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Sonntag, 17. November 2024

Von den Irrungen und Wirrungen der deutschen Bestattungsgesetze - nur drei Kilometer von meiner Haustür entfernt, in Nordrhein-Westfalen, dürfen Urnen in Privatgärten bestattet werden, was bei mir im Garten verboten wäre - Stichwort Urnen- und Leichentourismus

Osnabrück. Das Schreiben liegt mir vor. In Kopie und anonymisiert. Aber: Ein offizielles, amtliches Dokument der Gemeinde Lotte: "Hiermit erteile ich Ihren Eltern und Ihnen die Erlaubnis, dass ihre nach einer Feuerbestattung verbliebenen sterblichen Überreste - Totenasche - auf Ihrem Grundstück beigesetzt werden dürfen", so beginnt es, sinngemäß. Es folgen ein paar Auflagen, die der Angeschriebene bitte zu erfüllen habe. Dann ist die Bestattung im eigenen Garten kein Problem mehr... Eben jene Gemeinde Lotte, in der das möglich ist, liegt drei Kilometer von meiner Haustür entfernt. Und ich, in Niedersachsen, als Bewohner der Stadt Osnabrück dürfte das, was dort erlaubt ist, hier keinesfalls. Ein bizarrer Fall von vielen. 

Bestattungsgesetze sind Landesgesetze - und von Land zu Land sehr unterschiedlich (Update September 2025: Das wohl fortschrittlichste Gesetz hat übrigens neuerdings Rheinland-Pfalz, denn dort wurden sehr weitreichende Reformen beschlossen). Wie groß die Unterschiede sein können, das zeigt sich nun wieder anhand dieses interessanten Falls, der mich über einige Umwege erreicht hat: Urnenbestattungen im eigenen Garten sind nicht nur in der Gemeinde Lotte erlaubt, sondern in ganz Nordrhein-Westfalen. 

Die Voraussetzung dafür ist, dass die zuständige Gemeinde dies vorher genehmigt - und natürlich darf ausschließlich Asche nach einer Kremierung beigesetzt werden, also keinesfalls ein Leichnam in einem Sarg (ob und inwiefern die Regeln auch für die Erde gelten, die am Ende einer Re-Erdigung überbleibt, ist aktuell offen, vermutlich nicht). Geregelt ist das in §16, Absatz 6, Satz 2 des Bestattungsgesetzes NRW. Trotzdem bizarr: 

 

Demnächst im eigenen Garten? (Foto: Pixabay.de, CC-00-Lizenz)

Selbst die Innenstadt von Osnabrück, also meines Wohnorts, ist für mich weiter weg als die Gemeinde Lotte. Anders gesagt: Mache ich gefühlte zwei Schritte nach rechts von meiner Haustür aus, bin ich im Urnen-im-Garten-Gebiet, stelle ich mich wieder vor meine Tür, bin ich im Bereich Friedhofszwang für Urnen. Was für ein Wirrwarr. Aber einer, der Wünsche weckt und vielerlei unbefriedigte Bedürfnisse sichtbar macht (siehe dazu auch meinen Kommentar zum Thema Bestattungspflicht in Deutschland). Welche Auflagen sind es nun, die in der Gemeinde Lotte für die Urnenbestattung im Garten zu erfüllen sind? 


(Foto: Pixabay.de/CC-0-Lizenz)

Erstens: Für die nächsten 25 Jahre nach der Bestattung muss für alle Personen, die das wünschen, ein freier Zugang zu der Bestattungsstätte im Zeitraum von 9 bis 18 Uhr gewährleistet sein. Zweitens sei sicherzustellen, dass die Nutzung des Grundstücks, auf dem die Bestattung erfolgte, mit der Totenwürde vereinbar sei. Das Grundstück dürfe also nicht genutzt werden als Kirmes-, Fest-, Grill-, Veranstaltungs- oder Sportplatz, heißt es in dem Schreiben weiter.

Wichtig zu wissen ist in diesem Zusammenhang, dass man sich eine Urne zwar für die Bestattung vor Ort aushändigen lassen kann, sofern dies genehmigt ist, dass diese dann aber auch bestattet werden muss. Das Aufbewahren von Urnen zuhause ist in Deutschland weiterhin strafbar (Stand: April 2024). 

In Bremen erlaubt: Asche ausstreuen

Im Bundesland Bremen ist es übrigens schon seit 2015 möglich und zulässig, dass die Urne den Angehörigen ausgehändigt wird und dass die Asche dann auch auf einem privaten Gelände verteilt werden darf. Die Voraussetzung dafür ist, dass der gestorbene Mensch zuvor in Bremen gemeldet war und diesen Wunsch noch zu Lebzeiten schriftlich festgehalten hat.

Wozu dieser Wirrwarr an Regeln und Gesetzen führen kann, zeigt das Phänomen des Urnentourismusses. Man könnte auch sagen: Leichentourismusses. Das ist weit verbreitet - viel weiter, als manche denken - und längst praktizierter Alltag. 


Dreh- und Angelpunkt: Eine Trauerhalle auf einem Friedhof (Foto: Pixabay.de/CC-0-Lizenz)

Wer seine Verstorbenen eben doch als Asche zuhause haben möchte, der findet Mittel und Wege: Man miete sich über einen Anbieter eine günstige Grabstelle in den Niederlanden, der Schweiz oder in Tschechien. Ist die Urne dann ins Ausland überführt worden, endet damit auch die Zuständigkeit der deutschen Behörden. Ob sie wirklich beigesetzt wurde oder doch zurück ins Auto verfrachtet - das zu kontrollieren, wessen Zuständigkeit ist das jetzt? 

Zumal in allen drei genannten Ländern keine Bestattungspflicht existiert. Re-Import nennt sich das Verfahren. Das ist so weit verbreitet, dass sogar Medien schon mehrfach darüber berichtet haben (zum Beispiel hier, oder hier, oder hier). 

Regel brechen und einfach Strafe zahlen

Oder andersrum: Der Leichnam wird einfach in ein Schweizer Krematorium gebracht  - oder in ein niederländisches, ein tschechisches -, schon gilt selbige Zuständigkeitsverwirrung. Die deutschen Behörden sind erstmal raus. Und was dann, wie auch immer, zurück nach Deutschland kommt, muss streng genommen immer noch hier bestattet werden und darf eben nicht zuhause aufbewahrt werden. 

Geschieht dies nicht, gilt es als Ordnungswidrigkeit. Nach Recherchen des WDR kostet diese etwa um die 1200 Euro, wie es in der Radio-Dokumentation "Was kostet der Tod" heißt (ausgestrahlt im Januar 2024, hier geht es zum Beitrag). Manche Angehörigen sind durchaus bereit, das Bußgeld gleich mit einzupreisen. Dann kostet es halt Strafgebühren. Aber, und das ist ein wichtiges Aber: Niemand kontrolliert das wirklich. Niemand. Weil es dafür gar keine wirklichen Zuständigkeiten gibt. Nur eines gilt es zu beachten: 


Schicker Bau: Das Krematorium in Tuttlingen (Foto: Pixabay.de/CC-0-Lizenz)

Laut niederländischer Rechtsprechung darf die Asche aus dem Krematorium nicht sofort mitgenommen werden, sondern erst nach 30 Tagen. Diese Regelung wurde eingeführt, damit die Angehörigen genug Bedenkzeit haben, was sie mit der Asche tun wollen, und sich nicht aus dem Affekt heraus - und dem womöglich noch immer großen Schock nach dem Todesfall - zu irgendeiner Aktion hinreißen lassen, die sie bald bereuen. 


Mini-Serie "Bestattung in der Moderne" - dieser Text ist Bestandteil einer vierteiligen Serie rund um die Themen Re-Erdigung, Friedhofspflicht, Urnentourismus und moderne Bestattungsformen. Weitere Teile folgen...

Teil 1: Warum die deutschen Bestattungsgesetze aus der Nazizeit stammen
Teil 2: Die neue Bestattungsform Re-Erdigung - alles, was man wissen muss 
Teil 3: Warum neue Bestattungsformen alle alten Gesetze in Frage stellen
Teil 4: Irrungen und Wirrungen der Bestattungsgesetze - vor meiner Haustür 

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Der Autor dieser Zeilen steht in Osnabrück und im Osnabrücker Land als Trauerbegleiter zur Verfügung. Thomas Achenbach ist zertifizierter Trauerbegleiter nach den Standards des BVT (Große Basisqualifikation). 

Thomas Achenbach ist der Autor dieser drei Bücher: 

-> "Das ABC der Trauer" (Patmos-Verlag, Herbst 2023)
-> "Mitarbeiter in Ausnahmesituationen - Trauer, Pflege, Krise" (Campus-Verlag).
-> "Männer trauern anders - was ihnen hilft und gut tut" (Patmos-Verlag)

Mehr Infos auf www.thomasachenbach.de

Lesungen, Vorträge, Workshops, Seminare, Trauergruppen und mehr: Alle aktuellen Termine mit Thomas Achenbach finden sich unter diesem Link 

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Auf dem Portal der Neuen OZ zu finden: Das ABC der Trauer - wie der Osnabrücker Trauerbegleiter trauernden Menschen Halt geben möchte

Ebenfalls auf diesem Blog: Ein neuer Raum und neue Möglichkeiten - wo ich in Osnabrück jetzt Trauerbegleitung anbieten darf (weiterhin auch als Spaziergang)  

Ebenfalls auf diesem Blog: Trauer und Schuldgefühle gehören zusammen - warum sich so viele Menschen nach einem Verlust für selbst schuldig halten 

Ebenfalls auf diesem Blog: Die Kunden müssen die Bestatter bewegen - Plädoyer für eine moderne Bestattungskultur, Beispiele für zeitgemäße Rituale 

Ebenfalls auf diesem Blog: Macht es die Hinterbliebenen nicht noch trauriger, wenn wir sie auf ihren Verlust ansprechen? - Impulse bei großer Unsicherheit 

Ebenfalls auf diesem Blog: Weil Trauernde nicht die Konzentration für lange Texte haben und weil es manchmal kurze Erläuterungen sein müssen 

Ebenfalls auf diesem Blog: Der Trick mit der Selbstwirksamkeit - wie wir uns selbst gut in seelischen Krisen helfen können: psychologische Tipps

Ebenfalls auf diesem Blog: Warum sich Trauernde förmlich zerrissen fühlen  - eine Einführung in das "Duale Prozessmodell der Trauer" und seine Fallstricke

Ebenfalls auf diesem Blog: Warum sich ein Suizid viel öfter verhindern ließe als wir das glauben und warum es so wichtig ist, immer wieder darüber zu reden

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Samstag, 24. August 2024

Kommentar/Meinung: Die "Re-Erdigung" stellt die Frage nach der Bestattungspflicht mit neuer Dringlichkeit - und gerade deshalb werden Bestatter immer wichtiger in ihrer Funktion als Lotsen - ein ganz persönlicher Kommentar zur Frage: Die Bestattungspflicht abschaffen?

Da gibt es die Frau, die nur ein klitzeklein wenig von der Asche ihres gestorbenen Mannes haben wollte und sich wie eine Verbrecherin fühlte, weil ein Aufpasser des Friedhofsbetriebs die Urne bewachte. Wie ein Türsteher. Dabei wollte sie nur ein kleines bisschen davon an jenem Baum im Garten verstreuen, den der Mann so gemocht hatte. Da gibt es den Mann, der sich und seiner Frau die Grabstätten schon selbst gebaut hat, weil sie sich wohler fühlen, wenn sie wissen, dass sie dort bestattet sein dürfen. Doch beide dürfen das, was sie vorhaben, nach geltendem Recht nicht tun - weil sich die deutschen Bestattungsgesetze auf Texte beziehen, die seit 1934 größtenteils unreformiert geblieben sind. Gesetze aus der Nazizeit, die Menschen dazu zwingen, Verbrecher zu werden, wenn sie ihre Trauer leben oder ihr (Ab-)Leben gestalten möchten. Höchste Zeit, das zu überdenken. 

Es ist eine schöne Grabstätte geworden. Mitten in einem Wald gelegen, den der  Mann selbst bewirtschaftet, an einem Steinkreis, den er dort selbst errichtet und zu einer Sonnenuhr ausgebaut hat. Die Grabplatten sind bereits beschriftet - seine und die seine Frau -, nur das Todesdatum fehlt. Neben den Grabplatten ist eine Gedenkstätte für die Vorfahren errichtet. Der Blick geht in die Weite, rundherum sind Felder und Wälder. Ein friedlicher Ort. Aber einer, der so nicht sein darf. 


Rasen. Platte. Klassische Friedhofskultur. Aber muss das immer so? (Foto: Pexels.com/CC-0-Lizenz)


Private Friedhöfe sind verboten, in jenem Landkreis, wo der Mann wohnt. Eine entsprechende Nutzungserlaubnis für eine kleine Fläche wie diese zu bekommen ist fast unmöglich. Ein Amt reicht weiter an das nächste Amt, ein Ansprechpartner jagt den nächsten. Man werde zurückrufen, man tut es nicht. Dabei will der Mann nur alles richtig machen und eben nicht zu einem von denen werden, die einfach machen, ohne sich um geltendes Gesetz zu scheren. Inzwischen ist seine Strategie: Herausfinden, wie hoch die Strafgebühr für diese Ordnungswidrigkeit wäre, und die Bezahlung einfach in Kauf nehmen.

Gezwungen, zu Verbrechern zu werden

Ich kenne diese beiden erwähnten Menschen - und einige andere, denen es so geht wie ihnen - und halte sie für intelligente, aufgeklärte, rechtschaffende Zeitgenossen. Und doch sind sie quasi dazu gezwungen, zu Verbrechern zu werden. Es gibt viele wie sie. Ganz oft denke ich bei meinen Begleitungen: Das ist nicht gut, wie es derzeit ist. Mit dem Friedhofszwang. Und der Bestattungspflicht. Das tut nicht allen gut. Und das ganze Durcheinander, die vielen Schlupflöcher, das erst recht nicht.


Mehr als Fotos - Menschen wollen Urnen zuhause haben (Foto: Pexels.com/Pavel-Danil)


Sich einen privaten Friedhof anzulegen - ganz so ungewöhnlich ist das gar nicht. Bessergestellte und Adelsgeschlechter haben das durchaus getan. Früher.  

Davon zeugt beispielsweise ein privater Mini-Friedhof, der sich als Relikt aus der Vergangenheit in einem kleinen Waldstück zwischen den Osnabrücker Stadtteilen Wüste und Sutthausen befindet, direkt neben der Autobahn A30 und nicht unweit von der Bahnstrecke ins Ruhrgebiet entfernt. Ich hatte mich auf einem Spaziergang, den offiziellen Weg suchend, einmal dorthin verirrt. Ich hätte gerne ein paar Fotos von diesem Privatfriedhof hier gezeigt. Allerdings ist auch ein halbwegs öffentliches Waldgebiet rein rechtlich gesehen immer noch ein Privatgebiet - also darf ich dort nicht ohne Weiteres fotografieren. 

In NRW erlaubt: Die Urne im Garten

Private Friedhöfe im eigenen Garten - in Nordrhein-Westfalen ist so etwas übrigens, unter gewissen Auflagen, durchaus möglich, wenn zuständige Ämter einem solchen Antrag vorab zugestimmt haben. Dazu mehr im nächsten Blogartikel aus dieser Serie. Aber warum nur dort? Sollte man so etwas nicht überall dürfen? Oder würde es für den Anfang reichen, wenn wir überall dem Beispiel Bremens folgten und Urne samt Asche "freigeben"? 


Mitten im Leben - dürfen die Toten bei uns sein (Foto: Pexels.com/Maria Bortolotto) 

Von einer Sache bin ich zutiefst überzeugt: Selbst wenn wir in Deutschland die Bestattungspflicht abschaffen, werden wir nichts so dringlich brauchen wie Bestatter. Gute Bestatter, die als Lotsen fungieren und den Menschen das geben können, was ihnen gut tut. Bestatter, die umfassende Kenntnis über die Vielfalt aller Möglichkeiten haben und gemeinsam mit dem Klienten auskundschaften, welches Angebot das Passende wäre. Von einer zweiten Sache bin ich genauso tief überzeugt: Einen Ort zum Trauern braucht jeder Hinterbliebene, einen, wo wir unsere Toten verorten können. Ohne den geht es nicht. Aber ob das unbedingt der Friedhof sein muss - womöglich ein ganz weit entfernter? 

Der Game Changer heißt Re-Erdigung

Und daher, das ist meine dritte feste Überzeugung, wie ich sie auch dem epd sagteDie Bestattungspfllicht in Deutschland ist hinfällig geworden. Spätestens, wenn sich die Re-Erdigung überall durchgesetzt haben sollte - und die Anforderung nach einer Re-Erdigung lautet, man möge bitte Erde in Erde bestatten. Die eine Erde auf die andere Erde, aber teuer bezahlt, weil offizielle Bestattung.  

Denn was da derzeit in Schleswig-Holstein ausprobiert wird - die Re-Erdigung, das Kompostieren von Leichen -, hat das Zeug dazu, die deutsche Bestattungskultur nachhaltig zu verändern. Es hat das Zeug dazu, ein Game Changer zu werden. Einerseits. Und andererseits lohnt der Blick nach Amerika: Dort ist das Verfahren zum Teil bereits anerkannt, scheint sich aber nicht zum neuen Standard entwickelt zu haben (alle Hintergründe zum Thema gibt es in meinem Blogbeitrag dazu).


(Foto: Pixabay.de/CC-0-Lizenz)


Klar, Friedhöfe sind wunderschön. Die meisten, die ich kenne, jedenfalls. Ich möchte sie nicht missen, ich gehe gerne dorthin. Ich zumindest brauche sie, fürs Seelenheil. 

Und dennoch leuchtet heutzutage nicht mehr allen Menschen ein, warum sie eine Urne voller Asche überhaupt auf einem Friedhof bestatten müssen. Und mal ehrlich: So richtig überzeugende Argumente für einen derart verordneten Zwang gibt es ja auch nicht wirklich (siehe dazu meinen Blogartikel "Warum die deutschen Bestattungsgesetze noch immer aus der Nazizeit stammen")

Regeln müssen nachvollziehbar sein

Und überhaupt: Je erzwungener etwas ist, desto größer der Trotz. Ist schon bei kleinen Kindern so. Oder in der Arbeitswelt, wenn Teams gemeinsam etwas entwickeln sollen. Das habe ich zu meinen Zeiten als Führungskraft oft genug erlebt (es war ein Mitgrund dafür, warum ich vor über einem Jahrzehnt meine Position als Führungskraft gerne aufgegeben habe). 

Die Asche des Verstorbenen haben zu dürfen, das wünschen sich viele. 

Es muss ja gar nicht die ganze Asche sein. Aber zumindest ein kleines bisschen davon an sich nehmen zu können, das wünschen sich doch viele. Ein letzter Rest dessen, was von den Verstorbenen übriggeblieben ist. Ob sie diesen nun in einer kleinen Dose am Hals tragen oder als Diamant gepresst bei sich aufbewahren: Das Gefühl, den verstorbenen Menschen irgendwie bei sich zu haben, so nah am Körper (und am Herzen) wie irgend möglich, das ist Menschen heute wichtig. Das ist gelebte moderne Trauerkultur. Das tut gut. Das sollte möglich sein. 


Deutschlands wohl eindrucksvollstes Krematorium steht in Leipzig (Foto: Pexels.com/Timo Volz)

Und nun gibt es also eine Bestattungsform, bei der wir am Ende einen Sack Erde erhalten anstelle einer Urne voller Staub. Erde, die dann wieder unter die Erde muss. Weil die Behörden das verlangen. Bizarrer geht's kaum. Und wer bitte soll kontrollieren, dass die tatsächlich unter der Erde verbuddelte Erde wirklich die leichnamskompostierte ist - und nicht die aus dem Baumarkt?

Du kriegst Erde - die musst du bestatten

Noch ist die Re-Erdigung ein Verfahren, das sich in der Testphase befindet, dazu nur in einem Bundesland. Noch sind wir sehr weit davon entfernt, von einer etablierten dritten Bestattungsart sprechen zu dürfen. Aber dieser Tag wird kommen. Alleine schon, weil die Re-Erdigung mit den Stichworten nachhaltig, ökologisch und umweltfreundlich punkten kann. Und weil sie kein Gas verbraucht.  

Gesetzestexte dürfen niemals leichtfertig verändert werden. Das zu tun, ist in Europa und der ganzen Welt neuerdings zu einem unguten Trend geworden, zumal, was die Grundgesetze angeht: Zum Beispiel in Ungarn oder im Polen noch vor wenigen Monaten/Jahren, überall dort, wo die Radikalen mitregieren, wird allzu schnell die Axt an die Grundregeln der Gesellschaft gelegt. Wohin das führen kann, zeigt das Beispiel Polen: Wieder in demokratischere Fahrwasser geraten, bleibt die juristische Zerreißprobe eine große, weil man die Grundgesetze bereits angepackt hat. So darf es nicht gehen.


Liebevoll gestalteter Erinnerungsplatz - mit Urne (Foto: Pexels.com/Cottpnbro)


Aber Gesetze, die de facto längst ausgehebelt sind, wo sich sogar eine Art der Umgehungsindustrie gebildet hat; die, wenn nicht offiziell geduldet, zumindest leichtfertig so hingenommen wird, gehören auf den Prüfstand. Zumal, wenn sie fast 100 Jahre alt sind - nämlich von 1934. So auch die Bestattungspflicht. 

Klar, die Sorge ist groß: Wenn es sie nicht mehr gibt, wer braucht dann noch Bestatter? Aber blicken wir einmal nach Bremen: Dort gibt es immer noch Bestatter. Viele, sogar. Obwohl der Friedhofszwang dort seit 2015 quasi aufgehoben ist, obwohl Menschen ihre Urnen mit nach Hause nehmen können. Und die Bestatter dort verkaufen weiterhin Särge für Erdbestattungen, sie organisieren Trauerfeiern und Einäscherungen. Sogar Re-Erdigungen haben sie schon durchgeführt - und überhaupt haben sie gut zu tun.

Familienzwist: Wer erbt die Urne?

Klar, auch diese Sorge ist berechtigt: Wenn der Tote keinen festen Platz mehr hat, wird das dann nicht zu viel mehr Streit um die Urne führen? Vor allem, wenn diese nach dem weiteren Tod der Hinterbliebenen zu den Hinterlassenschaften gehört? Dazu muss man ganz klar sagen: Ja, das wird wohl so sein. Und das ist nicht schön. Andererseits, so wie es sich heute oft fügt, ist es ja auch nicht schön: Da gibt es meistens eine Grabstätte, irgendwo, auf einem Friedhof, der meist am Heimatort der gestorbenen Menschen liegt - aber es ist keinesfalls garantiert, dass die Angehörigen dort ebenfalls leben. Womöglich leben sie sehr weit entfernt. Und so besucht keiner diesen Friedhof, außer vielleicht ein zur Pflege bestellter Gärtner. Der - jährliche?, wenn überhaupt - Pflichtbesuch ist eher lästig. Auch nicht wirklich optimal.  


Einmal im Jahr zum Friedhof. Muss ja. (Foto: Pixabay.de/CC-0-Lizenz) 


Alles ist im Wandel, nur die Bestattungspflicht nicht. Das sollte sich ändern. Und es wird allen gut tun. Denn je größer die Auswahlmöglichkeiten werden, was Bestattungen angeht, desto kompetentere Lotsen braucht es, die einem dabei helfen, sich zurechtzufinden. Seine eigene Trauer leben zu können. 

Wer sollte das nicht sein, wenn nicht eine Bestattungsfachkraft unserer Wahl?


Mini-Serie "Bestattung in der Moderne" - dieser Text ist Bestandteil einer vierteiligen Serie rund um die Themen Re-Erdigung, Friedhofspflicht, Urnentourismus und moderne Bestattungsformen. Weitere Teile folgen...

Teil 1: Warum die deutschen Bestattungsgesetze aus der Nazizeit stammen
Teil 2: Die neue Bestattungsform Re-Erdigung - alles, was man wissen muss 
Teil 3: Warum neue Bestattungsformen alle alten Gesetze in Frage stellen
Teil 4: Irrungen und Wirrungen der Bestattungsgesetze - vor meiner Haustür 

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Der Autor dieser Zeilen steht in Osnabrück und im Osnabrücker Land als Trauerbegleiter zur Verfügung. Thomas Achenbach ist zertifizierter Trauerbegleiter nach den Standards des BVT (Große Basisqualifikation). 

Thomas Achenbach ist der Autor dieser drei Bücher: 

-> "Das ABC der Trauer" (Patmos-Verlag, Herbst 2023)
-> "Mitarbeiter in Ausnahmesituationen - Trauer, Pflege, Krise" (Campus-Verlag).
-> "Männer trauern anders - was ihnen hilft und gut tut" (Patmos-Verlag)

Mehr Infos auf www.thomasachenbach.de

Lesungen, Vorträge, Workshops, Seminare, Trauergruppen und mehr: Alle aktuellen Termine mit Thomas Achenbach finden sich unter diesem Link 

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Auf dem Portal der Neuen OZ zu finden: Das ABC der Trauer - wie der Osnabrücker Trauerbegleiter trauernden Menschen Halt geben möchte

Ebenfalls auf diesem Blog: Ein neuer Raum und neue Möglichkeiten - wo ich in Osnabrück jetzt Trauerbegleitung anbieten darf (weiterhin auch als Spaziergang)  

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Ebenfalls auf diesem Blog: Die Kunden müssen die Bestatter bewegen - Plädoyer für eine moderne Bestattungskultur, Beispiele für zeitgemäße Rituale 

Ebenfalls auf diesem Blog: Macht es die Hinterbliebenen nicht noch trauriger, wenn wir sie auf ihren Verlust ansprechen? - Impulse bei großer Unsicherheit 

Ebenfalls auf diesem Blog: Weil Trauernde nicht die Konzentration für lange Texte haben und weil es manchmal kurze Erläuterungen sein müssen 

Ebenfalls auf diesem Blog: Der Trick mit der Selbstwirksamkeit - wie wir uns selbst gut in seelischen Krisen helfen können: psychologische Tipps

Ebenfalls auf diesem Blog: Warum sich Trauernde förmlich zerrissen fühlen  - eine Einführung in das "Duale Prozessmodell der Trauer" und seine Fallstricke

Ebenfalls auf diesem Blog: Warum sich ein Suizid viel öfter verhindern ließe als wir das glauben und warum es so wichtig ist, immer wieder darüber zu reden

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Samstag, 18. Mai 2024

Warum die neue Bestattungsform der "Re-Erdigung" eine so große gesellschaftliche Sprengkraft hat: Die Toten zu "kompostieren" und ihre Erde zu erhalten, ist jetzt möglich - die "Re-Erdigung", alles, was man darüber wissen muss, alle Hintergründe und Details - wie funktioniert das?

Es gibt eine neue Bestattungsform, die von sich reden macht. Noch ist sie nicht überall zugelassen, noch ist sie teilweise umstritten. Und das zu Recht, denn sie hat eine nicht zu unterschätzende Wirkmacht: Sie könnte das deutsche Bestattungswesen grundlegend verändern (dazu folgt noch  ein Kommentar auf diesem Blog). Die Rede ist von der so genannten Re-Erdigung. Dabei handelt es sich, grob vereinfacht, um die Kompostierung eines toten Körpers. Nach dem Motto: Staub zu Staub. Und weil dabei jede Menge Gas gespart wird, jedenfalls im Vergleich zur Verbrennung des Körpers für die Urnenbestattung, ist die Methode umweltfreundlich und nachhaltig. Aber warum entzündet sich soviel Kritik an ihr? 

Bevor wir diese Frage beantworten können, müssen wir zuerst einmal einen Blick auf die Fakten werfen, soweit sie bislang bekannt sind (Stand: Frühjahr 2024). 

Wie funktioniert das Ganze überhaupt? Bei einer Re-Erdigung wird der Körper eines Verstorbenen innerhalb eines Zeitraums von 40 Tagen zersetzt. Der Leichnam wird dabei in einen so genannten Kokon gelegt, ein Behältnis aus Edelstahl, das mit Stroh, Heu, Blumen und Aktivkohle gefüllt sein soll, wie die Firma "Meine Erde" berichtet. Chemische Zusätze braucht es ihren Angaben zufolge nicht, wohl aber eine spezielle Mischung aus Kräutern. Wie diese Mischung genau zusammengesetzt ist, gilt als Betriebsgeheimnis, wie ein Sprecher von "Meine Erde" einmal einem Reporter des Radioprogramms NDR Info sagte. Sie ist übrigens bislang das einzige Unternehmen, das diesen Prozess in Deutschland anbietet. Schließlich wird der Edelstahlkokon verschlossen, luftdicht, und wird in eine so genannte Wabe gestellt: dabei handelt es sich um einen Holzschrank, in dem verschiedene Anschlüsse sind, mit denen die Temperatur und der Sauerstoffgehalt im Inneren gemessen werden. Außerdem muss der Kokon gedreht werden, dazu später mehr.

Wird der ganze Körper zersetzt? Nein, das funktioniert nicht. Die Knochen und die Zähne jedenfalls zerfallen nicht so ohne Weiteres. Deswegen werden sie nach einer gewissen Zeit aus dem Kokon entnommen und in einer Knochenmühle zermahlen. Das klingt zwar relativ brutal, ist aber heute schon täglicher Standard - denn was den Wenigsten klar ist: Auch bei jedem Verbrennen eines Körpers für die Urnenbestattung kommt die Knochenmühle zum Einsatz. Die Knochen werden nach der Verbrennung entnommen, gemahlen und der so entstehene Staub wird der Urne beigefügt. Ohne die Knochenmühle gehen beide Verfahren nicht.


(Alle Fotos: Firma Meine Erde, Berlin)
 

Klappt das auch wirklich - und ist es unbedenklich? Ja, sagt zumindest die Universität Leipzig. Denn die hat im Auftrag von "Meine Erde" die Proben von zwei re-erdigten Verstorbenen untersucht und die Ergebnisse im Fachmagazin "Rechtsmedizin" veröffentlicht, wie das Unternehmen im Januar 2024 in einer Mitteilung schrieb. Es seien für die Untersuchung der zwei re-erdigten Körper jeweils "Knochen-, Erd- und Haarproben entnommen" und untersucht worden. Und zwar "mit molekularbiologischen, toxikologischen, morphologisch-osteologischen und bodenkundlichen Methoden". Den Ergebnissen dieser Studie zufolge sei die gelieferte Erde "hygienisch unbedenklich". Allerdings: Es wurden eben nur zwei Körper untersucht. Repräsentativ ist das nicht, das weiß auch "Meine Erde". Geplant seien daher weitere Studien, heißt es im Januar 2024 von der Firma. 

Was bekomme ich am Ende des Prozesses? Einfach gesagt: Erde. Wie genau diese beschaffen ist, darüber gibt es unterschiedliche Angaben. Der Bremer Bestatter Heiner Ahrens vom "trauerraum" spricht im Interview mit Radio Bremens Sendung "Buten und Binnen" von einer leicht warmen und weichen Erde, wohingegen der Bestattermeister Christoph Barck aus Mölln einen "deutlichen Verwesungsgeruch" wahrgenommen haben will, wie er im September 2023 dem "Spiegel" sagte. Die Firma "Meine Erde" hingegen wirbt mit dem Versprechen, es seien noch Düfte von Heu und Blumen erkennbar - nicht alleine während des Vorgangs des Kompostierens.


(Foto: Meine Erde)

Muss die Erde nachher wieder beerdigt werden? Auf jeden Fall, denn in Deutschland gilt seit 1934 grundsätzlich Friedhofszwang. Das ist überall so, auch wenn die Bestattungsgesetze jeweils Ländersache sind und von Land zu Land recht unterschiedlich ausfallen können. Einzige Ausnahme, ebenfalls bereits 1934 geregelt, ist die Seebestattung. Ansonsten gilt Friedhofszwang (siehe dazu auch meinen Artikel "Warum die deutschen Bestattungsgesetze noch auf die Nazizeit zurückgehen", hier auf diesem Bloghier auf diesem Blog). Doch daran entzündet sich zunehmend Kritik, gerade bei den Urnenbestattungen (ich selbst habe mich im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst auch bereits dazu geäußert). Als einziges Bundesland hat Bremen im Jahre 2015 die Regeln für die Feuerbestattung gelockert: Dort darf die Asche auch privat bestattet oder verstreut werden. Im Kontext einer Re-Erdigung stellen sich viele Fragen, die alle noch gänzlich ungeklärt sind: Warum muss eine Erde auf einem Friedhof neu beerdigt werden? Ist das sinnvoll? Wie kann dieser Prozess gestaltet werden? Wie wird die Erde transportiert? Womöglich - in einer Schubkarre? 

Wo darf ich die Verstorbenen re-erdigen lassen? Bislang geht das nur in Schleswig-Holstein. Denn das Bundesland hat sich darauf eingelassen, zusammen mit dem Berliner Unternehmen "Meine Erde" seit Februar 2022 ein Pilotprojekt durchzuführen, dessen Verlängerung im Januar 2024 vom Kieler Landtag beschlossen wurde. Die Politiker hatten ihrer Gesetzesänderung eine so genannte "Experimentierklausel" hinzugefügtAn zwei Standorten, nämlich in den Kapellen des Kieler Parkfriedhofs und des Friedhofs in Mölln hat das Unternehmen jeweils ein so genanntes "Alvarium" errichten lassen.

Was ist das - ein Alvarium? Das ist letztlich nur ein Begriff für den Raum, in dem der Edelstahl-Kokon aufgestellt wird. Die wörtliche Übersetzung ist "Bienenstock". Hier werden die einzelnen Kokons als "Wabe" hineingestellt. Das passt zur Sprachwelt des Unternehmens "Meine Erde". Man habe in Zusammenarbeit mit Geistlichen Begriffe erfunden, die zu der Grundidee der Re-Erdigung passen sollen, heißt es: Naturnah, lebendig, nachhaltig, das sind die Stichworte, denen die Meine-Erde-Sprachwelt gerecht werden möchte. Die katholische Kirche hat es vorgemacht: Sie bietet hier und dort ein Kolumbarium an für Urnenbestattungen. Übersetzt: Einen Taubenschlag.


Ein Kokon vor einer Wabe - aufgenommen im Alvarium in Kiel (Foto: Meine Erde).


Kann ich das Angebot auch aus anderen Bundesländern in Anspruch nehmen? Teilweise ja. Solange erstens ein Bestatter bereit ist, den Leichnam nach Schleswig-Holstein zu fahren und die kompostierte Erde abzuholen. Und solange es zweitens auf dem Friedhof der Wahl zugelassen ist, diese Erde zu bestatten - das ist nämlich auch nicht überall der Fall. In Bremen ist das bereits geschehen, sogar zweimal, wie der Weser Kurier berichtete. Unter anderem hat Heiner Ahrens von der Firma "trauerraum", für die ich auch schon einmal einen Vortrag halten durfte, eine gestorbene Bremerin re-erdigen lassen, wie oben bereits erwähnt 

Werden sich andere Bundesländer anschließen? Das ist derzeit noch völlig unklar. Hier und dort wird die Frage der Zulassung zumindest diskutiert, unter anderem in Bremen. Doch es gibt auch noch viel Skepsis. In Sachsen-Anhalt zeigt sich die Politik bislang aufgeschlossen und neugierig, in Bayern wird das Angebot derzeit komplett abgelehnt (Stand: Januar 2024).

Was sagen die Kirchen zu dem neuen Angebot? Die zeigen sich angetan und haben keine Bedenken. "Asche zu Asche, Staub zu Staub", heißt es nun einmal bei jeder kirchlichen Trauerfeier. Und das ist ja genau das, was die Re-Erdigung ebenfalls anbieten will. 


(Foto: Meine Erde)

Was sagen die Bestatter zu dem neuen Angebot? Manche lehnen das Verfahren rundweg ab, manche zeigen sich skeptisch, manche sind offen dafür. Nur sehr wenige, wie Heiner Schomburg und Heiner Ahrens vom trauerraum, haben schon praktische Erfahrungen damit. Finanziell gesehen könnte das Angebot jedoch auch für Bestatter interessant sein, wie deren Berliner Innung in einem Artikel des RBBs zugesteht. Darin wird der Obermeister Fabian Lenzen mit diesem Satz zitiert: "Der Anbieter der 'Reerdigung' stellt den Bestattern ja großzügige Provisionen für das neue Verfahren in Aussicht. Ich kann aus Bestattersicht keinen finanziellen Nachteil sehen, der uns entsteht", sagte Fabian dem RBB. Als "Humankompostierung" bezeichnet indes der Bundesverband der Bestatter das Verfahren, betont aber zugleich, dass er nicht prinzipiell gegen die Einführung sei.  

Wo kommt die Re-Erdigung überhaupt her? Unter dem Namen „Recompose“ wurde das Verfahren bereits in den USA getestet: Im Jahre 2014 hat die Western Carolina University sechs Körper erfolgreich „kompostiert“. Die Gestorbenen hatten zuvor dieser Spende ihres Körpers an die Wissenschaft zugestimmt, wie der MDR im Januar 2023 berichtete. Im Dezember 2020 sei mit dem Greenhouse in Kent/Washington die erste öffentliche Anlage in Betrieb gegangen, berichtet der MDR weiter. Zehn Verstorbene innerhalb eines Jahres würden dort kompostiert werden. Der Grundpreis für eine Bestattung dieser Art läge bei rund 5500 US-Dollar, heißt es in dem Artikel, und die Akzeptanz und das Interesse seien offenbar hoch – womöglich deutlich höher als in Europa.

Warum hat das Thema eine so große gesellschaftliche Sprengkraft? Da geht es um den Friedhofszwang. Wie oben bereits erwähnt, gibt es zunehmend Unmut darüber, dass sogar Urnen und die Asche der Verstorbenen unbedingt auf einem Friedhof beerdigt werden müssen - und es gibt längst Mittel und Wege, diesen Friedhofszwang zu umgehen, die auch gerne in Anspruch genommen werden (Stichwort Bestattungstourismus - mehr dazu in meinem Kommentar zum Thema). Wenn nun also eine dritte Bestattungsform hinzukommt, bei der am Ende Erde übrigbleibt, und diese Erde wiederum in Erde auf dem Friedhof eingegraben werden muss, weil das Gesetz das vorschreibt, wird es umso schwerer, das noch als sinnvoll und als nötig zu kommunizieren. 

Ist das der einzige Kritikpunkt an der Re-Erdigung? Nein, es gibt noch eine weitere Diskussion. Dabei geht es um die Frage nach der "Störung der Totenruhe". Der Dreh- und Angelpunkt hierbei (Achtung, Wortspiel) ist der Umgang mit dem Edelstahlbehälter, dem so genannten Kokon. Denn der muss, luftdicht verschlossen, während der 40 Tage andauernden Kompostierung mehrmals sanft gedreht werden, damit die Zersetzung wirklich funktioniert, so heißt es in mehreren Artikeln. Wie genau, das ist nun Gegenstand der Diskussionen: Wird der Kokon womöglich regelrecht auf den Kopf gestellt oder nur in eine leichte Schräglage versetzt? Das ist deswegen so wichtig, weil es die juristisch recht heikle Frage nach der Störung der Totenruhe berührt, denn die ist laut Paragraf 168 des Strafgesetzbuches verboten. Das wiederkehrende Drehen des Kokons könnte eine allerdings eine solche Störung darstellen, haben zwei Rechtsmediziner in einem Aufsatz geschriebenErschienen ist dieser im „Archiv für Kriminologie“, einer kriminalistischen Fachzeitschrift, die Autoren sind Prof. Benjamin Ondruschka, Direktor des Instituts für Rechtsmedizin am Hamburger Universitätsklinikum Eppendorf (UKE), und sein Vorgänger Prof. Klaus Püschel. Dieser Einschätzung widerspricht das Unternehmen "Meine Erde": Der Leichnam selbst werde nicht bewegt, nur die gesamte Truhe werde alle paar Tage langsam um ihre eigene Achse gedreht, sagte der Re-Erdigungs-Hintermann Pablo Metz dem Deutschlandfunk in einem InterviewMetz ist neben Max Huesch einer der beiden Geschäftsführer von „Meine Erde“. 

Wer hat sich noch zu dem Thema geäußert? Prominente Unterstützung bekommt die Re-Erdigung vom sehr bekannten Kriminalbiologen Mark Benecke, der sich im Deutschlandfunk so äußerte„Leichen zersetzen sich eigentlich unter natürlichen Bedingungen schnell, das heißt, wenn es gut für Bakterien und Insekten ist, also feucht und warm. Die mögen es nämlich nicht, wenn es kalt und trocken ist." Letztlich werde aus dem gestorbenen Menschen wieder neues Leben, eben in der Erde. Das verspricht das Unternehmens auch auf seiner Homepage, dort heißt es: „Wir geben Ihren Körper an die Natur zurück. Der natürliche Kreislauf schließt sich. So wird der Tod zum Anfang von etwas Neuem.".

Mini-Serie "Bestattung in der Moderne" - dieser Text ist Bestandteil einer vierteiligen Serie rund um die Themen Re-Erdigung, Friedhofspflicht, Urnentourismus und moderne Bestattungsformen. Weitere Teile folgen...

Teil 1: Warum die deutschen Bestattungsgesetze aus der Nazizeit stammen
Teil 2: Die neue Bestattungsform Re-Erdigung - alles, was man wissen muss 
Teil 3: Warum neue Bestattungsformen alle alten Gesetze in Frage stellen
Teil 4: Irrungen und Wirrungen der Bestattungsgesetze - vor meiner Haustür 

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Der Autor dieser Zeilen steht in Osnabrück und im Osnabrücker Land als Trauerbegleiter zur Verfügung. Thomas Achenbach ist zertifizierter Trauerbegleiter nach den Standards des BVT (Große Basisqualifikation). 

Thomas Achenbach ist der Autor dieser drei Bücher: 

-> "Das ABC der Trauer" (Patmos-Verlag, Herbst 2023)
-> "Mitarbeiter in Ausnahmesituationen - Trauer, Pflege, Krise" (Campus-Verlag).
-> "Männer trauern anders - was ihnen hilft und gut tut" (Patmos-Verlag)

Mehr Infos auf www.thomasachenbach.de

Lesungen, Vorträge, Workshops, Seminare, Trauergruppen und mehr: Alle aktuellen Termine mit Thomas Achenbach finden sich unter diesem Link 

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Auf dem Portal der Neuen OZ zu finden: Das ABC der Trauer - wie der Osnabrücker Trauerbegleiter trauernden Menschen Halt geben möchte

Ebenfalls auf diesem Blog: Ein neuer Raum und neue Möglichkeiten - wo ich in Osnabrück jetzt Trauerbegleitung anbieten darf (weiterhin auch als Spaziergang)  

Ebenfalls auf diesem Blog: Trauer und Schuldgefühle gehören zusammen - warum sich so viele Menschen nach einem Verlust für selbst schuldig halten 

Ebenfalls auf diesem Blog: Die Kunden müssen die Bestatter bewegen - Plädoyer für eine moderne Bestattungskultur, Beispiele für zeitgemäße Rituale 

Ebenfalls auf diesem Blog: Macht es die Hinterbliebenen nicht noch trauriger, wenn wir sie auf ihren Verlust ansprechen? - Impulse bei großer Unsicherheit 

Ebenfalls auf diesem Blog: Weil Trauernde nicht die Konzentration für lange Texte haben und weil es manchmal kurze Erläuterungen sein müssen 

Ebenfalls auf diesem Blog: Der Trick mit der Selbstwirksamkeit - wie wir uns selbst gut in seelischen Krisen helfen können: psychologische Tipps

Ebenfalls auf diesem Blog: Warum sich Trauernde förmlich zerrissen fühlen  - eine Einführung in das "Duale Prozessmodell der Trauer" und seine Fallstricke

Ebenfalls auf diesem Blog: Warum sich ein Suizid viel öfter verhindern ließe als wir das glauben und warum es so wichtig ist, immer wieder darüber zu reden

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Dienstag, 30. April 2024

Warum die deutschen Bestattungsgesetze noch immer auf Regeln aus der Nazizeit zurückgehen - wie die Nationalsozialisten 1934 die Urne und die Verbrennung förderten und den heutigen Trend vorbereiteten

Osnabrück. Es waren die Nationalsozialisten, die der Urne in Deutschland zu neuem Ruhm verhalfen. In dem am 15. Mai 1934 eingeführten Deutschen Feuerbestattungsgesetz setzten sie die Urne dem Sarg als gleichwertig gegenüber. Diese Rechtsprechung gilt so bis heute und ist in weiten Teilen Deutschlands weitestgehend unverändert geblieben. Allzu beliebt war die Feuerbestattung anfangs zwar nicht, aber das änderte sich im Laufe der Jahre. Heute ist sie ein Trend - aber einer mit einer langen Tradition.

Es war Karl der Große, der dem Einäschern von Leichen zuerst einen Riegel vorgeschoben hatte. Aus christlicher Überzeugung: nur intakte Körper können wieder auferstehen. Das war irgendwann um das Jahr 750 herum und galt viele Jahrhunderte als Standard. Bis die Friedhöfe überquollen und sich die Seuchen breitmachten, da brauchte es neue Lösungen. Einige Jahre später kamen private Verbrennungsvereine und bauten die ersten Krematorien. Da war klar: Hier muss was geregelt werden.


(Fotos: Thomas Achenbach)

Das taten die Nazis dann auch. Was sie 1934 einführten, gilt bis heute. Und zwar: Größtenteils unverändert. Und manches, was die Nazis damals einführten, ist heute noch wirklich wichtig: So beispielsweise die im Gesetz verankerte Pflicht zur zweiten Leichenschau im Falle einer Kremation, die den Missbrauch unmöglich machen soll. Bevor ein Leichnam ins Feuer geht, müssen mehrere Fachleute bestätigen, dass er auch wirklich tot ist. Das ist sinnvoll, denn wenn ein Körper einmal verbrannt worden ist, taugt er auch nicht mehr als Beweismittel (falls es sich doch um einen unnatürlichen Tod gehandelt haben sollte). 

Doch was die Nazis damals ebenfalls einführten: Den Friedhofszwang. Bereits durch die Preußen etabliert, galt der nun für ganz Deutschland. Und gilt bis heute, landauf, landab. Mögen die Bestattungsgesetze auch Landessachen sein - es gibt kein Bundes-Bestattungsgesetz, nur Flickwerk von Bundesland zu Bundesland -, mag sich auch das Land Bremen mittlerweile eine kleine Ausnahme ausgehandelt haben, was den Friedhofszwang angeht, ist er auch für Urnen immer noch Standard. Nur die Seebestattung als große Ausnahme wird ebenfalls bereits in den Gesetzestexten des Jahres 1934 geregelt und aufgeführt. 

Warum gibt es einen Friedhofszwang für verwesende Leichen - warum hielt man das für sinnvoll? Nun, man hatte vor allem Angst vor Seuchen. Man wollte die Körper an einer Stelle verwesen lassen, die man für geeignet hielt. Man wollte die Kontrolle darüber haben, an welcher Stelle diese sich auflösenden Körper all das wieder in die Erde und ins Grundwasser geben, was sie so in sich gespeichert haben. Medikamentenreste, zum Beispiel, oder Chemikalien, ob nun körpereigene oder fremde. Einsehbar. Aber: Warum gibt es einen Friedhofszwang für Urnen? In denen ja nichts anderes ist als die Asche eines verbrannten Körpers (plus die in der Knochenmühle zu Staub zermahlenen Knochen, die später beigefügt werden)?



Nun, wegen des so genannten "Gleichheitsprinzips". Das bedeutet, überspitzt formuliert: Tot ist tot und gehört auf den Friedhof. Man begründete dies meistens mit der Ehrung der Totenruhe, der Pflege des Grabes als kulturelle Verpflichtung oder der Pflege eines Friedhofs als gesamtgesellschaftliche Gemeinschaftsaufgabe. Und weil die Toten eben dort bestattet werden. Eine hygienische Notwendigkeit indes gibt es dafür nicht - und nicht alle Angehörigen sehen diesen Friedhofszwang tatsächlich ein, was schon längst zu einem mehr oder minder versteckten, teils auch ganz öffentlich angebotenem Urnen- und Leichentourismus führt, der an anderer Stelle in diesem Blog noch Thema sein wird (in Kürze). 

Denn nicht nur die Entscheidung des Bundeslands Bremen, den Friedhofszwang für Urnen de facto aufzuheben, hat für allerlei Bewegung in den deutschen Gesetzen geführt - auch die neue Bestattungsform der "Re-Erdigung", die uns hier in Kürze noch intensiv beschäftigen wird, mischt die Karten noch einmal ganz neu. Eine Bestattungsform, bei der die Menschen kompostiert werden, so dass ich am Ende nur noch Erde bekomme - die ich dann aber wieder auf einem offiziellen Friedhof "bestatten" muss... - das zu vermitteln, dürfte nicht mehr ganz so einfach sein. Bald mehr dazu.  

Mini-Serie "Bestattung in der Moderne" - dieser Text ist Bestandteil einer vierteiligen Serie rund um die Themen Re-Erdigung, Friedhofspflicht, Urnentourismus und moderne Bestattungsformen. Weitere Teile folgen...

Teil 1: Warum die deutschen Bestattungsgesetze aus der Nazizeit stammen
Teil 2: Die neue Bestattungsform Re-Erdigung - alles, was man wissen muss 
Teil 3: Warum neue Bestattungsformen alle alten Gesetze in Frage stellen
Teil 4: Irrungen und Wirrungen der Bestattungsgesetze - vor meiner Haustür 

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Der Autor dieser Zeilen steht in Osnabrück und im Osnabrücker Land als Trauerbegleiter zur Verfügung. Thomas Achenbach ist zertifizierter Trauerbegleiter nach den Standards des BVT (Große Basisqualifikation). 

Thomas Achenbach ist der Autor dieser drei Bücher: 

-> "Das ABC der Trauer" (Patmos-Verlag, Herbst 2023)
-> "Mitarbeiter in Ausnahmesituationen - Trauer, Pflege, Krise" (Campus-Verlag).
-> "Männer trauern anders - was ihnen hilft und gut tut" (Patmos-Verlag)

Mehr Infos auf www.thomasachenbach.de

Lesungen, Vorträge, Workshops, Seminare, Trauergruppen und mehr: Alle aktuellen Termine mit Thomas Achenbach finden sich unter diesem Link 

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Auf dem Portal der Neuen OZ zu finden: Das ABC der Trauer - wie der Osnabrücker Trauerbegleiter trauernden Menschen Halt geben möchte

Ebenfalls auf diesem Blog: Ein neuer Raum und neue Möglichkeiten - wo ich in Osnabrück jetzt Trauerbegleitung anbieten darf (weiterhin auch als Spaziergang)  

Ebenfalls auf diesem Blog: Trauer und Schuldgefühle gehören zusammen - warum sich so viele Menschen nach einem Verlust für selbst schuldig halten 

Ebenfalls auf diesem Blog: Die Kunden müssen die Bestatter bewegen - Plädoyer für eine moderne Bestattungskultur, Beispiele für zeitgemäße Rituale 

Ebenfalls auf diesem Blog: Macht es die Hinterbliebenen nicht noch trauriger, wenn wir sie auf ihren Verlust ansprechen? - Impulse bei großer Unsicherheit 

Ebenfalls auf diesem Blog: Weil Trauernde nicht die Konzentration für lange Texte haben und weil es manchmal kurze Erläuterungen sein müssen 

Ebenfalls auf diesem Blog: Der Trick mit der Selbstwirksamkeit - wie wir uns selbst gut in seelischen Krisen helfen können: psychologische Tipps

Ebenfalls auf diesem Blog: Warum sich Trauernde förmlich zerrissen fühlen  - eine Einführung in das "Duale Prozessmodell der Trauer" und seine Fallstricke

Ebenfalls auf diesem Blog: Warum sich ein Suizid viel öfter verhindern ließe als wir das glauben und warum es so wichtig ist, immer wieder darüber zu reden

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