Osnabrück - Eines dieser Bücher, das hier schon sehr lange rumliegt und auf eine Besprechung in diesem Blog wartet... Wirklich sehr lange, mir ist irgendwie immer das Leben dazwischengekommen mit all seinen Aufs und Abs (und ein bisschen auch die Pandemie und das Home Schooling und dann die daraus resultierende und inzwischen überwundene Müdigkeit und all das). Aber genau darum geht es in dem erwähnten Buch: darum, was passiert, wenn das Leben in alles hineingrätscht. In den "Letzten Lieder" erzählen Sterbende von der Musik ihres Lebens. Mittlerweile in mehreren Werken. Werfen wir einen Blick auf das zweite.
Das ist Ende 2020 erschienen und mir freundlicherweise seinerzeit vom Verlag zugeschickt worden. Zur Besprechung, die ich bislang schuldig blieb. Klar, Verlagen liegt an einer aktuellen Auseinandersetzung mit dem, was sie publizieren, sie denken vor allem in zwei Kategorien: Den aktuellen und den kommenden Frühjahrs- und Herbstpublikationen. Müssten sie in diesem Fall aber gar nicht, denn dieses Buch ist zeitlos. Wieder funktioniert es nach dem altbewährten Prinzip: Stefan Weiller geht zu den Menschen in die Hospize. Er fragt sie nach der Musik ihres Lebens. Und dann schreibt er ihre Geschichte auf. Aus der Erinnerung, ohne Notizen, noch im Fluss des Gehörten, um daraus ein Buch zu machen - oder um die Geschichten für etwas Anderes aufzuheben.
Denn manche davon landen später in recht eindrucksvollen Aufführungen, in denen prominente Schauspieler die Texte vorlesen und in denen eine Liveband, manchmal auch plus Chor, die Musik gestaltet. Was Stefan Weiller mit den "Letzten Liedern" gestartet hat, ist inzwischen regelrecht eine eigene Marke geworden, eine eigene Kunst, die sich sehen und hören lassen kann.
Zwar gibt es inzwischen auch ein Hörbuch von dem Projekt, aber das kenne ich noch nicht. Was übrigens wirklich mal grandios wäre, das wäre eine DVD von einer dieser "Letzte Lieder"-Aufführungen. Eine Aufnahme, die in Ton und Bild die Intensität eines solchen Konzertabends vermitteln kann. Denn wer das einmal hat miterleben dürfen, der hat beispielsweise immer die Stimme von "Stromberg"-Darsteller Christoph Maria Herbst im Ohr, sobald er einen der Texte von Stefan Weiller liest. Was auch daran liegt, dass diese Texte eben alle im typischen Weiller-Duktus geschrieben sind, also in seinem sehr gut lesbaren, ansprechenden, sehr spezifischen Tonfall, der an den passenden Stellen dezente Gefühlsspuren beizumengen versteht.
Was das angeht, machen nun auch die "Letzten Liebeslieder" genau dort weiter, wo die "Letzten Lieder" zuletzt aufgehört haben. Überhaupt bleibt Stefan Weiller seinem Erfolgsrezept in diesem Buch weitestgehend treu, wobei er sich auch an neuen Elementen versucht.
Was neu ist, an der zweiten Auflage: Es gibt eine Art durchgehende Geschichte, die sich quasi wie ein Fortsetzungsstück durch das ganze Buch zieht, in einzelne Happen aufgeteilt, und in der ein Sterbe- und Trauerfall - der Papa von Henri und Paul - jeweils aus der Sicht eines einzelnen Familienmitglieds geschildert wird. Auch aus der der Ehefrau. Und als zweites sich durch das ganze Buch ziehendes Element gibt es einige Dialoge, vermutlich E-Mail- oder Handydialoge verschiedener Teilnehmer.
Wo sie herkommen, wie Stefan Weiller an sie gekommen ist: Das bleibt ein Geheimnis, um die Personen zu schützen. Wir erfahren ihre Vornamen und ihre Geschichten. Und immer sind diese Lebens- und Sterbegeschichten an ein bestimmtes Stück Musik geknüpft, das ist die Bedingung. Man muss Stefan Weiller lassen, dass er diese Kunst unnachahmlich beherrscht: Die Fähigkeit, mit Sprache Gefühle zu wecken, mit wenigen Wortskizzen die innere Tiefe des Leser aufzurühren. Weillers Texte entwickeln ihren ganz eigenen verführerischen Sog allein durch ihren so speziellen Weiller-Sound, sie lesen sich hypnotisch und gehen tief. All diese Texte sind trotz - oder gerade wegen - ihres Sujets ein Genuss. Die ganze Bandbreite des Lebens. Alles drin.
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