Osnabrück - Dass ihn sein frisch verwitweter Vater in Tokio besucht, ist dem jungen Karl gar nicht recht - und dass sich der Papa so merkwürdig benimmt, ist ihm peinlich. Warum hat der Vater so viele Kleidungsstücke der verstorbenen Ehefrau bzw. Mama mitgenommen? Warum ist es ihm so wichtig, den legendären Berg Fuji zu besuchen? Und erst bei einem ihrer wenigen gemeinsamen Essen in der klitzekleinen japanischen Wohnung des Sohnes dämmert den beiden: Sie sind beide nur aus einem Grund nach Tokio gekommen - sie wollen die geheimen Sehnsüchte der gestorbenen Frau erfüllen. Der Sohn noch zu Lebzeiten der Mama. Der Vater nach deren Tod. Mit dem vielgelobten "Kirschblüten - Hanami" gelingt Filmemacherin Doris Dörrie scheinbar spielerisch ein meisterlicher Kunstgriff: Der Film beobachtet genau, spürt allzu menschlichen Kuriositäten nach, gleitet aber niemals ins Peinliche ab. Was er über Trauer zu sagen hat, macht ihn zum Pflichtbestandteil dieser Artikelserie.
"Manchmal frage ich mich, ob ich verrückt geworden bin" - das ist so ein Satz, der in Trauergruppen oder bei Einzelgesprächen öfter zu hören ist. Denn wenn sie einen geliebten Menschen verloren haben, gewöhnen sich viele Betroffene so mancherlei vermeintliche Merkwürdigkeit an, die sie sich vorher nie hätten vorstellen können. Sie sprechen mit ihren Toten. Sie wollen ihnen nah sein. Sie fragen sich, wo die Toten jetzt wohl sind. Sie ziehen ihre Kleidung an, diese so intimen Stofffabrikate, die nach dem Tod wie eine zweite Haut jener Menschen erlebt werden. Alles das tut auch der Witwer Rudi, gespielt von Elmar Wepper, in der zweiten Hälfte dieses Spielfilms. In der ersten ist allein der Witwer selbst vom Tod bedroht - obwohl er davon gar nichts weiß...
(Foto: Majestic Filmverleih/Limelight-PR) |
Die Fragen, mit denen ich meine Reise durch die Welt der Trauerfilme gestalte, sind die Folgenden: Was können uns Spielfilme über das Erleben von Trauer erzählen? Können wir etwas über das Leben lernen? Kommen sie der Lebenswirklichkeit von Menschen in einer Trauer- und Verlustsituation nahe? Sind Sie für Menschen in einer Trauer- und Verlustkrise geeignet, weil sie ihnen Verständnis oder Ermutigung anbieten können? "Kirschblüten - Hanami" ist mit einem größeren Ensemble bevölkert, ist reich an Details in jeder Bildgestaltung und ist faszinierend in seiner Filmsprache - und doch steht im Zentrum des Films das nuancenreiche Spiel seiner männlichen Hauptfigur. Wie Elmar Wepper diesen Rudi darstellt, ist bemerkenswert realistisch und menschlich ausgewogen. Wenn es drauf ankommt, immer um die Kontrolle bemüht und scheinbar ganz unberührt. Obwohl im Inneren vieles ins Wanken geraten ist. Wepper macht das spürbar, diese Gratwanderung, der sich viele trauernde Männer ausgesetzt sehen. Da passt alles, nichts ist zuviel, nichts zu wenig - Witwer wie diesen Rudi habe ich selbst gelegentlich erlebt. Und zwar: Wirklich so.
Hanami, der zweite Bestandteil des Filmtitels, steht übrigens für die japanische Tradition des gemeinschaftlichen Betrachtens der Kirschblüte. Wie sehr das für die Japaner ein Volksfest darstellt, zeigt der Film nahezu dokumentarisch. Überhaupt wirkt er über weite Strecken wie ein Dokumentarfilm und weniger wie ein Spielfilm. Das liegt an der spannenden Heransgehenweise, mit der Doris Dörrie bereits ihren Film "Erleuchtung garantiert" geschaffen hatte: Ausgestattet mit einer kleinen Amateurvideokamera mit HD-Funktion, verzichtet sie ebenso auf das 35-mm-Format wie auch auf eine große Crew von Ausleuchtern, Tonmeistern, etc. - so können die Filmszenen an die Gegebenheiten vor Ort angepasst werden und nicht andersrum, wie es sonst im Kino geschieht. Diese Art Filme zu machen hat für Dörrie einen tieferen Grund: Mit ihrem langjährigen Partner Helge Weindler starb 1996 auch der Kameramann ihrer größten Filmerfolge (u.a. "Männer", 1985) überraschend an Krebs. In mehreren Interviews erzählt Dörrie, sie habe nicht mehr geglaubt, nach diesem einschneidenden Erlebnis wieder Filme machen zu können. "Kirschblüten - Hanami" ist von 2008 und bereits ihr achter Film nach dieser Todeserfahrung. Aber worum geht es in dem Film eigentlich?
Wenn sich nix ändert, fühlt der Mann sich wohl
"Mein Mann mag keine Abenteuer. Ihm ist am liebsten, wenn sich nichts verändert, nix, gar nichts“, sagt die Ehefrau Trudi Angermeier einmal über ihren Mann, den gute Verwaltungsbeamten Rudi. Vielleicht liegt es daran, dass sie ihm verschweigt, was die Ärzte zuerst nur ihr anvertrauen: Dass ihr Mann nämlich sterbenskrank ist und ihm nicht mehr viel Zeit zum Leben bleibt. Dennoch kann sie ihn überzeugen, aus der vertrauten Allgäuer Kleinstadtheimat einmal kurz auszubrechen und die in der Großstadt Berlin wohnenden Kinder zu besuchen. Die wiederum haben sich mittlerweile so sehr von den immer nur umeinander kreisenden Eltern entfremdet, dass sie gar keine echte Nähe mehr zulassen können. Nur die neue Lebenspartnerin der lesbischen Tochter sieht die gegenseitig nicht zugegebenen Nöte und versucht die Balance herzustellen. Dennoch verlegen die Eltern alsbald den Urlaubsort an die Ostsee, wo dann das Unerwartete geschieht.
(Foto: Majestic-Filmverleih/Limelight-PR) |
Denn nicht Rudi ist es, der als Erster stirbt, sondern seine Frau Trudi. Plötzlich und über Nacht. Zur Trauerfeier an die Ostsee kommen die in Deutschland lebenden Kinder zwar noch, zur Beisetzung der Urne in der heimatlichen Allgäukleinstadt schafft es aber keiner mehr. Wichtige Sitzungen, wichtiges eigenes Leben, alles viel wichtiger. Das gilt umso mehr für den dritten Sohn, den "Lieblingssohn", den es nach Tokio verschlagen hat. Ihn dort zu besuchen, das wird für Rudi zum letzten großen Abenteuer seines Lebens.
"Die Toten träumen von uns" war das Leitmotiv
Zugegeben, nicht immer schafft es der Film, die Japanverliebtheit seiner Regisseurin und Drehbuchautorin gänzlich kitschfrei zu umgehen. Aber das macht nichts. Alleine die Bilder der titelgebenden Kirschblüten sind trotz der dokumentarisch-nüchternen Kameraarbeit eine Wucht. Und es ist alleine der Reiz des Fremden, der den Film zum Schwelgerischen verleitet, so dass er die Innenwelten seiner Protagonisten mit einer wohltuenden beinahe analytischen Klarheit ausleuchten kann. Im Pressematerial zum Film wird Doris Dörrie mit den folgenden Sätzen zitiert: "Die Toten träumen von uns, dieser Satz wurde zu einem Leitmotiv für mich. Wenn die Toten von uns träumen, dann sind vielleicht sämtliche Zeichen der Vergänglichkeit kleine Postkarten, die sie uns schicken."
(Foto: Majestic-Filmverleih/Limelight-PR) |
„Kirschblüten Hanami“ ist ein Film, der mehr auf Stille und Poesie vertraut, nicht aber auf aufgemotztes Emotionstammtamm - und der eben deswegen noch lange nachwirken kann. Gegen Ende hin kann der Film eine gewisse Kitschnähe nicht länger verleugnen, aber es sind seine beiden Hauptdarsteller - dessen weiblichen Part die unlängst verstorbene Hannelore Elsner innehat -, die es mit einer ganz kraftstrotzenden Zartheit gestalten, die ihresgleichen sucht. Und so kriegt der Film auch hier wieder die Kurve. Aber: Ist es auch ein geeigneter Film, der einem so etwas Komplexes wie Trauer nahebringen kann....? Werfen wir einen Blick auf das Fragen-Grundgerüst für diese Artikelserie:
Gar nicht mal so viel, erstaunlicherweise. Der Film deutet zwar hier und dort etwas an, lässt die Trauer aber als Leerstelle weitestgehend unerklärt. Was kein Manko ist, stehen doch die Handlungen des frischen Witwers wiederum für sich, man muss sie nur dechiffrieren, was einem der Film nicht allzu schwer macht.
- 2.) Ist der Film für Menschen in einer Trauer- und Verlustsituation empfehlenswert?
Durchaus, ja, vor allem deswegen, weil er die liebevollen Schrulligkeiten, zu denen Menschen in einer solchen Situation gerne neigen, als etwas Würdevolles und Wichtiges zu zeigen versteht. Das hat etwas von: Guck mal, dem geht es ja genauso (siehe zu diesem Thema auch meinen Blogbeitrag "Keine Sorge, alles ganz normal"). Gleichermaßen zeigt der Film, wie rasch die Kinder, die Familie, das nähere Umfeld, sich nach dem Tod der Mutter wieder ihrem Alltag zuwenden und wie schnell sie genervt sind von der Präsenz des trauernden Vaters - auch das ist sicher eine Erfahrung, bei der der eine oder andere Zuschauer gut anknüpfen kann.
(Foto: Majestic-Filmverleih/Limelight-PR) |
- 3.) Kann der Film seinem Publikum die Gefühle von Trauer und Verlust und allem, was dazugehört, nahebringen (vor allem Zuschauern, die nicht davon betroffen sind)?
Die Gefühle vielleicht nicht unbedingt - dazu spielt Elmar Wepper doch allzu realistisch den nach außen ganz auf kontrolliert schaltenden "typischen Mann" -, aber er gibt ein gutes Abbild von den allumfassenden Veränderungen, die eine solche Situation mit sich bringt. Und von den Reaktionen darauf.
- 4.) Meine persönliche Lieblingsszene aus dem Film?
Trauernde am Traumstrand... - Im Presseheft zum Film erzählt Doris Dörrie in einem Interview, wie sie sich für die Ostsee-Szenen so ein typisch norddeutsches Trauerwetter gewünscht hatte: Grauverhangen, düster und mit aufgepeitschten matschfarbenen Wellen. Doch das Gegenteil war der Fall: Als die Dreharbeiten stattfanden, gab es nichts als sonniges Bilderbuch-Strandleben. So sehen wir also eine in Schwarz gekleidete Trauergesellschaft an einem blauhimmelüberzogenen Traumstrand, umgeben von fröhlichen, spielenden, das Leben genießenden Menschen. Es ist eine ganz kurze Sequenz, aber ich liebe sie für genau diesen Widerspruch und Kontrast - denn so ist es für die Menschen nach einem Verlust oft. Das ganze Leben um sie herum, das Wetter, die Menschheit, einfach alles, geht mit einer achselzuckenden Lässigkeit über diesen Trauerfall hinweg, der einem besonders wehtun kann.
Was glaubst Du - welche vermeintlich alltäglichen Gegenstände, die Dein Partner, Dein Kind oder jemand aus Deiner Familie oft benutzt, könnten für Dich eine magische Aufladung erfahren, wenn diese Menschen tatsächllich sterben sollten? Und welche Träume, glaubst Du, könntest Du für diese Menschen dann leben und posthum erfüllen wollen? Sind es vielleicht Träume, die diese Menschen für Dich und Euer Leben aufgegeben haben?
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