Es gibt ohnehin kaum ein deutschsprachiges aktuelles Musikprokekt, bei dem Alexander "Ali" Zuckowski nicht irgendwie seine Finger mit drin hätte, wie es vor einigen Jahren ja auch der Satiriker Jan Böhmermann recht spektakulär nachgewiesen hatte. Und die spannende Frage bei solchem Co-Songwriting ist natürlich immer: Wie hoch ist der Anteil an dem Lied, das der Künstler tatsächlich selbst beigesteuert hat - man schaue sich alleine mal die Songwriting-Credits bei einem Helen-Fischer-Album an...? Aber das nur als kleine Randbemerkung. Zurück zu Mechthild Schroeter-Rupieper und ihren Vortrag auf der Messe. Wie schon vor zwei Jahren hatte die Trauerbegleiterin - die sich mit ihrem Lavia-Institut auch um viele Angehörigen der Germanwings-Katastrophe von März 2015 gekümmert hatte - unsere allgemeine gesellschaftliche Unfähigkeit zu trauern und deren Ursachen zu einem zentralen Thema ihres Vortrags gemacht. Und hatte aufgezeigt, wie wir mit Jugendlichen und Kindern so umgehen können, dass sie hier neue Wege und Impulse vermittelt bekommen können.
(Alle Fotos: Thomas Achenbach) |
Einmal habe sie einer der Jugendlichen aus ihrer Gruppe gefragt: Kann ich von Trauer eigentlich depressiv werden? Und sie habe geantwortet: Die Gefahr depressiv zu werden ist viel größer, wenn Du nicht trauerst, berichtet Mechthild Schroeter-Rupieper. Und doch bekommen Kinder und Jugendliche auch heute noch allzu oft zu hören: Sei doch nicht so traurig. Oder sie bekommen ein Lob dafür, wenn sie den Verlust eines Elternteils oder eines Geschwisterkindes scheinbar "gut wegstecken"; wenn sie "ganz tapfer" bleiben - anstatt dass wir mal hingucken, wie es diesen Kindern im Inneren eigentlich wirklich geht und ob sie nicht vielleicht nicht einfach nur versuchen, sich irgendwie zusammenzureißen (was immer schwer ist, wenn da im Inneren alles zerrissen ist). Diese vermeintlich lobenswerte Tapferkeit ist übrigens immer wieder ein Thema auf der Messe Leben und Tod (siehe dazu auch "Der Fluch der Tapferkeit") - wie auch die spannende und unbedingt diskutierenswerte Frage, wie sehr wir Kinder eigentlich mit dem Tod konfrontieren dürfen. Ein Thema, bei dem ich selber gerne mal allzu missionarisch werde und in manche Diskussion unter Freunden und guten Bekannten mit einer Verve einsteige, der einer eigentlich zurückhaltenden Haltung, wie ich sie als angebrachter und professioneller erlebte, nicht immer entspricht...
Und dennoch: Meiner Meinung nach - und nach allem, was ich so höre von Bestattern und Trauerbegleiterkolleginnen - gelingt gerade Kindern die Konfrontation mit dem Tod oft tausendmal besser und natürlicher als vielen Erwachsenen und wir dürften sie sehr viel mehr mit dem Tod befassen als wir das oft tun. Aber: Den Tod stattdessen lieber ins Heimlichgetue wegzumauscheln, in so eine merkwürdige Hach-Bessernichthingucken-Ecke - das genau erzeugt ja gerade die Unsicherheit, die wir Erwachsenen heutzutage bei diesem Thema allzu oft haben. Und warum haben wir sie? Vielleicht gerade deswegen, weil wir als Kinder noch nicht offensiv genug mit dem Thema zu tun gehabt haben? Oder weil wir einfach das Glück hatten, dass während unserer recht unversehrten Kindheit nicht so oft gestorben wurde (wie in meinem Fall geschehen)? Aber wenn es mal der Fall sein sollte: Dann sollten wir sollten die Kinder ruhig an die Hand nehmen und sie sanft hinführen und mitnehmen, empfahl jedenfalls Mechthild Schroeter-Rupieper in ihrem Vortrag auf der "Leben und Tod" 2019 - und anders als manches Mal behauptet, ist es für Kinder nicht immer hilfreich, ihnen die Entscheidung selbst zu überlassen, ob sie die Toten denn noch einmal sehen wollten oder nicht. Die Frage könne Kinder überfordern, denn sie könnte die Tragweite solchen Entscheidung gar nicht wirklich überblicken und einschätzen, sagte Mechthild Schroeter-Rupieper. Noch eine spannende und diskutierenswerte These.
So oder so, sagt Mechthild Schroeter-Rupieper: Wir sind mit dem Talent geboren worden, auch traurig zu sein. Warum also nutzen wir diese eigentlich sehr gute Lebenskunst dann so selten? Und warum finden wir es im Grunde total gut, wenn Sarah Connor sagt: Seid bloß nicht traurig, wenn ich mal sterbe, sondern feiert das Leben? Und was, wenn da trotzdem Trauer ist? Einfach weg damit - oder wie? Geht ja gar nicht...
* Ergänzung und Aktualisierung: In einem auf diesen Artikel reagierenden Facebook-Kommentar hat Mechthild Schroeter-Rupieper inzwischen davon berichtet, dass ihr Sarah Connor persönlich einmal gesagt habe, der Song sei eigentlich ganz anders gemeint. Und weil es eine gute Ergänzung darstellt, möchte ich Mechthilds Beitrag auch hier noch einmal zitieren: "Sarah Connor hat mir damals auf Facebook dazu geschrieben, dass sie es ganz anders meint - allerdings ist genau da auch eines der großen Probleme: Vieles wird anders gesagt als gemeint: „Oma ist friedlich eingeschlafen.“ „Opa ist heimgegangen.“ „Wein nicht...“...."
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Der Autor dieser Zeilen bietet Trauerbegleitung an in Osnabrück und im Osnabrücker Land an und hat eine Ausbildung zum Trauerbegleiter absolviert (Große Basisqualifikation gemäß des Bundesverbands Trauerbegleitung) und bietet Podcasts rund um das Thema Trauer an (bitte hier klicken). Thomas Achenbach ist der Autor des Buches "Männer trauern anders - was ihnen hilft und gut tut", 168 Seiten, Patmos-Verlag, 17 Euro, erschienen im März 2019. Mehr Infos gibt es hier.
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