Mittwoch, 3. Juli 2024

Das Trauer-Zitat des Monats - #Juni/Juli 2024 - bemerkenswerte Sätze über Trauer, Tod und Sterben aus Literatur, Interviews und Zeitschriften, Teil 17

   


"Wenn einer freiwillig aus dem Leben scheidet, stellt er den kleinsten gemeinsamen Nenner infrage, den es zwischen Menschen gibt: leben wollen. Um weiterzuleben, müssen die Verbliebenen demjenigen widersprechen, um den sie gerade trauern. (...) und es lag mehr Absurdität darin als aushaltbar, mit einem Toten Schluss zu machen."


 Paula Fürstenberg, "Weltalltage"


(Kiepenheuer & Witsch, Köln, 2024, Seite 61)


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Sonntag, 9. Juni 2024

An deutschen Schulen wird viel zu unbedarft mit dem Thema Suizid umgegangen - vor allem, was die Lektüren im Deutschunterricht angeht - eine neue wertvolle Broschüre informiert umfassend über "Suizid im schulischen Kontext" - Wenn der Schuluntericht zur weiteren Katastrophe für die Hinterbliebenen wird

So viele Bücher - in denen sich womöglich Menschen das Leben nehmen (Foto: Pixabay.com/Silviarita)

An deutschen Schulen wird viel zu unbedarft mit dem Thema Suizid umgegangen. Vor allem im Deutschunterricht angesichts zahlreicher Bücher, in denen das Thema eine Rolle spielt und die zum Kanon der Schullektüre gehören. Das ist das generelle Fazit einer sehr lesenswerten neuen Broschüre, die der Bundesverband der Angehörigen um Suizid (AGUS) herausgegeben hat. Darin kommen unter anderem Hinterbliebene zu Wort, die nach dem Suizid eines Angehörigen allerlei Schullektüren rund um dieses Thema im Deutschunterricht behandeln mussten. Das Heft gibt aber auch wertvolle Hinweise für Lehrer und Eltern, wie in der Schule sinnvoller und achtsamer mit dem Suizid als Thema umgegangen werden kann.

„Der Suizid eines Familienmitglieds ist ein Lebensthema“, schreibt die Grundschullehrerin Cordula Tomberger in ihrem Beitrag zum Thema „Umgang mit konkreten Suizidereignissen an Schulen“. Die Autorin ist, wie die meisten in dieser Broschüre, selbst Betroffene, aber auch Mutter von mehreren Kindern. Vor allem macht sich Cordula Tomberger dafür stark, die tatsächliche Todesursache nicht zu verschweigen oder zu verschleiern, wie es ja noch sehr häuftig geschieht: „Das Verschweigen der Todesart Suizid trägt zur Tabuisierung der Krankheit Depression und der Krankheitsfolge Suizid bei“, schreibt sie. Und: „Es ist ein Stück Wertschätzung der verstorbenen Person gegenüber, wenn auch die Todesursache benannt und betrauert werden darf, als eine Facette ihres Lebens und ihrer Persönlichkeit neben anderen.“

Ich möchte diesen Aspekt gerne noch einmal betonen: Die Todesursache ist eine Facette des Lebens der gestorbenen Person – eine Facette ihrer Persönlichkeit. Eine integrative. Das ist wichtig. Es ist wichtig, das zu anerkennen. Es kann wichtig sein, das besprechbar machen zu können, wo es geht.

So viele Bücher, so viele Suizide - alle Pflicht

Führt man sich die Liste der Bücher vor Augen, die an deutschen Schulen üblicherweise durchgenommen werden (müssen) und in denen der Suizid eine Rolle spielt, wird einem erst bewusst, wie häufig das Thema vorkommt – die Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und ließe sich vermutlich beliebigb verlängern: „Frühlingserwachen“ von Frank Wedekind, „Die Leiden des jungen Werther“, von Johann Wolfgang von Goethe, „Alle Farben Grau“ von Martin Schäuble, „Zweier ohne“ von Dirk Kurbjuweit, „Tote Mädchen lügen nicht“ von Jay Asher und schließlich „Unterm Rad“ von Hermann Hesse, das mich selbst als Jugendlichen in einer schwierigen Krisensituation mit Suizidgedanken in Kontakt gebracht hat (dazu bald mehr in einem eigenen Artikel auf diesem Blog).

Spannend ist allein schon die Geschichte, wie diese Broschüre entstanden ist. 

 

(Fotos: Thomas Achenbach)
 

Denn die Inspiration kam unmittelbar aus der Erlebniswelt von zwei Schülern, denen es genauso ergangen ist: Nach dem Suizid ihres Vaters – die beiden waren da gerade 14 und 16 Jahre alt – waren sie in der Schule mit Lektüren im Deutschunterricht konfrontiert, in denen der Suizid vorkommt. Und mit der Tatsache, wie unbedacht dieses Ereignis behandelt wird. Die Folge: Verweigerung der Lektüre, Rückzug, Wut, aber auch der Wunsch, sich nicht in der Schule „outen“ zu müssen oder unangenehm aufzufallen. So beschrieben sie ihre Reaktionen zunächst in einem einzelnen Text, den sie für den Rundbrief der Angehörigen um Suizid geschrieben hatten – unter dem Titel „Von Schiller, Goethe und Büchner bis zu aktueller Literatur – der Umgang mit Suizid im Unterricht“. Darin formulieren die beiden Schüler: „Da die meisten der gelesenen Werke auch noch Abi-relevant sind, sind die Schülerinnen und Schüler gezwungen, sich mit ihnen zu befassen. Das empfinden wir (…) als eine regelrechte Katastrophe“ (AGUS-Rundbrief 1/2022, Seite 14).

Hilfreiche Hinweise für Lehrer und Eltern

Genau dieses Spannungsfeld – zwischen seelischen Schutzmechanismen in der eigenen Betroffenheit und gleichsam der Scham und der drohenden Stigmatisierung – ist oft Thema in dem Büchlein. Lehrer, aber auch Eltern, erhalten zahlreiche Hinweise, was hilfreich sein kann und was eher nicht. Die Broschüre spielt dabei alle denkbaren Ereignisse durch: Der Suizid eines Mitschülers oder einer Lehrkraft, der Suizid im Familienumfeld, zurückliegende Suizide, die plötzlich wieder eine neue seelische Wirkmacht entfalten. In einem eigenen Kapitel geht es um die Frage wie der „Suizid als Unterrichtsthema“ behandelt werden kann. Als positives Beispiel wird von einer Unterrichtsstunde berichtet, die eine Schulseelsorgerin mit einer Klasse zum Thema Suizid durchgeführt hat.

Besonders aufschlussreich sind Interviews mit Jugendlichen, die den Suizid eines Mitschülers erleben mussten und auf die Frage eingehen, was ihnen gut getan hätte. Abgerundet wird das Büchlein durch inspirierende Positivbeispiele. 

Mit einem Artikel in diesem Rundbrief fing alles an - so entstand die neue Broschüre.
 

So wird beispielsweise die moderne Initiative „Tonomi Mental Health“ vorgestellt, die es sich zum Ziel gesetzt hat, Lehrkräfte fortzubilden und zu sensibilisieren, wie sie Schülerinnen und Schülern in emotionalen Krisensituationen hilfreich unterstützen können. Parallel finden sich allerlei Hinweise auf hilfreiche Onlinedienste und Bücher wie beispielsweise das Comic „Reden kann Leben retten“, das die jungen Betroffenen und andere dazu ermuntert, den Suizid nicht zu verschweigen, sondern ihn besprechbar zu machen.

Reden kann Leben retten

Den Suizid besprechbar zu machen versuchen – denn „Reden kann Leben retten“. Auch hierzu möchte die Broschüre beitragen. Es kann nicht genug betont werden, wie wertvolle das ist. Denn der Alltag – meiner als Mensch in dieser Welt, aber auch meiner als professioneller Trauerbegleiter – zeigt mir immer wieder, wie groß die Scham ist, wenn es um den Suizid geht, wie groß die Unsicherheiten, wie oft die Todesursache eben doch verschleiert und verschweigen wird. Das ist schade. Wenn wir nicht lernen, über den Suizid zu sprechen, verbauen wir uns so viele Chancen, weitere Suizide zu verhindern. Wie gut, dass diese Broschüre einerseits versucht, für einen anderen Umgang damit zu werben, andererseits aber auch sensibel und vorsichtig genug auf Leser einzugehen vermag, die mit den Themen Tod, Trauer und Sterben eben nicht so alltäglich befasst sind wie der Autor dieser Zeilen oder manche der Autoren von Beiträgen in dem Büchlein.

Die Broschüre: „Suizid im schulischen Kontext“ aus der AGUS-Schriftenreihe „Hilfe in der Trauer um Suizid“ (Autoren: Ulrike Brunner, Gisela Faßbender, Jörg Schmidt, Cordula Tomberger) ist erhältlich über den Bundesverband der Angehörigen um Suizid (AGUS), Telefon 0921/1500380, Internet www.agus-selbsthilfe.de.

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Wichtig: Wer tatsächlich an einen Suizid denkt und diese Gedanken nicht loswird, findet kostenlose und anonyme Hilfe z.B. bei der Telefonseelsorge unter 0800/1110111 - oder als E-Mail-Beratung über die Internetseite www.telefonseelsorge.de

Mehr Informationen: Was der Suizid eines Menschen alles mit den Hinterbliebenen machen kann, dazu findest Du sieben Impulse in einem weiteren Artikel auf meinem Blog - Thema: Trauer und Gefühle nach einem Suizid.
 
Bitte beachte auch diesen Text: Warum sich ein Suizid viel öfter verhindern ließe als wir denken und warum es so wichtig ist, immer wieder darüber zu reden

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Sonntag, 26. Mai 2024

Das Trauer-Zitat des Monats - #Mai 2024 - bemerkenswerte Sätze über Trauer, Tod und Sterben aus Literatur, Interviews und Zeitschriften, Teil 16

  

(Foto: Pixabay.de/congerdesign/CC-0-Lizenz)

"Mich schmerzen alle Wege, die ich mit meiner (gestorbenen) Mutter zurückgelegt habe, der Tod, dieses Aas, vertreibt uns von überall."


 Milena Busquets, "Auch das wird vergehen"


(Suhrkamp-Verlag, Berlin, 2016, Seite 53)


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Samstag, 18. Mai 2024

Warum die neue Bestattungsform der "Re-Erdigung" eine so große gesellschaftliche Sprengkraft hat: Die Toten zu "kompostieren" und ihre Erde zu erhalten, ist jetzt möglich - die "Re-Erdigung", alles, was man darüber wissen muss, alle Hintergründe und Details - wie funktioniert das?

Es gibt eine neue Bestattungsform, die von sich reden macht. Noch ist sie nicht überall zugelassen, noch ist sie teilweise umstritten. Und das zu Recht, denn sie hat eine nicht zu unterschätzende Wirkmacht: Sie könnte das deutsche Bestattungswesen grundlegend verändern (dazu folgt noch  ein Kommentar auf diesem Blog). Die Rede ist von der so genannten Re-Erdigung. Dabei handelt es sich, grob vereinfacht, um die Kompostierung eines toten Körpers. Nach dem Motto: Staub zu Staub. Und weil dabei jede Menge Gas gespart wird, jedenfalls im Vergleich zur Verbrennung des Körpers für die Urnenbestattung, ist die Methode umweltfreundlich und nachhaltig. Aber warum entzündet sich soviel Kritik an ihr? 

Bevor wir diese Frage beantworten können, müssen wir zuerst einmal einen Blick auf die Fakten werfen, soweit sie bislang bekannt sind (Stand: Frühjahr 2024). 

Wie funktioniert das Ganze überhaupt? Bei einer Re-Erdigung wird der Körper eines Verstorbenen innerhalb eines Zeitraums von 40 Tagen zersetzt. Der Leichnam wird dabei in einen so genannten Kokon gelegt, ein Behältnis aus Edelstahl, das mit Stroh, Heu, Blumen und Aktivkohle gefüllt sein soll, wie die Firma "Meine Erde" berichtet. Chemische Zusätze braucht es ihren Angaben zufolge nicht, wohl aber eine spezielle Mischung aus Kräutern. Wie diese Mischung genau zusammengesetzt ist, gilt als Betriebsgeheimnis, wie ein Sprecher von "Meine Erde" einmal einem Reporter des Radioprogramms NDR Info sagte. Sie ist übrigens bislang das einzige Unternehmen, das diesen Prozess in Deutschland anbietet. Schließlich wird der Edelstahlkokon verschlossen, luftdicht, und wird in eine so genannte Wabe gestellt: dabei handelt es sich um einen Holzschrank, in dem verschiedene Anschlüsse sind, mit denen die Temperatur und der Sauerstoffgehalt im Inneren gemessen werden. Außerdem muss der Kokon gedreht werden, dazu später mehr.

Wird der ganze Körper zersetzt? Nein, das funktioniert nicht. Die Knochen und die Zähne jedenfalls zerfallen nicht so ohne Weiteres. Deswegen werden sie nach einer gewissen Zeit aus dem Kokon entnommen und in einer Knochenmühle zermahlen. Das klingt zwar relativ brutal, ist aber heute schon täglicher Standard - denn was den Wenigsten klar ist: Auch bei jedem Verbrennen eines Körpers für die Urnenbestattung kommt die Knochenmühle zum Einsatz. Die Knochen werden nach der Verbrennung entnommen, gemahlen und der so entstehene Staub wird der Urne beigefügt. Ohne die Knochenmühle gehen beide Verfahren nicht.


(Alle Fotos: Firma Meine Erde, Berlin)
 

Klappt das auch wirklich - und ist es unbedenklich? Ja, sagt zumindest die Universität Leipzig. Denn die hat im Auftrag von "Meine Erde" die Proben von zwei re-erdigten Verstorbenen untersucht und die Ergebnisse im Fachmagazin "Rechtsmedizin" veröffentlicht, wie das Unternehmen im Januar 2024 in einer Mitteilung schrieb. Es seien für die Untersuchung der zwei re-erdigten Körper jeweils "Knochen-, Erd- und Haarproben entnommen" und untersucht worden. Und zwar "mit molekularbiologischen, toxikologischen, morphologisch-osteologischen und bodenkundlichen Methoden". Den Ergebnissen dieser Studie zufolge sei die gelieferte Erde "hygienisch unbedenklich". Allerdings: Es wurden eben nur zwei Körper untersucht. Repräsentativ ist das nicht, das weiß auch "Meine Erde". Geplant seien daher weitere Studien, heißt es im Januar 2024 von der Firma. 

Was bekomme ich am Ende des Prozesses? Einfach gesagt: Erde. Wie genau diese beschaffen ist, darüber gibt es unterschiedliche Angaben. Der Bremer Bestatter Heiner Ahrens vom "trauerraum" spricht im Interview mit Radio Bremens Sendung "Buten und Binnen" von einer leicht warmen und weichen Erde, wohingegen der Bestattermeister Christoph Barck aus Mölln einen "deutlichen Verwesungsgeruch" wahrgenommen haben will, wie er im September 2023 dem "Spiegel" sagte. Die Firma "Meine Erde" hingegen wirbt mit dem Versprechen, es seien noch Düfte von Heu und Blumen erkennbar - nicht alleine während des Vorgangs des Kompostierens.


(Foto: Meine Erde)

Muss die Erde nachher wieder beerdigt werden? Auf jeden Fall, denn in Deutschland gilt seit 1934 grundsätzlich Friedhofszwang. Das ist überall so, auch wenn die Bestattungsgesetze jeweils Ländersache sind und von Land zu Land recht unterschiedlich ausfallen können. Einzige Ausnahme, ebenfalls bereits 1934 geregelt, ist die Seebestattung. Ansonsten gilt Friedhofszwang (siehe dazu auch meinen Artikel "Warum die deutschen Bestattungsgesetze noch auf die Nazizeit zurückgehen", hier auf diesem Bloghier auf diesem Blog). Doch daran entzündet sich zunehmend Kritik, gerade bei den Urnenbestattungen (ich selbst habe mich im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst auch bereits dazu geäußert). Als einziges Bundesland hat Bremen im Jahre 2015 die Regeln für die Feuerbestattung gelockert: Dort darf die Asche auch privat bestattet oder verstreut werden. Im Kontext einer Re-Erdigung stellen sich viele Fragen, die alle noch gänzlich ungeklärt sind: Warum muss eine Erde auf einem Friedhof neu beerdigt werden? Ist das sinnvoll? Wie kann dieser Prozess gestaltet werden? Wie wird die Erde transportiert? Womöglich - in einer Schubkarre? 

Wo darf ich die Verstorbenen re-erdigen lassen? Bislang geht das nur in Schleswig-Holstein. Denn das Bundesland hat sich darauf eingelassen, zusammen mit dem Berliner Unternehmen "Meine Erde" seit Februar 2022 ein Pilotprojekt durchzuführen, dessen Verlängerung im Januar 2024 vom Kieler Landtag beschlossen wurde. Die Politiker hatten ihrer Gesetzesänderung eine so genannte "Experimentierklausel" hinzugefügtAn zwei Standorten, nämlich in den Kapellen des Kieler Parkfriedhofs und des Friedhofs in Mölln hat das Unternehmen jeweils ein so genanntes "Alvarium" errichten lassen.

Was ist das - ein Alvarium? Das ist letztlich nur ein Begriff für den Raum, in dem der Edelstahl-Kokon aufgestellt wird. Die wörtliche Übersetzung ist "Bienenstock". Hier werden die einzelnen Kokons als "Wabe" hineingestellt. Das passt zur Sprachwelt des Unternehmens "Meine Erde". Man habe in Zusammenarbeit mit Geistlichen Begriffe erfunden, die zu der Grundidee der Re-Erdigung passen sollen, heißt es: Naturnah, lebendig, nachhaltig, das sind die Stichworte, denen die Meine-Erde-Sprachwelt gerecht werden möchte. Die katholische Kirche hat es vorgemacht: Sie bietet hier und dort ein Kolumbarium an für Urnenbestattungen. Übersetzt: Einen Taubenschlag.


Ein Kokon vor einer Wabe - aufgenommen im Alvarium in Kiel (Foto: Meine Erde).


Kann ich das Angebot auch aus anderen Bundesländern in Anspruch nehmen? Teilweise ja. Solange erstens ein Bestatter bereit ist, den Leichnam nach Schleswig-Holstein zu fahren und die kompostierte Erde abzuholen. Und solange es zweitens auf dem Friedhof der Wahl zugelassen ist, diese Erde zu bestatten - das ist nämlich auch nicht überall der Fall. In Bremen ist das bereits geschehen, sogar zweimal, wie der Weser Kurier berichtete. Unter anderem hat Heiner Ahrens von der Firma "trauerraum", für die ich auch schon einmal einen Vortrag halten durfte, eine gestorbene Bremerin re-erdigen lassen, wie oben bereits erwähnt 

Werden sich andere Bundesländer anschließen? Das ist derzeit noch völlig unklar. Hier und dort wird die Frage der Zulassung zumindest diskutiert, unter anderem in Bremen. Doch es gibt auch noch viel Skepsis. In Sachsen-Anhalt zeigt sich die Politik bislang aufgeschlossen und neugierig, in Bayern wird das Angebot derzeit komplett abgelehnt (Stand: Januar 2024).

Was sagen die Kirchen zu dem neuen Angebot? Die zeigen sich angetan und haben keine Bedenken. "Asche zu Asche, Staub zu Staub", heißt es nun einmal bei jeder kirchlichen Trauerfeier. Und das ist ja genau das, was die Re-Erdigung ebenfalls anbieten will. 


(Foto: Meine Erde)

Was sagen die Bestatter zu dem neuen Angebot? Manche lehnen das Verfahren rundweg ab, manche zeigen sich skeptisch, manche sind offen dafür. Nur sehr wenige, wie Heiner Schomburg und Heiner Ahrens vom trauerraum, haben schon praktische Erfahrungen damit. Finanziell gesehen könnte das Angebot jedoch auch für Bestatter interessant sein, wie deren Berliner Innung in einem Artikel des RBBs zugesteht. Darin wird der Obermeister Fabian Lenzen mit diesem Satz zitiert: "Der Anbieter der 'Reerdigung' stellt den Bestattern ja großzügige Provisionen für das neue Verfahren in Aussicht. Ich kann aus Bestattersicht keinen finanziellen Nachteil sehen, der uns entsteht", sagte Fabian dem RBB. Als "Humankompostierung" bezeichnet indes der Bundesverband der Bestatter das Verfahren, betont aber zugleich, dass er nicht prinzipiell gegen die Einführung sei.  

Wo kommt die Re-Erdigung überhaupt her? Unter dem Namen „Recompose“ wurde das Verfahren bereits in den USA getestet: Im Jahre 2014 hat die Western Carolina University sechs Körper erfolgreich „kompostiert“. Die Gestorbenen hatten zuvor dieser Spende ihres Körpers an die Wissenschaft zugestimmt, wie der MDR im Januar 2023 berichtete. Im Dezember 2020 sei mit dem Greenhouse in Kent/Washington die erste öffentliche Anlage in Betrieb gegangen, berichtet der MDR weiter. Zehn Verstorbene innerhalb eines Jahres würden dort kompostiert werden. Der Grundpreis für eine Bestattung dieser Art läge bei rund 5500 US-Dollar, heißt es in dem Artikel, und die Akzeptanz und das Interesse seien offenbar hoch – womöglich deutlich höher als in Europa.

Warum hat das Thema eine so große gesellschaftliche Sprengkraft? Da geht es um den Friedhofszwang. Wie oben bereits erwähnt, gibt es zunehmend Unmut darüber, dass sogar Urnen und die Asche der Verstorbenen unbedingt auf einem Friedhof beerdigt werden müssen - und es gibt längst Mittel und Wege, diesen Friedhofszwang zu umgehen, die auch gerne in Anspruch genommen werden (Stichwort Bestattungstourismus - mehr dazu in meinem Kommentar zum Thema). Wenn nun also eine dritte Bestattungsform hinzukommt, bei der am Ende Erde übrigbleibt, und diese Erde wiederum in Erde auf dem Friedhof eingegraben werden muss, weil das Gesetz das vorschreibt, wird es umso schwerer, das noch als sinnvoll und als nötig zu kommunizieren. 

Ist das der einzige Kritikpunkt an der Re-Erdigung? Nein, es gibt noch eine weitere Diskussion. Dabei geht es um die Frage nach der "Störung der Totenruhe". Der Dreh- und Angelpunkt hierbei (Achtung, Wortspiel) ist der Umgang mit dem Edelstahlbehälter, dem so genannten Kokon. Denn der muss, luftdicht verschlossen, während der 40 Tage andauernden Kompostierung mehrmals sanft gedreht werden, damit die Zersetzung wirklich funktioniert, so heißt es in mehreren Artikeln. Wie genau, das ist nun Gegenstand der Diskussionen: Wird der Kokon womöglich regelrecht auf den Kopf gestellt oder nur in eine leichte Schräglage versetzt? Das ist deswegen so wichtig, weil es die juristisch recht heikle Frage nach der Störung der Totenruhe berührt, denn die ist laut Paragraf 168 des Strafgesetzbuches verboten. Das wiederkehrende Drehen des Kokons könnte eine allerdings eine solche Störung darstellen, haben zwei Rechtsmediziner in einem Aufsatz geschriebenErschienen ist dieser im „Archiv für Kriminologie“, einer kriminalistischen Fachzeitschrift, die Autoren sind Prof. Benjamin Ondruschka, Direktor des Instituts für Rechtsmedizin am Hamburger Universitätsklinikum Eppendorf (UKE), und sein Vorgänger Prof. Klaus Püschel. Dieser Einschätzung widerspricht das Unternehmen "Meine Erde": Der Leichnam selbst werde nicht bewegt, nur die gesamte Truhe werde alle paar Tage langsam um ihre eigene Achse gedreht, sagte der Re-Erdigungs-Hintermann Pablo Metz dem Deutschlandfunk in einem InterviewMetz ist neben Max Huesch einer der beiden Geschäftsführer von „Meine Erde“. 

Wer hat sich noch zu dem Thema geäußert? Prominente Unterstützung bekommt die Re-Erdigung vom sehr bekannten Kriminalbiologen Mark Benecke, der sich im Deutschlandfunk so äußerte„Leichen zersetzen sich eigentlich unter natürlichen Bedingungen schnell, das heißt, wenn es gut für Bakterien und Insekten ist, also feucht und warm. Die mögen es nämlich nicht, wenn es kalt und trocken ist." Letztlich werde aus dem gestorbenen Menschen wieder neues Leben, eben in der Erde. Das verspricht das Unternehmens auch auf seiner Homepage, dort heißt es: „Wir geben Ihren Körper an die Natur zurück. Der natürliche Kreislauf schließt sich. So wird der Tod zum Anfang von etwas Neuem.".

Mini-Serie "Bestattung in der Moderne" - dieser Text ist Bestandteil einer vierteiligen Serie rund um die Themen Re-Erdigung, Friedhofspflicht, Urnentourismus und moderne Bestattungsformen. Weitere Teile folgen...

Teil 1: Warum die deutschen Bestattungsgesetze aus der Nazizeit stammen

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Der Autor dieser Zeilen steht in Osnabrück und im Osnabrücker Land als Trauerbegleiter zur Verfügung. Thomas Achenbach ist zertifizierter Trauerbegleiter nach den Standards des BVT (Große Basisqualifikation). 

Thomas Achenbach ist der Autor dieser drei Bücher: 

-> "Das ABC der Trauer" (Patmos-Verlag, Herbst 2023)
-> "Mitarbeiter in Ausnahmesituationen - Trauer, Pflege, Krise" (Campus-Verlag).
-> "Männer trauern anders - was ihnen hilft und gut tut" (Patmos-Verlag)

Mehr Infos auf www.thomasachenbach.de

Lesungen, Vorträge, Workshops, Seminare, Trauergruppen und mehr: Alle aktuellen Termine mit Thomas Achenbach finden sich unter diesem Link 

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Auf dem Portal der Neuen OZ zu finden: Das ABC der Trauer - wie der Osnabrücker Trauerbegleiter trauernden Menschen Halt geben möchte

Ebenfalls auf diesem Blog: Ein neuer Raum und neue Möglichkeiten - wo ich in Osnabrück jetzt Trauerbegleitung anbieten darf (weiterhin auch als Spaziergang)  

Ebenfalls auf diesem Blog: Trauer und Schuldgefühle gehören zusammen - warum sich so viele Menschen nach einem Verlust für selbst schuldig halten 

Ebenfalls auf diesem Blog: Die Kunden müssen die Bestatter bewegen - Plädoyer für eine moderne Bestattungskultur, Beispiele für zeitgemäße Rituale 

Ebenfalls auf diesem Blog: Macht es die Hinterbliebenen nicht noch trauriger, wenn wir sie auf ihren Verlust ansprechen? - Impulse bei großer Unsicherheit 

Ebenfalls auf diesem Blog: Weil Trauernde nicht die Konzentration für lange Texte haben und weil es manchmal kurze Erläuterungen sein müssen 

Ebenfalls auf diesem Blog: Der Trick mit der Selbstwirksamkeit - wie wir uns selbst gut in seelischen Krisen helfen können: psychologische Tipps

Ebenfalls auf diesem Blog: Warum sich Trauernde förmlich zerrissen fühlen  - eine Einführung in das "Duale Prozessmodell der Trauer" und seine Fallstricke

Ebenfalls auf diesem Blog: Warum sich ein Suizid viel öfter verhindern ließe als wir das glauben und warum es so wichtig ist, immer wieder darüber zu reden

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