Donnerstag, 20. Juli 2023

Das Trauer-Zitat des Monats - #Juli2023 - bemerkenswerte Sätze über Trauer, Tod und Sterben aus Literatur, Interviews und Zeitschriften, Teil 7

  

"Ich höre einen neuen Ton in der Frage von Bekannten, wie es mir gehe, einen Ton, den ich zuvor nicht bemerkte und den ich in zunehmenden Maße als besorgniserregend empfinde, sogar als demütigend: Während mich diese Bekannten ungeduldig, halb besorgt, halb missmutig fragen, scheint es, als wären sie nicht länger an der Antwort interessiert. Als wäre ihnen zu sehr bewusst, dass die Antwort eine Klage sein wird."

Joan Didion, Blaue Stunden

(Ullstein-Verlag, Berlin, 2012/2019, Seite 119)


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Das Trauerzitat des Vormonats: Bitte hier klicken 

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Dienstag, 11. Juli 2023

Einmal angenommen, du könntest um Deine Trauer herum wachsen, ohne dass die Trauer über die Jahre abnimmt - so funktioniert das Konzept "Growing Around Grief" der Trauerbegleiterin Dr. Lois Tonkin aus Neuseeland - denn Menschen haben nach einem Verlust Angst davor, ihre Trauer zu verlieren

Osnabrück - Die meisten Menschen, die einen Verlust erlitten haben, können sich nicht vorstellen, dass sich ihre Trauer einmal verändern könnte. Manche haben regelrecht Angst davor, weil sie befürchten, mit ihrer Trauer auch die vielen Erinnerungen zu verlieren. Wenn wir davon ausgehen, dass deine Trauer ihre Intensität nicht verlieren wird - auch noch Jahre nach dem Verlust eines geliebten Menschen nicht -, bedeutet das dann gleichzeitig, dass keine Entwicklung mehr möglich ist im Inneren wie im Äußeren? Heißt es nicht ganz oft, man könne "an seiner Trauer wachsen"? Wie soll das möglich sein? Die neuseeländische Trauerbegleiterin Dr. Lois Tonkin hat ein Modell entwickelt, das eine spannende Alternative aufzeigt: Mit wenigen simplen Bildern zeigt sie, wie es möglich sein kann, nicht an seiner Trauer zu wachsen - sondern um sie herum

Lois Tonkin nennt ihr Konzept "Growing Around Grief"; also: Um die Trauer herum wachsen. Sie hat dafür ein ganz einfaches, sehr eindringliches und rein symbolisch gemeintes Bild entwickelt: Stell dir deine Trauer als Kugel vor. Vielleicht eine schwarze, schwere Kugel, aus Stein oder aus Beton gefertigt. Nun lege diese Kugel in ein kleines Schraubglas. Allerdings eines, das mit einer, sagen wir, magischen Fähigkeit ausgestattet ist: Es kann wachsen, während sein Innenleben gleich bleibt. In meinen Vorträgen rund um das Thema stelle ich auch dieses Modell auch bildlich vor. Das sieht dann im ersten Bild so aus:




Nehmen wir einmal an: Der Verlust einer geliebten Person ist jetzt eineinhalb Jahre vor. Es könnte auch ein Jahr sein oder es könnten zwei Jahre sein, darum geht es nicht, der Zeitpunkt ist nur eine Annahme. Stell Dir also vor: Die grauschwarze dicke Kugel, das ist Deine Trauer, so, wie sie Dir in der Seele lastet. Und das Gefäß drumherum, das bist Du. Die Außenwände dieses Glases könnten ein Symbol für Deine Seelenwände sein, tief im Inneren. Jedenfalls bist Du das Gefäß. Und Deine Trauer lässt dir, wie Du sehen kannst, wenig Raum für Anderes. Gehen wir jetzt also davon aus, dass sich Deine Trauer nicht verändern wird, dass sie genauso groß bleibt wie sie jetzt ist. Was sich aber verändert, ist das Gefäß drumherum. Wie sähe das wohl aus, weiter eineinhalb Jahre später? Vielleicht so...:




Nicht etwa die Trauer hat sich verändert - das Gefäß drumherum ist es, das wächst. Wenn die besonders schwierigen Zeiten überwunden sind, in denen alles zum ersten oder zum zweiten Mal erlebt werden muss - Todestag, Geburtstag des gestorbenen Menschen, Weihnachten ohne den gestorbenen Menschen, überhaupt der Alltag ohne ihn -, dann beginnt ganz unmerklich dieses Wachstum. Wagen wir also einen Blick in die weitere Zukunft, weitere eineinhalb Jahre später, wie sieht das Gefäß wohl dann aus, das um Deine Trauer herum gewachsen ist (also: Du, innerlich)...:




Der Verlust selbst und die damit verbundene Trauer bleiben für einen langen Zeitraum immer gleich groß und schmelzen mit der Zeit nicht einfach ab. Entscheidend für die weitere Entwicklung des trauernden Menschen ist Lois Toniks zufolge vielmehr, ob es ihm - also dem Menschen - gelingt, trotz des Verlusts weiter zu wachsen und neue Erfahrungen zuzulassen. Neues im Leben kann entstehen, während das Innere weiterhin mit dem Vergangenen befasst bleibt. Trauer ist eine Zeit der Ambivalenz, eine Zeit des Gespaltenseins, so erleben es viele. Und gleichzeitig ist es die Zeit eines inneren Wachstums. Vielleicht sogar: Eines großen inneren Wachstums. Um Deine Trauer herum.

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Der Autor dieser Zeilen steht in Osnabrück und im Osnabrücker Land als Trauerbegleiter zur Verfügung. Thomas Achenbach ist zertifizierter Trauerbegleiter nach den Standards des BVT (Große Basisqualifikation). 

Thomas Achenbach ist der Autor dieser drei Bücher: 

-> NEU: "Das ABC der Trauer" (Patmos-Verlag, Herbst 2023)
-> "Mitarbeiter in Ausnahmesituationen - Trauer, Pflege, Krise" (Campus-Verlag).
-> "Männer trauern anders - was ihnen hilft und gut tut" (Patmos-Verlag)

Mehr Infos auf www.thomasachenbach.de

Lesungen, Vorträge, Workshops, Seminare, Trauergruppen und mehr: Alle aktuellen Termine mit Thomas Achenbach finden sich unter diesem Link 

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Ebenfalls auf diesem Blog: Das Trauer-Zitat des Monats - jeden Monat neue berührende Sätze aus Zeitungen, Zeitschriften oder der Literatur 

Ebenfalls auf diesem Blog: Ein neuer Raum und neue Möglichkeiten - wo ich in Osnabrück jetzt Trauerbegleitung anbieten darf (weiterhin auch als Spaziergang)  

Ebenfalls auf diesem Blog: Macht es die Hinterbliebenen nicht noch trauriger, wenn wir sie auf ihren Verlust ansprechen? - Impulse bei großer Unsicherheit 

Ebenfalls auf diesem Blog: Die Kunden müssen die Bestatter bewegen - Plädoyer für eine moderne Bestattungskultur, Beispiele für zeitgemäße Rituale

Ebenfalls auf diesem Blog: Warum die Formulierung "Mein Beileid" immer noch das Beste ist, was Du einem Menschen mit einem Verlust sagen kannst

Ebenfalls auf diesem Blog: Ist Trauerbegleitung ein echter Beruf? Kann man von Trauerbegleitung leben? Und wie werde ich überhaupt Trauerbegleiter?  

Ebenfalls auf diesem Blog: Warum sich Trauernde förmlich zerrissen fühlen  - eine Einführung in das "Duale Prozessmodell der Trauer" und seine Fallstricke

Ebenfalls auf diesem Blog: Wer ein Kind verloren hat, sollte nicht arbeiten gehen müssen - was wir von einer britischen Rechtsprechung lernen können 

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Donnerstag, 6. Juli 2023

Ist Trauerbegleitung ein echter Beruf? Kann man von Trauerbegleitung leben? Wie wird man überhaupt Trauerbegleiterin oder Trauerbegleiter? Lohnt sich das? Ein paar Antworten auf Fragen, die mich immer mal wieder erreichen - so oder anders.... (und drei Einwände gegen meine Antworten gleich vorweggenommen)

(Alle Fotos: Thomas Achenbach)

Osnabrück - Oft bekomme ich E-Mails von Menschen, die sich für die Arbeit als Trauerbegleiter interessieren - meistens, weil sie mit dem Gedanken spielen, sich selbst entsprechend fortzubilden. Die Fragen beginnen bei "Wie werde ich eigentlich...?" und enden nicht zuletzt beim Finanziellen...: "Was verdiene ich denn....?", zum Beispiel. Bevor ich gleich auf die am meisten gestellten Fragen eingehe, möchte ich eine Vorbemerkung loswerden, die mir ganz wichtig ist. Nämlich diese: Als ich vor einigen Jahren meine Qualifizierung zum Trauerbegleiter beginnen durfte, hatte ich eine ganz andere Vorstellung davon, was Trauerbegleitung eigentlich ist als am Ende dieser fast 15 Monate, die die Qualifizierung gedauert hat. Und auch auf dem weiteren Weg in den Folgejahren hat sich vieles an Erfahrungen dazugesellt, was meine Ansichten weiter verändert hat. Soll heißen: Selbst, wenn du aktiv geworden bist, bleibt alles ein Prozess... 

Nur eines bleibt dabei immer gleich: Bei jeder Begleitung, bei jedem Gespräch merke ich, wie gut mir die lange Qualifizierung mit all ihrer Tiefe getan hat, wie wichtig es war, eine ganz eigene Haltung für diese Tätigkeit zu entwickeln und wie sehr mir beides in der aktiven Arbeit hilft. Aus dieser Überzeugung heraus bin ich Mitglied im Bundesverband Trauerbegleitung (geblieben), dessen große Leistung es war, die Qualifizierung zum Trauerbegleiter deutschlandweit zu normen und mit einem Curriculum zu unterfüttern, das viele der qualifizierenden Stellen inzwischen übernommen haben. Aber dazu später mehr. Ganz wichtig, übrigens: Es handelt sich um eine Qualifizierung zur Trauerbegleiterin bzw. zum Trauerbegleiter, nicht aber um eine Ausbildung. Das ist eine bedeutungsvolle Unterscheidung. Und sie führt uns direkt zur ersten Frage.



1.) Wie werde ich überhaupt Trauerbegleiterin bzw. Trauerbegleiter? Weil der Begriff Trauerbegleiter nicht zu den geschützten Berufsbezeichnungen gehört, ginge es streng genommen auch ganz ohne Qualifizierung. Du könntest dir ein Schild an die Haustür anbringen lassen und loslegen. Gut wäre das ganz sicher nicht. Theoretisch möglich aber ist es. Grundsätzlich empfehlenswert ist immer, eine solide Zusatzqualifizierung zu absolvieren. Hier gibt es deutschlandweit mehrere Möglichkeiten, angefangen bei mehrstündigen Fernkursen (nicht empfehlenswert, meine Meinung), Wochenendkursen (nicht empfehlenswert, meine Meinung) bis hin zu den Qualifizierungen, die den Standards des Bundesverbands Trauerbegleitung entsprechen (empfehlenswert, meine Meinung). Es gibt die Kleine Basisqualifizierung und die Große Basisqualifizierung. Letztere habe ich absolviert, die Qualifizierung erstreckt sich über einen Zeitraum von rund eineinhalb Jahren und läuft berufsbegleitend. Manche der dazu gehörenden Kurseinheiten laufen rund eine Woche lang, manche Kurseinheiten ein Wochenende lang. Das muss natürlich alles gut organisiert sein, mit Familie, Arbeitgeber, dem Alltagsleben. Wichtig zu wissen ist, dass du am Ende Deiner Qualifizierung - fast immer - eine Abschlussarbeit schreiben musst, in der du deine persönliche Haltung und deine Ideen für die Arbeit beschreiben solltest.  

2.) Was sollte eine gute Qualifizierung zur Trauerbegleiterin bzw. zum Trauerbegleiter kosten? Die Premium-Anbieter in diesem Marktsegment verlangen bis zu 7000 Euro. Das sind dann allerdings die Luxus-Qualifizierungen, die als Ausnahme gelten dürften, wobei sie sich inhaltlich gar nicht sooo arg von den "normalen" Qualifizierungen unterscheiden. Ich habe für meine Qualifizierung damals knapp 1600 Euro bezahlt, bei einem katholischen Bildungshaus in unserer Region, und die war auf einem hochwertigen Niveau, superintensiv, sehr lehrreich. Seither hat sich viel getan, was Inflation und Weltwirtschaft angeht. Um die 2000 bis 2500 Euro sollte man heutzutage, in 2023, meiner Meinung nach investieren, um mit dem Zertifikat einer "Großen Basisqualifizierung nach BVT" abschließen zu können.

3.) Ist Trauerbegleitung ein Beruf? Antwort: Nein. Jedenfalls, wenn wir "Beruf" als etwas definieren, das einem eine Festanstelllung bei einem Arbeitgeber garantieren kann. Denn das gibt es in ganz Deutschland derzeit nicht, zumindest nach meiner Kenntnis. Okay, es mag vielleicht zwei oder drei Ausnahmen geben. Aber wenn, dann kenne ich sie nicht. Und dabei bin ich wirklich viel unterwegs, bin sehr gut vernetzt, lerne ich stets neue Menschen aus dieser "Filterblase" kennen. Aber: Festangestellte kenne ich nicht. Und das ist auch der Grund, warum es keine "Ausbildung zur Trauerbegleiterin bzw. zum Trauerbegleiter" gibt, sondern eben eine "Qualifizierung". Okay, zugegeben: Natürlich gibt es Menschen, die sich mit einem Angebot von Trauerbegleitung selbstständig gemacht haben - meistens mit ergänzenden Zusatzangeboten. Die würden mir berechtigterweise in diesem Punkt widersprechen. Das ist eine Einschränkung, die ich gelten lasse: In Selbstständigkeit ist Trauerbegleitung durchaus eher Beruf als Berufung (was es letztlich immer ist, also Berufung). Was uns direkt zur nächsten Frage führt...:



4.) Lohnt es sich denn, Trauerbegleiterin oder Trauerbegleiter zu werden? Antwort: Unbedingt! Wobei wir auf das "lohnt es sich" an dieser Stelle einen differenzierten Blick werfen müssen. Denn gemeint ist mit der Frage ja meistens eher das Finanzielle. Oder? Und was das angeht, muss ich, sorry, einmal sehr eindeutig werden. Lass mich die Frage einmal anders formulieren:

5.) Kann man von Trauerbegleitung leben? Antwort: Nein. Jedenfalls nicht, wenn Du ausschließlich nur Trauerbegleitung im Angebot hast und nicht noch andere Zusatzangebote wie Coaching, Beratung aller Art, Vorträge, eine Tätigkeit als Referent für Workshops oder, so wie ich, auch noch als Buchautor mit Lesungen unterwegs bist. Ein Einkommen zu erwirtschaften, das dich oder gleich deine ganze Familie ernährt, dass dich die Miete zahlen lässt (oder den Kredit nach einem Haus- oder Wohnungskauf), mit dem sich alles Weitere bezahlen lässt, was anfällt, Versicherungen, Rechnungen, mal ein Großeinkauf, womöglich gar Urlaub... - all das, alleine durch Trauerbegleitungen, das ist eher, sagen wir, herausfordernd.  

6.) .... und warum ist das so? Erstens, weil Trauerbegleitung in Deutschland nicht von den Krankenkassen bezahlt wird, Du also entweder ehrenamtlich aktiv werden wirst oder auf Klienten angewiesen bist, die dich bezahlen ( - können / wollen! - ). Zweitens, weil es wie oben bereits erwähnt so gut wie keine Festanstellungen für Trauerbegleiterinnen oder Trauerbegleiter gibt. Und was potentielle Klienten angeht, gilt es, die folgenden Punkte in den Blick zu nehmen: Erstens müssen sie dich überhaupt finden - dazu später mehr -, zweitens muss es menschlich passen und dann müssen sie drittens bereit sein, ihr Geld für dich zu investieren. Sogar bei mir, der ich inzwischen durch die Veröffentlichung bald dreier Bücher als ein wenig bekannt(er) gelten könnte, ist der Alltag nicht unbedingt dadurch geprägt, dass sich eine Trauerbegleitung im Stundentakt an die nächste reiht. Ich habe durchaus Klienten, ich kann mich nicht beschweren, aber eben nicht pro Stunde einen (was wirtschaftlich gesehen allerdings sinnvoll wäre, wenn ich davon leben wollte). Hinzu kommt noch, dass es im Bereich der Trauerbegleitung auch viele - ebenfalls sehr gute - ehrenamtliche und damit letztlich kostenlose Angebote gibt, die von Hospiz- oder Selbsthilfegruppen betrieben werden. Und dass viele Menschen glauben, solche Leistungen wie Trauerbegleitungen würden von den Krankenkassen bezahlt und es sie abschreckt, wenn sie erfahren müssen, dass dem nicht so ist (über das Warum und die Frage, ob sich das jemals ändern wird, ließe sich stundenlang diskutieren, dazu vielleicht an anderer Stelle einmal mehr).

7.) Was verdient man als Trauerbegleiter denn so? Das liegt an Dir; an Deinen Klienten; an dem, was Du aufrufen möchtest für eine Stunde; an dem, was Deine Klienten zu zahlen bereit sind und was ihr gemeinsam besprecht. Die mir bekannten Stundensätze liegen zwischen 45 und 125 Euro, aber ob das maßgeblich ist, weiß ich nicht. Selten wird in Kolleginnenkreisen (sowie den Kollegenkreisen) über die Frage des tatsächlichen Verdienstes gesprochen. "Über Geld spricht man nicht", das gilt in Deutschland als Leitmotiv - und in Trauerbegleiterkreisen erst recht. In Erwägung ziehen solltest du also ebenfalls die Option, Deine Tätigkeit später in einem Ehrenamt zu absolvieren. Das kann sehr erfüllend sein, wie ich oft erfahren durfte. Dann besteht Dein Verdienst im Sammeln von Erfahrungen - und das ist, auch bei bezahlten Angeboten, das schönste Honorar von allen.       


 

8.) Und was brauche ich alles für die spätere Arbeit als Trauerbegleiterin bzw. Trauerbegleiter? Dreierlei: Innere Stabilität, eine eigene Haltung - und einen geeigneten Ort. Deine Aufgabe wird darin bestehen, all die Schicksale auszuhalten, die an Dich herangetragen werden, ohne selbst ins Leiden zu verfallen. Du musst mitschwingen können, ohne ins Mit-Leiden abzubiegen. Wer andere in so tiefen Lebenskrisen begleitet, sollte also selbst stabil sein auf der emotionalen Ebene und sollte keine frischen eigenen Baustellen im Bereich Tod, Trauer und Sterben mit sich bringen. Die Qualifizierungen starten deswegen meistens mit einer intensiven Innenschau. Ein guter Kurs gibt einem dann die Möglichkeit, an dieser Stelle auch wieder auszusteigen, kostengünstig -  falls man merken sollte, auweia, ist mir dann doch zu heftig, was da von innen über meine Seelentüren hinwegströmt. Wenn du in die Arbeit als Trauerbegleiter einsteigst, solltest du dich als Stütze für andere verstehen - dementsprechend brauchst du selbst maximale Stabilität. Wer gerade selbst in einer Krise steckt, kann das nicht immer bieten. Das muss nicht unbedingt bedeuten, dass ein Trauerbegleiter bzw. eine Trauerbegleiterin immer mit sich selbst im Reinen sein muss - aber eine grundsätzliche Fähigkeit zur kritischen Selbstreflektion und der Auseinandersetzung auch mit den schwierigen Teilen von einem selbst ist hilfreich für diese Arbeit (wie auch allgemein fürs Leben). Und was die rein weltliche Ausstattung angeht: Hilfreich kann es sein, später einen eigenen Raum zur Verfügung zu haben, in dem die Begleitungen stattfinden können (für meine Angebote darf ich mir einen Raum im Leisen Speicher in Osnabrück mit anderen teilen, das ist eine sinnvolle Lösung). Aber es geht auch ohne. Manche der Männer, aber auch der Frauen, die ich in Einzelbegleitungen unterstützen durfte, mochten das Setting eines Spaziergangs in der Freien Natur ohnehin viel lieber.  

9.) Wie komme ich an Klienten, wenn ich mich mit Trauerbegleitung selbstständig machen möchte? Das erfordert ein paar zusätzliche Qualifikationen, die wichtig sein können. Erstens solltest Du Dich mit den Sozialen Medien auskennen, mit Internet und digitalen Netzwerken, denn ohne das ist es umso schwerer, sich selbst bekannt zu machen. Zweitens solltest Du ein gutes Fingerspitzengefühl haben für den schmalen Grat zwischen Kundenakquise und Übergriffigkeit. Natürlich wäre es theoretisch möglich, einen Akquisebrief an alle Adressen zu schicken, die du in den Todesanzeigen der Tageszeitung finden kannst. Aber ethisch fragwürdig wäre das dann doch. So wie beispielsweise auch Telefonakquise für Trauerbegleitung. Hilfreich ist ansonsten der übliche Blumenstrauß, den es braucht, sich bekanntzumachen: Flyer in Supermärkten oder in Einrichtungen, eine eigene Website, vielleicht mal ein Interview hier oder dort, so etwas. 

Einwände? Ja, gibt es. Zu Recht. Aber vorher noch einmal zusammengefasst: 



Lohnt es sich, Trauerbegleiterin zu werden? Antwort: Ja. Aber warum? Nun ja: Für mehr Tiefe im Leben. Um dem auf die Spur zu kommen, was wirklich wichtig ist. Jeder Kontakt mit dem Thema Endlichkeit oder mit Menschen in einer solchen Krisensituation ist gleichzeitig herausfordernd wie auch bereichernd, gleichzeitig anstrengend wie lehrreich, auch, was die persönliche Entwicklung angeht. Für mich vergeht kein Tag, an dem ich mich nicht mit den Themen Tod und Endlichkeit auseinandersetze - aber das macht mein Leben reich und wertvoll, weil dadurch mein Bewusstsein für die Kostbarkeit des gegenwärtigen Augenblicks stets auf Neue geschärft wird. Wer Trauerbegleitungen anbietet, hilft Menschen an den neuralgischen Kipppunkten ihrer seelischen Stabilität. Das tun zu dürfen ist ein Geschenk. Darum geht es. Nicht ums Geld.

Soviel zu den am meisten gestellten Fragen. Eines ist mir jetzt ganz wichtig zu betonen: Es handelt sich bei allem oben Stehenden um meine ganz eigene Meinung. Und ich will nicht verhehlen: Gegen alles, was ich oben gesagt habe, lassen sich sicher Einwände finden. Drei der wichtigsten Einwände möchte ich hier direkt vorwegnehmen. Es sind diese: 

1.) Erster Einwand: Ich kenne aber Frauen, für die ist Trauerbegleitung nicht nur Ehrenamt, sondern deren Hauptberuf. Also was stimmt denn nun? Es stimmt schon, ein paar kenne ich auch, wobei ich zwei kleine Einschränkungen äußern möchte. Erstens: Alle Kolleginnen, die mit dem Thema Trauerbegleitung unterwegs sind, geben auch Vorträge zu diesem Thema, wenigstens, viele sind außerdem noch in der Qualifizierung aktiv, das heißt, ihr zweites Standbein ist sichtbar. Zweitens: Mir reicht eine Hand, um die wenigen Kolleginnen aufzählen zu können, von denen ich ganz, ganz sicher weiß, dass sie sich ausschließlich über ihre Aktivitäten als Trauerbegleiterin sowie Qualifizierende sowie Vortragende über Wasser halten können. Die meisten haben jedoch noch etwas anderes im Angebot: Coaching, beispielsweise. Oder sie haben einen Brotberuf, der sie zusätzlich finanziert - oder, ich bitte um Entschuldigung, eben einen gut verdienenden Ehemann. Denn wenn wir uns mal kritisch umschauen in der aktiven Trauerbegleiter-Filterblase, dann finden wir dort derzeit vor allem: Frauen einer bestimmten Generation, Durchschnittsalter 60 Jahre, vermutlich gut situiert...  

2.) Zweiter Einwand: Ich habe in der Presse von Menschen gelesen, die sich für den "Beruf als Trauerbegleiter" entschieden haben - da ist immer vom "Beruf" die Rede, also was stimmt denn nun? Ganz ehrlich: Ich habe diese Artikel auch gelesen, manche davon finden sich sogar bei den hochwertigeren Qualitätsmedien dieses Landes wie Spiegel Online, und ich muss gestehen, ich habe keine Ahnung, wie die dort portraitierten Menschen tatsächlich durchs Leben kommen. Mir sind allerdings beim Lesen drei Dinge aufgefallen, von denen ich glaube, dass sie wichtig sind. Erstens: Meistens werden die Menschen kurz nach dem Einstieg in ihre Tätigkeit portraitiert. Logisch, weil sie sich dann bekannt machen müssen. Aber einige Jahre danach hört man dann von diesen Menschen nichts mehr. Zweitens: Die meisten Artikel umgehen die finanziellen Fragen, indem sie sie aussparen. Was kostet das Angebot bei diesen Menschen, beispielsweise? Dazu findet sich meistens keine Angabe. Deswegen würde mir mein Bauchgefühl sagen: Die Menschen aus diesen Artikeln haben genau die gleichen Schwierigkeiten und Herausforderungen, wie ich sie oben beschrieben habe. Und schließlich drittens: Manche Artikel machen gar keinen Hehl daraus, dass die portraitierten Menschen noch eine weitere Aufgabe neben ihrer Trauerbegleitung absolvieren - so ist in der "Zeit" beispielsweise über die Trauerbegleiterin Gina zu lesen, dass sie eben auch Hospizkoordinatorin ist. Da dürfte dann klar sein, was eher Festanstellung ist - und was eher Berufung...

3.) Dritter Einwand: Wenn ich mehrere tausend Euro für eine Qualifizierung ausgebe, dann will ich auch was davon haben, das ist doch verständlich? Ja, das ist verständlich. Und deswegen, nochmal: Du wirst auch etwas davon haben. Etwas fürs Leben. Trauerbegleiter zu werden, das bringt Tiefe ins Leben, bringt Dich den ganz großen Fragen des Lebens näher. Um dem auf die Spur zu kommen, was wirklich wichtig ist. 

Das lohnt sich, ehrlich.

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Der Autor dieser Zeilen steht in Osnabrück und im Osnabrücker Land als Trauerbegleiter zur Verfügung. Thomas Achenbach ist zertifizierter Trauerbegleiter nach den Standards des BVT (Große Basisqualifikation). 

Thomas Achenbach ist der Autor dieser drei Bücher: 

-> "Das ABC der Trauer" (Patmos-Verlag, Herbst 2023)
-> "Mitarbeiter in Ausnahmesituationen - Trauer, Pflege, Krise" (Campus-Verlag).
-> "Männer trauern anders - was ihnen hilft und gut tut" (Patmos-Verlag)

Mehr Infos auf www.thomasachenbach.de

Lesungen, Vorträge, Workshops, Seminare, Trauergruppen und mehr: Alle aktuellen Termine mit Thomas Achenbach finden sich unter diesem Link 

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