei ein als traumatisch erlebtes Ereginis. Aber anders als es oft geschildert werde: „Ein Trauma ist eine Verletzung, keine Erkrankung.“ Etwas also, das von außen herbeigeführt wird.

„Trauer und Trauma, das wird auch heute noch stark vermischt“. Doch das sei falsch, betonte Thomas Weber. Denn das bei Trauer vorherrschende Gefühl ist die Traurigkeit (Weiterlesen: "Wenn ein Vermisster nach zehn Jahren für tot erklärt wird - warum das für die Angehörigen so wichtig ist"). Während sich ein Trauma durch ein ganz anderes Gefühl bemerkbar macht: Nämlich durch Angst. Menschen in Trauer haben eine Sehnsucht und ein Verlangen nach den vermissten Personen – Menschen mit einem Trauma würden am liebsten vor allem davonlaufen. Aber Weber sieht in alledem auch ein Problem der Medien...



Wo ist der Unterschied zwischen Trauer und Trauma? Ein Psychologe sagt: Trauma ist eine Verletzung mit schweren Folgen, Trauer ist etwas anderes...  (Pixabay.de-Foto, Creative-Commons-CC0-Lizenz)

„Trauma ist schlecht vermittelt“, sagte Weber. „Mich als Psychologen ärgert das“. Der Prozess indes ist nach Webers Worten recht einfach zu beschreiben. Extreme Belastungen überfordern das Bewältigungssystem. Die Bereiche im Gehirn, in denen üblicherweise die Verarbeitung stattfindet, werden lahmgelegt. „Unser modernes Gehirn ist ausgeschaltet, weil der Körper ihm nicht mehr traut“, schilderte Weber. „Trauma findet nur hinten im Gehirn statt.“


"Vermeidung ist die erste Strategie, die der Körper hat"


Um es mit einem Vergleich aus der Computersprache zu sagen: Die Erfahrungen bleiben im Arbeitsspeicher stecken, können aber nicht sauber auf der Festplatte abgelegt werden, während das Betriebssystem permanent auf sie zugreifen möchte. Was dann geschieht, ist ein ängstliches Zurückschrecken. „Vermeidung ist die erste Strategie, die der Körper hat“, schilderte der Psychologe.


Den hilflosen Jungen durchschütteln bringt gar nix


Genau hier beginnen die Missverständnisse. Was Thomas Weber an einem eindrucksvollen Beispiel deutlich machte. Man stelle sich vor, wie ein 12-jähriger Junge bei der Beerdigung am Grab seines frisch gestorbenen Vaters einen ganz unbeteiligten Eindruck macht, so sehr, dass die anderen Angehörigen ihn schütteln und ihn anbrüllen: „Verstehst Du nicht? Dein Vater ist gestorben!“. Doch dem Jungen nützt das gar nichts. Er hat keine Vorerfahrungen mit solchen Themen, sein Bewältigungssystem sieht keine Möglichkeit, damit umzugehen. Es setzt einfach aus. Und da beginnt - ein Trauma.


Erlebnis plus Lebensgeschichte = Spannungsfeld


Wobei für die Psychologen Webers Worten zufolge noch zwei Unterscheidungen wichtig sind: Einerseits gibt es die „traumatische Reaktion“, andererseits den „traumatischen Prozess“. Beides kann lange dauern, von 6 Monaten bis hin zu einem Jahr. Und: „Das Trauma trifft immer auf eine Lebensgeschichte“, sagte Weber.


"Unsere Gesellschaft kann mit Trauma nicht umgehen"


Warum die Menschen bei diesem Thema allgemein so empfindlich sind, liegt für Thomas 
Weber ganz klar auf der Hand: „Es erinnert uns an unsere Verletzbarkeit“: Die Folge: „Unsere Gesellschaft kann mit Trauma nicht umgehen.“ Sofort bricht eine Urangst aus: "Wir halten das nicht aus". Schon bei größeren Unfällen, erst recht bei Katastrophen gebe es heutzutage keinen Beitrag in den Medien mehr, der nicht mit den Worten endete: „Die Opfer werden psychologisch betreut.“ Für wie falsch Weber das hält, machte er in einem recht eindeutigen Satz deutlich, den er einmal von einem Feuerwehrmann gehört hatte: „Früher durften sich die Leute auch scheiße fühlen, wenn ihnen Scheiße passiert ist.“

Typische Reaktionen bei einem Trauma sind laut Thomas Webers Vortrag auf der Messe "Leben und Tod" diese:


Bei einem Trauma gibt es kein Entkommen aus der erlebten Situation: Sie wird wieder und wieder durchlebt, als fände sie jedes Mal aufs Neue statt.   (Pixabay.de-Foto, Creative-Commons-CC0-Lizenz)

- Dissoziatives Erleben. Das Geschehen wird wie in einem Film nacherlebt. Der Betroffene scheint nicht Teil dessen zu sein.

- Verschobene Zeitwahrnehmungen, kein Gefühl für die Zeit. 

- „Out Of Body Experience“, der Eindruck, als ob man seinen Körper von außen wahrnehme.

- Lückenhafte Erinnerungen an das Geschehen. Details werden als groß und wichtig wahrgenommen, der Zusammenhang fehlt. (Unterschied zur Trauer: Hier ist ein sehr bewusstes Erinnern jederzeit möglich).

- Übererregbarkeit und eingeschränktes Sicherheitsgefühl.

- Die Situation geht nie vorbei: Bei der Erinnerung an das Geschehen ist auch nach vielen Jahren oder Jahrzehten noch alles genauso da, wie es die Situation gebracht hat, auch das innere Gefühl (das weiß man von Zweiten-Weltkrieg-Zeitzeugen). 

- Anspannung des gesamten Körpersystem – als ob der Mensch permanent zu einem 100-Meter-Lauf starten wollte, so angespannt sind alle Muskeln. Ohne Entspannungsphasen. (Weber: „Die schlimmste Intervention jetzt ist: Mensch, entspann Dich doch mal!“).


Helfer müssen gut aufpassen:  Trauma ist echt ansteckend


Das Fatale daran: „Bei Trauma besteht die Gefahr der Ansteckung.“ Weber erinnerte sich an die Turnhalle in Winnenden, in die während des Amoklaufs alle aus der Schule geflohenen Menschen zusammengekommen waren. „Das klang wie auf einem Jahrmarkt, es war total laut“, sagte Weber. „Und das ist das, was sich auch auf die Helfer überträgt.“ Hier besteht die große Gefahr eines sogenannten Sekundärtraumas. Dann würden selbst professionelle Helfer zu einer Methode greifen, von der sie theoretisch eigentlich wissen, wie wenig zielführend sie ist: Der Opferbeschuldigung.


Wenn das Umfeld nicht verstehen will: "Du Trauerterrorist" 


„Die Betroffenen haben mit dem Ereignis lebenslänglich“, sagte Thomas Weber. Deswegen sei es für sie so schädlich und verletzend, wenn sie solche Sätze zu hören bekämen wie „Jetzt muss es aber auch mal wieder gut sein“ oder „Stell Dich nicht so an“. Einer der Väter, die in Winnenden ein Kind verloren hatten, wurde bereits als „Trauerterrorist“ beschimpft, schilderte Weber (Randbemerkung des Bloggers: dies gilt übrigens genauso für alle Trauernden ohne traumatische Hintergründe – selbst wenn sich ihr Trauerprozess über Jahre erstrecken sollte, sind Sätze wie „Jetzt muss es mal wieder gut sein“ immer verletzend - siehe auch den Beitrag "Zehn Tipps zum Umgang mit Trauernden" auf diesem Blog). Thomas Webers wichtigster Tipp für alle Begleiter, Helfer und Seelsorger: 



Wichtigster Tipp für alle Helfer: Auf die eigene Betroffenheit achten. Die Grenze dazu ist schnell überschritten.  (Pixabay.de-Foto, Creative-Commons-CC0-Lizenz)

„Achten Sie immer auf ihre eigene Betroffenheit. Die Anspannung gehört einfach dazu, ignorieren Sie das nicht!“. Mögen die Themen Trauer und Trauma auch negativ besetzt sein, ist bei alledem eines nicht aus den Augen zu verlieren, wie Thomas Weber am Ende seines Vortrags sagte. Nämlich was für eine Triebfeder für kreative Prozesse sie sein können: „Die meisten kulturellen Leistungen sind als Folge von Trauma oder Trauer entstanden“

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Der Autor dieser Zeilen bietet Trauerbegleitung an in Osnabrück und im Osnabrücker Land an und hat eine Ausbildung zum Trauerbegleiter absolviert (Große Basisqualifikation gemäß des Bundesverbands Trauerbegleitung) und bietet Podcasts rund um das Thema Trauer an (bitte hier klicken). Thomas Achenbach ist der Autor der Bücher "Männer trauern anders - was ihnen hilft und gut tut", 168 Seiten, Patmos-Verlag und "Mitarbeiter in Ausnahmesituationen - Trauer, Pflege, Krise", 220 Seiten, Campus-Verlag. Mehr Infos auf www.thomasachenbach.de

Lesungen, Vorträge, Workshops, Seminare, Trauergruppen und mehr: Alle aktuellen Termine mit Thomas Achenbach finden sich unter diesem Link 

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Auf Youtube ansehen: Vortrag "Männer trauern anders" aus dem Forum St. Peter in Oldenburg (Niedersachsen) aus dem Juni 2021 - Link zum Video  

Ebenfalls auf diesem Blog: Wie lange darf Trauer dauern? Ist es normal, wenn es jahrelang weh tut? Und ab wann wird trauern krankhaft?

Ebenfalls auf diesem Blog: Trauer und Schuldgefühle gehören zusammen - warum sich so viele Trauernde nach dem Tod eines Menschen schuldig fühlen

Ebenfalls auf diesem Blog: Keine Sorge, alles normal - was Trauernde alles so vermeintlich "Merkwürdiges" tun und warum das nicht peinlich ist

Ebenfalls auf diesem Blog: Wie uns die Trauer vor Aufgaben stellt und was das für den Trauerprozess bedeuten kann - über die "Aufgaben der Trauer"

Ebenfalls auf diesem Blog: Entrümpeln, Ausmisten und Aufräumen nach dem Tod eines Menschen - was mache ich damit und warum ist das so hart?

Ebenfalls auf diesem Blog: Professionelle Gesprächsführung mit Menschen in einer Krise - was wir von der Spiegeltechnik fürs Leben lernen können

Ebenfalls auf diesem Blog: Wir sind auf dem Weg in eine Sterbegesellschaft - Zahlen, Fakten und Daten darüber, wir eine gute Trauerkultur brauchen werden  

Ebenfalls auf diesem Blog: Wer ein Kind verloren hat, sollte nicht arbeiten gehen müssen - was wir von einer britischen Rechtsprechung lernen können 

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Mittwoch, 15. Juni 2016

Leute, beschäftigt Euch mit den Themen Tod und Sterben und bleibt locker dabei - wie sich die Zeitschrift "Drunter & drüber" für eine entspanntere "Endlichkeitskultur" in Deutschland einsetzt und warum sich die Lektüre lohnt

Osnabrück/Bremen – Wenn es um die Themen Tod und Sterben geht, ist bei den Menschen immer eine Anspannung zu spüren, hat Frank Pasic beobachtet. „Darüber sind keine entspannten Gespräche möglich.“ Aber warum eigentlich? Der 45-Jährige möchte das jetzt ändern. Er will einen Anteil dazu leisten, die Menschen wieder mit einer „Endlichkeitskultur“ in Kontakt zu bringen, die unserer modernen Gesellschaft nach seiner Beobachtung abhanden gekommen ist – das ist sein persönlicher Ehrgeiz, wie Pasic im persönlichen Gespräch auf der Messe „Leben und Tod 2016" in Bremen berichtete.

Der Weg, den er dafür wählte, war ein in Zeiten allgegenwärtiger digitaler Projekt unerwartet klassischer: Pasic entwarf eine Zeitschrift. „Drunter und drüber“ heißt sie, eine Wortschöpfung des ebenfalls an dem Projekt beteiligen Juristen Prof. Dr. Tade Matthias Spranger. Die zweite Ausgabe erschien kurz vor der Messe. „Hirntod und Organspende“ ist das zentrale Thema des zweiten Heftes, während sich die Erstausgabe dem Thema „Vom Leben und Arbeiten mit dem Tod“ widmete.


Bunte Farbwelten statt staubigem Schwarzweiß


Blättert man durch die Zeitschriften, fällt einem die moderne, originelle und anspruchsvolle grafische Gestaltung ebenso auf wie die bunten Farbwelten – hier geht es nicht angestaubt und schwarzweiß zu, sondern so lebendig und vielfältig wie der Tod und das Sterben eben sind (und das Leben, nicht zu vergessen).


Eine neue Zeitschrift, grafisch aufwändig, inhaltlich lockerleicht trotz schwergewichtigen Themas. "Drunter und drüber" - der Name ist symptomatisch.    (Thomas-Achenbach-Fotos)

Auch wenn das Magazin bereits einen fertig konzipierten Eindruck macht: „Wir sind noch immer in der Findungsphase“, sagt Pasic. Das zeigt sich vor allem am Vertrieb der Zeitschrift. Ein Abomodell für das im Sechs-Monats-Rhythmus erscheinende Projekt ist vorerst nicht geplant, die Hefte sind nur über den eigenen Onlineshop verfügbar. Wird das Magazin ein durchschlagender Erfolg, weiß Frank Pasic noch nicht genau, wie es weitergehen soll, wie er im Gespräch verrät. „Dann werden wir andere Lösungen finden müssen, was den Vertrieb und die Finanzierung angeht.“ Aber das war auch vorerst nicht das Ziel. Sondern: Erstmal machen, dann gucken. Und der Start? Ging gut.


Keine Anzeigen im ganzen Heft - wie geht denn das?


Was beim Durchblättern ebenfalls auffällt: Die Magazine sind befreit von Anzeigen. Aber wie finanziert sich das Projekt dann?


"Aber wir müssen nicht ,Daumen hoch ' machen, oder?" - Buchautorin Juliane Uhl (rechts) und Herausgeber Frank Pasic sind trotzdem stolz auf ihr Zeitschriftenprojekt.

Hinter der Zeitschrift steckt die „Funus Stiftung“, eine Einrichtung aus Halle, die sich laut Satzung für eine „,Aufwertung der Bestattungskultur in Deutschland“ einsetzt und sich gegen eine reine „Entsorgungsmentalität im Todesfall“ ausspricht. Frank Pasic ist zugleich der Geschäftsführer dieser Stiftung, die aus einem ehemaligen „Volks- Feuerbestattungsverein“ hervorgegangen ist.


Wie stellst Du Dir Dein eigenes Sterben vor?


Wie auch andere Feuerbestattungsvereine dieser Zeit setzte sich der Verein in den 1920er Jahren für eine würdige Bestattung seiner Mitglieder ein, wie Frank Pasic im Gespräch erzählte. Während der DDR-Phase war die Einrichtung eher inaktiv, erst nach der Öffnung der Grenzen stand die Frage im Raum: Was machen wir jetzt mit dem Vereinsvermögen? Das Ergebnis war die Funus-Stiftung. Die mit dem Magazin „Drunter und drüber“ jetzt entspannte Zugänge zu gar nicht so leichten Fragen schaffen will. Fragen wie: „Wie stellst Du Dir Dein eigenes Sterben vor? Was wünschen sich Deine späteren Hinterbliebenen von Dir?“. 


Der Vater hatte alles geplant - für die eigene Trauerfeier


Hintergrund seiner Motivation sind eigene Erfahrungen, die Pasic 2009 mit dem Tod seines Vaters gemacht hatte. Dieser hatte sehr konkrete Anweisungen hinterlassen, wie er sich seine eigene Trauerfeier vorstellte – was die Hinterbliebenen als große Erleichterung empfangen. „Das war eine wunderschöne Abschiedsfeier“, erinnert sich Pasic. „Ich bin heute noch so dankbar, dass es diese konkrete Anweisungen gab“. So etwas müsste es öfter geben, meint Pasic – und möglich sei es nur, wenn in Deutschland wieder mehr über den Tod und das Sterben gesprochen würde.


"Drei Liter Tod" verkauft sich gut


Pasic, der ursprünglich als Jurist und Rechtsanwalt tätig war, ist der Herausgeber des Magazins. Zum Team gehört auch die Buchautorin Juliane Uhl, die die Öffentlichkeitsarbeit für ein Krematorium macht und mit ihrem Buch „Drei Liter Tod“ einen Verkaufserfolg landen konnte, der sie selbst überrascht hatte, wie die 35-Jährige erzählt. Hervorgegangen war das Buch aus einem Blog über den Tod, den die studierte Soziologin und Kommunikationswissenschaftlerin zuvor betrieben hatte.


Der Tod ist ein Frauenthema


Der Tod, haben die Magazinmacher beobachtet, ist übrigens vor allem ein Frauenthema – „das sehen wir anhand der Bestellungen“, wie Pasic sagt.

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Der Autor dieser Zeilen bietet Trauerbegleitung an in Osnabrück und im Osnabrücker Land an und hat eine Ausbildung zum Trauerbegleiter absolviert (Große Basisqualifikation gemäß des Bundesverbands Trauerbegleitung) und bietet Podcasts rund um das Thema Trauer an (bitte hier klicken). Thomas Achenbach ist der Autor der Bücher "Männer trauern anders - was ihnen hilft und gut tut", 168 Seiten, Patmos-Verlag und "Mitarbeiter in Ausnahmesituationen - Trauer, Pflege, Krise", 220 Seiten, Campus-Verlag. Mehr Infos auf www.thomasachenbach.de


Lesungen, Vorträge, Workshops, Seminare, Trauergruppen und mehr: Alle aktuellen Termine mit Thomas Achenbach finden sich unter diesem Link 


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Im Trauer-ist-Leben-Podcast zu finden: Warum eine bayerische Behörde mit einer bislang einmaligen Initiative zum Vorreiter in Sachen Trauerkultur wird - ein Interview

Ebenfalls auf diesem Blog: Tipps zum Umgang mit Trauernden und mit Trauer - was Menschen in einer Trauer- und Verlustkrise hilft und was man Trauernden sagen kann 


Ebenfalls auf diesem Blog: Warum das Sterben in Deutschland seit Januar 2020 nochmal deutlich teurer geworden ist - Die so genannte Leichenschau steht in der Kritik


Ebenfalls auf diesem Blog: Was soll nach einem Todesfall gefeiert werden? "Nur" der Todestag - oder auch noch der Geburtstag des gestorbenen Menschen?

Lesungen, Vorträge, Workshops, Seminare, Trauergruppen und mehr: Alle aktuellen Termine mit Thomas Achenbach finden sich unter diesem Link 

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Was kostet eigentlich Trauerbegleitung? Wie finde ich Trauerbegleiter? Wie erkenne ich, ob das zu mir passt? Ausführliches Interview mit Christine Stockstrom, ehemalige Vorsitzende des Bundesverbands Trauerbegleitung, aus dem Jahr 2016 (Teil 3/3)

Osnabrück - In einem Blogbeitrag vor wenigen Wochen haben wir hier die Frage besprochen, was Trauerbegleitung eigentlich alles bringen kann. Heute geht es um noch konkretere Fragen: Was kostet eigentlich Trauerbegleitung? Wie finde ich einen guten Trauerbegleiter? Wie kann ich erkennen, ob der Trauerbegleiter zu mir passt? Und ist es wichtig, dass er oder sie Mitglied im Bundesverband dafür ist (in dem der Autor dieser Zeilen übrigens - Transparenzhinweis - ebenfalls Mitglied ist)...:

Über diese und viele andere Fragen habe ich 2016 ein dreiteiliges Interview führen dürfen mit einer Frau, die sich wie kaum eine andere damit auskennt. Und hier ist nun der dritte Teil dieses Interviews.  Wir sprechen über alle Fragen rund um den Nutzen und die Kosten von Trauerbegleitung - und darüber, wie Trauerbegleitung eigentlich funktioniert.

Übrigens: Wer Interesse daran hat, selbst Trauerbegleiterin oder Trauerbegleiter zu werden und wer auf der Suche nach Informationen zu diesem Thema ist, der findet an anderer Stelle in diesem Blog alle Informationen dazu (Ist Trauerbegleitung ein Beruf? - Bitte hier klicken). 

Nun geht es ins Finale: Hier ist nun der dritte und letzte Teil des Interviews mit Christine Stockstrom, seinerzeit, im Jahre 2016, Vorsitzende des Bundesverbands Trauerbegleitung:

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Christine Stockstrom, Sie sind jetzt, wo wir dieses Interview führen die aktuelle Vorsitzende des Bundesverbands Trauerbegleitung… Wenn ich auf der Suche bin nach einem guten Trauerbegleiter – muss der dann unbedingt ein Siegel des Bundesverbands Trauerbegleitung haben?

Christine Stockstrom:  Nein, das muss er nicht. Ich stehe dafür, dass es den Trauerbegleiter nicht als neues Berufsbild geben muss. Aber es braucht ein Wissen um Trauer, damit der Begleitende weiß, was die Menschen bewegt, was hilfreich ist und was schädlich ist und damit er lernt, mit seiner eigenen Hilflosigkeit umzugehen. Mir ist wichtig, dass sich jemand seiner Stärken und Schwächen in einer Begleitung bewusst ist.

Eigentlich schade… Für Trauernde wäre es so angenehm leicht gewesen: Einfach nach dem Siegel des Bundesverbands gucken, schon weiß ich, dass ich einen guten Trauerbegleiter vor mir habe. So bleibt die Suche ja eher kompliziert, oder?

Christine Stockstrom:  Na klar, da kann unser Angebot schon eine Vereinfachung sein, weil Trauernde zum Beispiel auf unserer Internetseite alle Trauerbegleiter finden, die eine Qualifizierung nach unseren Standards absolviert haben. Das bedeutet: Hier könnt Ihr davon ausgehen, dass Menschen einen längeren Prozess durchlaufen haben und dass sie wissen, was sie tun. Aber das heißt ja nicht, dass die anderen es nicht können oder nicht auch gut machen. Diesen Kehrschluss fände ich verkehrt.

Drehen wir es doch mal um: Woran könnte ich erkennen, dass mir ein Trauerbegleiter zuviel verspricht oder dass sein Angebot für mich nicht geeignet ist?

Christine Stockstrom, aufgenommen auf der Messe "Leben und Tod" im Frühjahr 2016 - im Interview verrät sie auch etwas zur Frage, warum sie eigentlich Trauerbegleiterin geworden ist.   (T.-Achenbach-Foto)

Christine Stockstrom:  Auf die Qualifizierungen zu gucken, kann ein hilfreicher erster Schritt sein. Und darauf zu achten, was mir angeboten wird. Wenn mir jemand sehr schnell Lösungen anbietet oder mich eher ver-tröstet als wirklich tröstet, ist das ein schlechtes Zeichen. Wenn ich das Gefühl habe, da will jemand, dass es mir schnell wieder gut geht.

Weil das der falsche Weg ist…? Klingt doch eigentlich ganz vielversprechend?

Christine Stockstrom:  Ja, aber Trauer will auch erstmal durchlebt sein.

Werden Ihnen denn schwarze Schafe auch gemeldet? Gibt es da Erfahrungswerte?

Christine Stockstrom:  Ja, durchaus. Wir bekommen gelegentlich mitgeteilt, dass Trauernden viel zu rasch Psychopharmaka verschrieben werden. Oder dass uns jemand Angebote mitteilt, die merkwürdig erscheinen, das kommt auch mal vor, allerdings relativ selten. Eher werden wir gefragt, ob wir jemanden empfehlen können.

Wie lange sollte eine gute Trauerbegleitung denn dauern?

Christine Stockstrom:  Das ist aus meiner Sicht immer sehr, sehr verschieden. Es gibt Menschen, die kommen nur zu einer einmaligen Trauerberatung, weil sie einen bestimmten Punkt klären wollen, sind aber in ihrem sozialen Umfeld ansonsten gut aufgehoben. Es gibt aber auch Menschen, die gerne über einen bestimmten Zeitraum wie ein Jahr eine regelmäßige Begleitung haben wollen. Oder es gibt Menschen, die das im Einzelgespräch brauchen und wieder andere, die die Solidarität von anderen Trauernden brauchen und sich in Gruppen wohler fühlen. Das ist sehr unterschiedlich. Ich habe selbst schon alles gehabt: Vom einmaligen Treffen bis zu einer dreijährigen Begleitung.

Wenn es so viele Angebote gibt, ist es vermutlich auch schwer zu sagen: Eine gute Trauerbegleitung kostet ungefähr die Summe.... "X"?


Trauerbegleiter müssen auf sich aufmerksam machen. Der Autor dieser Zeilen nutzt dafür Flyer und Visitenkarten. Die Flyer sollten eigentlich kleiner werden als sie jetzt sind - das wird mit der zweiten Auflage geändert.   (Thomas-Achenbach-Foto)

Christine Stockstrom:  Es ist nicht unbedingt ein Qualitätsmerkmal, ob eine Trauerbegleitung etwas kostet oder nicht. Auch danach kann man nicht gehen.

Aber wonach dann?

Christine Stockstrom:  Ich würde immer gucken: Hat jemand eine Qualifikation? Und: Stimmt die Chemie zwischen uns? Das ist ein ganz wichtiger Indikator.

Weil auch die Trauerbegleitung ein zwischenmenschlicher Prozess ist?

Christine Stockstrom:  Ja, genau. Ich glaube, dass es eine gute Haltung für einen Begleiter ist, mit aller Achtsamkeit in die Gespräche zu gehen und zu gucken: Was braucht dieser Mensch? Mein Fachwissen wird mir sicher auf der einen Seite nützen, aber gleichzeitig bin ich auch als Mensch gefragt.

Was Trauergruppen angeht, heißt es ja, es sollte ein wenig Zeit verstrichen sein zwischen dem Trauerfall und dem Eintritt in eine Gruppe. Nun haben Sie zuvor schon gesagt: Der Zeitpunkt, an dem Menschen eine Trauerbegleitung aufsuchen, verschiebt sich zurzeit nach vorne. Gilt also die erste Aussage noch?

Christine Stockstrom:  Früher hat man oft gesagt, etwa ein halbes Jahr oder drei Monate sollten vergangen sein, bevor man in eine Trauergruppe geht. Das war mal die reine Lehre. Das halte ich für verkehrt. Ich denke, man muss sich bei jedem Einzelnen fragen: Ist dieser Mensch gruppenfähig, kann er mit aushalten, dass dort andere Menschen auch ihre Trauer zeigen und kann er sich schon auf andere einlassen? Wenn das nicht der Fall ist, sollte es erstmal eine Einzelbegleitung sein, denn am Anfang ist das Bedürfnis ungeheuer groß, einfach zu reden, es loszuwerden.


(Aktualisierung 2020: Christine Stockstrom hatte sich aus eigenem Wunsch nicht mehr zur Kandidatin für den Vorsitz des Bundesverbands aufstellen lassen und ist seit März 2017 nicht mehr in dieser Funktion tätig, aber noch Mitglied des Verbands. Die von ihr in diesem Interview getätigten Aussagen sind allerdings so allgemeingültig, dass ich den Text weiterhin auf meinem Blog stehenlasse)

Und hier geht es zum zweiten Teil des Interviews....

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Der Autor dieser Zeilen steht in Osnabrück und im Osnabrücker Land als Trauerbegleiter zur Verfügung. Thomas Achenbach ist zertifizierter Trauerbegleiter nach den Standards des BVT (Große Basisqualifikation). 

Thomas Achenbach ist der Autor dieser drei Bücher: 

-> NEU: "Das ABC der Trauer" (Patmos-Verlag, Herbst 2023)
-> "Mitarbeiter in Ausnahmesituationen - Trauer, Pflege, Krise" (Campus-Verlag).
-> "Männer trauern anders - was ihnen hilft und gut tut" (Patmos-Verlag)

Mehr Infos auf www.thomasachenbach.de

Lesungen, Vorträge, Workshops, Seminare, Trauergruppen und mehr: Alle aktuellen Termine mit Thomas Achenbach finden sich unter diesem Link 

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Ebenfalls auf diesem Blog: Ein neuer Raum und neue Möglichkeiten - wo ich in Osnabrück jetzt Trauerbegleitung anbieten darf (weiterhin auch als Spaziergang)  

Ebenfalls auf diesem Blog: Macht es die Hinterbliebenen nicht noch trauriger, wenn wir sie auf ihren Verlust ansprechen? - Impulse bei großer Unsicherheit 

Ebenfalls auf diesem Blog: Warum die Formulierung "Mein Beileid" immer noch das Beste ist, was Du einem Menschen mit einem Verlust sagen kannst

Ebenfalls auf diesem Blog: Ist Trauerbegleitung ein echter Beruf? Kann man von Trauerbegleitung leben? Und wie werde ich überhaupt Trauerbegleiter?  

Ebenfalls auf diesem Blog: Warum sich Trauernde förmlich zerrissen fühlen  - eine Einführung in das "Duale Prozessmodell der Trauer" und seine Fallstricke

Ebenfalls auf diesem Blog: Wer ein Kind verloren hat, sollte nicht arbeiten gehen müssen - was wir von einer britischen Rechtsprechung lernen können 

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Dienstag, 7. Juni 2016

Wird Trauerbegleitung von den Krankenkassen bezahlt? Was bringt Trauerbegleitung überhaupt - und warum ist es nötig, dass es dafür einen Bundesverband gibt? Ausführliches Interview mit Christine Stockstrom, ehemalige Vorsitzende des Bundesverbands Trauerbegleitung , aus dem Jahr 2016 (Teil 2/3)

Osnabrück - In einem Blogbeitrag vor einiger Zeit haben wir hier die Frage behandelt, was Trauerbegleitung eigentlich alles bringen kann. Heute geht es um noch konkretere Fragen rund um das Thema: Wird Trauerbegleitung von den Krankenkassen bezahlt? Warum werden Menschen Trauerbegleiter, was motiviert sie dazu? Und warum muss es einen Bundesverband dafür geben (in dem der Autor dieser Zeilen übrigens - Transparenzhinweis - ebenfalls Mitglied ist)...:

Über diese und viele andere Fragen habe ich 2016 ein Interview führen dürfen mit einer Frau, die sich wie kaum eine andere damit auskennt. Und hier geht es jetzt weiter mit diesem Interview und mit allen Fragen rund um den Nutzen und die Kosten von Trauerbegleitung - und darüber, wie Trauerbegleitung eigentlich funktioniert. .

Übrigens: Wer Interesse daran hat, selbst Trauerbegleiterin oder Trauerbegleiter zu werden und wer auf der Suche nach Informationen zu diesem Thema ist, der findet an anderer Stelle in diesem Blog alle Informationen dazu (Ist Trauerbegleitung ein Beruf? - Bitte hier klicken). 

Weiter geht's: Hier ist nun der zweite Teil des Interviews mit Christine Stockstrom, seinerzeit, im Jahre 2016, Vorsitzende des Bundesverbands Trauerbegleitung:

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Christine Stockstrom, Sie sind jetzt, wo wir dieses Interview führen - im Mai 2016 - die Vorsitzende des Bundesverbands Trauerbegleitung… ist das ein Vollzeitjob?

Christine Stockstrom: (lacht) Ja, manchmal schon. Nein, es ist natürlich ein Ehrenamt. Aber es nimmt viel, viel Zeit in Anspruch, gerade jetzt, weil wir als Verband in einer Umbruchsituation sind und weil es uns noch nicht so lange gibt.

Den Bundesverband Trauerbegleitung gibt es seit 2010, Sie sind also als Institution noch im Kleinkindalter…


Christine Stockstrom, aufgenommen auf der Messe "Leben und Tod" im Frühjahr 2016 - im Interview verrät sie auch etwas zur Frage, warum sie eigentlich Trauerbegleiterin geworden ist.   (Thomas-Achenbach-Foto)

Christine Stockstrom: Nein, nicht ganz. Als Verband – also mit der Rechtsform des Verbandes – gibt es uns erst seit 2010, das stimmt. Seit 2002 gibt es aber schon eine Bundesarbeitsgemeinschaft zum Thema Trauerbegleitung. Darin haben sich viele Menschen versammelt, die Qualifizierungen und Ausbildungen zum Thema Trauerbegleitung anbieten. Wir haben damals festgestellt, dass es sehr, sehr viele Angebote gibt. Von einer qualifizierten mehrtägigen Ausbildung bis zu einem Crashkurs von nur einem Tag ist da alles dabei. Uns war wichtig, dass wir Mindeststandards definieren, die eine Qualifizierung unbedingt erfüllen sollte. Und diese Standards durchzusetzen, das geht nur als Verband. Wir verwenden übrigens bewusst allein den Ausdruck Qualifizierung, weil es uns nicht um eine Berufsausbildung geht.

Ein Verband, der eine Norm aufstellt – das klingt alles ziemlich trocken, oder?

Christine Stockstrom: Worum es uns geht, ist ein Schutz für die Trauernden, also eine Qualität in der Trauerbegleitung. Das war das Ziel. Und das ist wichtig. Dabei geht es bunt und lebendig und gar nicht trocken zu. Es geht auch nicht alleine um Normen. In diesen ersten fünf Jahren als Verband waren bislang nur Qualifizierende bei uns tätig. Seit 2014 sind wir auch geöffnet für die qualifizierten Trauerbegleiter, das heißt, es gibt jetzt auch eine zweite Säule neben den Qualifizierenden, nämlich die Begleitenden, die eine Große Basisqualifikation abgeschlossen haben.

Die sind automatisch Mitglied bei Ihnen – mit Abschluss der Qualifikation?

Christine Stockstrom: Nein, nicht automatisch. Sie können aber eine Mitgliedschaft beantragen. Aktuell sind die Trauerbegleiter dabei, sich selbst als Fachgruppe innerhalb des Bundesverbands eine Struktur zu geben. Außerdem werden die Begleiter, die bei uns Mitglied sind, von uns auch mit vertreten. Wir verhandeln zum Beispiel gerade mit den Krankenkassen.

Den Krankenkassen... Worum geht es dabei?


Noch ein zartes einsames Pflänzchen ist der frisch gegründete Bundesverband Trauerbegleitung - aber, wie es aussieht, in der ersten Aufblühphase?   (Fotografiert im Botanischen Garten Osnabrück, Thomas-Achenbach-Foto) 

Christine Stockstrom: Es geht darum, dass Trauer zwar keine Krankheit ist – aber krank machen kann. Und da kann Trauerbegleitung auch eine sinnvolle Form der Prävention sein, weil es inzwischen längst erwiesene Zusammenhänge gibt zwischen Trauer und zum Beispiel Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Schlaganfällen.

Das Ziel ist also, dass die Krankenkassen für die Trauerbegleitung bezahlen?

Christine Stockstrom: Dass zumindest ein Stück davon refinanzierbar wird, darum geht es derzeit.

Und wie weit sind Sie da?

Christine Stockstrom: Wir haben einzelne Kurse, die uns Trauerbegleiter dafür empfohlen haben, bereits als Präventionsmaßnahme bei den Krankenkassen durchsetzen können. Aber wir wollen gerne das Verfahren vereinfachen und wir wollen gerne, dass Trauerbegleitung auch nur dann refinanzierbar ist von den Krankenkassen, wenn sie auch von Menschen mit einer entsprechenden Qualifikation angeboten wird.

Weil Sie sich als Bundesverband Trauerbegleitung zusammengetan haben, verfügen 
Sie jetzt also über eine Stimme, die auch gehört wird?

Christine Stockstrom: Ja, absolut. Wir haben uns in den vergangenen eineinhalb Jahren mitgliedermäßig verdreifacht und sind ständig am Wachsen, wir haben diese neue Gruppe der Begleiter mit dabei, wir werden in der Öffentlichkeit viel stärker wahrgenommen…

Was macht denn Christine Stockstrom, wenn Sie einmal nicht im Fast-Vollzeit-Ehrenamt der Bundesvorsitzenden tätig ist?

Christine Stockstrom: (lacht) Ich bin vom Grundberuf Diakonin, arbeite aber seit sechs Jahren als Freiberuflerin in Sachen Supervision und Trauerbegleitung. Ich qualifiziere in Trauerbegleitung. Ich biete Erwachsenen-Fortbildungen an. Nebenbei bin ich noch Mitglied einer riesengroßen Familie  – und ein Familienmensch.

Auch das kann ja ein Vollzeitjob sein…

Christine Stockstrom: (lacht) Richtig! Das Leben ist bunt und vielfältig…

Was hat Sie denn seinerzeit motiviert, Trauerbegleiterin zu werden? Sie haben das ja auch einmal gelernt?

Christine Stockstrom: Ich habe acht Geschwister, aber ich hätte auch noch einen älteren Bruder haben sollen, der schon gestorben war, als ich geboren wurde. Der Tod war also ein Thema in unserer Familie. Ich war  dann in der Kirchengemeinde sehr aktiv und habe auch dort Tod und Sterben kennengelernt, habe im Studium dann persönlich große Hilflosigkeiten erlebt, als mein Vermieter plötzlich umgekippt ist. Und dann habe ich gedacht: So, jetzt finde ich mal das Patentrezept… (lacht). Ich bin dann über einige Umwege zur Hospizarbeit gekommen… Und da habe ich gedacht: Ich muss auch was für die Angehörigen tun und habe eine Trauerbegleiterausbildung bei Ruthmarijke Smeding gemacht.

Wenn man sich so umhört, bei angehenden Trauerbegleitern oder bei anderen Menschen, die in diesem Umfeld arbeiten, dann stößt man eigentlich fast immer auf eine persönliche Geschichte, so wie bei Ihnen. Das führt offenbar oft dazu, Trauerbegleiter zu werden.

Christine Stockstrom: Ich glaube, dass das bei vielen eine hohe Motivation war, vielleicht auch, weil sie selbst viel Unterstützung erfahren durften – oder eben eine solche vermisst haben. Eine andere Motivation, die ich sehr deutlich bei unseren Mitgliedern wahrnehme, ist, dass sie in Berufen arbeiten, wo sie in Kontakt sind mit Trauernden.

Auch dieser Faktor – die persönliche Betroffenheit – ist ja in den Standards einer Qualifizierung des Bundesverbands Trauerbegleitung mitberücksichtigt.

Christine Stockstrom: Genau. Das ist die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte. Es ist wichtig, um seine eigenen Erfahrungen zu wissen und spüren zu können, wann man zu sehr mit sich selbst beschäftigt ist, um andere zu begleiten. Wer beispielsweise gerade selbst in einer Trauerphase ist, kann oft nicht so gut andere Trauernde begleiten.

Was gehört noch zu den Standards?

Zum einen die Fachkompetenz, das Wissen um Trauer und ihre Vorgänge. Dazu aber auch die Sozialkompetenz: Kann ich gut mit anderen Menschen umgehen? Die Methodenkompetenz spielt auch eine Rolle – das alles im Zusammenspiel ist wichtig. Es geht um die Frage: Bin ich wirklich handlungsfähig im Umgang mit Trauer und Leid?

Das Thema Trauer… - ist das zurzeit auch ein Modethema?

Christine Stockstrom: Ja, eindeutig. Einerseits können wir uns als Gesellschaft jetzt diesen Luxus leisten zu trauern. In früheren Zeiten ging es oft nur ums nackte Übeleben. Und es ist modern – so erlebe ich es auch bei Anfragen für Trauerbegleitung – sich mit diesem Thema zu beschäftigen. Es ist „in“.

„In?“ Ein Trend?

Christine Stockstrom: Einerseits ja – und andererseits ist es ein Tabu, wenn ich es auf mich selbst anwende. Ich will mich mit diesem Thema beschäftigen, aber der Gedanke, dass es dabei auch um meine Angehörigen und um mich gehen könnte, wird oft nicht zugelassen...

(Aktualisierung 2020: Christine Stockstrom hatte sich aus eigenem Wunsch nicht mehr zur Kandidatin für den Vorsitz des Bundesverbands aufstellen lassen und ist seit März 2017 nicht mehr in dieser Funktion tätig, aber noch Mitglied des Verbands. Die von ihr in diesem Interview getätigten Aussagen sind allerdings so allgemeingültig, dass ich den Text weiterhin auf meinem Blog stehenlasse).

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Der Autor dieser Zeilen steht in Osnabrück und im Osnabrücker Land als Trauerbegleiter zur Verfügung. Thomas Achenbach ist zertifizierter Trauerbegleiter nach den Standards des BVT (Große Basisqualifikation). 

Thomas Achenbach ist der Autor dieser drei Bücher: 

-> NEU: "Das ABC der Trauer" (Patmos-Verlag, Herbst 2023)
-> "Mitarbeiter in Ausnahmesituationen - Trauer, Pflege, Krise" (Campus-Verlag).
-> "Männer trauern anders - was ihnen hilft und gut tut" (Patmos-Verlag)

Mehr Infos auf www.thomasachenbach.de

Lesungen, Vorträge, Workshops, Seminare, Trauergruppen und mehr: Alle aktuellen Termine mit Thomas Achenbach finden sich unter diesem Link 

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Ebenfalls auf diesem Blog: Ein neuer Raum und neue Möglichkeiten - wo ich in Osnabrück jetzt Trauerbegleitung anbieten darf (weiterhin auch als Spaziergang)  

Ebenfalls auf diesem Blog: Ist Trauerbegleitung ein echter Beruf? Kann man von Trauerbegleitung leben? Und wie werde ich überhaupt Trauerbegleiter?  

Ebenfalls auf diesem Blog: Wie lange darf Trauer dauern? Ist es normal, wenn es jahrelang weh tut? Und ab wann wird trauern krankhaft?

Ebenfalls auf diesem Blog: Keine Sorge, alles normal - was Trauernde alles so vermeintlich "Merkwürdiges" tun und warum das nicht peinlich ist

Ebenfalls auf diesem Blog: Wie uns die Trauer vor Aufgaben stellt und was das für den Trauerprozess bedeuten kann - über die "Aufgaben der Trauer"

Ebenfalls auf diesem Blog: Entrümpeln, Ausmisten und Aufräumen nach dem Tod eines Menschen - was mache ich damit und warum ist das so hart?

Ebenfalls auf diesem Blog: Professionelle Gesprächsführung mit Menschen in einer Krise - was wir von der Spiegeltechnik fürs Leben lernen können

Ebenfalls auf diesem Blog: Wir sind auf dem Weg in eine Sterbegesellschaft - Zahlen, Fakten und Daten darüber, wir eine gute Trauerkultur brauchen werden  

Ebenfalls auf diesem Blog: Wer ein Kind verloren hat, sollte nicht arbeiten gehen müssen - was wir von einer britischen Rechtsprechung lernen können 

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