Das zeigt mir, wie groß die Unsicherheiten oft sind - und das ist völlig verständlich. Die Gefahr steht im Raum, dass man etwas Falsches sagen könnte. Etwas falsch machen könnte, immerhin geht es hier um den Umgang mit sensiblen Themen und sensiblen Gefühlen. Da steht die Sorge im Raum, es womöglich noch schlimmer machen könnte als es überhaupt schon ist. Das macht einem Angst, verständlicherweise. Zumal es um ein Thema geht, das uns Menschen grundsätzlich Angst macht: den Tod. Je weniger Erfahrung wir mit diesen Gefühlen und diesem Thema haben, desto verunsicherter sind wir selbst im Umgang mit anderen Menschen, die gerade in so einer Verlustsituation sind. Also entscheiden wir uns oftmals lieber für das vermeintlich Sicherste: Wir sagen mal lieber nichts. Aber damit werden wir den Menschen, die einen Verlust erlitten haben, am wenigsten gerecht.
(Alle Fotos/Symbolfotos: Thomas Achenbach)
Es war die Sternenkindmama Kena Woodnig, die kürzlich zum Muttertag diese zwei Sätze auf Twitter veröffentlichte: "Wir Eltern reden eigentlich ganz gern über unsere Sternenkinder. Vorausgesetzt unser Gegenüber hört uns wirklich aufrichtig zu". Was Kena Woodnig hier zusammenfasst, trifft nicht nur auf Sternenkindeltern zu. Denn die Menschen, die einen Verlust erlitten haben, wollen meist sehr, sehr gerne darüber reden. Wäre dem nicht so, gäbe es z. B. keine Trauergruppen, Trauercafés und keine professionellen Trauerbegleiter wie mich. Aber warum traut sich das keiner?
Was kann ich einem Menschen in Trauer denn sagen?
Hartnäckig hält sich der Irrglaube, dass es besser wäre, diese Menschen nicht auf ihren Verlust anzusprechen, weil sie dann ja noch trauriger werden könnten. Aber das Gegenteil ist der Fall: Es tut vielen Menschen gerade gut, wenn sie ihren Verlust besprechen und ihre eigenen Gefühle ins Wort bringen können. Meistens ist es genau das, was fehlt. Bleibt bloß noch die Frage: Was sagen ich diesen Menschen denn? Was hilft wirklich?
Das ist in Wahrheit gar nicht so schwer, wie es scheint: Am besten einfach Fragen stellen. Die erste Frage könnte lauten: Möchtest Du von Deinem Verlust erzählen? Möchtest Du erzählen, wie es Dir gerade geht? Was macht das mit Dir? Wie war der gestorbene Mensch so, was mochtest Du an ihm am liebsten? Möchtest Du mir von dem gestorbenen Menschen etwas erwählen? Oder, im Fall von Sternenkindern: Wie heißt Euer Kind (übrigens, "heißt" ist in dem Zusammenhang immer besser als "hieß"). Solche und andere Fragen sind hilfreich, um ein Gespräch langsam in Gang zu bringen. Meiner Erfahrung nach reicht oft ein erster Impuls dieser Art schon aus, dann findet sich der Rest fast von selbst. Hilfreich ist es außerdem zu wissen, dass die wirklich schlimmen Phasen nach einem Verlust oft erst nach der Beerdigung oder der Trauerfeier eintreten können, oft sogar erst lange nach der Beerdigung. Auch ein Jahr später noch und weitaus länger sind die Menschen innerlich oft noch ganz aufgelöst, können es jedenfalls sein - auch ohne es zu zeigen. Trauer ist immer ein individueller Prozess, das ist die Grundregel Nr. 1 - und sie dauert oft viel, viel länger als wir, die wir keinen Verlust erleiden mussten, uns das vorstellen können, das ist die Grundregel Nr. 2.
Sich selbst zurückhalten und Fragen stellen
Wichtig ist im Gespräch jedoch, dass man sich selbst zurückhält. Menschen, die gerade einen Verlust erleiden mussten und die daran leiden, haben das Recht darauf, dass ihr persönlicher Verlust jetzt die Hauptrolle spielen darf, auch im Gespräch mit ihnen. Es ist wichtig, diesen Menschen dann möglichst nicht die eigenen Erfahrungen mit Tod und Trauer mitteilen zu wollen oder gut gemeinte Tipps geben zu wollen, mag die Versuchung auch groß sein.
Was es mit den Menschen in Trauer macht, wenn sie nicht über ihre Verluste sprechen können, zeigt ebenfalls ein Tweet aus dem Bereich Sternenkindmamas: "Viele Betroffene sprechen nicht über ihre Fehlgeburt(en). Deshalb scheint es nicht-Betroffenen oft so, als sei eine Fehlgeburt die schreckliche Ausnahme." Und auch das lässt sich ganz außerhalb des Themas Sternenkinder als generelle Aussage definieren: Eben weil wir diese Themen noch allzu oft in den Bereich von Scham, Tabu und Verschwiegenheit verschoben haben, macht es auf viele Menschen den Eindruck, als sei das alles ganz unnormal, ganz merkwürdig, mehr so etwas für ganz Verschrobene. Ist es aber nicht. Ist alles ganz normal. So normal wie der Tod.
Und am Ende dieses Tweets heißt es dann: "Wieviele Betroffene kennst Du?"
Alle Folgen aus der Serie "Wie Trauernde ihre Gefühle erleben":
- Darf ich einen Menschen auf seinen Trauerfall ansprechen - oder mache ich damit alles nur viel schlimmer - zur Folge 1 der Serie, hier klicken.
- Wie eine Familie den Geburtstag der gestorbenen Tochter als Abschieds- & Lebensfest gestaltet - und warum das anderen Mut machen kann - zur Folge 2 der Serie, hier klicken
- Warum Trauernde sich schlichtweg zerrissen fühlen müssen - wie das "Duale Prozessmodell" das Erleben von Trauernden abbildet - zur Folge 3 der Serie, hier klicken .
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Der Autor dieser Zeilen steht in Osnabrück und im Osnabrücker Land als Trauerbegleiter zur Verfügung. Thomas Achenbach ist zertifizierter Trauerbegleiter nach den Standards des BVT (Große Basisqualifikation).
Thomas Achenbach ist der Autor dieser drei Bücher:
-> "Das ABC der Trauer - 77 Rituale und Impulse" (Patmos-Verlag)
-> "Mitarbeiter in Ausnahmesituationen - Trauer, Pflege, Krise" (Campus-Verlag)
-> "Männer trauern anders - was ihnen hilft und gut tut" (Patmos-Verlag)
Mehr Infos auf www.thomasachenbach.de.
Lesungen, Vorträge, Workshops, Seminare, Trauergruppen und mehr: Alle aktuellen Termine mit Thomas Achenbach finden sich unter diesem Link
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