Sonntag, 26. November 2017

Öffentlichkeitsarbeit und Pressearbeit kann so viel mehr bieten als Spendenübergaben - Tipps für Hospizgruppen, Trauergruppen und alle anderen - Tipps für eine gelungene Presse- und Öffentlichkeitsarbeit (Teil 1)

Osnabrück - Dass ich neben meiner Tätigkeit als Trauerbegleiter auch noch einem Hauptberuf nachgehe - meinem Brötchenberuf, der das Geld einbringt -, ist hier selten Thema auf diesem Blog. Warum auch, es hat ja mit Trauer nichts zu tun. Es gibt jedoch manchmal Grenzbereiche, wo sich beides vermischt: Wenn ich in meiner Funktion als Redakteur und als Journalist mit Vereinen, Verbänden, aber vor allem mit Trauer- oder Hospizgruppen zu tun habe, werde ich manchmal gefragt: "Was müssen wir eigentlich tun, damit wir uns in der Presse wiederfinden?" Heute möchte ich, als kleinen Off-Topic-Beitrag, einmal dieser Frage nachgehen (auch wenn sich mein Blog eigentlich an Trauernde wendet oder an Menschen, die mit Trauernden sorgsam umgehen möchten). Hier also ein paar Tipps, heute einmal ausnahmsweise aus der Sicht des Medienmachers, nicht des Trauerbegleiters, heute ausnahmsweise mal zu einem anderen Thema.

Die Klage ist oft die gleiche: "Wir werden gar nicht wahrgenommen". Oder: "Immer sind nur die anderen in den Medien, aber niemals wir". Oder, auch das habe ich schon erlebt, gleich als spitzzüngiger Angriff formuliert: "Was habt Ihr eigentlich gegen uns...?" Meistens sind es zwei Probleme, die hier zum Tragen kommen. Das erste davon ist eine unterschiedliche Auffassung davon, was Medien tun sollten: Etwas würdigen, beispielsweise. So ist oft die Erwartungshaltung. Es geht aber bei dem, was Medien berichten, nicht um eine Form von Würdigung, nicht ums Gesehenwerden, sondern lediglich um Berichterstattung - und die folgt den immergleichen Mustern aus Nachricht, Aktualität und Faktenprinzip. Auch das zweite Problem ist schnell ausgemacht: Denn "die anderen" hatten der Redaktion von sich aus, ganz aktiv, eine eigene Pressemitteilung zugeschickt, die dann auch verarbeitet wurde. Und die sich beklagenden "wir", die "niemals reinkommen", hatten vielleicht im Stillen und im Verborgenen darauf gewartet, dass irgendwann einmal eine Redaktion bei ihnen anklopfen würde... Solche und ähnliche Erfahrungen habe ich mehrmals gemacht. Daraus lässt sich auch gleich die wichtigste Regel ableiten, die es gibt: Wer Öffentlichkeit haben will, muss sie selbst herstellen. Das gilt vor allem in unseren heutigen Zeiten, wo es überall an Ressourcen mangelt, wo in allen Redaktionen oft wenige Mitarbeiter sehr viel auf einmal leisten müssen. Da wird es immer wichtiger, dass all jene, die gerne wollen, dass über sie berichtet wird, möglichst gut aufgestellt sind im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit. Und das kostet - leider - etwas von den Dingen, von denen man ohnehin immer zu wenig hat: Zeit, Ressourcen, Nerven. Aber die Mühe lohnt sich, sehr sogar. Selbst aktiv zu werden ist das A und O der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Aber was genau heißt das eigentlich - selbst aktiv werden? Wie denn? Und womit denn? Okay, starten wir ganz am Anfang:


Wer Öffentlichkeit haben will, muss sie sich selbst herstellen - am besten durch einen Ansprechpartner für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit.    (Thomas-Achenbach-Symbolfoto)

1.) Benennen Sie einen Ansprechpartner für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit und formulieren Sie klar und eindeutig, was dieser tun soll... Das mag banal klingen, aber in der Praxis ist es oft schwieriger als gedacht. Weil nämlich allen Beteiligten, also beispielsweise auch Vereinsvorsitzenden oder anderen, klar sein muss: Die gesamte Kommunikation nach außen läuft ausschließlich über diese eine Person. Hat jemand von den Medien eine Nachfrage, ist der Presse- und Öffentlichkeitsverantwortliche der erste Ansprechpartner. Das macht es aber denjenigen, die diese Aufgabe übernehmen (sollen), nicht einfacher. Oftmals wird da jemand so ein bisschen in so ein Amt geschubst, ohne genau zu wissen, was er eigentlich machen soll, kann, darf (so ist es mir selbst in meinen Jugendjahren einmal gegangen - plötzlich war ich Öffentlichkeitsbeauftragter.... Tja, und nun? Was mache ich jetzt...? Großes Schulterzucken...). Je klarer das intern definiert ist, desto besser. Idealerweise gibt es eine Liste, die alle der hier im Folgenden behandelten Themen und Fragen auflistet. 

2.) Machen Sie sich klar, welche Medien Sie überhaupt nutzen/bedienen wollen. Welches Medium das richtige sein kann, ist sehr stark abhängig von der Frage, wen Sie eigentlich erreichen wollen. Das wiederum ist abhängig von dem jeweiligen Thema. Ein paar Beispiele. Wer eine Trauergruppe für Jugendliche und junge Erwachsene anbietet, ist gut beraten, wenn er moderne Medien wie soziale Netzwerke (Facebook, Twitter & Co.) oder vor allem Messengerdienste wie WhatsApp benutzt. Wer für sein Trauercafé eher die Zielgruppe "60 Plus" im Blick hat, darf sich auf klassische Printprodukte - Tageszeitung & Co. - beschränken. Wer eine gute Durchmischung aus allen Altersschichten erreichen möchte, sollte zusätzlich zu den klassischen Medien noch Internetseiten, also nachrichtliche und regionale Websites oder ggf. auch regionale Blogger mit einbeziehen. Und nicht vergessen: Es gibt auch eigene Terminkalender, online oder gedruckt, die als reine Terminkalender ohne redaktionelle Bestandteile funktionieren und die die Informationen, wann was und wo stattfindet, ebenfalls brauchen. Selbst in einer Region wie Osnabrück hat die Medienlandschaft inzwischen eine überraschende Vielfalt ausgebildet. Da gibt es die lokale Zeitung als den Platzhirschen und das dazugehörige Anzeigenblatt (meine Baustelle), da gibt es kleinere Ortsteil- oder Stadtteilblättchen, da gibt es nachrichtliche und regionale Websites, da gibt es mehrere Terminkalender, gedruckt oder online, regionale Radiosender, eine Menge lokaler Facebookgruppen, Blogger, Instagrammer, Twitternutzer, you name it,... Sich erstmal eine Übersicht zu verschaffen, ist ein hilfreicher erster Schritt. Und sich dann fragen: Welches Medium ist für uns und unsere Themen wirklich sinnvoll, welches nicht. Ach, und wo wir gerade dabei sind: Wie ist es denn eigentlich mit ihrer eigenen Website? Gibt es dort eine "Aktuelles"-Unterseite mit frischen Nachrichten und wird die auch regelmäßig gepflegt? Sind alle kommenden Termine dort aufgelistet? Oder wie ist es mit einem eigenen Facebookauftritt? Wie gesagt: erst prüfen, ob solche Medien überhaupt in Frage kommen. Und dann: Am besten selbermachen. Möglichst viel. Dazu gehört auch die folgende wichtige Vorarbeit....:


Von einer gelungenen Öffentlichkeitsarbeit profitieren alle - auch die eigenen Mitarbeiter, weil Öffentlichkeitsarbeit auch nach innen in die eigene Unternehmung gerichtet sein sollte.   (Thomas-Achenbach-Symbolfoto)

3.) Machen Sie sich klar, wie viele und welche Anlässe zur Berichterstattung Sie anbieten können. Natürlich ist es toll, wenn Sie eine Spende übergeben bekommen. Zumal es überall an Geld mangelt, na klar. Natürlich ist das der perfekte Anlass dafür, einen selbst verfassten kurzen Bericht und ein Foto an die Redaktionen einzusenden (auch wenn man sich in den meisten Redaktionen vor lauter Spendenübergaben kaum noch retten kann, vor allem gegen Ende des Jahres). Aber es gibt gewiss noch mehr in ihrer Institution, was eine Berichterstattung oder zumindest eine Pressenotiz oder einen Eintrag im Terminkalender wert ist. Wetten, dass? Ein paar Beispiele: In zweieinhalb Wochen steht das nächste Treffen der monatlichen offenen Trauergruppe an - ein guter Zeitpunkt, um eine Pressemitteilung zu verschicken, die auf den nächsten Termin hinweisen kann. Und das jeden Monat aufs Neue, na klar. Eine Ihrer Ehrenamtlichen ist bald schon 25 Jahre dabei und bekommt einen Blumenstrauß dafür - was die Person alles an Geschichten aus ihrer Dienstzeit erzählen könnte, dürfte einen spannenden Artikel locker füllen, jedenfalls ist es den Versuch wert, die Ehrenamtliche mit der Presse zu vernetzen. Überhaupt, was es alles an Erfahrungswerten und Wissen in ihren Institutionen gibt, ist für Journalisten auch sonst interessant: Bieten Sie ihre Gruppenleiter, Trauerbegleiter oder Ausbildungskräfte als Experten an, die kleine und serviceorientierte Tipps geben können. Das ist vor allem dann spannend, wenn die typischen Anlässe für die Berichterstattung anstehen: Der Welthospiztag, die Trauertage im November (Totensonntag/Volkstrauertag), Weihnachten... Ihre Trauergruppe kann bald das zehnjährige Bestehen begehen? So ein Geburtstag ist auch ein guter Anlass für einen selbst verfassten Bericht in Form einer Pressemitteilung. Und auch die allgemeinen Jahrestage können gute Anlässe dafür sein, einmal die andere Seite der Medaille zu betrachten: Am Muttertag darf auch mal über die Sternenkindergruppe berichtet werden nach dem Motto "Wie geht es denen, die nicht soviel Glück haben durften an so einem Tag"? Am Weltkindertag dürfen auch die Kinder im Mittelpunkt stehen, die in Trauer sind - was hilft ihnen, was gibt es für Angebote? Als Presse- und Öffentlichkeitsverantwortlicher dürfen Sie solche Themen gerne anbieten, dürfen auch kreativ sein. Oder am besten gleich selbst einen Text fertigstellen...

4.) Suchen Sie sich die für Sie passenden Ansprechpartner - aktualisieren Sie jährlich diese Listen und nehmen Sie sich etwas Zeit für die Recherche. Natürlich gibt es die allseits bekannten Sammeladressen für E-Mails. Die heißen meistens Redaktion(at) oder Info(at) oder ähnliches. Aber machen Sie sich immer klar: Hier läuft nun wirklich alles auf, alles, ständig. Meistens ist eine solche Adresse nur der Erstanläufer, von dem aus dann alles nochmal umverteilt wird. Jede Mail wird dann händisch angefasst und an den richtigen Ansprechpartner weitergeschickt, sobald Zeit dafür da ist (jedenfalls in größeren Redaktionen ab mehreren Mitarbeitern ist das so). Hier sind allerdings mehrere Unschärfen drin: Sammelpostfächer laufen schnell über, Mails gehen verloren, nicht immer wird der richtige Ansprechpartner erreicht. Das geht alles schneller und effizienter: Machen Sie sich gleich selbst auf die Suche nach dem richtigen Ansprechpartner. Meistens ist das schon mehr als die halbe Miete für eine gelungene Arbeit. Wissen, wer für was zuständig ist und wen man ansprechen muss. Wenn die Redaktion dann auf ein anderes Sammelpostfach verweist, wie wir es tun (es heißt lokales (at) osnabruecker-nachrichten.de...), können Sie getrost davon ausgehen, dass es das wirklich Richtige ist. Wenn die Redaktion auf einen bestimmten Redakteur verweist, ist er derjenige, an den alles gehen sollte. Achtung, wichtig: Es sollte bitte grundsätzlich ein festangesteller Redakteur sein, einer der so genannten Sitzredakteure, die also im Büro sitzen, und nicht ein Freier Mitarbeiter. Weil Freie Mitarbeiter eben (ich bitte alle Freien, die das jetzt lesen, herzlich um Nachsicht) eher weiter unten in der Hierarchiekette stehen und die Entscheidungen, ob etwas veröffentlicht wird und wenn ja, wie, eben immer schon vorher und an anderer Stelle getroffen werden. Also beim Sitzredakteur. Hier ist das Allerwichtigste, was man wissen muss: Medien arbeiten immer nach dem "Tatortprinzip". Findet eine Trauergruppe also in dem Örtchen Pusemuckel aus dem Landkreis Großmuckelhausen statt, muss der für Pusemuckel zuständige Redakteur ermittelt werden. Nicht der für den Landkreis zuständige. Deswegen sind die Ortsmarken in Pressetexten so wichtig, dazu kommen wir aber später noch. Und weil es leider so ist, dass die Personalkonstellationen heutzutage relativ schnell wieder wechseln, kann es sein, dass sich Ansprechpartner binnen eines Jahres wieder ändern. Das bedeutet also: Einmal im Jahr alle Medien durchtelefonieren, sich freundlich vorstellen, freundlich nach dem passenden Ansprechpartner fragen, Klinken putzen. Und nicht vergessen: Es kann wichtiger sein den richtigen Adressaten zu wissen als eine noch gut gemachte Pressemitteilung zu verschicken. Was es jetzt noch braucht, ist das Folgende...:


Wichtig für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit: Immer in Zielgruppen denken. Wer junge Menschen ansprechen möchte, muss sie auf den Kanälen abholen, auf denen sie sich tummeln. Das ist eher nicht die Tageszeitung.  (Thomas-Achenbach-Symbolfoto) 

5.1) Gestalten Sie ihre Pressemitteilungen immer gleich wie einen fertigen Artikel mit allem Drum und Dran - also inklusive der Ortsmarke (siehe: Tatortprinzip), eines Vorspanns und aller sechs W's (Was, wann, wo, wie, warum, mit wem/wer). Ganz wichtig: Die Nachricht muss immer nach vorne, also das Neue, das Aktuelle. Bitte erzählen Sie ihre Geschichte niemals chronologisch. Wenn Journalisten eine Pressemitteilung bekommen, die losgeht mit den Sätzen "Vor 33 Jahren gründete sich der Verein Soundso und hat seiter vieles erlebt...." (und am Ende heißt es dann: jetzt trifft sich der Verein wieder zur Jahreshauptversammlung...), dann erhöht sich der Nervfaktor. Und der Finger schwebt immer über der Löschtaste. Denn das müssen Sie sich immer klarmachen: Jede Redaktion schwimmt in E-Mails, manche gehen darin regelrecht unter. Soll heißen: Um einen Redakteur (oder am Ende auch einen Leser) mit dem zu erreichen, was Ihnen wichtig ist, haben SIe nur wenige Sekunden Aufmerksamkeit, die schnell genutzt sein wollen. Dennoch sind auch die chronologischen Faktoren durchaus wertvolle Informationen, die nicht fehlen dürfen, die Frage ist bloß, an welcher Stelle sie richtig angebracht sind. Denn es gilt andererseits: Gehen Sie immer davon aus, dass die Medienvertreter ihre Einrichtung noch nicht kennen. Es ist ganz egal, wie lange es ihre Institution schon gibt, es ist ganz egal, wieviele Presseaussendungen Sie schon verschickt haben - stellen Sie an das Ende Ihres Artikels, jedes Artikels, immer einen kleinen "Infokasten" oder "Zur Sache"-Kasten, der alle wesentlichen Informationen über Ihre Einrichtung enthält. "Über uns" könnte das zum Beispiel heißen. Da muss dann sowas rein wie: Uns gibt es seit XX Jahren, wir haben uns gegründet weil...., wir haben in den vergangenen Jahren schon dies und jenes erledigt....  Also, nochmal zusammengefasst: Erst die Nachricht mit allen W-Fragen, am besten im Vorspann nach der Ortsmarke. Dann ein bisschen was Aktuelles. Und am Ende die Hintergründe. Genauso wichtig: 

5.2) Geben Sie den Redaktionen die Möglichkeit, mit ihnen in Kontakt treten zu können. Dafür braucht es: Ansprechpartner, Telefonnummern, E-Mail-Adressen. Die müssen in jede Pressemitteilung sichtbar platziert werden, am besten wie in so einem Briefkopf oder einer E-Mail-Signatur als immer wieder mitgeschicktes Grundrauschen. Aber wichtiges Grundrauschen. Denn erstens brauchen die Medienvertreter eine Möglichkeit, Kontakt aufnehmen zu können, zweitens ist es auch für die Leser und Nutzer von Medien wichtig, an wen Sie sich ggf. wenden können ("Infos und Nachfragen zur Trauergruppe bitte an Telefonnummer....", etc.). Ach, noch ein Zusatztipp: Was die Überschrift Ihrer Pressemitteilung angeht, so brauchen Sie dafür nicht ganz so viel Gehirnschmalz aufzuwenden. Sie können davon ausgehen, dass alles das, was Sie als Überschrift vorschlagen, sowieso nicht passen wird - weil das Zeilenraster der Zeitung nur eine bestimmte Menge an Buchstaben zulässt im Überschriftenbereich, beispielsweise, oder weil die Onlineredaktion ihre Überschriften immer ganz streng nach Kriterien der Verwertbarkeit für Suchmaschinen texten muss... Jedoch: Je besser und journalistischer der weitere Text der Pressemitteilung verfasst ist, desto höher die Chance, dass er eins zu eins übernommen wird. 

Hier geht es zum zweiten Teil der Miniserie zum Thema "Presse- & Öffentlichkeitsarbeit"

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Der Autor dieser Zeilen bietet Trauerbegleitung an in Osnabrück und im Osnabrücker Land an und hat eine Ausbildung zum Trauerbegleiter absolviert (Große Basisqualifikation gemäß des Bundesverbands Trauerbegleitung) und bietet Podcasts rund um das Thema Trauer an (bitte hier klicken). Thomas Achenbach ist der Autor der Bücher "Männer trauern anders - was ihnen hilft und gut tut", 168 Seiten, Patmos-Verlag und "Mitarbeiter in Ausnahmesituationen - Trauer, Pflege, Krise", 220 Seiten, Campus-Verlag. Mehr Infos auf www.thomasachenbach.de

Lesungen, Vorträge, Workshops, Seminare, Trauergruppen und mehr: Alle aktuellen Termine mit Thomas Achenbach finden sich unter diesem Link 

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Ebenfalls auf diesem Blog: Der Trick mit der Selbstwirksamkeit - wie wir uns selbst gut in seelischen Krisen helfen können: psychologische Tipps

Ebenfalls auf diesem Blog: 27 gute Rituale für eine Trauerfeier - wie sich eine Gedenkfeier so gestalten lässt, das sie den Angehörigen/Trauenden gut tun kann

Ebenfalls auf diesem Blog: Warum sich Trauernde förmlich zerrissen fühlen  - eine Einführung in das "Duale Prozessmodell der Trauer" und seine Fallstricke

Ebenfalls auf diesem Blog: Warum sich ein Suizid viel öfter verhindern ließe als wir das glauben und warum es so wichtig ist, immer wieder darüber zu reden

Ebenfalls auf diesem Blog: Tipps zum Umgang mit Trauernden und Trauer - was Menschen in einer Verlustkrise hilft, was man Trauernden sagen kann 

Ebenfalls auf diesem Blog: Was muss ich machen, wenn ich wegen Trauer krankgeschrieben werden möchte? Geht das überhaupt und wenn ja, wie denn?

Der Podcast von Thomas Achenbach: "Trauergeschichten - Menschgeschichten", Gespräche über Leben, Tod und Sterben, jetzt online

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Mittwoch, 15. November 2017

Der Fluch der Tapferkeit - warum es Menschen in der modernen Gesellschaft so schwer fällt, ihre Trauer zu durchleben und als normal zu akzeptieren und warum die Wurzeln dafür schon in der Kindheit gelegt werden

Osnabrück - Wagen wir eine steile These - und es ist noch nicht einmal meine eigene These: Dass unsere moderne Gesellschaft zu wenig Verständnis für Trauer aufbringt, liegt daran, dass uns das schon in frühesten Kinderzeiten ausgetrieben wird. Da heißt es immer: "Ist gar nicht so schlimm!". Oder: "Ein Indianer kennt keinen Schmerz!" Und dann stirbt plötzlich jemand - und man weiß mit den Gefühlen und ihrer Heftigkeit so gar nicht richtig umzugehen. Hilflosigkeit und Überforderung sind die Folge. Die Bestatterin Barbara Rolf aus Stuttgart nennt das: Den "Flucht der Tapferkeit". Sie ist nicht die Einzige, die das so sieht (inzwischen ist selbst der als Erziehungs-Papst gefeierte Pädagoge Jan Uwe Rogge auf diesen Zug aufgesprungen, wie der Business Insider berichtete).

Ich erinnere mich noch genau: Wir waren mit Freunden im Urlaub und hatten alle unsere Kinder dabei. Kleinkinder, erste Kindergartenphase, also noch in dem Alter, wo ein simples Zu-Fuß-Gehen als superlangweilig erlebt wird und sich nur zwei Alternativen anbieten: Sie entweder die ganze Zeit auf dem Arm herumtragen - oder sie mit dem Laufrad herumgurken lassen. Als wir einen Ausflug in eine große Stadt machten, stürzte eines der Kinder mit seinem Laufrad - die Eltern stürzten prompt hinzu. Und noch während sie das taten, riefen sie, beide, wie ganz automatisch: "Ist nicht so schlimm." - "Tut nicht weh." - Natürlich war das als Beruhigung gemeint, als Trost, als etwas eigentlich Liebevolles. Aber es kam mir auch wie eine Abwehr vor. So nach dem Motto: 


Mit dem Fahrrad umgefallen - ist das wirklich der Tränen wert? Klare Antwort: Na klar. Alleine schon der Empörung wegen, dass so etwas überhaupt geschehen kann. Das muss ja auch irgendwo bleiben.  (Pixabay.de-Foto, Creative-Commons-0-Lizenz)

Jetzt aber nicht heulen, hörst Du!? Und ich weiß noch genau, wie ich mich gefragt habe: Woher wollt Ihr das eigentlich so genau wissen, ob es wehtut und wie sehr? Ihr habt ja kaum nachgesehen. Genau so beginnt es, sagte auch die Trauer- und Familienbegleiterin Mechthild Schroeter-Rupieper in einem Vortrag auf der Messe "Leben und Tod 2017", die bereits im Mai in Bremen stattfand (und hier auf diesem Blog seither sukzessive weiter aufgearbeitet wird). Ihre These: "Man sagt uns von klein an: sei doch nicht so traurig. Dabei sind wir mit dem Talent traurig zu sein geboren worden. Und dann geht es schnell los, dass wir sagen: Tut doch gar nicht so weh. Ist doch gar nicht so schlimm." Was Mechthild Schroeter-Rupieper stattdessen empfiehlt: 

Das eigentlich Kleine ist in Wahrheit etwas sehr, sehr Großes


"Wenn das Knie aufgeschürft ist und das Kind sagt: Mama, das tut so weh, dann sagen: Ja, das glaube ich Dir, dasss das weh tut." Ein Trostpflaster draufmachen. Die Gefühle respektieren. Was hier im Kleinen beginnt, ist in Wahrheit etwas ganz Großes - und von einer existenziellen Wichtigkeit. Oder wie Mechthild Schroeter-Rupieper es sagt: "Wir Eltern müssen so leben, dass wir jeden Tag sterben könnten – Erziehung heißt Kinder zu stärken, nicht ihnen alles abzunehmen." Also: Auch nicht den Schmerz kleinreden. Das genau ist es ja, was vielen Trauernden in einer Verlustkrise besonders wehtut. Dass es dann auch heißt, von Freunden, Kollegen oder Verwandten: Das geht wieder vorbei. Reiß dich mal zusammen. Ein Indianer kennt keinen Schmerz. Aber wenn es nun einmal wehtut wie Hölle - warum soll es das nicht dürfen? Und: Ist das nicht ganz normal?


Wer traurig ist, darf Krone tragen: Ein König ist, wer fühlen darf


Die Bestatterin Barbara Rolf hat die Erfahrung gemacht, dass das keine Seltenheit ist: "Der Fluch der Tapferkeit ist leider sehr weit verbreitet, schon Kinder sind betroffen", sagt sie. Das Ergebnis ist jedoch eine Gesellschaft, "die wenig Verständnis hat für Trauer". Mechthild Schroeter-Rupieper will Seminare anbieten, in denen sie ihren Teilnehmer Kronen aufsetzen möchten, damit sie spüren: Ich bin ein Trauerkönig. Ich darf stolz darauf sein, dass ich traurig sein kann. So erzählte es die Familienbegleiterin beim Vortrag in Bremen - und sie berichtete von einer solchen Erfahrung mit einem prominenten Besuch. Denn einmal war Manuel Neuer zu Gast bei einem Trauertreff mit Jugendlichen. Und auf die Frage, ob er denn auch mal richtig heulen würde, sagte er: 


Lädt auch mal Fußballstars wie Manuel Neuer in Trauergruppen ein: Die Familienbegleiterin Mechthild Schroeter-Rupieper bei ihrem Vortrag auf der Messe "Leben und Tod 2017".  (Thomas-Achenbach-Foto)

Beim Fußball eher nicht so. Aber wenn mal sein Opa stürbe, würde er Rotz und Wasser heulen. Sowas ist wichtig, sagt Mechthild Schroeter-Rupieper: Kindern zu zeigen, es ist okay, dass es weh tut, dass das Schmerzen verursacht. Aber wer bei seinen Kleinen auch schon die kleineren Wehwehchen lieber im Keim erstickt, muss sich nicht wundern, wenn sie das am Ende auch bei den ganz großen Schmerzen versuchen. Auch Trauerbegleiter werden oft gefragt: Ist das denn normal? Dass ich "immer noch" so traurig bin, auch nach einem Jahr noch? Darf das sein? Und dann erleben sie es als wohltuend, wenn sie erfahren dürfen: Klar darf das sein. Klar ist das normal. Darum geht es: Dass es wehtut, dass es einen leermacht, dass es einen zerreibt. Das alles nennt sich Trauer und gehört zum Leben. Oder wie Mechthild Schroeter-Rupieper es auf der Messe "Leben und Tod" ganz sichtbar machte: Da nahm sie ein riesiges Herz - und riss es auseinander. Um dann beide Hälften einmal umzudrehen. Siehe da: So sind es zwei Tränen. Aber: Das Herz wächst auch wieder zusammen. Irgendwann, irgendwie. Also pfeifen wir auf die Tapferkeit. Und setzen unsere Krone auf. Als Trauerkönig


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Der Autor dieser Zeilen steht in Osnabrück und im Osnabrücker Land als Trauerbegleiter zur Verfügung. Thomas Achenbach ist zertifizierter Trauerbegleiter nach den Standards des BVT (Große Basisqualifikation). 

Thomas Achenbach ist der Autor dieser drei Bücher: 

-> "Das ABC der Trauer - 77 Rituale und Impulse" (Patmos-Verlag)
-> "Mitarbeiter in Ausnahmesituationen - Trauer, Pflege, Krise" (Campus-Verlag)
-> "Männer trauern anders - was ihnen hilft und gut tut" (Patmos-Verlag)

Mehr Infos auf www.thomasachenbach.de

Lesungen, Vorträge, Workshops, Seminare, Trauergruppen und mehr: Alle aktuellen Termine mit Thomas Achenbach finden sich unter diesem Link 

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Ebenfalls auf diesem Blog: Ist Trauerbegleitung ein echter Beruf? Kann man von Trauerbegleitung leben? Und wie werde ich überhaupt Trauerbegleiter?  

Ebenfalls auf diesem Blog: Macht es die Hinterbliebenen nicht noch trauriger, wenn wir sie auf ihren Verlust ansprechen? - Impulse bei großer Unsicherheit 

Ebenfalls auf diesem Blog: Warum die Formulierung "Mein Beileid" immer noch das Beste ist, was Du einem Menschen mit einem Verlust sagen kannst

Ebenfalls auf diesem Blog: Wie lange darf Trauer dauern? Ist es normal, wenn es jahrelang weh tut? Und ab wann wird trauern krankhaft?

Ebenfalls auf diesem Blog: Trauer und Schuldgefühle gehören zusammen - warum sich so viele Trauernde nach dem Tod eines Menschen schuldig fühlen

Ebenfalls auf diesem Blog: Keine Sorge, alles normal - was Trauernde alles so vermeintlich "Merkwürdiges" tun und warum das nicht peinlich ist

Ebenfalls auf diesem Blog: Wie uns die Trauer vor Aufgaben stellt und was das für den Trauerprozess bedeuten kann - über die "Aufgaben der Trauer"

Ebenfalls auf diesem Blog: Entrümpeln, Ausmisten und Aufräumen nach dem Tod eines Menschen - was mache ich damit und warum ist das so hart?

Ebenfalls auf diesem Blog: Professionelle Gesprächsführung mit Menschen in einer Krise - was wir von der Spiegeltechnik fürs Leben lernen können

Ebenfalls auf diesem Blog: Wir sind auf dem Weg in eine Sterbegesellschaft - Zahlen, Fakten und Daten darüber, wir eine gute Trauerkultur brauchen werden  

Ebenfalls auf diesem Blog: Wer ein Kind verloren hat, sollte nicht arbeiten gehen müssen - was wir von einer britischen Rechtsprechung lernen können 

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Mittwoch, 8. November 2017

"Die Bitten der Trauernden..." # Extended - Wertvolle Tipps zum Umgang mit Trauernden - was Menschen in einer Verlustkrise wirklich hilft (meine Ergänzungen)

Osnabrück - "Die Bitten eines Trauernden..." Auf diese wertvolle Liste, die die Dresdner Trauertherapeutin Diana Mirtschink zusammengestellt hat, weise ich in meinen Vorträgen besonders gerne hin. Denn was die Spezialistin für Verlustkrisen da geschaffen hat, ist selten und gekonnt: So zugespitzt, so treffend und so einleuchtend sind die Belange von Menschen in einer Trauer- und Verlustkrise selten zusammengefasst worden. Alles, was es an Tipps für den Umgang mit Trauernden zu sagen gibt, steckt dort drin. Das lädt zur Auseinandersetzung ein. Es lädt dazu ein, sich seine eigenen Gedanken zu machen. Und so habe ich die Liste für mich noch um ein paar weitere Bitten ergänzt. Als Verneigung vor der Form, sozusagen. 

"Redet meine Nöte nicht weg". Mit diesem Eintrag beginnt Diana Mirtschinks Liste. Das Geniale an dieser Präsentation als Liste ist ja genau das: Dass sich jeder einzelne Punkt darauf eigentlich von selbst erklärt, dass es aber zu jedem einzelnen Punkt wieder so viel zu sagen und zu ergänzen gäbe, dass es jeweils einen eigenen Blogbeitrag wert wäre. „Hört mir zu, auch wenn ich mich wiederhole“, beispielsweise, ist so eine der Bitten, auf die es wirklich ankommt. Oder auch diese: "Haltet mich aus." - "Redet meine Nöte nicht weg." -"Seid sprachlos mit mir, wo es keine Worte gibt." - Schmälert nicht das Geschehen." - Alles wertvoll, wichtig, alles wesentlich. Und jetzt kommen drei Ergänzungen, die von mir selbst stammen, die ich aber nach meinen Erfahrungen und meinen Gesprächen mit Trauernden ganz wichtig finde. 


Trauernde sind auf steinigen Wegen unterwegs - und das Glanzlicht des Lebens scheint weit entfernt und eine wuchtige Sache zu sein....   (Thomas-Achenbach-Symbolfoto) 

Erstens: "Trau Dich, mit mir über meine Toten zu sprechen…" - aus der Angst heraus, etwas falsch zu machen, trauen sich die Menschen oft nicht, im Kontakt mit Trauernden über die Gestorbenen zu sprechen. Meistens entsteht diese falsche Vorsicht aus der Angst heraus, man könnte die Trauer in den Menschen wieder wachrufen. Also eigentlich aus guten Beweggründen. Nach dem Motto: Ich erwähne die Toten mal lieber nicht, denn am Ende wecke ich damit womöglich neues Leiden. Aber wer einmal einen Menschen verloren hat, der weiß, dass das nicht stimmt. Natürlich tut es weh. Aber es tut sowieso alles weh, immer, fast immer. Also ist das in gewisser Weise normal. Was indes noch schlimmer ist: Das Gefühl haben zu müssen, dass keiner mehr über die gestorbenen Menschen sprechen mag. Wie es ein Vater einmal formulierte: "Dass sich keiner jemals traut, mit mir über meine tote Tochter zu sprechen, ist für uns so, als würde sie wieder und wieder sterben." 

Zweitens: "Nenn die Toten beim Namen, sie sind immer noch da"… Folgenden Dialog habe ich einmal erlebt. Da frage ich eine Mutter, deren Sohn sich suizidiert hatte. Wie heißt denn Ihr Sohn? Worauf eine daneben sitzende Bekannte in aufwallender Empörung sagte: "Er heißt gar nicht mehr, er hat sich umgebracht!" - Aber natürlich heißt er noch immer so, wie er als lebender Mensch geheißen hat, auch noch als gestorbener Mensch. Sagen wir, er hieß Philipp. Und jetzt, wo er tot ist, heißt er immer noch Philipp. Nur halt, der tote Philipp. Aber eben - Philipp. So steht es ja auch auf dem Grabstein. Es kann für viele Trauernde eine Entlastung sein, wenn der Name der Toten im Gespräch genannt wird. 

Und drittens: "Sie nicht verunsichert, wenn ich auch als Trauernder lache und am Leben ganz teilzunehmen zu scheine (und wenn das nicht der Dauerzustand bleibt)".... Auch das habe ich immer mal wieder erlebt: Dass Menschen, die eigentlich in einem Krisenzustand sein sollten, weil vielleicht ein Verlust erst kürzlich stattgefunden hat, so ganz unberührt zu sein scheinen. Ganz hautnah am Leben teilnehmen. Was dann Freunde und Bekannte und andere auch wieder irritiert. Auf einmal stehen Fragen im Raum wie "Sollte der nicht trauriger sein?" oder "Darf das so sein?" - auch hier gilt, was ich im Kontext von Trauer und Verlust immer sage: Es darf sein. Alles sein. Weil kein Mensch weiß, wie es wirklich aussieht. Weil sich Trauer oft erst noch ihre Wege bahnen muss. Manchmal ist es auch und gerade das im Leiden neu erwachte Wissen um die eigene Vergänglichkeit, das Menschen wieder ganz eng an das Leben heranführt. Warum sollten wir diese Menschen dann vom Leben abhalten wollen?

Linktipp: Hier geht es zur kompletten Liste "Die Bitten eines Trauernden".


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Der Autor dieser Zeilen steht in Osnabrück und im Osnabrücker Land als Trauerbegleiter zur Verfügung. Thomas Achenbach ist zertifizierter Trauerbegleiter nach den Standards des BVT (Große Basisqualifikation). 

Thomas Achenbach ist der Autor dieser drei Bücher: 

-> "Das ABC der Trauer - 77 Rituale und Impulse" (Patmos-Verlag)
-> "Mitarbeiter in Ausnahmesituationen - Trauer, Pflege, Krise" (Campus-Verlag)
-> "Männer trauern anders - was ihnen hilft und gut tut" (Patmos-Verlag)

Mehr Infos auf www.thomasachenbach.de

Lesungen, Vorträge, Workshops, Seminare, Trauergruppen und mehr: Alle aktuellen Termine mit Thomas Achenbach finden sich unter diesem Link 

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Ebenfalls auf diesem Blog: Ist Trauerbegleitung ein echter Beruf? Kann man von Trauerbegleitung leben? Und wie werde ich überhaupt Trauerbegleiter?  

Ebenfalls auf diesem Blog: Macht es die Hinterbliebenen nicht noch trauriger, wenn wir sie auf ihren Verlust ansprechen? - Impulse bei großer Unsicherheit 

Ebenfalls auf diesem Blog: Warum die Formulierung "Mein Beileid" immer noch das Beste ist, was Du einem Menschen mit einem Verlust sagen kannst

Ebenfalls auf diesem Blog: Wie lange darf Trauer dauern? Ist es normal, wenn es jahrelang weh tut? Und ab wann wird trauern krankhaft?

Ebenfalls auf diesem Blog: Trauer und Schuldgefühle gehören zusammen - warum sich so viele Trauernde nach dem Tod eines Menschen schuldig fühlen

Ebenfalls auf diesem Blog: Keine Sorge, alles normal - was Trauernde alles so vermeintlich "Merkwürdiges" tun und warum das nicht peinlich ist

Ebenfalls auf diesem Blog: Wie uns die Trauer vor Aufgaben stellt und was das für den Trauerprozess bedeuten kann - über die "Aufgaben der Trauer"

Ebenfalls auf diesem Blog: Entrümpeln, Ausmisten und Aufräumen nach dem Tod eines Menschen - was mache ich damit und warum ist das so hart?

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Ebenfalls auf diesem Blog: Wer ein Kind verloren hat, sollte nicht arbeiten gehen müssen - was wir von einer britischen Rechtsprechung lernen können 

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Mittwoch, 1. November 2017

Digitaler Nachlass wird nicht ernst genug genommen - warum ich toten Verwandten keine Freundschaftsanfragen stellen können sollte - Eine Übersicht zum aktuellen Stand in Sachen "Digital danach" (Beitrag zur Bloggerparade #diginastory)

Osnabrück - Es war ein tragischer Tod und er kam, natürlich und wie so oft, überraschend. Es ist noch nicht lange her, dass einer meiner Verwandten - ein Cousin zweiten Grades, also ein Cousin meines Vaters - gestorben ist. Der Grund: Eine heftige Lungenentzündung von einem tatsächlich tödlichen Erreger. Dass es sowas noch gibt - unfassbar, wie alles andere! Als ich plötzlich die Todesanzeige in der Zeitung sah, hat es mir fast die Füße weggezogen. Schaue ich aber ins Facebook, den großen blauen Datensammler, so ist vom Tod meines Cousins zweiten Grades nichts zu spüren (übrigens: Nicht Großcousin, so etwas gibt es gar nicht) - ich könnte dort seine Beiträge liken oder kommentieren. Und ich könnte ihm eine Freundschaftsanfrage senden. Dem Mann, auf dessen Beerdigung ich war. Ein gutes Beispiel für ein großes Problem, das kaum einer ernst genug nimmt: Den digitalen Nachlass.

Nun war auch dieser Cousin zweiten Grades schon über 70, also in einem Alter, in dem man vielleicht nicht mehr auf jeden digitalen Trendzug aufspringen muss. Dass er überhaupt bei Facebook war, ist - verglichen mit den nicht so digitalen Aktivitäten von manchen seiner Altersgenossen - vergleichsweise ungewöhnlich. Aber was, wenn einer wie ich plötzlich sterben würde? Unfall, Herzinfarkt, Hirninfarkt, die Liste der möglichen Ereignisse ist ebenso lang wie, leider auch, alltäglich. Da wären zwei Blogs mit weiter laufenden Kommentarfunktionen, ein Twitterauftritt, ein Facebookauftritt, mehrere Mailaccounts, mehrere digitale Abos beispielsweise bei Streamingdiensten, allerlei Logins in digitalen Verkaufsräumen,... Und wer weiß was noch? Oder, noch ein Beispiel, sagen wir, es träfe Donald Trump. Was hinterließe er seinen Erben? Unter anderem einen prall gefüllten Twitteraccount voller wüster Beschimpfungen und zorniger Attacken. Ein gutes Erbe? Nun, soviel sollte inzwischen klar sein:


Digitales Aufräumen nach dem Tod kann eine langwierige und schwierige Sache sein - alleine schon, weil der Gestorbene auf Facebook und in anderen sozialen Netzwerken noch präsent ist...  (Thomas-Achenbach-Foto) 

Das ganze digitale Zeugs muss also irgendwie geregelt werden, am besten vor dem Tod, spätestens aber danach - macht zwar (noch) keiner, wird aber immer wichtiger. Weil ja auch alles in unserem Leben immer digitaler wird. Nach Angaben der Verbraucherzentrale stirbt alle drei Minuten ein Facebook-Nutzer in Deutschland. Da dürften sich also eine Menge Profile längst gestorbener Menschen finden lassen. Nicht so schön. Gott sei Dank gibt es inzwischen immer mehr Macher und Multiplikatoren, die sich mit diesem Thema beschäftigen. Viele davon kommen am 16. 11. 2017 zu der in München stattfindenden Konferenz "Digina", organisiert vom Blogger-Team "Digital Danach". Diese Veranstaltung ist auch der Grund für diesen Blogbeitrag - denn die Macher der Konferenz haben zu einer Blogparade aufgerufen (Hashtag: #diginastory). Und weil ich mich mit dem Thema digitaler Nachlass schon einmal intensiver beschäftigt hatte, war es für mich Pflichtprogramm, daran teilzunehmen. Weil auch ich inzwischen verinnerlicht habe: 


Etwas muss geschehen mit dem ditigalen Zeugs - aber was?


Das ganze digitale Zeugs nach dem Tod einfach ungeregelt liegenlassen, ist einfach nicht mehr zeitgemäß. Nicht nur, aber auch, weil alles, was dann da ist, nach wie vor zu Reaktionen einlädt - vielleicht auch zu Beschimpfungen. Aber wie verletzend muss es für Angehörige sein, nicht nur ein Familienmitglied zu verlieren, sondern dies nach dem Tod auch noch digital angegriffen zu erleben. Nicht nur, aber auch, weil heutzutage einfach fast alles über den digitalen Weg abgewickelt wird. Clevere Bestatter haben das längst erkannt und bieten mit ihren Dienstleistungen auch digitale Aufräumdienste mit an (beispielsweise Columba). Noch besser als ein Post-Mortem-Service ist natürlich: Alles schon vorher regeln. Zum Beispiel über das Testament oder eine testamentarische Verfügung. Das macht natürlich etwas Arbeit, ist aber eine gute Entlastung für die Angehörigen. Hier ein paar Tipps, was sich machen ließe (Stand: Ende 2017) - inklusive wertvoller Hinweise von Birgit Aurelia Janetzky, die sich mit ihrem Unternehmen "Semno Consulting" auf genau diese "Schnittstelle zwischen Mensch, Tod und Internet" (Eigenwerbung der Firma) spezialisiert hat. Sie hatte mich bei der Recherche eines Artikels für die Osnabrücker Nachrichten (ON) mit Informationen versorgt - ein Artikel, aus dem auch die folgenden Zeilen stammen. 


Die Datenpolizei sollte vor dem Sterben schon einmal eine Inspektion machen können...  (Thomas-Achenbach-Foto) 

- Erstes Problem: Passwörter. - Auf einer Papierliste alles an Passwörtern samt dazugehöriger Website niederschreiben und diese irgendwo zu hinterlegen ,ist natürlich gefährlich und kontraproduktiv. Hier gibt es digitale Lösungen. Beispielsweise das Programm KeePass, das mit einer auch bei Banken genutzten Sicherheitstechnik arbeitet: Hier lassen sich alle Passwörter verwalten, für andere durch Verschlüsselung und Schutzbarrieren unsichtbar. Der Nutzer braucht nur noch ein so genanntes Master-Passwort, nämlich das für das Programm KeePass. Andere Software verfährt nach ähnlichem Muster (PasswortDepot, PasswordSafe, etc.) Idealerweise bekommen die Angehörigen mit dem Testament zwei Passwörter ausgehändigt: Das für die Hardware (Laptop oder Computer) und das Master-Passwort einer Verwaltungssoftware. Eine andere Lösung, die Birgit Aurelia Janetzky inzwischen empfiehlt, gehört heute oft zum Angebot des Bestatters: Per Datenbankabgleich werden Online-Nutzerkonten aufgespürt und können mit einem Mausklick gelöscht oder bearbeitet werden. Im Hintergrund steht als technischer Dienstleister das Berliner Unternehmen Columba, das sich auf digitale Abmeldungen.

- Zweites Problem: E-Mails. - In Sachen E-Mails stehen sich in Deutschland zwei verschiedene Gesetze im Weg. Einerseits das deutsche Erbrecht, das quasi eine Weitergabe an die Angehörigen beinhaltet, andererseits das Fernmeldegeheimnis, das dem – auch nach dem Tod – rudimentär entgegensteht. Immerhin: Die deutschen Freemail-Anbieter GMX und Web.de gewähren gegen Vorlage eines Erbscheins Zugriff auf das Postfach. Ansonsten wird es schwierig: Oftmals haben Nachlassverwalter die Erfahrung gemacht, dass weder sie noch die Erben Zugriff auf den E-Mail-Account eines Verstorbenen bekommen, wenn sie das Passwort nicht selbst haben. Die E-Mail-Anbieter berufen sich auf das Fernmeldegeheimnis. 

- Drittes Problem: Facebook. Das größte Problem bei Facebook ist, dass jeder Nutzer einen anderen Nutzer als gestorben melden kann – dazu bedarf es noch nicht einmal einer Sterbeurkunde, ein Link auf einen Nachruf oder „ein anderes Dokument zum Tod der Person“ reicht den aktuellen Facebookregeln zufolge dafür aus. Sobald ein Nutzer als gestorben gemeldet wurde, versetzt das Unternehmen seinen Facebook-Auftritt in den „Gedenkzustand“. Alles, was dort gepostet wurde, ist dann noch zu sehen, aber es lässt sich nicht mehr kommentieren oder anderweitig benutzen. Das Problem dabei: Ist eine Facebook-Seite erst einmal im Gedenkzustand, ist auch für die Angehörigen kein Zugriff mehr möglich. Das unter anderem war Gegenstand der Gerichtsprozesse um die gestorbene 15-Jährige, bei denen Facebook am Ende Recht bekam. Bleiben wir noch einmal ganz kurz beim Thema Facebook.... 


Die Konferenz "Digital danach 2017" (Kurz: Digina 2017) macht auch den digitalen Nachlass zum Thema...  (Thomas-Achenbach-Foto) 

- Nochmal Facebook - diesmal: Regelungen im Vorfeld treffen. Übrigens bietet das Unternehmen die Möglichkeit, schon im Vorfeld einen „Legacy Contact“ (Deutsch: Nachlasskontakt) zu bestimmen. Dieser kann im Menüfeld „Sicherheit“ eingegeben werden und wird benachrichtigt, sobald die Seite eines Nutzers in den Gedenkzustand umgebaut worden ist. Als Nachlasskontakt kann man für den gestorbenen Nutzer auf Freundschaftsanfragen antworten und Profibilder aktualisieren – persönliche Nachrichten lesen oder als der Verstorbene etwas posten geht jedoch nicht. 

- Viertes Problem: Twitter. Wer beim Kurznachrichtenservice Twitter einen Nutzer abmelden möchte, muss Dokumente vorlegen. Eine Kopie des eigenen Personalausweises ebenso wie die offizielle Sterbeurkunde des Nutzers. Außerdem behält sich Twitter das Recht vor, bei Inhalten oder Personen des öffentlichen Interesses von einer Löschung des Profils abzusehen. 

- Fünftes Problem: Xing. Das deutsche Netzwerk „Xing“ geht einen anderen Weg: Wird dort ein Nutzer als verstorben gemeldet, fragt das Netzwerk erstmal bei diesem Nutzer selbst an, ob das auch stimmt – das Profil wird derweil erstmal auf unsichtbar geschaltet. Erst wenn das Netzwerk binnen drei Monaten keine Rückmeldung erhält, löscht es das Konto.

- Sechstes Problem: Das ist noch lange nicht alles. Natürlich gäbe es nun noch eine ganze Reihe weiterer Netzwerke und Fragestellungen (Thema Instagram und Bildrechte, beispielsweise, in Cloud-Diensten gespeicherte Daten, gespeichertes EInkaufsverhalten bei Amazon oder E-Bay, etc.) - die Liste möglicher weiterer Themen ist lang und all diese Fragestellungen in aller Detailfreudigkeit auszurecherchieren, wäre eine gute Aufgabe für weitere Artikel.

- Hier geht es zum ON-Artikel "Digitales Aufräumen schon vor dem Tod regeln.." 

PS: Natürlich habe ich nicht nur über das Facebookprofil meines verstorbenen Cousins zweiten Grades geschrieben, sondern bin auch mit den Angehörigen dazu in Kontakt... Das nur am Rande bemerkt, falls sich jemand wundert, nach dem Motto "Was macht der denn da?"...

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Der Autor dieser Zeilen bietet Trauerbegleitung an in Osnabrück und im Osnabrücker Land an und hat eine Ausbildung zum Trauerbegleiter absolviert (Große Basisqualifikation gemäß des Bundesverbands Trauerbegleitung). Er hält auch Vorträge zum Thema Trauer und Umgang mit Trauernden. Mehr Infos gibt es hier.

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