Mittwoch, 26. Mai 2021

Die besten Filme über Trauer, Tod und Sterben, Folge 4 - Warum wir die Eskapaden einer verwaisten Mutter im Film "The Door In The Floor" nachvollziehen und verstehen können - Wie der Verlust der Söhne ein Familiensystem ins Wanken bringt, zeigt uns diese John-Irving-Verfilmung - Serie über "Die besten Trauerfilme"

Osnabrück - "Kinder sind Spürwesen", dieser Satz findet sich in einem modernen Erziehungsratgeber. Da ist viel Wahres dran. Und so kann die kleine Ruth in dieser Geschichte auch sehr genau erspüren, was sie mit ihren vier Jahren nicht in Worte fassen kann: Dass sie als das Ersatzkind auf die Welt kam, das ihren Eltern nach dem Unfalltod der beiden Söhne einen Neustart ermöglichen sollte. Dass die Trauer ihrer Mama zu enorm ist, als dass sie sich sich weiter um ihre Tochter oder ihre Ehe kümmern könnte. Und dass die kleine Ruth ebenso wie die Mama begonnen hat, den größten Teil ihrer Lebensaufmerksamkeit von den zahlreichen den Flur und alle Zimmer säumenden Fotos der toten Jungs aufsaugen zu lassen. Die Trauer der Mama ist das lebensprägende emotionale Gerüst auch für die kleine Ruth. Die Trauer der Mama hat sich übertragen - und überhaupt ist Übertragung eines der Grundthemen des Films "The Door In The Floor....". Ein Film, der uns mit den schwierigen Seiten von Trauer konfrontiert und trotzdem leicht konsumierbar bleibt. 

Das könnte daran liegen, dass diesem Film ein Roman von John Irving zugrunde liegt - oder besser gesagt, das erste Viertel eines in Wahrheit viel längeren Romans, nämlich "Witwe für ein Jahr". Und John Irving versteht es wie kaum ein Autor sonst, die tiefste Tragik und die bizarre Heiterkeit des Lebens in seinen Werken so auszubalancieren, dass der Leser wie in einem Rausch durch die meist sehr vielen Seiten seiner meist irrsinnig dicken Bücher hindurchgleitet. Nur ein Autor wie Irving kann das Kunststück schaffen, uns die wahre Hauptperson dieser Geschichte - die trauernde Mutter Marion - als eine sympathische Person zu schildern, mit der wir mitfühlen können. Obwohl das, was sie schließlich tut, ein ins Perverse hineinreichender Akt der Verzweiflung ist. Aber einer, den wir verstehen können, - Trauer macht uns Menschen bedürftig. So bedürftig, dass man einerseits gehalten werden möchte wie als Kind. Aber auch so bedürftig, dass wir allerlei merkwürdiges Verhalten an den Tag legen.

(Alle Fotos: Thomas Achenbach, Aushangfotos: Tobis)

Mit Irvings Geschichte über diese trauernde Mutter, die gerade wegen und nicht etwa trotz ihres Grams einen 17-jährigen Jungen verführen und mit ihm Sex haben wird, jede Menge Sex, möchte ich diese Serie über Trauerfilme fortsetzen. Was können uns Spielfilme über das Erleben von Trauer erzählen? Können wir etwas über das Leben lernen? Kommen sie der Lebenswirklichkeit von Menschen in einer Trauer- und Verlustsituation nahe? Sind Sie für Menschen in einer Trauer- und Verlustkrise geeignet, weil sie ihnen Verständnis oder Ermutigung anbieten können? Diese Fragen bilden sozusagen das Grundgerüst für meine Reise durch die Welt der Trauerfilme, die ich für diesen Blog unternehmen möchte. Mit "The Door In The Floor" als nächster Station.

Die Frau leidet still vor sich hin, der Mann trinkt


Ted Cole (Jeff Bridges) ist ein so erfolgreicher Kinderbuchautor und Illustrator, dass er sich ein Haus in den Hamtpons leisten kann, jener wohlhabenden Gegend am Meer nicht unweit von New York. Seine wunderschöne Frau Marion (Kim Basinger) leidet seit dem Verlust der beiden fast erwachsenen Söhne Timothy und Thomas, der einige Jahre zurückliegt, still vor sich hin, während sich Ted andere Frauen in sein Atelier einlädt, um Aktbilder von ihnen zu zeichnen und sie parallel zu verführen. Außerdem trinkt Ted gerne mal - auch schon tagsüber, weswegen er temporär keinen Führerschein mehr hat. Die Ehe der beiden ist gescheitert, die Trauer hat ihr irreparable Schäden zugefügt. Ted scheint bereits darüber hinweg zu sein, Marion hingegen bleibt umso gefangener in ihrem Kummer. Als einen Sommer lang der 17 Jahre alte Eddie O'Haare (Jon Foster) bei der Familie einzieht, nimmt die Geschichte eine Wendung. Offiziell eingestellt, um dem Schriftsteller als Assistent zur Seite zu gehen, soll Eddie in Wahrheit Fahrdienste für Ted erledigen. Aber Eddie sieht dem verstorbenen Sohn Thomas, dem älteren der beiden, zum Verwechseln ähnlich.


In einer Schlüsselszene des Film steht Marion mit Eddie vor einem Foto ihrer beiden Söhne und stellt sich die Frage, ob diese in ihrem Leben wohl schon Sex gehabt haben. Und an Eddie gerichtet fragt sie: "Das ist es doch, was Jungs wollen, oder?". Bedürftig wie sie ist, aufgesogen von ihrer Trauer, beginnt Marion nun mit zweierlei: Einerseits stillt sie als sexuell dürstende Witwe ihre eigene Sehnsucht nach Nähe und Körperlichkeit, andererseits ermöglicht sie im übertragenen Sinne ihren gestorbenen Söhnen die Erfahrung, die sie vermutlich niemals hatten. Also: Sex. Marion schläft mit dem 17-jährigen Eddie. Nicht nur einmal. Sondern: 62 mal, wie wir im ebenso berührenden wie bizarren Finale schließlich erfahren. Am Ende wird sie das alles hinter sich lassen, sogar ihre Tochter, wird alle Bilder von der Wand nehmen und wegfahren. Und wir, die Zuschauer, werden es trotzdem irgendwie verstehen könnnen, wie vieles andere. 

Der Film ist vielschichtiger als er zuerst scheint


Es ist das große Verdienst von Kim Basinger als Darstellerin der Marion, dass sie diese Rolle so differenziert auszugestalten versteht - und uns das tatsächliche Erleben von Trauer realistisch nahebringen kann. Aber auch der Rest des Ensembles ist großartig. Dass sich in Jeff Bridges Darstellung des Ted Cole gelegentlich noch Spuren des "Dudes" aus dem "Big Lebowski" finden lassen, liegt an der Übermacht dieser Kultfigur. Besonders berührend ist die junge Elle Fanning, die die vierjährige Ruth spielt und die mit ihren rund fünf Jahren eine enorm überzeugende Schauspielleistung abliefert. Dafür, dass "The Door In The Floor" erst der zweite große Film eines jungen Regisseurs gewesen ist - Tod Williams -, erreicht er einen bemerkenswerten Facettenreichtum. Zwar kommt der im Jahre 2004 veröffentlichte Film nicht ganz ohne hollywoodesque Übertreibungen aus, auch ist der schrullige Klamauk, mit dem die Geschichte kurz vor Schluss einen komödiantischen Schlenker einzuschlagen versucht, eher störend. Und doch ist "The Door In The Floor" vielschichtiger als es zunächst scheint. Zumal der Film eine ebenso unbequeme wie wichtige Frage stellt: Wieviel bizarres Verhalten, wieviel ins Perverse reichende Handeln sind wir bereit, einem in tiefer Trauer verfangenen Menschen zuzugestehen?


"The Door In The Floor" ist dabei auch ein Film über das Geschichtenerzählen an sich - und darüber, wie unsere schlimmsten Erlebnisse wiederum zu Geschichten werden, die wir anderen erzählen. Erst kurz vor Ende des Film erfahren wir die ganze Tragik jenes Unfalls, der die beiden Jungen Timothy und Thomas aus dem Leben gerissen hat. Ted erzählt sie dem im Bett liegenden Eddie, aber Ted erzählt sie wie eine Geschichte ohne ein "Ich", nur mit einem "Ted" darin - er macht sich selbst zur dritten Person. Als sei er gar nicht selbst dabei gewesen. Und dem Zuschauer wird plötzlich klar, dass auch Ted Cole, der Frauenverführer und Aktbildermaler, der Weißweintrinker und Draußenduscher, noch immer viel tiefer im Trauma dieser Ereignisse verhangen ist, als er selbst vielleicht ahnt. Dass dieses schamlose Auskosten des Lebens und alles Lebendigen zu seiner ganz eigenen Strategie gehören könnte, mit dem Ereignis klarzukommen. In Teds Geschichte zeigt sich außerdem John Irvings Hang zu grausamen Verkehrsunfällen mit all ihren schrecklichen Details, ein Element, mit dem der Autor auch andere seiner Romane ausgestattet hat. Muss man haben können, kann auch schwierig sein.

Am Ende ist sie zu sehen: die Tür im Boden


Diese "Door In The Floor", also diese titelgebende Fußbodenklappe, gibt es in diesem Film übrigens gleich zwei Mal. Das erste Mal begegnen wir ihr in einer der Geschichten, die der Kinderbuchautor Ted Cole geschrieben hat. Darin geht es um einen Embryo, der sich die Frage stellt, ob er überhaupt auf die Welt kommen möchte - ob er diese Klappe in die echte Welt, die vaginale Bodenklappe, und nach der Geburt dann auch die in einem Haus befindliche Bodenklappe, tatsächlich öffnen möchte. Schnell wird klar: Die Klappe ist als Symbol zu verstehen, als Übergang in eine andere Welt, eine Welt, die Neues mit sich bringt, deren Gefahren wir aber nicht abschätzen können. Das wird am Schluss des Films noch einmal wichtig werden.


Denn kurz vor dem Abspann sehen wir eine echte "Door In The Floor", also wiederum eine Variation jener titelgebenden Fußbodenklappe. Es ist die Klappe, die zum Dachboden des Hauses führt. Dort oben, wo sich der selbstgebaute Squashcourt befindet, auf dem Ted ganz einsam ein paar Bälle gegen die Wand geschlagen hat. Dann öffnet er die Klappe und taucht hinab. In sein verändertes Leben ohne seinen jungen Assistenten - und ohne seine Frau. Der Film endet mit dem Bild der sich schließenden Klappe. Der Übergang hat stattgefunden. Das Leben geht weiter. Mit all seinen Verlusten... "The Door In The Floor" ist ein berührender Film mit einer erstaunlichen Reife. Aber: Ist es auch ein geeigneter Film, der einem so etwas Komplexes wie Trauer nahebringen kann....? Werfen wir einen Blick auf das Fragen-Grundgerüst für diese Artikelserie: 

- 1.) Was sagt der Film darüber aus, wie Trauer ist - wie sie sich anfühlt? 

Als der junge Eddie sie einmal fragt, wie ihre beiden Söhne denn gestorben sind, verfällt deren Mutter Marion, auf dem Sofa liegend, in eine katatonische Starre. Wie versteinert bleibt sie dort liegen, auch noch lange nach der Frage. Hatten wir diese Frau zuvor als durchaus auch lebensorientiert erlebt, wird erst hier klar, wie tiefgehend das Trauma sie noch umfangen hält. Eine Ohnmacht, die uns zu Boden drückt und uns jede Kraft entzieht - so kann sich Trauer immer wieder zeigen und sich anfühlen. Es gibt noch viele weitere Andeutungen hier und da, aber sie sind oft versteckter als in dieser Schlüsselszene. 

- 2.) Ist der Film für Menschen in einer Trauer- und Verlustsituation empfehlenswert? 

Tja. Gar keine so einfache Frage. Ich würde sagen: Nur bedingt. Weil er doch eine sehr eigene Geschichte erzählt und auf eine sehr eigene Konstellation aufbaut, die es im echten Leben so sicher nicht oft geben kann. Außerdem ist der Film für echt empfundene Trauer irgendwie "zu schön", er ist wunderschön fotografiert, lässt seine Protagonisten in traumhaft schönen Umgebungen agieren. Dann wiederum ist der geschilderte Unfall am Ende des Films, obwohl zu 80 Prozent nur Erzählung, erschreckend drastisch, das könnte für Menschen, die tatsächlich jemanden unter traumatischen Umständen verloren haben, nur sehr schwer bis gar nicht zu ertragen sein. 


- 3.) Kann der Film seinem Publikum die Gefühle von Trauer und Verlust und allem, was dazugehört, nahebringen (vor allem Zuschauern, die nicht davon betroffen sind)? 

Nur bedingt. Die Trauer ist hier zwar ein wichtiger Motor, aber niemals das im Vordergrund stehende Thema. Eher im Gegenteil. Die komödiantischen Zusatzelemente sind für das innere 
Gleichgewicht des Films wohltuend, führen aber vom Thema Trauer weiter weg.    

- 4.) Meine persönliche Lieblingsszene aus dem Film? 

Mit der vierjährigen Ruth auf dem Arm klopft Ted Cole abends nochmal an die Tür von Eddies Schlafzimmer. Ruth muss sich unbedingt nochmal ein ganz bestimmtes Foto angucken, auf dem beiden gestorbenen Brüder zu sehen sind und das halt im Schlafzimmer hängt. Erst danach kann sich gut schlafen. Dumm nur, dass Eddie gerade eines der in der Nähe hängenden Fotos von Marion als Vorlage für die eigene Befriedigung seiner Leidenschaft (in Handarbeit) genommen hat und die dort zu sehenden Füße der Jungs mit Papier abgeklebt hat. "Was ist mit den Füßen passiert?", wundert sich Ruth. Und die kleine Elle Fanning spielt das mit einer so himmelherzzerreißenden, weil echten kindlichen Naivität, dass die Szene trotz des hohen Fremdschämfaktors gut ansehbar bleibt - und einfach zu niedlich.   


- 5.)  Welche ganz persönlichen Fragen werden durch den Film in einem angeregt? 

Wenn Du an die bisherigen Krisen Deines Lebens denkst: Wie krass hast Du auf sie reagiert? Hast Du Dich über Dich selbst gewundert? Was hast Du aus diesen Reaktionen gelernt? Und wie krass, glaubst Du, könnte es noch werden, in kommenden Krisen Deines Lebens? Hast Du aus Deinen bisherigen Erfahrungen etwas mitgenommen? 
Welche Art von Erotik ist für Dich in Deinen Krisen sichtbar geworden? Und - wie erzählst Du anderen die Geschichten Deines Lebens? 

- Mein Fazit und meine Empfehlung: Ich mag John Irving, ich verehre Jeff Bridges, ich mag den Film. Ist ganz sicher nicht Jedermanns Sache, außerdem ist er ein bisschen zu schön um wahr zu sein, vor allem, was die Spielorte angeht. Aber er ist gut


--------------- Alle Folgen aus der Serie "Die besten Trauerfilme": ------------

- Was uns das Teenager-Drama "Vielleicht lieber morgen" mit Emma Watson über Trauer, Trauma, Flashbacks und Trigger erzählt - zur Folge 1 der Serie

- Warum die australisch-französische Filmperle "The Tree" mit Charlotte Gainsbourg eine exakte Studie über das Trauern ist - zur Folge 2 der Serie

- Was uns das oscar-prämierte US-Drama "Manchester By The Sea" alles über Schuld und Familiensysteme in Trauer erzählen kann- zur Folge 3 der Serie

- Der Tod zweier Söhne, ein Familiensystem und seine Geschichte - warum John Irvings "The Door In The Floor" ein Fim übers Erzählen ist - Folge 4

- Der Suizid der Mama und wie eine Familie weiterzumachen versucht, eindrucksvoll, aber zurückhaltend gezeigt in "Der letzte schöne Tag" - Folge 5

- Ein poetischer Film über Japan, alternde deutsche Ehepaare und die ewige Nähe des Todes - Dorris Dörries "Kirschblüten Hanami" ist eine Wucht - Folge 6

- Warum der Spielfilm "Das Zimmer meines Sohnes" unbedingt sehenswert und bemerkenswert realistisch eine Familie in Trauer abbildet - Folge 7 der Serie

- Ein kluger Film darüber, wie Trauer als latente Grundschwingung das Leben junger Menschen beeinflussen kann, "Dieses Sommergefühl"Folge 8 der Serie

- Als Familie nach dem Tod eines Kindes in der Ferne den Neustart wagen - was das mit Geschwistern und Eltern macht, erzählt "In America" - Folge 9 der Serie 

- Warum "Blaubeerblau" der perfekte Einsteiger-Film für alle ist, die sich an das Thema Hospiz noch nicht so richtig herangetraut haben - Folge 10 der Serie

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Der Autor dieser Zeilen bietet Trauerbegleitung an in Osnabrück und im Osnabrücker Land an und hat eine Ausbildung zum Trauerbegleiter absolviert (Große Basisqualifikation gemäß des Bundesverbands Trauerbegleitung) und bietet Podcasts rund um das Thema Trauer an (bitte hier klicken). Thomas Achenbach ist der Autor der Bücher "Männer trauern anders - was ihnen hilft und gut tut", 168 Seiten, Patmos-Verlag und "Mitarbeiter in Ausnahmesituationen - Trauer, Pflege, Krise", 220 Seiten, Campus-Verlag. Mehr Infos auf www.thomasachenbach.de

Lesungen, Vorträge, Workshops, Seminare, Trauergruppen und mehr: Alle aktuellen Termine mit Thomas Achenbach finden sich unter diesem Link 

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Im Trauergeschichten-Podcast zum Hören: "Darf ich das - ist das normal?" - was sich Trauernde so alles fragen und was es darauf für Antworten gibt  

Ebenfalls auf diesem Blog: Trauer und Schuldgefühle gehören zusammen - warum sich so viele Trauernde nach dem Tod eines Menschen schuldig fühlen

Ebenfalls auf diesem Blog: Wie uns die Trauer vor Aufgaben stellt und was das für den Trauerprozess bedeuten kann - über die "Aufgaben der Trauer"

Ebenfalls auf diesem Blog: Entrümpeln, Ausmisten und Aufräumen nach dem Tod eines Menschen - was mache ich damit und warum ist das so hart?

Ebenfalls auf diesem Blog: Der Trick mit der Selbstwirksamkeit - wie wir uns selbst gut in seelischen Krisen helfen können: psychologische Tipps

Ebenfalls auf diesem Blog: Warum sich Trauernde förmlich zerrissen fühlen  - eine Einführung in das "Duale Prozessmodell der Trauer" und seine Fallstricke

Ebenfalls auf diesem Blog: Warum sich ein Suizid viel öfter verhindern ließe als wir das glauben und warum es so wichtig ist, immer wieder darüber zu reden

Ebenfalls auf diesem Blog: Tipps zum Umgang mit Trauernden und Trauer - was Menschen in einer Verlustkrise hilft, was man Trauernden sagen kann 

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Donnerstag, 13. Mai 2021

Neue Termine, verschobene Termine, Lesungen, Vorträge, Workshops, alles hat sich neu sortiert - hier ist eine Übersicht über den aktuellen Stand bis zum Sommer 2022 - wo man mich bald sehen und antreffen kann, wenn alles so weiterläuft wie gewünscht - Tauer und Musik, Trauer und Texte, Trauer am Arbeitsplatz + viele andere Themen

Osnabrück - Irgendwann wird das mit diesem Coronavirus ja auch mal wieder vorbei sein - hatten wir uns gedacht, also ich und mehrere Veranstalter, die mich für Lesungen, Vorträge oder Workshops angefragt hatten. Und so haben wir uns vor bereits vor geraumer Zeit darangemacht, Termine zu planen, die geplanten Termine wieder umzuplanen - um sie dann doch nochmal neu zu planen. Es wird Zeit für eine neue Übersicht über den aktuellen Stand, jetzt, wo sich abzuzeichnen beginnt, dass vielleicht wirklich wieder etwas stattfinden könnte. Hier ist die Vorausschau aller öffentlich zugänglichen Termine bis zum Sommer 2022 - es kommen noch weitere Termine hinzu, die noch in Verhandlung sind (und was das Thema Presse- und Öffentlichkeitsarbeit angeht, kommt noch was im Podcast). 

Wichtig ist mir zu betonen, dass ich hier nur jene Termine gelistet habe, die für die allgemeine Öffentlichkeit zugänglich sind. Tatsächlich stehen noch ein paar Termine mehr in meinem Kalender, dabei handelt es sich jedoch um Workshops z. B. für Hospiz- und Palliativeinrichtungen, also für ein geschlossenes System, bei dem die Mitgliedschaft dazu eine der Voraussetzungen für die Teilnahme ist

(Foto: Thomas Achenbach)

Falls also der eine oder andere Veranstalter seinen Termin in dieser Auflistung vermisst, das könnte der Grund sein. Am Vorausschauendsten haben übrigens die Veranstalter des Sternenkinderkongresses in Verden an der Aller reagiert: 

Die Sternenkindeltern hatten die richtige Ahnung

Sie waren die Ersten, die ihre Veranstaltung lange im Voraus auf das Jahr 2022 verschoben hatten, als die bereits zweite Verschiebung überhaupt. Das kam einem damals fast noch zu vorsichtig vor - und hat sich als das einzig richtige herausgestellt. Nun steht dieser Kongress, mit einem Vortrag von mir zum Thema Männertrauer dabei, für April 2022 im Kalender. Apropos Männertrauer: Einige Menschen aus meiner Heimatstadt Osnabrück hatten sich etwas enttäuscht gezeigt, dass ich dieses Thema zwar schon deutschlandweit angeboten habe, aber bislang nicht "daheim". Nun steht für November diesen Jahres ein Workshop dazu im Terminkalender der Hospizakademie Osnabrück. Und noch so einiges mehr. Hier ist also die aktuelle Übersicht dessen, was sich aktuell an Verschiebungen und Umbuchungen ergeben hat:


1.6.2021, Oldenburg, "Männer trauern anders" (Forum St. Peter)

Findet statt (wirklich !) am Dienstag, 1. 6. 2021 um 19 Uhr im Forum St. Peter in Oldenburg, in Kooperation mit der KEB Oldenburg --> Infos siehe hier.


16.6.2021, Bremen, "Männer trauern anders" (wird verschoben)

War geplant für Mittwoch, 16. 6. 2021 um 18.30 Uhr im Bestattungshaus Trauerraum in Bremen, Lesung wird verschoben ins --> Frühjahr 2022.


10.7.2021, Helmstedt - Vortrag/Lesung Männertrauern anders"

Findet statt am Samstag, 10. 7. 2021, zur allgemein bundesligafreundlichen Startzeit um 14 Uhr in Helmstedt, Veranstaltungsort folgt noch, organisiert von der Hospizarbeit in Helmstedt.


9.8.2021, Sundern - Lesung "Männer trauern anders"

Findet statt am Montag, 9. 8. 2021 (Uhrzeit folgt): Lesung aus dem Buch "Männer trauern anders" im Bestattungshaus Adami in Sundern im Sauerland, Adresse, - weitere Infos unter diesem Link.

 

12.9.2021, Magdeburg, Lesung "Männer trauern anders"

Findet statt am Sonntag, 12. 9. 2021 um 17.30 Uhr in der Samariterkirche auf dem Gelände der Pfeifferschen Stiftungen, Pfeifferstraße 10. Hier weitere Infos.


18.9.2021, Osnabrück, "Trauer & Musik, Eintauchen/Entdecken"

Findet statt am Samstag, 18. 9. 2021 von 10 bis 16 Uhr in der Hospizakademie in Osnabrück, ein Tagesseminar unter dem Motto: Musik kann ausdrücken, was unsagbar ist - von Klassik bis Rock entdecken wir Beispiele. 


1. 10.2021, Pforzheim, Lesung/Vortrag "Männer trauern anders"

Findet statt am Freitag, 1. 10. 2021, um 19 Uhr im Forum Hohenwart in Pforzheim, veranstaltet vom Ambulanten Hospizdienst Pforzheim.


13.11.2021, Osnabrück, Workshop "Männer trauern anders"

Findet statt am Samstag, 13. 11. 2021 von 10 16 Uhr in der Hospizakademie in Osnabrück, ein Tagesseminar über Männertrauer für alle, die begleiten und betreuen, ob professionell oder ehrenamtlich oder auch sonst. Hier weitere Infos


17.11.2021, Bocholt, Vortrag "Männer trauern anders"

Findet statt am Mittwoch, 17. 11. um 19 Uhr in der kath. Familienbildungsstätte,  Mehrgeneratenhaus Bocholt, Ostwall 39.


23.4.2022, Verden a.d. Aller - Vortrag "Männertrauer"

Findet statt am Samstag, 23. 4. 2021, um 15.30 Uhr: Vortrag zum Thema "Männer trauern anders" auf dem 1. Sternenkinderkongress in der Stadthalle in Verdan an der Aller. 


21.2.2022, Osnabrück - Workshop "Trauer am Arbeitsplatz"

Findet statt am Montag, 21. 2. 2022 von 10 bis 16 Uhr in der Hospizakademie in Osnabrück, ein Tagesworkshop unter dem Motto: Was können Unternehmen, Führungskräfte und Personalverantwortliche alles tun in Sachen Trauer am Arbeitsplatz, was ist hilfreich für Mitarbeiter und Kollegen? 


Übrigens findet sich eine laufend aktualisierte Übersicht über alle kommenden Themen und Vorträge auch auf meiner Website unter diesem Link und in einer eigens dafür geschaffenen Unterseite hier auf diesem Blog unter diesem Link. Vielleicht sehen wir uns hier oder dort - so richtig persönlich und im menschlichen Miteinander ohne dazwischengeschaltete Bildschirme? Ich fänds großartig - und freu' mich drauf.


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Der Autor dieser Zeilen bietet Trauerbegleitung an in Osnabrück und im Osnabrücker Land an und hat eine Ausbildung zum Trauerbegleiter absolviert (Große Basisqualifikation gemäß des Bundesverbands Trauerbegleitung) und bietet Podcasts rund um das Thema Trauer an (bitte hier klicken). Thomas Achenbach ist der Autor der Bücher "Männer trauern anders - was ihnen hilft und gut tut", 168 Seiten, Patmos-Verlag und "Mitarbeiter in Ausnahmesituationen - Trauer, Pflege, Krise", 220 Seiten, Campus-Verlag. Mehr Infos auf www.thomasachenbach.de

Lesungen, Vorträge, Workshops, Seminare, Trauergruppen und mehr: Alle aktuellen Termine mit Thomas Achenbach finden sich unter diesem Link 

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Ebenfalls auf diesem Blog: Die besten Filme über Trauer, Tod und Sterben - was uns Spielfilme über das Erleben von Trauer erzählen können

Ebenfalls auf diesem Blog: Trauer, wie lange dauert das eigentlich - und wann ist es endlich mal vorbei? Mein erster Mutmacherbrief an Trauernde

Ebenfalls auf diesem Blog: Der Trick mit der Selbstwirksamkeit - wie wir uns selbst gut in seelischen Krisen helfen können: psychologische Tipps

Ebenfalls auf diesem Blog: 27 gute Rituale für eine Trauerfeier - wie sich eine Gedenkfeier so gestalten lässt, das sie den Angehörigen/Trauenden gut tun kann

Ebenfalls auf diesem Blog: Warum sich Trauernde förmlich zerrissen fühlen  - eine Einführung in das "Duale Prozessmodell der Trauer" und seine Fallstricke

Ebenfalls auf diesem Blog: Warum sich ein Suizid viel öfter verhindern ließe als wir das glauben und warum es so wichtig ist, immer wieder darüber zu reden

Ebenfalls auf diesem Blog: Tipps zum Umgang mit Trauernden und Trauer - was Menschen in einer Verlustkrise hilft, was man Trauernden sagen kann 

Ebenfalls auf diesem Blog: Was muss ich machen, wenn ich wegen Trauer krankgeschrieben werden möchte? Geht das überhaupt und wenn ja, wie denn?

Der Podcast von Thomas Achenbach: "Trauergeschichten - Menschgeschichten", Gespräche über Leben, Tod und Sterben, unter diesem Link

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Donnerstag, 6. Mai 2021

Sieben Gründe, warum ich Trauerbegleitungen gerne in Form eines Spaziergangs anbiete - warum ein Spaziergang zu zweit nicht nur in Corona-Zeiten eine gut geeignete Methode für eine Einzelbegleitung von Menschen in einer Trauer- und Verlustkrise ist

Osnabrück - Warum fragen wir einen Menschen eigentlich: "Wie geht es Dir?" - Klare Sache: Weil sich darin das Wort "gehen" versteckt. Denn die Frage danach, wie es uns geht, stammt vom Wort "ergehen", aus dem dann wiederum das "Wohlergehen" entwachsen ist. Deswegen lautet die Vergangenheitsform dieser Frage auch: Wie ist es Dir ergangenIn der Trauerbegleitung können wir uns die Idee vom Gehen als Ausdruck der eigenen Befindlichkeit zunutze machen - indem wir tatsächlich gemeinsam gehen. Dabei lässt sich so manches erleben, was in den gemeinsame Prozess eingebunden werden kann.  

Ein Tag im Februar. Plötzlich geht es nicht mehr weiter. Ein umgestürzter Baum liegt quer über dem Waldweg und hindert uns am Weiterkommen. Sich an der Krone des gestürzten Baumes entlangzutasten, ist zwar möglich, aber der Boden an dieser Stelle ist vom Schnee der vergangenen Tage morastig geworden. Wir versuchen es dennoch. Es schmatzt und sumpft, während wir uns mit vorsichtigen Schritten vorantasten. Mit Matschspritzern auf der Hose und verdreckten Schuhen setzen wir den Weg fort - und haben auch gleich ein gutes Stichwort für die Fortsetzung unseres Gesprächs gefunden. Was es wohl alles noch zu überwinden gilt im Prozess des Trauerns, ist das Thema, das den Rest dieser Einzelbegleitung prägt. Einer Einzelbegleitung, die als Spaziergang im Wald stattfindet. Einerseits, weil die Coronapandemie ein Sitzen im Innern nicht möglich macht. Andererseits, weil ein Spaziergang sowieso ein optimales Setting für eine Trauerbegleitung darstellt. Warum das so ist?

(Alle Fotos: Thomas Achenbach)

Zum Beispiel, weil nicht ich es war, der bei oben geschilderter Begleitung das Thema des weiteren Gesprächs prägte. Es war die Klientin, mit der ich unterwegs war. Und das Überwinden des Hindernisses war es gewesen, was den Impuls dafür gesetzt hatte. Das ist einer der Vorteile vom Draußensein während einer Trauerbegleitung (und vom gemeinsamen Gehen): Es ist viel zu sehen, zu erleben und zu bewältigen, was sich als Stichwortgeber für so ein Gespräch gut nutzen lässt. Ich hatte immer schon meine Einzelbegleitungen als Spaziergänge anbieten wollen und mich in Vorträgen für diese Form von Trauerbegleitung ausgesprochen, aber es war zugegebenermaßen erst die Coronapandemie, die mich dann wirklich dazu gebracht hat, das auch in die Tat umzusetzen. Mit ermutigenden Erfahrungen. Hier sind sieben Gründe, warum ein Spaziergang eine optimale Form für eine Trauerbegleitung sein kann: 

1.) Draußen sind wir dem Wetter und den Verhältnissen ausgesetzt. Ob es nun regnet oder stürmt, ob eine viel zu heiße Sommersonne auf uns niederknallt oder sich das Wetter von seiner unentschiedenen Seite zeigt: Wir müssen es aushalten, wie es ist. Genauso ist es in der Lebenssituation, in der sich die Menschen nach einem Verlust gerade befinden. Bei der oben geschilderten Spaziergangsbegleitung hat es zwischendurch geregnet und es war durchaus ungemütlich. Also optimale Bedingungen für eine Einzelbegleitung im Freien.

 

2.) Das Schweigen ist nicht so bedrückend wie im Inneren eines Raumes. Während einer Einzelbegleitung kann es immer mal wieder zu Momenten des Schweigens kommen. Eine der Aufgaben eines Trauerbegleiters (und natürlich auch einer Trauerbegleiterin) ist es, hinzuspüren, wann das Schweigen angebracht sein kann. Meistens sind das die Momente, in denen sich im Inneren des zu begleitenden Menschen gerade etwas tut, das jetzt seinen Raum braucht. Ein solches Schweigen erfüllt einen Zweck und kann eine sinnvolle Sache sein, aber natürlich ist es auch - auch für die Klienten - etwas Ungelerntes und Ungewohntes. Und manchen ist es ein wenig peinlich. Vor allem Männern. Hier hilft das Draußensein ungemein: Es gibt Geräusche, Vogelgezwitscher, das Rauschen von Bäumen, es gibt etwas zu sehen, vielleicht kommen einem sowieso gerade andere Spaziergänger entgegen... Also kann sich das Schweigen wirkungsvoll entfalten, ohne dass es als so unangenehm erlebt wird wie im Innern eines Raumes, in dem eine solche Stille auch mal als dröhnend erlebt wird.  

3.) Alles, was es zu sehen gibt, liefert Impulse und Stichworte für den gemeinsamen Prozess. Vor allem in einem Wald ist das oft zu sehen: Wie sich aus den Stümpfen von umgestürzten und abgesägten Bäumen neue Zweige - oder sogar ganz neue Stämme - nach oben recken. Wie sich Bodendecker überall ausbreiten, weil die Natur, anders als der Gartenfachbau und die Landwirte, keine unbedeckten Böden kennt. Wie jede freie Fläche, auf der Wachstum möglich ist, mit der Möglichkeit von Wachstum ausgekleidet wird. Und wie das Verwesen, also sozusagen der Tod, ist immer die elementare Grundlage von allem ist, auf dem das Neue entsteht. Ohne abgefallene Blätter kann kein neuer Boden entstehen, ohne sich aneinander kaputtreibende Steine gäbe es keinen Sand. Gleichermaßen erleben wir in der Natur auch die Ohnmacht, die Zerstörung, die von außen übergestülpte Brutalität: Von Borkenkäfern und Hitzewellen dahingeraffte Kiefern und Fichten, ausgetrocknete Bäche, die früher immer Wasser getragen haben. Das sind kraftvolle Bilder von Wirkungsmechanismen, die sich auf unser Leben übertragen lassen. Sich das bewusst zu machen und es auf sich wirken zu lassen, kann für zusätzliche Impulse sorgen, vielleicht sogar den Raum eröffnen für einen Hauch von Spiritualität, je nachdem, wie der zu begleitende Mensch gestrickt ist. Das ist natürlich das Wichtige daran: Es kann alles ins Wort gebracht werden, was sich anbietet, aber nur, wenn es zu diesem Menschen wirklich zu passen scheint - und zur aktuellen Situation. Ansonsten ist es einfach nur da, um einen herum, und wird vielleicht auf anderen Ebenen wahrgenommen - und wenn nicht, dann ist das auch gut so, wie es ist.


4.) Man muss sich nicht ständig in die Augen sehen. Aus Gruppentreffen kennen wir das: Jemand erzählt der Gruppe etwas, vielleicht etwas Intimes, und der Blick des Sprechers verhaftet sich an irgendeinem Punkt irgendwo, der ihm Halt gibt. Vielleicht eine Kerze, die in der Mitte des Raumes steht. Vielleicht ein Bild an der Wand. Je stärker ihr Inneres zum Ausdruck kommt, desto schwieriger wird es für Menschen oft mit dem Augenkontakt zu anderen Menschen. Das gilt insbesondere für eine Trauerbegleitung - und insbesondere für Männer, mit denen ich ja meist mehr zu tun habe als mit Frauen. Da ist das gemeinsame Gehen genau die richtige Lösung, denn alleine durch das Nebeneinander ist das Sich-in-die-Augen-sehen-müssen meist gar nicht möglich. Auch das wird dann nicht als so unangenehm erlebt. 

 5.) Durch sich ergebende kleine Kunstpausen können sich die Klienten besser nochmal innerlich sammeln und es ergibt sich mehr Abwechslung. Es muss gar nicht der oben erwähnte Moment des längeren Schweigens, weil In-sich-Gehens, sein: Während eines Spaziergangs ergeben sich auch sonst viele kleine Kunstpausen. Sei es, weil gerade ein Hund samt Frauchen oder Herrchen überholt, sei es, weil Jogger, Radfahrer oder andere Spaziergänger entgegenkommen, immer mal wieder ist eine kleine Pause im Gespräch nötig. Dadurch ist eine Begleitung im Freien grundsätzlich immer etwas abgehackter und zerstückelter als ein Gespräch im Inneren - aber das muss nichts Schlechtes sein, im Gegenteil, es hat seine ganz eigenen Qualitäten. Die kleinen Kunstpausen machen es möglich, seinen Gedanken mehr nachzuhängen als in einem Gespräch. Und sie sorgen zudem für eine gewisse Abwechslung. Auch das ist ganz hilfreich für so einen Prozess, bei dem wir immer mal wieder auch in seelischen Notlagen verharren. 

6.) Der zu begleitende Mensch kann seine Lieblingsstrecke wählen, diese kann z. B. auch über einen Friedhof führen - vielleicht sogar den Friedhof, auf dem der gestorbene Mensch liegt, um den es geht. Diese Möglichkeit des Mit-Entscheiden-könnens kann etwas sehr Entlastendes haben: Da muss ich als Klient nicht in irgendein Büro fahren, das ich nicht kenne, oder in einen Gruppenraum, den ich nicht kenne, was ja beides auch wiederum als etwas Unangenehmes erlebt werden kann. Stattdessen kann ich mich, wenn ich möchte, auf ein mir vertrautes Terrain begeben für diesen mir vielleicht sehr unvertrauten Prozess. Das kann zusätzliche Sicherheiten geben. Dieses Terrain ist aber wiederum nicht mein eigentliches Zuhause, was auch wichtig ist - wenn ich es vermeiden kann, eine Trauerbegleitung bei jemandem daheim stattfinden zu lassen, halte ich das immer für die bessere Wahl. Denn dass sich jemand aufmachen muss für diesen Prozess, gehört mit dazu. Das ist sozusagen der erste wichtige Schritt, der für den Prozess an sich von einer gewissen Bedeutung ist. 


7.) Das Gehen macht mehr mit einem, als man im ersten Augenblick so denkt: Das Gleichgewicht von Körper und Seele ist stabiler beim Gehen als beim Sitzen. Was sich innerlich unbeweglich anfühlt, kann durch das Gehen zusätzlich in Bewegung gebracht werden. Ganz abgesehen davon dringt selbst durch düster Regenwolken noch soviel UV-Licht, dass ein Spaziergang im Freien immer aufhellender für die verdüsterte Seele ist als ein Aufenthalt im Inneren. Und die Symbolik des Gehens vermittelt uns das Gefühl, selbst auf einem Weg zu sein, was ja auch der tatsächlichen Lebenssituation entspricht, in der sich die Menschen in einer Trauer- und Verlustkrise befinden. 

Und, ganz abgesehen von allem oben Genannten: Ich gehe einfach saugerne spazieren. Es tut einem immer gut. Lust drauf, einmal mitzukommen? 


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Der Autor dieser Zeilen steht in Osnabrück und im Osnabrücker Land als Trauerbegleiter zur Verfügung. Thomas Achenbach ist zertifizierter Trauerbegleiter nach den Standards des BVT (Große Basisqualifikation). 

Thomas Achenbach ist der Autor dieser drei Bücher: 

-> "Das ABC der Trauer - 77 Rituale und Impulse" (Patmos-Verlag)
-> "Mitarbeiter in Ausnahmesituationen - Trauer, Pflege, Krise" (Campus-Verlag)
-> "Männer trauern anders - was ihnen hilft und gut tut" (Patmos-Verlag)

Mehr Infos auf www.thomasachenbach.de

Lesungen, Vorträge, Workshops, Seminare, Trauergruppen und mehr: Alle aktuellen Termine mit Thomas Achenbach finden sich unter diesem Link 

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