Osnabrück - Wagen wir eine steile These - und es ist noch nicht einmal meine eigene These: Dass unsere moderne Gesellschaft zu wenig Verständnis für Trauer aufbringt, liegt daran, dass uns das schon in frühesten Kinderzeiten ausgetrieben wird. Da heißt es immer: "Ist gar nicht so schlimm!". Oder: "Ein Indianer kennt keinen Schmerz!" Und dann stirbt plötzlich jemand - und man weiß mit den Gefühlen und ihrer Heftigkeit so gar nicht richtig umzugehen. Hilflosigkeit und Überforderung sind die Folge. Die Bestatterin Barbara Rolf aus Stuttgart nennt das: Den "Flucht der Tapferkeit". Sie ist nicht die Einzige, die das so sieht (inzwischen ist selbst der als Erziehungs-Papst gefeierte Pädagoge Jan Uwe Rogge auf diesen Zug aufgesprungen, wie der Business Insider berichtete).
Ich erinnere mich noch genau: Wir waren mit Freunden im Urlaub und hatten alle unsere Kinder dabei. Kleinkinder, erste Kindergartenphase, also noch in dem Alter, wo ein simples Zu-Fuß-Gehen als superlangweilig erlebt wird und sich nur zwei Alternativen anbieten: Sie entweder die ganze Zeit auf dem Arm herumtragen - oder sie mit dem Laufrad herumgurken lassen. Als wir einen Ausflug in eine große Stadt machten, stürzte eines der Kinder mit seinem Laufrad - die Eltern stürzten prompt hinzu. Und noch während sie das taten, riefen sie, beide, wie ganz automatisch: "Ist nicht so schlimm." - "Tut nicht weh." - Natürlich war das als Beruhigung gemeint, als Trost, als etwas eigentlich Liebevolles. Aber es kam mir auch wie eine Abwehr vor. So nach dem Motto:
Jetzt aber nicht heulen, hörst Du!? Und ich weiß noch genau, wie ich mich gefragt habe: Woher wollt Ihr das eigentlich so genau wissen, ob es wehtut und wie sehr? Ihr habt ja kaum nachgesehen. Genau so beginnt es, sagte auch die Trauer- und Familienbegleiterin Mechthild Schroeter-Rupieper in einem Vortrag auf der Messe "Leben und Tod 2017", die bereits im Mai in Bremen stattfand (und hier auf diesem Blog seither sukzessive weiter aufgearbeitet wird). Ihre These: "Man sagt uns von klein an: sei doch nicht so traurig. Dabei sind wir mit dem Talent traurig zu sein geboren worden. Und dann geht es schnell los, dass wir sagen: Tut doch gar nicht so weh. Ist doch gar nicht so schlimm." Was Mechthild Schroeter-Rupieper stattdessen empfiehlt:
"Wenn das Knie aufgeschürft ist und das Kind sagt: Mama, das tut so weh, dann sagen: Ja, das glaube ich Dir, dasss das weh tut." Ein Trostpflaster draufmachen. Die Gefühle respektieren. Was hier im Kleinen beginnt, ist in Wahrheit etwas ganz Großes - und von einer existenziellen Wichtigkeit. Oder wie Mechthild Schroeter-Rupieper es sagt: "Wir Eltern müssen so leben, dass wir jeden Tag sterben könnten – Erziehung heißt Kinder zu stärken, nicht ihnen alles abzunehmen." Also: Auch nicht den Schmerz kleinreden. Das genau ist es ja, was vielen Trauernden in einer Verlustkrise besonders wehtut. Dass es dann auch heißt, von Freunden, Kollegen oder Verwandten: Das geht wieder vorbei. Reiß dich mal zusammen. Ein Indianer kennt keinen Schmerz. Aber wenn es nun einmal wehtut wie Hölle - warum soll es das nicht dürfen? Und: Ist das nicht ganz normal?
Die Bestatterin Barbara Rolf hat die Erfahrung gemacht, dass das keine Seltenheit ist: "Der Fluch der Tapferkeit ist leider sehr weit verbreitet, schon Kinder sind betroffen", sagt sie. Das Ergebnis ist jedoch eine Gesellschaft, "die wenig Verständnis hat für Trauer". Mechthild Schroeter-Rupieper will Seminare anbieten, in denen sie ihren Teilnehmer Kronen aufsetzen möchten, damit sie spüren: Ich bin ein Trauerkönig. Ich darf stolz darauf sein, dass ich traurig sein kann. So erzählte es die Familienbegleiterin beim Vortrag in Bremen - und sie berichtete von einer solchen Erfahrung mit einem prominenten Besuch. Denn einmal war Manuel Neuer zu Gast bei einem Trauertreff mit Jugendlichen. Und auf die Frage, ob er denn auch mal richtig heulen würde, sagte er:
Ich erinnere mich noch genau: Wir waren mit Freunden im Urlaub und hatten alle unsere Kinder dabei. Kleinkinder, erste Kindergartenphase, also noch in dem Alter, wo ein simples Zu-Fuß-Gehen als superlangweilig erlebt wird und sich nur zwei Alternativen anbieten: Sie entweder die ganze Zeit auf dem Arm herumtragen - oder sie mit dem Laufrad herumgurken lassen. Als wir einen Ausflug in eine große Stadt machten, stürzte eines der Kinder mit seinem Laufrad - die Eltern stürzten prompt hinzu. Und noch während sie das taten, riefen sie, beide, wie ganz automatisch: "Ist nicht so schlimm." - "Tut nicht weh." - Natürlich war das als Beruhigung gemeint, als Trost, als etwas eigentlich Liebevolles. Aber es kam mir auch wie eine Abwehr vor. So nach dem Motto:
Jetzt aber nicht heulen, hörst Du!? Und ich weiß noch genau, wie ich mich gefragt habe: Woher wollt Ihr das eigentlich so genau wissen, ob es wehtut und wie sehr? Ihr habt ja kaum nachgesehen. Genau so beginnt es, sagte auch die Trauer- und Familienbegleiterin Mechthild Schroeter-Rupieper in einem Vortrag auf der Messe "Leben und Tod 2017", die bereits im Mai in Bremen stattfand (und hier auf diesem Blog seither sukzessive weiter aufgearbeitet wird). Ihre These: "Man sagt uns von klein an: sei doch nicht so traurig. Dabei sind wir mit dem Talent traurig zu sein geboren worden. Und dann geht es schnell los, dass wir sagen: Tut doch gar nicht so weh. Ist doch gar nicht so schlimm." Was Mechthild Schroeter-Rupieper stattdessen empfiehlt:
Das eigentlich Kleine ist in Wahrheit etwas sehr, sehr Großes
"Wenn das Knie aufgeschürft ist und das Kind sagt: Mama, das tut so weh, dann sagen: Ja, das glaube ich Dir, dasss das weh tut." Ein Trostpflaster draufmachen. Die Gefühle respektieren. Was hier im Kleinen beginnt, ist in Wahrheit etwas ganz Großes - und von einer existenziellen Wichtigkeit. Oder wie Mechthild Schroeter-Rupieper es sagt: "Wir Eltern müssen so leben, dass wir jeden Tag sterben könnten – Erziehung heißt Kinder zu stärken, nicht ihnen alles abzunehmen." Also: Auch nicht den Schmerz kleinreden. Das genau ist es ja, was vielen Trauernden in einer Verlustkrise besonders wehtut. Dass es dann auch heißt, von Freunden, Kollegen oder Verwandten: Das geht wieder vorbei. Reiß dich mal zusammen. Ein Indianer kennt keinen Schmerz. Aber wenn es nun einmal wehtut wie Hölle - warum soll es das nicht dürfen? Und: Ist das nicht ganz normal?
Wer traurig ist, darf Krone tragen: Ein König ist, wer fühlen darf
Die Bestatterin Barbara Rolf hat die Erfahrung gemacht, dass das keine Seltenheit ist: "Der Fluch der Tapferkeit ist leider sehr weit verbreitet, schon Kinder sind betroffen", sagt sie. Das Ergebnis ist jedoch eine Gesellschaft, "die wenig Verständnis hat für Trauer". Mechthild Schroeter-Rupieper will Seminare anbieten, in denen sie ihren Teilnehmer Kronen aufsetzen möchten, damit sie spüren: Ich bin ein Trauerkönig. Ich darf stolz darauf sein, dass ich traurig sein kann. So erzählte es die Familienbegleiterin beim Vortrag in Bremen - und sie berichtete von einer solchen Erfahrung mit einem prominenten Besuch. Denn einmal war Manuel Neuer zu Gast bei einem Trauertreff mit Jugendlichen. Und auf die Frage, ob er denn auch mal richtig heulen würde, sagte er:
Lädt auch mal Fußballstars wie Manuel Neuer in Trauergruppen ein: Die Familienbegleiterin Mechthild Schroeter-Rupieper bei ihrem Vortrag auf der Messe "Leben und Tod 2017". (Thomas-Achenbach-Foto) |
Beim Fußball eher nicht so. Aber wenn mal sein Opa stürbe, würde er Rotz und Wasser heulen. Sowas ist wichtig, sagt Mechthild Schroeter-Rupieper: Kindern zu zeigen, es ist okay, dass es weh tut, dass das Schmerzen verursacht. Aber wer bei seinen Kleinen auch schon die kleineren Wehwehchen lieber im Keim erstickt, muss sich nicht wundern, wenn sie das am Ende auch bei den ganz großen Schmerzen versuchen. Auch Trauerbegleiter werden oft gefragt: Ist das denn normal? Dass ich "immer noch" so traurig bin, auch nach einem Jahr noch? Darf das sein? Und dann erleben sie es als wohltuend, wenn sie erfahren dürfen: Klar darf das sein. Klar ist das normal. Darum geht es: Dass es wehtut, dass es einen leermacht, dass es einen zerreibt. Das alles nennt sich Trauer und gehört zum Leben. Oder wie Mechthild Schroeter-Rupieper es auf der Messe "Leben und Tod" ganz sichtbar machte: Da nahm sie ein riesiges Herz - und riss es auseinander. Um dann beide Hälften einmal umzudrehen. Siehe da: So sind es zwei Tränen. Aber: Das Herz wächst auch wieder zusammen. Irgendwann, irgendwie. Also pfeifen wir auf die Tapferkeit. Und setzen unsere Krone auf. Als Trauerkönig.
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Der Autor dieser Zeilen steht in Osnabrück und im Osnabrücker Land als Trauerbegleiter zur Verfügung. Thomas Achenbach ist zertifizierter Trauerbegleiter nach den Standards des BVT (Große Basisqualifikation).
Thomas Achenbach ist der Autor dieser drei Bücher:
-> "Das ABC der Trauer - 77 Rituale und Impulse" (Patmos-Verlag)
-> "Mitarbeiter in Ausnahmesituationen - Trauer, Pflege, Krise" (Campus-Verlag)
-> "Männer trauern anders - was ihnen hilft und gut tut" (Patmos-Verlag)
Mehr Infos auf www.thomasachenbach.de.
Lesungen, Vorträge, Workshops, Seminare, Trauergruppen und mehr: Alle aktuellen Termine mit Thomas Achenbach finden sich unter diesem Link
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