Sonntag, 28. Mai 2017

Legofiguren als Trauerspielzeug - Komm, wir bauen eine Trauerhalle... Mit Kinderspielzeug den Tod begreifen lernen - wie ein niederländischer Spielzeugbauer Trauerbegleitern und Therapeuten bei der Arbeit mit Kindern helfen will

Osnabrück/Bremen - Als Kind spielte der Niederländer Richard Hattink gerne mit Lego. Heute hat er zwar längst ein Masterstudium in Pädagogik abgeschlossen - aber mit Spielzeug ist er immer noch beschäftigt. Bei ihm lässt sich heute so ziemlich alles kaufen, was mit Tod, Sterben und Trauer zu tun hat. Als Spielzeug. Von der Trauerhalle bis zum Krematorium über einen Friedhof, auf dem gerade ein Grab ausgebuddelt wird, während die Sargträger im Hintergrund schon den Verstorbenen bringen. Wozu das Ganze? Zum Begreifen! Auf der Messe Leben und Tod in 2018 (und zuvor auch in 2017) war der Niederländer mit einem Stand vertreten.

"Wir achten darauf, dass wir, wenn wir über etwas so Schweres sprechen, auch eine Leichtigkeit mit reinbringen" (also etwas Spielerisches) - so sagte es, in einem anderen Vortrag und in einem anderen Kontext, die Trauerbegleiterin Mechthild Schroeter-Rupieper auf der Messe "Leben und Tod 2017" in Bremen. Genau dort, wo der 35-jährige Richard Hattink an seinem Stand erstmals einem deutschen Publikum sein Trauerspielzeug vorstellte, das ebenfalls genau diesen Zweck erfüllen soll: Eine Leichtigkeit mit reinzubringen bei etwas unsagbar Schwerem. 


Der offene Sarg kurz vor seiner Schließung, im Hintergrund die vorbereitete Trauerfeier in der Trauerhalle - mit diesem Trauerspielzeug können Kinder nachfühlen/nachspielen, was sie erlebt haben.  (Thomas-Achenbach-Foto)

Hattink, der auch mal als Bestatter tätig war, nutzt vorhandene Bausteine aus bestehenden Spielzeugsystemen, die er zu seinen eigenen Kreationen zusammensetzt. Zu kaufen gibt es bei ihm dann das fertige Gesamtprodukt. Leichenwagen, Friedhöfe oder Krematorien im Spielzeugformat - und viele andere Accessoires rund um die Themen Tod und Bestattung. Seine Kunden sind vor allem Trauerbegleiter, Psychologen, Bestatter und Privatleute, die einen Weg suchen, spielerisch mit trauernden Kindern zu arbeiten. Und wer Hattink auf seinem Messestand besuchte, bekam regelrecht Lust, gleich mitzuspielen - auch ganz ohne eigenen Trauerfall -, so überzeugend ist das Ergebnis. 


Diese Arbeiter heben auf dem Friedhof bereits die Grube aus für den Sarg - das Trauerspielzeug aus den Niederlanden war auf der Messe Leben und Tod 2017 in Bremen zu erleben.    (Thomas-Achenbach-Foto) 

Hattink vertreibt sein Spielzeug über einen Onlineshop auf seiner Internetseite www.rouwenadvies.nlDas Ganze ist allerdings ein nicht ganz günstiges Vergnügen. Ein komplettes Krematorium kostet beispielsweise 114 Euro, eine Trauerhalle mit Trauerredner rund 75 Euro (Direktlink zum Webshop: hier klicken). Und dennoch: Hattinks Spielzeug ist begehrt, wie alleine die Messe "Leben und Tod" in Bremen zeigte. Waren am ersten Messetag noch alle dort an seinem Stand gezeigten Spielzeuge mit Preisschildern versehen, hatte sich das Bild bis zum Nachmittag des zweiten Tages verändert: "Verkauft" hieß es jetzt fast überall. Es wäre spannend zu erfahren, wer in Kürze damit spielen wird. Um sich über eine spielerische Leichtigkeit auch dem ganz Schweren anzunähern. 


Pädagoge, Bestatter, Spielzeugbauer - Richard Hattink.  (Thomas-Achenbach -Foto)

Das Fazit für die "Leben und Tod 2017" fällt übrigens mehr als positiv aus - wie die Bremer Messe am 15. 5. in einer Pressemitteilung schrieb, waren selbst die Organisatoren rund um Meike Wengler überrascht vom Ergebnis: 4336 Besucher kamen demzufolge zur achten Auflage der Messe - 510 mehr als im Vorjahr (3826). Für den Fachkongress registrierten sich in diesem Jahr 1305 Besucher. Das ist ein Plus von mehr als 50 Prozent gegenüber 2016 (856) - also noch deutlich mehr als der von Meike Wengler in unserem Interview prognostizierten 30 Prozent. 

Und der Termin für die Messe Leben und Tod 2018 steht auch schon fest: Sie findet am Freitag und Samstag, 4. und 5. Mai 2018, statt. 


Die Trauerhalle im Detail... jemand sollte dem Trauerredner sagen, dass die Blumen links vom Sarg umgekippt sind...   (Thomas-Achenbach-Foto)

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Der Autor dieser Zeilen bietet Trauerbegleitung an in Osnabrück und im Osnabrücker Land an und hat eine Ausbildung zum Trauerbegleiter absolviert (Große Basisqualifikation gemäß des Bundesverbands Trauerbegleitung) und bietet Podcasts rund um das Thema Trauer an (bitte hier klicken). Thomas Achenbach ist der Autor des Buches "Männer trauern anders - was ihnen hilft und gut tut", 168 Seiten, Patmos-Verlag, 17 Euro, erschienen im März 2019. Mehr Infos gibt es hier.

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Donnerstag, 18. Mai 2017

Warum "Tote Mädchen lügen nicht" für Trauernde nicht geeignet ist, schon gar nicht nach Suizid - eine Warnung vor dem Netflix-Serienphänomen "13 Reasons Why" aus Sicht eines Trauerbegleiters

Osnabrück - Erst "Tote Mädchen lügen nicht", Staffel 1, mit der Suizidszene, dann "To The Bone", dann die zweite Staffel der toten Mädchen mit einem geplanten Amoklauf an einer Schule  - der Bezahlsender versucht es derzeit mit kalkulierten Tabubrüchen. Und hat Erfolg. Über die Netflix-TV-Serie "Tote Mädchen lügen nicht " ("13 Reasons Why") und den darin gezeigten Suizid der Hauptfigur ist schon viel geschrieben und gesagt worden. Nur das eine wird meiner Meinung nach nicht deutlich genug betont und zu selten gesagt: Wie perfide und perfekt diese Serie - und natürlich auch der zugrundeliegende Roman - einen der größten Teenager- und Suizidantenträume bedient. Nennen wir ihn den "Wenn ich gehe, werdet Ihr alle leiden"-Rache-Faktor. Das ist es vor allem, was den Stoff meiner Meinung so gefährlich macht. Oder, für stabilere Zuschauer, so faszinierend. Halt beides. Es ist ein konstantes, leider verflixt gut gemachtes Spiel mit den Extremen. Jedoch gilt auch - und das ist der Fokus dieses Blogs: Für Menschen in einer Verlustkrise, also für Trauernde, ist die Serie eher ungeeignet. Auch wenn sie Trauernde durchaus treffend darstellt.

Bei aller Kritik: So manches Mal weiß die Netflix-Serie "Toten Mädchen lügen nicht" positiv zu überraschen. So beispielsweise in einer Szene, in der die Eltern aller Highschool-Schüler vom Vertrauenslehrer über Suizid und die Warnzeichen dafür aufgeklärt werden. Als eine Mutter dann zynisch fragt: "Und wieso hat dieses Mädchen sich dann umgebracht?", ertönt aus der hintersten Ecke eine wütende Antwort: "Der Name dieses Mädchens ist Hannah!". Die Frau, die das sagt, ist ihre Mutter. Mit so einem Detail trifft "13 Reasons Why" psychologisch gesehen ins Schwarze: Tatsächlich leiden verwaiste Eltern oft darunter, dass sich kaum einer mehr traut, ihre gestorbenen Kinder bei ihrem Namen zu nennen. Oder überhaupt über sie zu sprechen. "Das ist für uns, als würden unsere Kinder immer und immer wieder sterben", kann es dann heißen. 

Er läuft ihrem Leben hinterher: Dylan Minette als Clay Jensen und Katherine Langford als Hannah Baker in der Netflix-Serie "Tote Mädchen lügen nicht" ("13 Reasons Why") - ist die umstrittene TV-Serie gefährlich?  (Netflix-Media-Center/Netflix-Pressefoto)

Der Verstorbenen ihren Namen und damit ihre Würde zurückgeben zu können - und unbedingt herauszufinden, wieso sie sich hat suizidieren wollen, das hat sich Hannahs Mutter zu ihrer heiligen Mission gemacht. Und wenn auch die Serienautoren, die die Buchvorlage zu der Serie um ein paar Rahmenhandlungen erweitert haben, diese leidende Mutter vielleicht ein bisschen früh nach dem Suizid ihrer Tochter mit soviel wütender Energie ausgestattet haben - denn nicht selten fühlen sich die Eltern von Kindern, die sich suizidiert haben, über längere Zeit ohnmächtig, zu Boden gedrückt und zu kaum einer Regung fähig -, ist es zutreffend, dass es noch eine Phase der Aggression und der blinden Wut geben kann in so einem Trauerprozess. Hier sind die Serienmacher also nah dran an der Realität. Das ist jedoch eine Ausnahme - und sie zeigt sich nur in kleinen Details am Rande. Beispielsweise in der Tatsache, dass sich niemand mehr in dem Drugstore von Hannahs Vater einzukaufen traut. Um den trauernden Eltern nicht zu begegnen. Das kennen Trauernde auch: Dass Bekannte plötzlich die Straßenseite wechseln, nicht mehr mit ihnen sprechen wollen, Kontakt vermeiden - aus lauter Unsicherheit und falsch verstandener Angst.


Unterschiede zwischen dem Buch und der Serie


An einer anderen Stelle allerdings zeigen die Serienmacher, wie Hannahs Eltern abends in ein schönes Restaurant am Hafen ausgehen und dort essen gehen. Wohlgemerkt: Nur wenige Tage, vielleicht wenige Wochen nach dem Suizid ihrer Tochter. Diese Szene halte ich für komplett unrealistisch. Kaum vorstellbar, dass das jemand schaffen kann, der einen Menschen durch Suizid verloren hat. Im Buch übrigens fehlt dieser ganze Handlungsstrang komplett. Übrigens gibt es durchaus eine Reihe von Unterschieden zwischen dem Buch und der Serie (mehr dazu bald an anderer Stelle). Die gravierendste Änderung beispielsweise: Im Buch hört Clay alle Cassetten innerhalb von nur einer Nacht - in der Serie stoppt er immer wieder, so dass der Prozess ganze zwei Wochen dauert. Tja, was das angeht, halte ich persönlich das Buch für schlüssiger: Ich könnte das jedenfalls nicht - so lange zu warten, bis ich vielleicht selbst einmal eine Rolle spielen auf den Cassetten. 


Unerträglich: Der Suizid und die Szene danach


Und überhaupt, der Suizid: Die allerschlimmste Szene aus der TV-Serie ist dann eigentlich gar nicht das - hier explizit gezeigte - Aufschlitzen der Adern in der Badewanne, als Hannah sich suizidert, sondern die Sequenz kurz danach, wenn die Eltern ihr kleines Mädchen im überlaufenden rosa eingefärbten Wasser finden. Diese letzten Sekunden der Hoffnung, wenn Mama Baker ihre Tochter noch retten und rausholen möchte - und was dann an Schmerz folgen wird. Unerträglich. Auch so schon. Und wie soll sich das alles, jemand angucken können, der das selbst durchgemacht hat? Im Buch gibt es auch diese Szene übrigens nicht (siehe dazu auch meinen Blogbeitrag: "10 Gründe, warum das Buch wesentlich besser ist als die TV-Serie" - hier klicken). 


Details sind wichtig: Hannah Baker hat bipolare Störung 


Aber zurück zu Hannah Baker. Was genau fühlt und denkt sie? Wieso entscheidet sie sich nicht nur dazu, sich umzubringen, sondern auch noch dazu, in Form von verschickten selbst besprochenen und kopierten Audiocassettten exakt 13 Gründe dafür anzugeben (super retro, übrigens - der Autor stammt wie ich aus dem Jahr 1975). Auch, was das angeht, ist es wichtig, auf die Details am Rande zu achten: Zum Beispiel in der dritten Folge. Da wird, wie ich finde, sehr klar angedeutet, dass die Hauptperson Hannah bipolar gestört war. Also manisch depressiv. Es ist eine ganz kurze Aussage von Hannas Mama in einem Gespräch mit dem Schuldirektor, die diese Andeutungen in sich trägt. Sinngemäß lautet sie: 


Da sitzt sie alleine am Tisch, weil sich keiner zu ihr setzen mag. Soziale Isolation ist eines der Themen, die in der Netflix-Serie "Tote Mädchen lügen nicht" ("13 Reasons Why") dekliniert werden - aber wie realistisch ist die umstrittene TV-Serie?  (Netflix-Media-Center/Netflix-Pressefoto)

Manchmal ist sie, also Hannah, singend und überbordend fröhlich durchs Haus gehüpft und an anderen Tagen war sie wieder total still und niedergeschlagen ("moody", heißt es so wunderbar treffend im englischen Originalton). Dass die Serie - und wohl auch die literarische Vorlage - solcherlei Andeutungen macht, ist wichtig und richtig. Denn alle Menschen, die in der Suizidprävention arbeiten, betonen immer wieder: Die meisten Suizide sind Folge einer Erkrankung - einer Erkrankung, die behandelt werden kann (anonyme Hilfe gibt es auch im Internet, mehr dazu am Ende dieses Artikels). Ach, und, was die Cassetten angeht, eine kleine Randbemerkung: Weil es ja gleich mehrere Sätze dieser 13 Cassetten gibt und weil das Kopieren einer einzelnen Cassette auf 98 Prozent aller Geräte - und Hannah benutzt einen minikleinen Recorder - nur in Echtzeit möglich war/möglich ist, dürfte alleine der Kopiervorgang mehrere Tage, wenigstens halt 13 Stunden, in Anspruch genommen haben... hmmm...nun ja... Überhaupt schrammt die Retro-Verliebtheit Jay Ashers gelegentlich an der Grenze zum Unglaubwürdigen entlang: Cybermobbing findet hier zwar statt, soziale Netzwerke ebenfalls, aber beides eher so unter "ferner liefen". Nun ja, bislang jedenfalls, ich bin ja noch nicht ganz bis zum Ende durchgekommen.


Wer Suizid verstehen will, ist hier fehl am Platze


Wer sich jedoch derzeit in einer Verlustkrise befindet und wer sich von "13 Reasons Why" vielleicht erhofft, hilfreiche Aufklärung darüber finden zu können, warum sich Menschen suizidieren und was sie fühlen und denken, bevor dies geschieht, sollte von der Serie und dem Buch die Finger lassen. Hier wird doch allzu offensiv mit dem Rachefaktor geflirtet. Hier sind die Ereignisse, die auf die Hauptfigur einprasseln, in ihrer Fülle doch zu massiv und zu ekzessiv, um noch realistisch zu sein. Außerdem sind die Figuren und die Handlung doch allzu sehr im amerikanischen Highschoolsystem verortet, über das man wissen muss, dass es hier - anders als im deutschen Schulsystem - von Beginn an keine Klassenverbände mehr gibt, sondern ein reines Kurssystem. Soll heißen: in Amerika kommen die Schüler aus der Middle School und damit aus vertrauten sozialen Verbundsystemen direkt auf die High School (ab Klasse Neun) und ins Kurssystem - und wer dort keine Clique hat, keine Freunde, keine sozialen Netze, der hat es besonders schwer. Der ist sofort Außenseiter. Dieser Faktor spielt eine entscheidende Rolle in "Toten Mädchen lügen nicht". 


Besuch an Hannahs Grab - Szene aus der Netflix-Serie "Tote Mädchen lügen nicht" ("13 Reasons Why") - die umstrittene TV-Serie wird derzeit heftig diskutiert. (Netflix-Media-Center/Netflix-Pressefoto)

Vor allem aber wird im weiteren Verlauf der Handlung der Drama-Faktor mächtig überstrapaziert - noch habe ich das zwar nicht alles selbst gesehen, sondern mir hübsch zusammengespoilert, aber auch so schon klingt es nach "too much": Vergewaltigungen, schicksalshafte Kettenreaktionen, vertuschte kriminelle Vorgehen, Stalking, Mobbing, das und mehr spielt noch eine Rolle. Uff! Das ist besonders schade, weil es der Serie erstens die Chance nimmt, eine an der Realität orientierte Debatte über das Thema Suizid herbeizuführen (im echten Leben sind es eben gar nicht immer die dicken Kloppser, die zur Selbsttötung führen) und weil die Serie sich zweitens die Chancen ihres Anfangs verbaut. Denn zu Beginn ist alles noch sehr dezent. Wie im echten Leben. Da sind die Strapazen, denen Hanna Baker ausgesetzt sind, noch fast alltäglich, so dass man sich fragt: Wieso musste es denn soweit kommen? Wieso hat sie auf andere immer den Eindruck gemacht, eigentlich so schlagkräftig und tough zu sein, und dennoch so unbemerkt soviel gelitten? Und mit diesen Fragen des Anfangs ist die Serie der Realität der echten "Angehörigen um Suizid" so viel näher als in ihrem weiteren Verlauf.

Wir erfahren so gut wie nichts aus Hannahs Innenleben


Dass Hannah eigentlich viel zu schlagfertig und kess ist, um sich unterkriegen zu lassen, ist übrigens auch ein Eindruck, den sie auf die Zuschauer der Serie macht. Was sich in ihr drin tut, bleibt rätselhaft. Denn Autor Jay Asher und die Serienmacher setzen konsequent die allererste heilige Erste Grundregel um, die angehende Schriftsteller in allen Creative-Writing-Kursen und -Ratgebern eingebläut bekommen: Du sollst zeigen, nicht erklären. Du sollst Szenen liefern oder Dialoge. Nicht Ausschweifungen. Auch auf ihren Cassetten berichtet die Figur Hannah also nur von dem, was geschehen ist. Nicht aber von dem, was es im tiefsten Innern mit ihr gemacht hat... - da ist der Leser gefragt, sich seinen Teil zu denken. Okay, zugegeben, ich bin noch nicht ganz durch mit der ganzen Serie und dem dazugehörigen Buch... Je nachdem, wie sich beides entwickelt, gibt es in Kürze noch einen zweiten Artikel dazu. Vorerst: Sehr gut gemachte Serie, aber weiß Gott nicht für Jedermann geeignet. 

Wichtig: Wer tatsächlich an einen Suizid denkt und diese Gedanken nicht loswird, findet kostenlose und anonyme Hilfe z.B. bei der Telefonseelsorge unter 0800/1110111 - oder als E-Mail-Beratung über die Internetseite www.telefonseelsorge.de

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Sonntag, 14. Mai 2017

Nach der Messe ist vor der Messe... ist vor der Messe - Interview mit Meike Wengler, Macherin der Messe "Leben und Tod" in Bremen - Warum der Initiatorin der Trauer- und Palliativmesse immer noch die Tränen kommen und warum die Planungsvorläufe mehrere Jahre überstrecken

Bremen/Osnabrück - Nun ist sie vorbei, die "Leben und Tod 2017" - und war mehr als erfolgreich. Aber Messe-Macherin Meike Wengler ist mit ihren Planungen schon längst viel weiter. - Es ist ein langer, langer Flur. Fast ganz hinten, am Ende rechts, ist das Büro von Meike Wengler. Von ihrem Fenster aus guckt sie auf eine typisch bremische Stichstraße mit Mehrfamilienhäusern und Reihenhäuschen. Unter ihr befindet sich die riesige Halle 6 der Bremer Messe. An den Wänden Bilder von Pferden oder Planungsskizzen. So sieht es also aus, das Herz der Messe "Leben und Tod" in Bremen. Wobei - das eigentliche Herz ist wohl Meike Wengler selbst. Ich hatte mich im April 2017 mit der Messemacherin zum Interview verabredet und war überrascht zu erfahren, dass die Vorbereitungen schon bei 2019 angekommen sind - und dass Wenger selbst nach fast zehn Jahren Messe-Erfahrungen noch immer die Tränen kommen. Hier das Interview im Wortlaut.

Sie rief die Messe "Leben und Tod" in Bremen ins Leben: Meike Wengler ist verantwortlich für die Messe und das Programm (Die Leben und Tod 2018 findet am Freitag, 4 Mai und Samstag, 5. Mai 2018 statt).   (Bremer-Messe-Presse-Foto/mit freundlicher Genehmigung)


Meike Wengler, Sie gelten als die „Erfinderin“ der Messe „Leben und Tod“… Wie kam es dazu?

Meike Wengler: Reiner Zufall. Ich hatte vorher mit dem Thema eigentlich gar nichts zu tun gehabt. Irgendwann habe ich dann sonntags mal ins Fernsehprogramm reingezappt und da kam gerade die Sendung „Willi will’s wissen – wie ist das mit dem Tod?“

Ach nee. „Willi will‘s wissen“ war der Auslöser?

Meike Wengler: Das war der Auslöser. Da ratterte es bei mir im Gehirn und ich habe so gedacht: Stimmt ja eigentlich, jeder muss sterben, das geht jeden was an, aber keiner spricht drüber. Und dann habe ich gedacht, das wäre doch mal was für uns hier als Messe. Als ich meinen Chef dann gefragt habe, hat der erstmal geschluckt und hat gesagt: Frau Wengler, sind Sie sicher? Ja, ich bin sicher, habe ich gesagt – aber ich habe dann erstmal ganz viele Gespräche geführt. Mit der Bremer Landes-Kirche, dem Bremer Hospiz- und Palliativverband, mit einer Freundin, die ihre Ausbildung zur Krankenschwester auf einer Palliativstation gemacht hat.

Wie waren die Reaktionen?

Meike Wengler: Durchweg positiv. Aber durch diese vielen Gespräche ist mir auch klargeworden, ja, das ist ein sehr wichtiges Thema, aber ich kann das nicht alleine machen. Also habe ich mir einen Beirat zusammengesucht, der ja über die Jahre immer größer geworden ist und der aus vielen verschiedenen Kirchenmitgliedern und Mitgliedern  von Landesverbänden und Bundesverbänden, die zu dem Thema was zu sagen haben, besteht. Und als das soweit stand und ich das Konzept geschrieben hatte, hat mein Chef dann gesagt: Das machen wir. Und da bin ich ihm sehr dankbar, denn das war sehr mutig.

Die „Leben und Tod“ ist ja immer so eine Doppelpackung – eine Messe für alle Besucher, auch die privaten, und ein Kongress für die Mitarbeiter aus der Hospiz-, Palliativ- und Trauerbegleiterszene. Entwickeln sich beide Bereiche gleich gut?

Meike Wengler: Nicht ganz. Ursprünglich sollte die „Leben und Tod“ nur eine Messe sein, logisch für uns als Messeveranstalter, und alles andere war so für den Rand gedacht. Aber mittlerweile ist der Schwerpunkt wirklich der parallel stattfindende Fachkongress. Der im Augenblick wirklich enorm wächst – also von 2015 auf 2016 um 30 Prozent und jetzt wieder prognostisch um 30 Prozent…

Wie wird das gemessen - in Teilnehmerzahlen?

Meike Wengler: Genau, in Teilnehmerzahlen. Worüber wir uns sehr freuen, weil wir da ja offenbar was richtig machen, was so die Themenauswahl angeht. Aber – und das ist so mein Anliegen – wir sind immer noch eine Mischung aus der Fachlichkeit und den Privatbesuchern… Unsere Philosophie ist es, als Plattform zu wirken und die verschiedenen Professionen zusammenzubringen - das macht meiner Meinung nach auch den Charme des Ganzen aus.

Gibt es denn Rückmeldungen von Privatbesuchern?

Meike Wengler: Teilweise, ja. Ich erlebe zum Beispiel auch, dass mich Leute anrufen und sagen: Mein Mann ist vor drei Monaten gestorben, ich möchte mich gerne mehr informieren, gibt es bei Ihnen entsprechende Vorträge?

Gehen wir nochmal zurück in die ersten Jahre. Wie haben Sie sich gefühlt?


Der große Saal auf der Messe "Leben und Tod" im Jahre 2015 - einer von drei Orten, an denen das parallel laufende Vortragsprogramm stattfindet, so sicher auch in 2018.    (Thomas-Achenbach-Foto)


Meike Wengler: Manchmal etwas zittrig. Der erste Gang zum Bestatter damals, da habe ich wirklich Beklemmungen gehabt und habe gedacht, ohje, was kommt da auf mich zu? Die verstaubte Kupferurne im Fenster - wie man sich so ein Klischeebild so vorstellt? Dann habe ich aber ganz positive Erfahrungen gemacht.

Das war aber ein beruflicher Gang zum Bestatter?

Meike Wengler: Genau, um ihn zu gewinnen für die Messe.

Das finde ich hochinteressant – ich beobachte immer wieder, dass viele der Menschen, die so etwas machen wie ein Hospizehrenamt oder Trauerbegleitung, eigentlich biographisch geprägt sind. Und dann irgendwann aus der biographischen Kurve rauskommen und sich sagen, ja,der Tod ist irgendwie mein Thema, ich muss da jetzt mal was machen. Aber bei  Ihnen ist das was ganz anderes…

Meike Wengler: Ja. Das kann natürlich eine Stärke sein, kann auch eine Schwäche sein. Am Anfang hatte ich immer wieder zu schlucken. Das ist übrigens auch heute noch so: Es gibt manchmal Themen, da muss ich erstmal eine Runde spazierengehen oder mir ein Eis kaufen – einfach raus aus dem Thema. Aber gleichzeitig erlebe ich das als unglaublich gewinnbringend und bereichernd – auch für mein eigenes Leben. Und diese Erfahrungen, die ich mache – sowohl mit Betroffenen als auch mit Profis -  sind einfach toll.

Wie gehen denn die Profis damit um?

Meike Wengler: Überraschend lebensnah. Ich weiß noch genau: Unsere ersten Beiratssitzungen... – ich habe selten soviel gelacht! Und das ist ganz, ganz toll, aber das hat mich überrascht. Dieses Thema so zu betrachten, dass man auch drüber lachen darf, wir heißen ja nicht umsonst Leben und Tod. 

Die erste Leben und Tod war 2010. Haben Sie vorher schon Messen organisiert?

Meike Wengler: Ich bin jetzt fast 15 Jahre bei der Messe Bremen. Vorher habe ich die Bremen Classic Motorshow begleitet. Ich wollte auch schon mal eine Pferdemesse machen, das wollte mein Chef aber nicht so gerne (lacht). Leider, ich bin leidenschaftliche Reiterin. Aber letzten Endes bin ich ganz froh drüber, denn sonst würde es die Leben und Tod nicht geben..

Und wie ist der Name entstanden? Ich fühle mich da immer etwas an Douglas Adams erinnert: „Das Leben, das Universum und der ganze Rest…“-  heißt ja eines der Bücher aus der „Per Anhalter durch die Galaxis“-Reihe.

Meike Wengler: Tatsächlich haben wir uns da ganz viele Gedanken drüber gemacht und 
haben vieles gefunden, was wir nicht wollen. Irgendwann kam dann - auch in Zusammenarbeit mit unserer Agentur, die uns berät - so der Gedanke auf: Wir können doch eigentlich genau sagen, worum es geht – es geht  um Leben und Tod. Das hat es aber am Anfang schwergemacht.

Wieso? Hat es potentielle Besucher abgeschreckt – oder ferngehalten?

Meike Wengler: Ja, es gibt zwei Punkte, die unsere Arbeit schwermachen. Das ist erstens der Name: Es schreckt ab, sobald das Wort „Tod“ irgendwo steht, da gehen bei ganz vielen Leuten die natürlichen Rolläden runter. Und das Zweite ist der Zeitpunkt. Im Mai! Medial betrachtet ist das der Ober-GAU. Wenn wir im November stattfinden würden, so rund um den Totensonntag, wäre das der optimale Zeitpunkt, da gäbe es viel mehr mediale Aufmerksamkeit rund um das Thema Tod. Aber im Mai will das Thema ja eigentlich keiner haben. Da geht es dann um Mode, Blumen, Grillen, Draußensein, sowas… Wir haben damals aber gesagt: Nee, gerade nicht! Im Mai wird tastächlich mehr gestorben als im November. Das macht es zwar nach wie vor schwer für uns, manchmal verfluche ich das auch, aber die Rückmeldungen von den Profis bestärken uns da. Die sagen nämlich auch: Das ist total richtig.

Sie sind ja auch in ihrer ganzen Gestaltung weniger staatstragend unterwegs. Man könnte ja beim Thema Tod eher ein schwarzes Logo vermuten. Oder wenigstens tiefblau. Haben Sie aber nicht.

Meike Wengler: Orange und  Grün, genau, so lebensbejahende Farben, das war auch wichtig. Zuerst haben wir tatsächlich mit einem verschämten Hellblau angefangen. Wir wussten einfach noch nicht, was wir uns trauen können. Aber mit der Zeit sind wir mutiger geworden. Auch zu sagen: Es geht um Leben und Tod – Ausrufezeichen. Das ist uns wichtig. Da darf - ja, muss - man auch provokant sein. Ich betone aber immer wieder: Wir gehen auf keinen Fall flappsig mit dem Thema um. Ich habe den größten Respekt vor diesem Thema. Und wie gesagt: Ich muss manchmal auch rausgehen oder weine auch, weil mich ein Schicksal berührt…

Wenn Sie an die erste Messe 2010 zurückdenken – wie war das so?

Meike Wengler: Geprägt von ganz viel Unsicherheit, weil wir mit dem Thema noch nicht so firm waren, wir kamen ja alle nicht aus diesem Bereich und wussten nicht, ob überhaupt jemand kommt, wer da kommt und wie es wird. Beim ersten Mal gibt es auch noch nichts, auf das man sich verlassen  kann, es gibt keine eingespielten Routinen. Das ist extrem stressig. Wir waren auch sehr schüchtern in der Außenkommunikation. Aber da war auch viel Aufbruchstimmung, weil es sowas noch nie gegeben hatte und weil die, die kamen, uns rückmeldeten, dass sie sehr dankbar waren dafür.

Und der Stressfaktor heutzutage?

Meike Wengler: Es ist immer noch stressig, klar. Ich habe auch immer noch Schnappatmung morgens wenn ich aufwache und denke, ohje, nur noch wenige Wochen. Und ganz schlimmes Lampenfieber, ganz schlimm. Aber es gibt so Routinen, man weiß, wann was dran ist, wann was gebucht werden muss, das macht es alles etwas leichter.

Wenn man Sie so erlebt, wie Sie am ersten Messetag die Anmoderation machen, ist das aber nicht zu spüren.

Meike Wengler: Doch, ich bin immer noch sehr aufgeregt. Ich bin bei jeder Veranstaltung mein kritischster Besucher und hoffe immer, dass alles gut ist. Man kann es nicht allen recht machen. Es gibt immer kritische Stimmen. Manchmal für merkwürdige Dinge, manchmal berechtigt. Aber wir sind immer extrem daran interessiert, es richtig, richtig gut zu machen. Es ist halt unser Baby, und wir stecken all unser Herzblut in die Organisation!

Im Vorgespräch haben Sie gesagt: Nach der Messe ist vor der Messe. Sind Sie schon bei den Planungen der kommenden Jahre?

Meike Wengler: Ja, wir haben schon lange Vorläufe – viele Referenten haben dermaßen volle Terminkalender, da muss man schon gut im Voraus planen. Es ist dann manchmal ganz schön schwierig, zwischen den Themen zu jonglieren. Im nächsten Jahr wollen wir uns  „Mit Leib und Seele“ befassen und im übernächsten Jahr, zu unserem 10-jährigen Jubiläum mit „Am Anfang und am Ende….Leben!“ . Wir haben schon das ganze Jahr gut zu tun, aber wir sind ein kleines und sehr menschlich aufeinander eingespieltes Team und sehr kreativ, da macht das Arbeiten echt Freude. Bei uns wird echt viel gelacht – ein Kollege hat mal gesagt: Das ist das fröhlichste Team in der Messe Bremen. Ich denke, das muss auch so sein, wenn man so ein Thema macht.

Zwei Jahre im Voraus… Sind die Themen immer so langfristig geplant? 2016 haben Sie ja genau auf Höhe der Zeit das Flüchtlingsthema bedient, wo viele Besucher – ich auch - gesagt haben, was für ein Volltreffer. War das reiner Zufall?

Meike Wengler:  Das war ein totaler Zufall! Das Thema war ein Jahr vorher festgelegt worden. Dass im Herbst vorher diese Flüchtlingskrise entstand, spielte uns in die Karten, war für uns aber gar nicht vorauszusehen. In einem Fall waren wir auch zu früh dran: Ich habe mit einer Trauerbegleiterin gesprochen, die hat eine koptische Christin und eine Syrerin in der Ausbildung bei sich, aber die waren noch nicht fertig und konnten noch nichts dazu erzählen. Das war total schade und da waren wir vielleicht ein bisschen zu schnell… 

Das Fazit für die "Leben und Tod 2017" fällt übrigens mehr als positiv aus - wie die Bremer Messe am 15. 5. in einer Pressemitteilung schrieb, waren selbst die Organisatoren rund um Meike Wengler überrascht vom Ergebnis: 4336 Besucher kamen demzufolge zur achten Auflage der Messe - 510 mehr als im Vorjahr (3826). Für den Fachkongress registrierten sich in diesem Jahr 1305 Besucher. Das ist ein Plus von mehr als 50 Prozent gegenüber 2016 (856) - also noch deutlich mehr als der von Meike Wengler in unserem Interview prognostizierten 30 Prozent. 

Und der Termin für die Messe Leben und Tod 2018 steht auch schon fest: Sie findet am Freitag und Samstag, 4. und 5. Mai 2018, statt. 


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Der Autor dieser Zeilen bietet Trauerbegleitung an in Osnabrück und im Osnabrücker Land an und hat eine Ausbildung zum Trauerbegleiter absolviert (Große Basisqualifikation gemäß des Bundesverbands Trauerbegleitung). Er hält auch Vorträge zum Thema Trauer und Umgang mit Trauernden. Mehr Infos gibt es hier

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Ebenfalls auf diesem Blog: Was soll nach einem Todesfall gefeiert werden? "Nur" der Todestag - oder auch noch der Geburtstag des gestorbenen Menschen?

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Und im Kultur-Blog des Autors: Genug gemeckert, wir sollten froh sein über unsere Theater - eine Liebeserklärung und eine Lobpreisung zum Welttheatertag

Samstag, 6. Mai 2017

"Chefsache Trauer & Tod" - Trauerbegleitung für Firmen & Berufstätige - wie die Handwerkskammer Koblenz (HWK) in einem in Deutschland fast einmaligen Projekt Unternehmen und Mitarbeitern bei Verlustkrisen hilft (Jahresthema Trauer in der Arbeitswelt/Trauer am Arbeitsplatz, Teil 3)

Osnabrück/Koblenz - Nur ein Beispiel dafür, dass der Tod alltäglicher ist als wir das oft wahrhaben wollen: Einmal kam die E-Mail eines Azubis, ja, fast ein Hilferuf eines Azubis, an die Adresse trauerbegleitung@hwk-koblenz.de- "Können Sie bitte ganz schnell kommen, einer unserer Kollegen hat sich umgebracht und wir wissen nicht mehr weiter... Was haben wir falsch gemacht...?". So oder ähnlich lauteten die wenigen Zeilen, aus denen Hilflosigkeit und Verzweiflung herauszulesen war. Einer von über 20 Fällen, die das Projekt "Trauerbegleitung am Arbeitsplatz" in den vergangenen fast acht Jahren betreut hat (Stand: April 2017). Ein Pilotprojekt, das in Deutschland seinesgleichen sucht, nur in Hamburg gibt es ein etwas ähnliches. 

Wo Menschen arbeiten, ist auch der Tod nicht weit. Diese Erfahrung hat die Projektbetreuerin Barbara Koch oft genug alleine schon in der Handwerkskammer Koblenz gemacht: "Bei rund 300 Mitarbeitern haben wir nahezu jede Woche den Fall, dass ein Angehöriger oder ein enger Freund verstirbt", sagt sie im Telefongespräch, das wir kürzlich durchgeführt haben, damit ich in diesem Blog über das Thema berichten kann. Entfernt oder nah, Kollege oder Angehörige, Familie oder Freundeskreis - der Tod ist immer irgendwo. Und mit der systemischen Brille betrachtet: Wer damit betroffen ist, nimmt das Thema zwangsläufig in seine Umfelder mit hinein. Natürlich auch in die Arbeitswelt. 


Um Resilienz und Trauer am Arbeitsplatz/Trauer im Berufsleben ging es bei zwei Veranstaltungen, die die Handwerkskammer Koblenz im März durchführte.    (HWK-Koblenz-Foto) 

Jedoch: Trauer und Arbeitsplatz, das war nirgends ein Thema. Anlass genug für den Kardiologen und Palliativmediziner Dr. Martin Fuchs, sich für ein entsprechendes Projekt einen Kooperationspartner zu suchen. Das war im Jahre 2009 und bei der Handwerkskammer Koblenz stieß er auf Interesse und offene Ohren. Wobei gesagt werden muss: Obwohl eng mit der Handwerkskammer verknüpft, handelt es sich jedoch um ein ehrenamtlich betriebenes Projekt, das sich an alle richtet, die es gebrauchen könnten - und nicht bloß an handwerkliche Betriebe, die Mitglieder der Kammer sind. "Ich müsste sonst bei jedem Anrufer zuerst fragen: Sind Sie auch in der Handwerksrolle eingetragen?", beschreibt Barbara Koch die Herausforderung.



Hilfe nicht nur für Handwerksbetriebe


Und außerdem sagt sie...: "Ich will das so!" Also betreibt die hauptamtlich als Geschäftsführerin für Personal und Finanzen arbeitende 52-Jährige die Themen Krise und Trauer am Arbeitsplatz zwar von ihrem Schreibtisch in der Handwerkskammer aus, aber – wie alle Projektmitglieder - rein ehrenamtlich. Seit 2009 ist eine Telefonhotline eingerichtet, an die sich Menschen in einer krisenhaften Trauersituation wenden können. Die Erfahrungen, die die Projektbetreuer bislang gemacht haben, lassen sich folgendermaßen zusammenfassen:

- Das Interesse an einer individuellen Beratung bei Einzelpersonen ist größer 
- Das Interesse von Unternehmen an Beratungen war geringer als gedacht
- Es haben sich zu etwa 80 % Arbeitnehmer gemeldet, zu rund 20 % Betriebe
Es besteht ein großer Wunsch nach Anonymität/also anonymer Hilfe und Beratung
- Und: Je größer ein Unternehmen ist, desto wichtiger ist das Thema 


Überraschung: Je größer die Firma, desto hilfsbedürftiger


Vor allem die letztere Erfahrung hatte die Initiatoren des Projekts erst überrascht, wie Barbara Koch mir in einem Telefongespräch berichtete. "Wir hatten gedacht, das sei ein Thema für die kleinen und mittelständischen Betriebe - aber das Gegenteil ist der Fall", erzählt sie. "Es hat sich herausgestellt: je größer der Betrieb, desto größer der Bedarf." Auch ein Dax-Unternehmen war schon bei den Interessenten dabei. Vermutlich, sagt Koch, ist in kleineren Betrieben eben wegen der größeren Nähe zueinander ein ganz anderer Umgang mit den Themen Tod und Sterben möglich - und Praxis.


Erst Anruf, dann Hilfe - so funktioniert das Projekt


Und so funktioniert das Projekt: In einem Erstkontakt am Telefon werden anhand einer Checkliste die wichtigsten Fakten erfragt - unter größter Vertraulichkeit und hohem Datenschutz. Wie lassen sich die Länge, Art und Auswirkungen der Trauer beschreiben (von 14 Tagen Abstand zum Ereignis bis zu 5 Jahren war alles schon dabei)? Wo ist das größte Problem? Wer hilft schon? Dann die Frage: Darf ich ihren Chef kontaktieren (interessante Erfahrung: das wollen die meisten nicht)? Eine wichtige Frage bei kleineren Unternehmen: Ist Ihr Betrieb in Gefahr (weil beispielsweise der Firmengründer und Geschäftsführer gestorben ist)?


Die Hochschule ist mit dabei - wissenschaftliche Begleitung


Danach wird ausgelotet, wer helfen kann, wer kurzfristig ein Vier-Augen-Gespräch mit dem Anrufer führt. Oft gefragt ist der Projektgründer Dr. Martin Fuchs. Aber auch eine professionelle Trauerbegleiterin gehört zum Team und übernimmt persönliche Gespräche. Parallel wird das Projekt von einer Hochschule begleitet - nämlich vom Institut für Soziologie der Universität Koblenz-Landau (und demnächst vermutlich von der Uni Bonn). Ein Semester lang geht es innerhalb des Soziologiestudiums um die Themen Tod und Trauer und Berufsleben... "In diesem Teil des Projekts ist durch das Engagement der Studierenden derzeit viel Dynamik'", erzählt Barbara Koch. 


Auch Krankenhäuser klopften an - was tun, wenn Patienten sterben?


Auch das mediale Interesse an dem Projekt ist derzeit sehr groß. Außerdem kommen allgemeine Anfragen zum Projekt, der Wunsch nach Handlungshilfen kommt aus ganz Deutschland und verteilt sich auf alle Branchen. So sind auch Krankenhäuser oder Pflegeeinrichtungen bei den Anfragenden dabei (Trauer bei Patientenverlust) ebenso wie Betreiber von ÖPNV-Diensten (Trauer nach Unfällen/Suiziden). Nur eines ist noch schwierig...: 

Um Resilienz und Trauer am Arbeitsplatz/Trauer im Berufsleben ging es bei zwei Veranstaltungen, die die Handwerkskammer Koblenz im März durchführte.    (HWK-Koblenz-Foto)

Genügend Interessenten für Veranstaltungen zum Thema zu gewinnen. „Wir sind diesbezüglich bisher auf geringe Resonanz gestoßen. Trotzdem machen wir immer wieder einen Anlauf“, wie Barbara Koch beschreibt: "Wir ziehen das jetzt einfach durch!"; sagt sie lachend im Hinblick auf die geplante "Chefsache - Resilienz und Trauerbegleitung am Arbeitsplatz". Am Ende waren es immerhin rund 50 Besucher, die zu den beiden am 16. März in Simmern und am 22. März in Koblenz veranstalteten Workshops gekommen waren.


Trauerbegleitung ist auch Gesundheitsmanagement


Klar ist jedoch in jedem Fall: "Das Thema Trauer am Arbeitsplatz steht in ganz enger Verbindung mit dem Thema attraktiver Arbeitgeber - das gehört einfach dazu", sagt Barbara Koch. Und weil sich derzeit ganz viel tut in Sachen "BGM" - also dem Betrieblichen Gesundheitsmanagement - ist das Thema auch bei der HwK Koblenz selbst eben dort mit angesiedelt. 

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Das Buch zum Thema: "Mitarbeiter in Ausnahmesituationen - Trauer, Pflege, Krise" von Thomas Achenbach aus dem Campus-Verlag enthält viele Tipps und Anregungen rund um die Themen Trauer am Arbeitsplatz, Mitarbeiter in Pflegeverantwortung und mehr.

Der Autor dieser Zeilen bietet Trauerbegleitung an in Osnabrück und im Osnabrücker Land an und hat eine Ausbildung zum Trauerbegleiter absolviert (Große Basisqualifikation gemäß des Bundesverbands Trauerbegleitung) und bietet Podcasts rund um das Thema Trauer an. Thomas Achenbach ist der Autor der Bücher "Männer trauern anders - was ihnen hilft und gut tut", 168 Seiten, Patmos-Verlag und "Mitarbeiter in Ausnahmesituationen - Trauer, Pflege, Krise", 220 Seiten, Campus-Verlag. Mehr Infos auf www.thomasachenbach.de

Lesungen, Vorträge, Workshops, Seminare, Trauergruppen und mehr: Alle aktuellen Termine mit Thomas Achenbach finden sich unter diesem Link 

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