Sonntag, 14. Mai 2017

Nach der Messe ist vor der Messe... ist vor der Messe - Interview mit Meike Wengler, Macherin der Messe "Leben und Tod" in Bremen - Warum der Initiatorin der Trauer- und Palliativmesse immer noch die Tränen kommen und warum die Planungsvorläufe mehrere Jahre überstrecken

Bremen/Osnabrück - Nun ist sie vorbei, die "Leben und Tod 2017" - und war mehr als erfolgreich. Aber Messe-Macherin Meike Wengler ist mit ihren Planungen schon längst viel weiter. - Es ist ein langer, langer Flur. Fast ganz hinten, am Ende rechts, ist das Büro von Meike Wengler. Von ihrem Fenster aus guckt sie auf eine typisch bremische Stichstraße mit Mehrfamilienhäusern und Reihenhäuschen. Unter ihr befindet sich die riesige Halle 6 der Bremer Messe. An den Wänden Bilder von Pferden oder Planungsskizzen. So sieht es also aus, das Herz der Messe "Leben und Tod" in Bremen. Wobei - das eigentliche Herz ist wohl Meike Wengler selbst. Ich hatte mich im April 2017 mit der Messemacherin zum Interview verabredet und war überrascht zu erfahren, dass die Vorbereitungen schon bei 2019 angekommen sind - und dass Wenger selbst nach fast zehn Jahren Messe-Erfahrungen noch immer die Tränen kommen. Hier das Interview im Wortlaut.

Sie rief die Messe "Leben und Tod" in Bremen ins Leben: Meike Wengler ist verantwortlich für die Messe und das Programm (Die Leben und Tod 2018 findet am Freitag, 4 Mai und Samstag, 5. Mai 2018 statt).   (Bremer-Messe-Presse-Foto/mit freundlicher Genehmigung)


Meike Wengler, Sie gelten als die „Erfinderin“ der Messe „Leben und Tod“… Wie kam es dazu?

Meike Wengler: Reiner Zufall. Ich hatte vorher mit dem Thema eigentlich gar nichts zu tun gehabt. Irgendwann habe ich dann sonntags mal ins Fernsehprogramm reingezappt und da kam gerade die Sendung „Willi will’s wissen – wie ist das mit dem Tod?“

Ach nee. „Willi will‘s wissen“ war der Auslöser?

Meike Wengler: Das war der Auslöser. Da ratterte es bei mir im Gehirn und ich habe so gedacht: Stimmt ja eigentlich, jeder muss sterben, das geht jeden was an, aber keiner spricht drüber. Und dann habe ich gedacht, das wäre doch mal was für uns hier als Messe. Als ich meinen Chef dann gefragt habe, hat der erstmal geschluckt und hat gesagt: Frau Wengler, sind Sie sicher? Ja, ich bin sicher, habe ich gesagt – aber ich habe dann erstmal ganz viele Gespräche geführt. Mit der Bremer Landes-Kirche, dem Bremer Hospiz- und Palliativverband, mit einer Freundin, die ihre Ausbildung zur Krankenschwester auf einer Palliativstation gemacht hat.

Wie waren die Reaktionen?

Meike Wengler: Durchweg positiv. Aber durch diese vielen Gespräche ist mir auch klargeworden, ja, das ist ein sehr wichtiges Thema, aber ich kann das nicht alleine machen. Also habe ich mir einen Beirat zusammengesucht, der ja über die Jahre immer größer geworden ist und der aus vielen verschiedenen Kirchenmitgliedern und Mitgliedern  von Landesverbänden und Bundesverbänden, die zu dem Thema was zu sagen haben, besteht. Und als das soweit stand und ich das Konzept geschrieben hatte, hat mein Chef dann gesagt: Das machen wir. Und da bin ich ihm sehr dankbar, denn das war sehr mutig.

Die „Leben und Tod“ ist ja immer so eine Doppelpackung – eine Messe für alle Besucher, auch die privaten, und ein Kongress für die Mitarbeiter aus der Hospiz-, Palliativ- und Trauerbegleiterszene. Entwickeln sich beide Bereiche gleich gut?

Meike Wengler: Nicht ganz. Ursprünglich sollte die „Leben und Tod“ nur eine Messe sein, logisch für uns als Messeveranstalter, und alles andere war so für den Rand gedacht. Aber mittlerweile ist der Schwerpunkt wirklich der parallel stattfindende Fachkongress. Der im Augenblick wirklich enorm wächst – also von 2015 auf 2016 um 30 Prozent und jetzt wieder prognostisch um 30 Prozent…

Wie wird das gemessen - in Teilnehmerzahlen?

Meike Wengler: Genau, in Teilnehmerzahlen. Worüber wir uns sehr freuen, weil wir da ja offenbar was richtig machen, was so die Themenauswahl angeht. Aber – und das ist so mein Anliegen – wir sind immer noch eine Mischung aus der Fachlichkeit und den Privatbesuchern… Unsere Philosophie ist es, als Plattform zu wirken und die verschiedenen Professionen zusammenzubringen - das macht meiner Meinung nach auch den Charme des Ganzen aus.

Gibt es denn Rückmeldungen von Privatbesuchern?

Meike Wengler: Teilweise, ja. Ich erlebe zum Beispiel auch, dass mich Leute anrufen und sagen: Mein Mann ist vor drei Monaten gestorben, ich möchte mich gerne mehr informieren, gibt es bei Ihnen entsprechende Vorträge?

Gehen wir nochmal zurück in die ersten Jahre. Wie haben Sie sich gefühlt?


Der große Saal auf der Messe "Leben und Tod" im Jahre 2015 - einer von drei Orten, an denen das parallel laufende Vortragsprogramm stattfindet, so sicher auch in 2018.    (Thomas-Achenbach-Foto)


Meike Wengler: Manchmal etwas zittrig. Der erste Gang zum Bestatter damals, da habe ich wirklich Beklemmungen gehabt und habe gedacht, ohje, was kommt da auf mich zu? Die verstaubte Kupferurne im Fenster - wie man sich so ein Klischeebild so vorstellt? Dann habe ich aber ganz positive Erfahrungen gemacht.

Das war aber ein beruflicher Gang zum Bestatter?

Meike Wengler: Genau, um ihn zu gewinnen für die Messe.

Das finde ich hochinteressant – ich beobachte immer wieder, dass viele der Menschen, die so etwas machen wie ein Hospizehrenamt oder Trauerbegleitung, eigentlich biographisch geprägt sind. Und dann irgendwann aus der biographischen Kurve rauskommen und sich sagen, ja,der Tod ist irgendwie mein Thema, ich muss da jetzt mal was machen. Aber bei  Ihnen ist das was ganz anderes…

Meike Wengler: Ja. Das kann natürlich eine Stärke sein, kann auch eine Schwäche sein. Am Anfang hatte ich immer wieder zu schlucken. Das ist übrigens auch heute noch so: Es gibt manchmal Themen, da muss ich erstmal eine Runde spazierengehen oder mir ein Eis kaufen – einfach raus aus dem Thema. Aber gleichzeitig erlebe ich das als unglaublich gewinnbringend und bereichernd – auch für mein eigenes Leben. Und diese Erfahrungen, die ich mache – sowohl mit Betroffenen als auch mit Profis -  sind einfach toll.

Wie gehen denn die Profis damit um?

Meike Wengler: Überraschend lebensnah. Ich weiß noch genau: Unsere ersten Beiratssitzungen... – ich habe selten soviel gelacht! Und das ist ganz, ganz toll, aber das hat mich überrascht. Dieses Thema so zu betrachten, dass man auch drüber lachen darf, wir heißen ja nicht umsonst Leben und Tod. 

Die erste Leben und Tod war 2010. Haben Sie vorher schon Messen organisiert?

Meike Wengler: Ich bin jetzt fast 15 Jahre bei der Messe Bremen. Vorher habe ich die Bremen Classic Motorshow begleitet. Ich wollte auch schon mal eine Pferdemesse machen, das wollte mein Chef aber nicht so gerne (lacht). Leider, ich bin leidenschaftliche Reiterin. Aber letzten Endes bin ich ganz froh drüber, denn sonst würde es die Leben und Tod nicht geben..

Und wie ist der Name entstanden? Ich fühle mich da immer etwas an Douglas Adams erinnert: „Das Leben, das Universum und der ganze Rest…“-  heißt ja eines der Bücher aus der „Per Anhalter durch die Galaxis“-Reihe.

Meike Wengler: Tatsächlich haben wir uns da ganz viele Gedanken drüber gemacht und 
haben vieles gefunden, was wir nicht wollen. Irgendwann kam dann - auch in Zusammenarbeit mit unserer Agentur, die uns berät - so der Gedanke auf: Wir können doch eigentlich genau sagen, worum es geht – es geht  um Leben und Tod. Das hat es aber am Anfang schwergemacht.

Wieso? Hat es potentielle Besucher abgeschreckt – oder ferngehalten?

Meike Wengler: Ja, es gibt zwei Punkte, die unsere Arbeit schwermachen. Das ist erstens der Name: Es schreckt ab, sobald das Wort „Tod“ irgendwo steht, da gehen bei ganz vielen Leuten die natürlichen Rolläden runter. Und das Zweite ist der Zeitpunkt. Im Mai! Medial betrachtet ist das der Ober-GAU. Wenn wir im November stattfinden würden, so rund um den Totensonntag, wäre das der optimale Zeitpunkt, da gäbe es viel mehr mediale Aufmerksamkeit rund um das Thema Tod. Aber im Mai will das Thema ja eigentlich keiner haben. Da geht es dann um Mode, Blumen, Grillen, Draußensein, sowas… Wir haben damals aber gesagt: Nee, gerade nicht! Im Mai wird tastächlich mehr gestorben als im November. Das macht es zwar nach wie vor schwer für uns, manchmal verfluche ich das auch, aber die Rückmeldungen von den Profis bestärken uns da. Die sagen nämlich auch: Das ist total richtig.

Sie sind ja auch in ihrer ganzen Gestaltung weniger staatstragend unterwegs. Man könnte ja beim Thema Tod eher ein schwarzes Logo vermuten. Oder wenigstens tiefblau. Haben Sie aber nicht.

Meike Wengler: Orange und  Grün, genau, so lebensbejahende Farben, das war auch wichtig. Zuerst haben wir tatsächlich mit einem verschämten Hellblau angefangen. Wir wussten einfach noch nicht, was wir uns trauen können. Aber mit der Zeit sind wir mutiger geworden. Auch zu sagen: Es geht um Leben und Tod – Ausrufezeichen. Das ist uns wichtig. Da darf - ja, muss - man auch provokant sein. Ich betone aber immer wieder: Wir gehen auf keinen Fall flappsig mit dem Thema um. Ich habe den größten Respekt vor diesem Thema. Und wie gesagt: Ich muss manchmal auch rausgehen oder weine auch, weil mich ein Schicksal berührt…

Wenn Sie an die erste Messe 2010 zurückdenken – wie war das so?

Meike Wengler: Geprägt von ganz viel Unsicherheit, weil wir mit dem Thema noch nicht so firm waren, wir kamen ja alle nicht aus diesem Bereich und wussten nicht, ob überhaupt jemand kommt, wer da kommt und wie es wird. Beim ersten Mal gibt es auch noch nichts, auf das man sich verlassen  kann, es gibt keine eingespielten Routinen. Das ist extrem stressig. Wir waren auch sehr schüchtern in der Außenkommunikation. Aber da war auch viel Aufbruchstimmung, weil es sowas noch nie gegeben hatte und weil die, die kamen, uns rückmeldeten, dass sie sehr dankbar waren dafür.

Und der Stressfaktor heutzutage?

Meike Wengler: Es ist immer noch stressig, klar. Ich habe auch immer noch Schnappatmung morgens wenn ich aufwache und denke, ohje, nur noch wenige Wochen. Und ganz schlimmes Lampenfieber, ganz schlimm. Aber es gibt so Routinen, man weiß, wann was dran ist, wann was gebucht werden muss, das macht es alles etwas leichter.

Wenn man Sie so erlebt, wie Sie am ersten Messetag die Anmoderation machen, ist das aber nicht zu spüren.

Meike Wengler: Doch, ich bin immer noch sehr aufgeregt. Ich bin bei jeder Veranstaltung mein kritischster Besucher und hoffe immer, dass alles gut ist. Man kann es nicht allen recht machen. Es gibt immer kritische Stimmen. Manchmal für merkwürdige Dinge, manchmal berechtigt. Aber wir sind immer extrem daran interessiert, es richtig, richtig gut zu machen. Es ist halt unser Baby, und wir stecken all unser Herzblut in die Organisation!

Im Vorgespräch haben Sie gesagt: Nach der Messe ist vor der Messe. Sind Sie schon bei den Planungen der kommenden Jahre?

Meike Wengler: Ja, wir haben schon lange Vorläufe – viele Referenten haben dermaßen volle Terminkalender, da muss man schon gut im Voraus planen. Es ist dann manchmal ganz schön schwierig, zwischen den Themen zu jonglieren. Im nächsten Jahr wollen wir uns  „Mit Leib und Seele“ befassen und im übernächsten Jahr, zu unserem 10-jährigen Jubiläum mit „Am Anfang und am Ende….Leben!“ . Wir haben schon das ganze Jahr gut zu tun, aber wir sind ein kleines und sehr menschlich aufeinander eingespieltes Team und sehr kreativ, da macht das Arbeiten echt Freude. Bei uns wird echt viel gelacht – ein Kollege hat mal gesagt: Das ist das fröhlichste Team in der Messe Bremen. Ich denke, das muss auch so sein, wenn man so ein Thema macht.

Zwei Jahre im Voraus… Sind die Themen immer so langfristig geplant? 2016 haben Sie ja genau auf Höhe der Zeit das Flüchtlingsthema bedient, wo viele Besucher – ich auch - gesagt haben, was für ein Volltreffer. War das reiner Zufall?

Meike Wengler:  Das war ein totaler Zufall! Das Thema war ein Jahr vorher festgelegt worden. Dass im Herbst vorher diese Flüchtlingskrise entstand, spielte uns in die Karten, war für uns aber gar nicht vorauszusehen. In einem Fall waren wir auch zu früh dran: Ich habe mit einer Trauerbegleiterin gesprochen, die hat eine koptische Christin und eine Syrerin in der Ausbildung bei sich, aber die waren noch nicht fertig und konnten noch nichts dazu erzählen. Das war total schade und da waren wir vielleicht ein bisschen zu schnell… 

Das Fazit für die "Leben und Tod 2017" fällt übrigens mehr als positiv aus - wie die Bremer Messe am 15. 5. in einer Pressemitteilung schrieb, waren selbst die Organisatoren rund um Meike Wengler überrascht vom Ergebnis: 4336 Besucher kamen demzufolge zur achten Auflage der Messe - 510 mehr als im Vorjahr (3826). Für den Fachkongress registrierten sich in diesem Jahr 1305 Besucher. Das ist ein Plus von mehr als 50 Prozent gegenüber 2016 (856) - also noch deutlich mehr als der von Meike Wengler in unserem Interview prognostizierten 30 Prozent. 

Und der Termin für die Messe Leben und Tod 2018 steht auch schon fest: Sie findet am Freitag und Samstag, 4. und 5. Mai 2018, statt. 


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Der Autor dieser Zeilen bietet Trauerbegleitung an in Osnabrück und im Osnabrücker Land an und hat eine Ausbildung zum Trauerbegleiter absolviert (Große Basisqualifikation gemäß des Bundesverbands Trauerbegleitung). Er hält auch Vorträge zum Thema Trauer und Umgang mit Trauernden. Mehr Infos gibt es hier

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