Osnabrück - Erstmal das Wichtigste: Selbst wenn Dir das Schreiben nicht liegt; selbst wenn Du keinen der in diesem Ratgeber genannten Impulse in die Tat umsetzen möchtest, kann Dir dieses Buch in einem akuten Trauerprozess eine gute Hilfe sein. Obwohl der Titel und der Inhalt das nicht vermuten lassen. Aber lass mich erstmal erläutern, worum es hier überhaupt geht: Die Trauerbegleiterin Iris Willecke hat vor einigen Monaten ein Buch veröffentlicht: „Wie aus Trauer Liebe und Dankbarkeit wird“ heißt es - und worum es geht, verrät der Untertitel: "Schreibimpulse für einen bewussten Weg durch die Trauer." Frei nach dem Motto: Schreib es Dir von der Seele, wenn Du nicht drüber sprechen kannst. Es ist dieses bewusste Wahrnehmen, das das Buch auch außerhalb vom Schreiben empfehlenswert macht - aber nicht nur das.
Denn Iris Willecke hat auch zahlreiche Zitate gefunden, die alleine schon einen Schatz an hilfreichen Sätzen und Impulsen darstellen. Außerdem gibt Iris Willecke ihren Lesern immer wieder die Erlaubnis, so sein zu dürfen, wie sie jetzt sind.
Zum Beispiel, indem sie sie zum bewussten Jammern einlädt, einer meiner Lieblingstipps aus ihrem Buch: "Geben Sie sich zum 'Baden in Selbstmitleid' maximal 15 Minuten Zeit", rät sie. Als Schreibübung kann dieses Jammern beginnen mit dem Satz "Es tut mir so leid für mich, dass"... Um dann den Fokus umzudrehen, indem sie dazu anregt, auch für den gestorbenen Menschen eine Jammerliste anzulegen: "Es tut mir so leid für Dich, das..." Ich glaube, dass das eine kraftvolle Übung sein kann, die gut tun kann. Ein weiterer Lieblingstipp von mir findet sich im Kapitel über Schuldfragen.
(Alle Fotos: Thomas Achenbach) |
Das ist immer wieder ein großes Thema in vielen Trauerprozessen. Denn die Fragen nach der Schuld können sehr quälend werden, viele Menschen sind in ihrem Trauerprozess tage- wie auch nächtelang mit Grübeleien darüber befasst. Iris Willecke bietet hierzu eine Metaebene an, die hilfreich sein kann: Indem man sich vorstellt, ein Staatsanwalt und ein Verteidiger würden über den konkreten "Schuldfall" sprechen - auch wenn sie das in Wahrheit gar nicht dürften, was Iris Willecke unumwunden einräumt -. Nun versucht jeder den anderen zu überzeugen, einerseits von der tatsächlichen Schuld, andererseits von der Nicht-Schuld. Auch das kann, so glaube ich, eine hilfreiche Übung werden. Wenn man sich darauf einlassen kann, versteht sich.
Aber welche Erfahrungen hat Iris Willecke selbst mit solchen Schreibangeboten gemacht, was funktioniert in Trauergruppen besonders gut, was erleben die Betroffenen als hilfreich? Ich hatte die Chance, Iris ein paar Fragen zu ihrem Buch zuschicken zu können, die sie freundlicherweise für mich beantwortet hat:
Hast Du die Schreibübungen auch schon in Begleitungen (Gruppen/Einzel) erproben können?
Iris Willecke: Ich gebe Schreibimpulse gerne Trauernden als Idee für zuhause an die Hand. Manche probieren es aus und berichten mir dann beim nächsten Mal von ihren Erfahrungen, einige bringen ihre Texte sogar mit. Gelegentlich baue ich kurze Schreibeinheiten in meine Trauergruppenabende ein, das ist aber eher die Ausnahme.
Gibt es eine Übung, die besonders gut ankommt?
Iris Willecke: Viele Trauernde freuen sich über die Möglichkeit, Ihren Verstorbenen Briefe und Botschaften schreiben zu können. Einige berichten, dass sie zwar schon ganz am Anfang einen Abschiedsbrief geschrieben und dem Verstorben mitgegeben haben, sie aber nicht von allein auf den Gedanken gekommen wären, dass es nicht bei diesem einen bleiben muss. Die Beziehung zum Verstorbenen darf ja bestehen bleiben und Kommunikation gehört zu einer Beziehung dazu. Dem Verstorbenen etwas zu schreiben ist eine Form der Kommunikation.Manche Trauernde brauchen aber erst eine Art Erlaubnis und Ermutigung dazu, denn sie haben leider die irrige Vorstellung, dass es seltsam und falsch wäre, wenn sie weiterhin die Verbindung zum Verstorben halten.
Hast Du eine Schreibübung, von der Du sagen würdest, dass es Deine Lieblingsübung ist?
Iris Willecke: Nein, eigentlich nicht. Ich mag aber mittlerweile Elfchen (Gedichte aus 11 Wörtern) sehr, denn ich habe herausgefunden, dass die vorgegebene, feste Struktur vielen den Zugang zum Gedichteschreiben erleichtert. In einer Trauergruppe bekamen die Teilnehmer mal die freiwillige Hausaufgabe, ein Elfchen zum Thema Verbundenheit zu schreiben. Eine der Teilnehmerinnen kam beim nächsten Abend mit nicht nur einem, sondern ganz vielen wunderbaren Kurzgedichten wieder, die sie uns vorgelesen hat und die bei mir Gänsehautmomente erzeugt haben. Für sie war es zu dem Zeitpunkt offenbar genau die richtige Aufgabe gewesen.
Ist in der Zwischenzeit vielleicht sogar eine Übung dazugekommen, die noch nicht ins Buch konnte?
Iris Willecke: Mir fallen in Gesprächen manchmal spontan Schreibthemen und „Übungen“ ein, die ich dann auch direkt vorschlage. Davon ist mir bisher aber keine in bleibender Erinnerung geblieben.
Iris Willecke ist übrigens gelernte Krankenschwester und hat unter anderem in einem Hospiz gearbeitet. Inzwischen ist sie als freiberufliche Trauerbegleiterin unterwegs und bezeichnet sich selbst als "Traueraktivistin und ,End-Lich-Botschafterin'". Über die von ihr gestalteten speziellen Postkarten für Trauernde habe ich hier bereits ebenso berichtet wie über den von ihr propagierten "Memento Tag in Deutschland".
Lesungen, Vorträge, Workshops, Seminare, Trauergruppen und mehr: Alle aktuellen Termine mit Thomas Achenbach finden sich unter diesem Link
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