Dienstag, 30. Juni 2020

Was muss ich machen, wenn ich wegen Trauer krankgeschrieben werden möchte? Ist es möglich, eine Krankschreibung bei einem Todesfall zu bekommen und wenn ja, wie? Antworten auf die wichtigsten Fragen rund um das Thema Trauer und Arbeitsunfähigkeit

Osnabrück - Es ist die von den Lesern meines Blogs am meisten gestellte Frage: Kann ich wegen Trauer krankgeschrieben werden? Hierzu gibt es zwei Dinge zu sagen. Erstens: Nein, nicht so wirklich, weil Trauer an sich nicht als Krankheit gilt, sondern als eine im Grunde gesunde Reaktion auf einen eher unnormalen Ausnahmezustand. Aber genauso wichtig ist, zweitens: Na klar kannst Du Dich krankschreiben lassen - du musst noch nicht einmal die neue dafür geschaffene "Verkomplizierte Trauer" dafür in Anspruch nehmen (alle Infos dazu gibt es hier). Weil es unbestreitbar so ist, dass einen die Symptome von Trauer massiv beeinträchtigen können - so massiv, dass man eben nicht mehr arbeitsfähig ist -, braucht sich auch niemand zu schämen, wenn er sich genau das von einem Arzt attestieren lässt. Aber wie genau geht das? Was muss ich beachten? Und was wird mir der Arzt als Diagnose auf den gelben Schein schreiben? Hier die wichtigsten Antworten auf all diese Fragen.

Zuallererst etwas ganz Wichtiges: Auch wenn es sich allgemein eingebürgert hat, von der "Krankschreibung" zu sprechen oder davon, dass man sich "krankschreiben" lässt, so ist das in Wahrheit falsch. Das zeigt schon ein einzelner Blick auf so einen Gelben Schein. Denn dort oben steht "Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung". Also die Bescheinigung, dass jemand nicht arbeitsfähig ist. Aber: Das heißt nicht automatisch, dass jemand auch krank sein muss. Im Fall von Trauer ist das eine ganz wichtige Unterscheidung. Denn es ist natürlich so, dass die durch Trauer ausgelösten Symptome einen Menschen stark beeinträchtigen können, auch wenn Trauer etwas ganz Normales ist und all diese Symptome zu dem Trauerprozess unmittelbar dazugehören können. Das können zum Beispiel sein: 


Wegen Trauer zum Arzt gehen? Warum denn nicht? (Alle Fotos: Thomas Achenbach)

Konzentrationsschwierigkeiten. Die Unfähigkeit, einen Text lesen zu können. Große innere Unruhe. Eine kaum stillbare und alles überstrahlende Sehnsucht nach den gestorbenen Menschen (auch noch lange nach seinem Tod). Schlafstörungen. Antriebslosigkeit. Appetitlosigkeit. Gedanken, die immer nur um das eine kreisen und nichts anderes zulassen... Das alles und mehr kann dazugehören, in verschiedenen Heftigkeitsstufen. Kurz: Symptome, die einen Alltag/Berufsalltag in ihrer Intensität unmöglich werden lassen. Aber: Das ist alles ganz normal, das geht vielen Menschen so, die jemanden verloren haben.


Trauer macht selten krank - arbeitsunfähig schon eher


Wer mit diesen Symptomen zum Arzt geht, bekommt also eine solche Bescheinigung einer  Arbeitsunfähigkeit, das ist kein Problem und wird von den meisten Hausärzten so umgesetzt - meistens wird dann eine "Anpassungsstörung" oder eine "Akute Belastungsreaktion" als Grund auf dem Gelben Schein angegeben, zwei Sammelbegriffe, unter denen sich viele der leichteren bis mittelschweren psychischen Reaktionen auf eine menschliche Krisensituation zusammenfassen lassen. Das ist nichts, weswegen man sich schämen müsste. Das ist alles: Ganz normal. Von Trauer an sich steht dort allerdings nichts. Denn bislang ist es technisch gesehen nicht möglich, sich alleine wegen Trauer auch medizinisch behandeln zu lassen - geschweige denn sich wegen Trauer alleine krankschreiben zu lassen. Denn Trauer und deren Folgen sind so nicht vorgesehen – jedenfalls nicht im Diagnose-System der Weltgesundheitsorganisation, der ICD ("International Statistical Classification Of Disease and Related Heath Problems"), die bei allen Hausärzten und niedergelassenen Ärzten zum Einsatz kommt



Ab dem 1. Januar 2022 soll sich das übrigens ändern. Denn dann möchte die WHO - die World Health Organisation - in der ab diesem Tag gültig werdenden ICD 11 die "Anhaltende Trauerstörung" als neue Diagnosemöglichkeit einführen, die jedoch erst greift, wenn die Symptome sehr massiv sind und länger als ein halbes Jahr andauern. Derzeit ist diese neue Diagnosedefinition hinter den Kulissen noch in der Diskussion - und durchaus nicht unumstritten. Wohlgemerkt: Die Trauer soll dort explizit Bereich der psychologischen bzw. psychiatrisch zu behandelnden Störungen angesiedelt sein - und genau das ist im Augenblick der Gegenstand von zahlreichen Diskussionen und Empörungen, die ich in einem separaten Beitrag auf diesem Blog zusammengefasst habe (hier klicken).



Aber auch nach dem 1. Januar 2022 wird es so sein, dass die Reaktionen auf einen Verlust im ersten halben Jahr weiterhin als ""Anpassungsstörung" oder als "Akute Belastungsreaktion" beschrieben werden. Was im Fall von Trauer ja auch passt: Denn an eine solche für die menschliche Seele ungewohnte Ausnahmesituation muss man sich erst einmal anzupassen lernen, das ist für uns Menschen schon schwierig genug. Darf man sich als guten Gewissens wegen Trauer "krankschreiben" lassen? Nein, krank nicht. Aber arbeitsunfähig - auf jeden Fall. 

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Der Autor dieser Zeilen bietet Trauerbegleitung an in Osnabrück und im Osnabrücker Land an und hat eine Ausbildung zum Trauerbegleiter absolviert (Große Basisqualifikation gemäß des Bundesverbands Trauerbegleitung) und bietet Podcasts rund um das Thema Trauer an (bitte hier klicken). Thomas Achenbach ist der Autor der Bücher "Männer trauern anders - was ihnen hilft und gut tut", 168 Seiten, Patmos-Verlag und "Mitarbeiter in Ausnahmesituationen - Trauer, Pflege, Krise", 220 Seiten, Campus-Verlag. Mehr Infos auf www.thomasachenbach.de

Lesungen, Vorträge, Workshops, Seminare, Trauergruppen und mehr: Alle aktuellen Termine mit Thomas Achenbach finden sich unter diesem Link 

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Der neue Podcast von Thomas Achenbach: "Trauergeschichten - Menschgeschichten", Gespräche über Leben, Tod und Sterben, jetzt online

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