Da gibt es die Frau, die nur ein klitzeklein wenig von der Asche ihres gestorbenen Mannes haben wollte und sich wie eine Verbrecherin fühlte, weil ein Aufpasser des Friedhofsbetriebs die Urne bewachte. Wie ein Türsteher. Dabei wollte sie nur ein kleines bisschen davon an jenem Baum im Garten verstreuen, den der Mann so gemocht hatte. Da gibt es den Mann, der sich und seiner Frau die Grabstätten schon selbst gebaut hat, weil sie sich wohler fühlen, wenn sie wissen, dass sie dort bestattet sein dürfen. Doch beide dürfen das, was sie vorhaben, nach geltendem Recht nicht tun - weil sich die deutschen Bestattungsgesetze auf Texte beziehen, die seit 1934 größtenteils unreformiert geblieben sind. Gesetze aus der Nazizeit, die Menschen dazu zwingen, Verbrecher zu werden, wenn sie ihre Trauer leben oder ihr (Ab-)Leben gestalten möchten. Höchste Zeit, das zu überdenken.
Es ist eine schöne Grabstätte geworden. Mitten in einem Wald gelegen, den der Mann selbst bewirtschaftet, an einem Steinkreis, den er dort selbst errichtet und zu einer Sonnenuhr ausgebaut hat. Die Grabplatten sind bereits beschriftet - seine und die seine Frau -, nur das Todesdatum fehlt. Neben den Grabplatten ist eine Gedenkstätte für die Vorfahren errichtet. Der Blick geht in die Weite, rundherum sind Felder und Wälder. Ein friedlicher Ort. Aber einer, der so nicht sein darf.
Rasen. Platte. Klassische Friedhofskultur. Aber muss das immer so? (Foto: Pexels.com/CC-0-Lizenz) |
Private Friedhöfe sind verboten, in jenem Landkreis, wo der Mann wohnt. Eine entsprechende Nutzungserlaubnis für eine kleine Fläche wie diese zu bekommen ist fast unmöglich. Ein Amt reicht weiter an das nächste Amt, ein Ansprechpartner jagt den nächsten. Man werde zurückrufen, man tut es nicht. Dabei will der Mann nur alles richtig machen und eben nicht zu einem von denen werden, die einfach machen, ohne sich um geltendes Gesetz zu scheren. Inzwischen ist seine Strategie: Herausfinden, wie hoch die Strafgebühr für diese Ordnungswidrigkeit wäre, und die Bezahlung einfach in Kauf nehmen.
Gezwungen, zu Verbrechern zu werden
Ich kenne diese beiden erwähnten Menschen - und einige andere, denen es so geht wie ihnen - und halte sie für intelligente, aufgeklärte, rechtschaffende Zeitgenossen. Und doch sind sie quasi dazu gezwungen, zu Verbrechern zu werden. Es gibt viele wie sie. Ganz oft denke ich bei meinen Begleitungen: Das ist nicht gut, wie es derzeit ist. Mit dem Friedhofszwang. Und der Bestattungspflicht. Das tut nicht allen gut. Und das ganze Durcheinander, die vielen Schlupflöcher, das erst recht nicht.
Mehr als Fotos - Menschen wollen Urnen zuhause haben (Foto: Pexels.com/Pavel-Danil) |
Sich einen privaten Friedhof anzulegen - ganz so ungewöhnlich ist das gar nicht. Bessergestellte und Adelsgeschlechter haben das durchaus getan. Früher.
Davon zeugt beispielsweise ein privater Mini-Friedhof, der sich als Relikt aus der Vergangenheit in einem kleinen Waldstück zwischen den Osnabrücker Stadtteilen Wüste und Sutthausen befindet, direkt neben der Autobahn A30 und nicht unweit von der Bahnstrecke ins Ruhrgebiet entfernt. Ich hatte mich auf einem Spaziergang, den offiziellen Weg suchend, einmal dorthin verirrt. Ich hätte gerne ein paar Fotos von diesem Privatfriedhof hier gezeigt. Allerdings ist auch ein halbwegs öffentliches Waldgebiet rein rechtlich gesehen immer noch ein Privatgebiet - also darf ich dort nicht ohne Weiteres fotografieren.
In NRW erlaubt: Die Urne im Garten
Private Friedhöfe im eigenen Garten - in Nordrhein-Westfalen ist so etwas übrigens, unter gewissen Auflagen, durchaus möglich, wenn zuständige Ämter einem solchen Antrag vorab zugestimmt haben. Dazu mehr im nächsten Blogartikel aus dieser Serie. Aber warum nur dort? Sollte man so etwas nicht überall dürfen? Oder würde es für den Anfang reichen, wenn wir überall dem Beispiel Bremens folgten und Urne samt Asche "freigeben"?
Mitten im Leben - dürfen die Toten bei uns sein (Foto: Pexels.com/Maria Bortolotto) |
Von einer Sache bin ich zutiefst überzeugt: Selbst wenn wir in Deutschland die Bestattungspflicht abschaffen, werden wir nichts so dringlich brauchen wie Bestatter. Gute Bestatter, die als Lotsen fungieren und den Menschen das geben können, was ihnen gut tut. Bestatter, die umfassende Kenntnis über die Vielfalt aller Möglichkeiten haben und gemeinsam mit dem Klienten auskundschaften, welches Angebot das Passende wäre. Von einer zweiten Sache bin ich genauso tief überzeugt: Einen Ort zum Trauern braucht jeder Hinterbliebene, einen, wo wir unsere Toten verorten können. Ohne den geht es nicht. Aber ob das unbedingt der Friedhof sein muss - womöglich ein ganz weit entfernter?
Der Game Changer heißt Re-Erdigung
Und daher, das ist meine dritte feste Überzeugung, wie ich sie auch dem epd sagte: Die Bestattungspfllicht in Deutschland ist hinfällig geworden. Spätestens, wenn sich die Re-Erdigung überall durchgesetzt haben sollte - und die Anforderung nach einer Re-Erdigung lautet, man möge bitte Erde in Erde bestatten. Die eine Erde auf die andere Erde, aber teuer bezahlt, weil offizielle Bestattung.
Denn was da derzeit in Schleswig-Holstein ausprobiert wird - die Re-Erdigung, das Kompostieren von Leichen -, hat das Zeug dazu, die deutsche Bestattungskultur nachhaltig zu verändern. Es hat das Zeug dazu, ein Game Changer zu werden. Einerseits. Und andererseits lohnt der Blick nach Amerika: Dort ist das Verfahren zum Teil bereits anerkannt, scheint sich aber nicht zum neuen Standard entwickelt zu haben (alle Hintergründe zum Thema gibt es in meinem Blogbeitrag dazu).
(Foto: Pixabay.de/CC-0-Lizenz) |
Klar, Friedhöfe sind wunderschön. Die meisten, die ich kenne, jedenfalls. Ich möchte sie nicht missen, ich gehe gerne dorthin. Ich zumindest brauche sie, fürs Seelenheil.
Und dennoch leuchtet heutzutage nicht mehr allen Menschen ein, warum sie eine Urne voller Asche überhaupt auf einem Friedhof bestatten müssen. Und mal ehrlich: So richtig überzeugende Argumente für einen derart verordneten Zwang gibt es ja auch nicht wirklich (siehe dazu meinen Blogartikel "Warum die deutschen Bestattungsgesetze noch immer aus der Nazizeit stammen").
Regeln müssen nachvollziehbar sein
Und überhaupt: Je erzwungener etwas ist, desto größer der Trotz. Ist schon bei kleinen Kindern so. Oder in der Arbeitswelt, wenn Teams gemeinsam etwas entwickeln sollen. Das habe ich zu meinen Zeiten als Führungskraft oft genug erlebt (es war ein Mitgrund dafür, warum ich vor über einem Jahrzehnt meine Position als Führungskraft gerne aufgegeben habe).
Die Asche des Verstorbenen haben zu dürfen, das wünschen sich viele.
Es muss ja gar nicht die ganze Asche sein. Aber zumindest ein kleines bisschen davon an sich nehmen zu können, das wünschen sich doch viele. Ein letzter Rest dessen, was von den Verstorbenen übriggeblieben ist. Ob sie diesen nun in einer kleinen Dose am Hals tragen oder als Diamant gepresst bei sich aufbewahren: Das Gefühl, den verstorbenen Menschen irgendwie bei sich zu haben, so nah am Körper (und am Herzen) wie irgend möglich, das ist Menschen heute wichtig. Das ist gelebte moderne Trauerkultur. Das tut gut. Das sollte möglich sein.
Deutschlands wohl eindrucksvollstes Krematorium steht in Leipzig (Foto: Pexels.com/Timo Volz) |
Und nun gibt es also eine Bestattungsform, bei der wir am Ende einen Sack Erde erhalten anstelle einer Urne voller Staub. Erde, die dann wieder unter die Erde muss. Weil die Behörden das verlangen. Bizarrer geht's kaum. Und wer bitte soll kontrollieren, dass die tatsächlich unter der Erde verbuddelte Erde wirklich die leichnamskompostierte ist - und nicht die aus dem Baumarkt?
Du kriegst Erde - die musst du bestatten
Noch ist die Re-Erdigung ein Verfahren, das sich in der Testphase befindet, dazu nur in einem Bundesland. Noch sind wir sehr weit davon entfernt, von einer etablierten dritten Bestattungsart sprechen zu dürfen. Aber dieser Tag wird kommen. Alleine schon, weil die Re-Erdigung mit den Stichworten nachhaltig, ökologisch und umweltfreundlich punkten kann. Und weil sie kein Gas verbraucht.
Gesetzestexte dürfen niemals leichtfertig verändert werden. Das zu tun, ist in Europa und der ganzen Welt neuerdings zu einem unguten Trend geworden, zumal, was die Grundgesetze angeht: Zum Beispiel in Ungarn oder im Polen noch vor wenigen Monaten/Jahren, überall dort, wo die Radikalen mitregieren, wird allzu schnell die Axt an die Grundregeln der Gesellschaft gelegt. Wohin das führen kann, zeigt das Beispiel Polen: Wieder in demokratischere Fahrwasser geraten, bleibt die juristische Zerreißprobe eine große, weil man die Grundgesetze bereits angepackt hat. So darf es nicht gehen.
Liebevoll gestalteter Erinnerungsplatz - mit Urne (Foto: Pexels.com/Cottpnbro) |
Aber Gesetze, die de facto längst ausgehebelt sind, wo sich sogar eine Art der Umgehungsindustrie gebildet hat; die, wenn nicht offiziell geduldet, zumindest leichtfertig so hingenommen wird, gehören auf den Prüfstand. Zumal, wenn sie fast 100 Jahre alt sind - nämlich von 1934. So auch die Bestattungspflicht.
Klar, die Sorge ist groß: Wenn es sie nicht mehr gibt, wer braucht dann noch Bestatter? Aber blicken wir einmal nach Bremen: Dort gibt es immer noch Bestatter. Viele, sogar. Obwohl der Friedhofszwang dort seit 2015 quasi aufgehoben ist, obwohl Menschen ihre Urnen mit nach Hause nehmen können. Und die Bestatter dort verkaufen weiterhin Särge für Erdbestattungen, sie organisieren Trauerfeiern und Einäscherungen. Sogar Re-Erdigungen haben sie schon durchgeführt - und überhaupt haben sie gut zu tun.
Familienzwist: Wer erbt die Urne?
Klar, auch diese Sorge ist berechtigt: Wenn der Tote keinen festen Platz mehr hat, wird das dann nicht zu viel mehr Streit um die Urne führen? Vor allem, wenn diese nach dem weiteren Tod der Hinterbliebenen zu den Hinterlassenschaften gehört? Dazu muss man ganz klar sagen: Ja, das wird wohl so sein. Und das ist nicht schön. Andererseits, so wie es sich heute oft fügt, ist es ja auch nicht schön: Da gibt es meistens eine Grabstätte, irgendwo, auf einem Friedhof, der meist am Heimatort der gestorbenen Menschen liegt - aber es ist keinesfalls garantiert, dass die Angehörigen dort ebenfalls leben. Womöglich leben sie sehr weit entfernt. Und so besucht keiner diesen Friedhof, außer vielleicht ein zur Pflege bestellter Gärtner. Der - jährliche?, wenn überhaupt - Pflichtbesuch ist eher lästig. Auch nicht wirklich optimal.
Einmal im Jahr zum Friedhof. Muss ja. (Foto: Pixabay.de/CC-0-Lizenz) |
Alles ist im Wandel, nur die Bestattungspflicht nicht. Das sollte sich ändern. Und es wird allen gut tun. Denn je größer die Auswahlmöglichkeiten werden, was Bestattungen angeht, desto kompetentere Lotsen braucht es, die einem dabei helfen, sich zurechtzufinden. Seine eigene Trauer leben zu können.
Wer sollte das nicht sein, wenn nicht eine Bestattungsfachkraft unserer Wahl?
Lesungen, Vorträge, Workshops, Seminare, Trauergruppen und mehr: Alle aktuellen Termine mit Thomas Achenbach finden sich unter diesem Link
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