Osnabrück - Die meisten Menschen, die einen Verlust erlitten haben, können sich nicht vorstellen, dass sich ihre Trauer einmal verändern könnte. Manche haben regelrecht Angst davor, weil sie befürchten, mit ihrer Trauer auch die vielen Erinnerungen zu verlieren. Wenn wir davon ausgehen, dass deine Trauer ihre Intensität nicht verlieren wird - auch noch Jahre nach dem Verlust eines geliebten Menschen nicht -, bedeutet das dann gleichzeitig, dass keine Entwicklung mehr möglich ist im Inneren wie im Äußeren? Heißt es nicht ganz oft, man könne "an seiner Trauer wachsen"? Wie soll das möglich sein? Die neuseeländische Trauerbegleiterin Dr. Lois Tonkin hat ein Modell entwickelt, das eine spannende Alternative aufzeigt: Mit wenigen simplen Bildern zeigt sie, wie es möglich sein kann, nicht an seiner Trauer zu wachsen - sondern um sie herum.
Lois Tonkin nennt ihr Konzept "Growing Around Grief"; also: Um die Trauer herum wachsen. Sie hat dafür ein ganz einfaches, sehr eindringliches und rein symbolisch gemeintes Bild entwickelt: Stell dir deine Trauer als Kugel vor. Vielleicht eine schwarze, schwere Kugel, aus Stein oder aus Beton gefertigt. Nun lege diese Kugel in ein kleines Schraubglas. Allerdings eines, das mit einer, sagen wir, magischen Fähigkeit ausgestattet ist: Es kann wachsen, während sein Innenleben gleich bleibt. In meinen Vorträgen rund um das Thema stelle ich auch dieses Modell auch bildlich vor. Das sieht dann im ersten Bild so aus:
Nicht etwa die Trauer hat sich verändert - das Gefäß drumherum ist es, das wächst. Wenn die besonders schwierigen Zeiten überwunden sind, in denen alles zum ersten oder zum zweiten Mal erlebt werden muss - Todestag, Geburtstag des gestorbenen Menschen, Weihnachten ohne den gestorbenen Menschen, überhaupt der Alltag ohne ihn -, dann beginnt ganz unmerklich dieses Wachstum. Wagen wir also einen Blick in die weitere Zukunft, weitere eineinhalb Jahre später, wie sieht das Gefäß wohl dann aus, das um Deine Trauer herum gewachsen ist (also: Du, innerlich)...:
Der Verlust selbst und die damit verbundene Trauer bleiben für einen langen Zeitraum immer gleich groß und schmelzen mit der Zeit nicht einfach ab. Entscheidend für die weitere Entwicklung des trauernden Menschen ist Lois Toniks zufolge vielmehr, ob es ihm - also dem Menschen - gelingt, trotz des Verlusts weiter zu wachsen und neue Erfahrungen zuzulassen. Neues im Leben kann entstehen, während das Innere weiterhin mit dem Vergangenen befasst bleibt. Trauer ist eine Zeit der Ambivalenz, eine Zeit des Gespaltenseins, so erleben es viele. Und gleichzeitig ist es die Zeit eines inneren Wachstums. Vielleicht sogar: Eines großen inneren Wachstums. Um Deine Trauer herum.
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