Osnabrück - Es sollte nur eine Übung sein, aber die Ergebnisse sind so schön geworden, dass es dann doch zu schade wäre, sie gar nicht zu veröffentlichen: Im Februar 2025 durfte ich den Volontärinnen und Volontäre der Neuen Osnabrücker Zeitung bei einem Projekttag Rede und Antwort stehen. Ich war dabei nur einer von vielen Experten und besonderen Gästen, die alle gekommen waren, um sich interviewen zu lassen: Ein Übungstag sollte es sein, der den jungen Reporterinnen und Reporter als Training dienen sollte. Doch, siehe da....:
Was Sophie Handl und Philip Jesse dann aus unserem bewegten Gespräch als Ergebnis herausdestilliert haben, wäre zu schade für "Übung only". Deswegen habe ich mich sehr gefreut, dass die beiden meinem Vorschlag gefolgt sind, die bislang unveröffentlichte "XXL-Version" des Interviews auch hier auf meinem Blog anbieten zu dürfen. Wobei eine Kurzfassung des Interviews tatsächlich schon erschienen ist, und zwar im so genannten Trauerratgeber der Neuen Osnabrücker Zeitung - aber eben aus Platzgründen in einer stark eingedampften Version.
Die beigefügten Fotos hat übrigens ebenfalls eine Volontärin angefertigt: Das war Marlen Busse, die parallel den Volotag mit ihrer Handykamera begleitet hat.
Meinerseits kann ich nur nochmal sagen: Allen ein herzliches Dankeschön für den entspannten Tag und für die hervorragende Arbeit.
"Wir haben nie genug Zeit": Einblicke in die Berufung, nicht den Beruf, von Trauerbegleiter Thomas Achenbach
Von Sophie Handl und Philip Jesse (beide Neue OZ).
Osnabrück. Thomas Achenbach hat einen besonderen Nebenjob: Er ist zertifizierter Trauerbegleiter. Als solcher spricht er mit seinen Klienten über die Themen Tod, Trauer und Sterben – und über vieles andere, was darüber hinaus führt. Im Interview berichtet er von seinen Erfahrungen in der Trauerbegleitung, warum sich manche Hinterbliebenen mit großen Schuldgefühlen plagen und wie er seine eigene Trauerfeier geplant hat.
Sophie: Thomas, was bedeutet Trauer für dich?
Oh Gott, wie viel Zeit habt ihr (lacht)? Aber im Ernst: Es
ist immer ein hochindividueller Prozess, der sich für jeden Menschen anders
darstellt. Alleine schon in der Intensität. Es gibt keine Grundregel dafür, was
Trauer sein kann. Ich würde nur eine gelten lassen: Wenn du das noch nie erlebt
hast, dann kannst du dir niemals vorstellen, wie lange dieser Prozess dauern
kann. Trauer ist eine klaffende Wunde. Wie lange das Blut aus ihr strömt, das
ist eine Frage, über die wir sprechen können. Irgendwann mag sie vernarben, das
dauert aber ein paar Jahre. Die Narbe bleibt trotzdem.
Sophie: Wie gehst du selbst mit dem Thema Tod um? Hast Du überhaupt noch Angst vor dem Tod?
Entspannte Interviewsituation im so genannten Wohnzimmer bei der Neuen OZ (Fotos: Marlen Busse) |
Hm, gute Frage. Ich glaube, vor dem Todsein habe ich keine
Angst mehr. Ich stelle mir vor, dass wir ungefähr dahin zurückgehen, wo wir
waren, als wir nicht geboren waren - wenn auch mehr in einem buddhistischen als
in einem christlichen Sinne. Vorm Sterben habe ich natürlich Angst, weil ich
oft erlebt habe, wie schmerzvoll und heftig das sein kann. Aber es gehört
einfach dazu. Wovr ich aber Angst habe, das gebe ich gerne zu: Wie es mir
einmal gehen sollte, wenn ich tatsächlich selbst in eine Trauer- und
Verlustkrise gerate. Davon bin ich momentan befreit, sonst könnte ich diesen Job
nicht machen.
Philip: Warum wolltest du denn Trauerbegleiter werden?
Sophie: Viele Menschen haben bereits mit Trauer Erfahrungen
gemacht, aber gleichwohl viele wahrscheinlich nicht mit Trauerbegleitung. Wie
kann man sich das vorstellen?
Völlig individuell. Ich arbeite nicht nach Methoden. Als
Mann bin ich in diesem Bereich ein Exot, in Deutschland ist das immer noch ein
sehr weiblich geprägtes Umfeld, und begleite wohl deshalb auch häufiger Männer.
Mein Gefühl ist, dass Männer für Methoden nicht so empfänglich sind. Deswegen
arbeite ich wirklich nur über das Gespräch und lasse die Leute einfach
erzählen. Damit habe ich immer ganz gute Erfahrungen gemacht.
Sophie: Was sagst du denn den trauernden Menschen?
Ich sage ihnen gar nichts. Das Einzige, was ich sage, ist:
"Willst du erzählen?" Und dann reden wir darüber. Das ist das, was den meisten
Leuten fehlt. Sie wollen darüber reden, sich verstanden fühlen. Sie wollen
wahrgenommen werden in ihrem Prozess. Und genau das bekommen sie in ihrem
Umfeld nicht. In meiner Begleitung führt der Klient die Regie. Ich bestimme
nicht, worüber wir sprechen oder welche Aspekte an der Reihe sind, sondern die
Menschen, die bei mir sind.
Philip: Gibt es für dich Grenzen, wenn es um die Wahl deiner
Klienten geht?
Nach meiner Qualifizierung wollte ich erstmal keine Gruppen
leiten. Ich hatte als Führungskraft in meinem eigentlichen Job von
gruppendynamischen Prozessen einfach genug. Und ich wollte keine verwaisten
Eltern betreuen. Meine Tochter war zu dem Zeitpunkt gerade knapp zwei Jahre alt
und das war mir zu nah an meinem eigenen Grundwasser.
Philip: Die Vorsätze scheinen nicht lange gehalten zu haben.
In der Tat, schon kurz nachdem ich angefangen habe, wurde
ich von einer Kollegin gefragt, ob ich mir vorstellen könnte, mit ihr eine
Trauergruppe für Männer zu leiten. Ich fand die Idee toll und habe zugesagt –
und wir hatten prompt nur verwaiste Väter als Gäste. Da stand ich dann mit
meiner Aussage. Es ging aber ganz gut. Was ich damals bald gelernt habe: Um
welche Art von Tod es geht, ist letztlich ganz egal. Es geht immer nur um das,
was es mit dem einzelnen Menschen machen.
Philip: Wie war deine erste Erfahrung als Trauerbegleiter?
Eine meiner ersten Erfahrungen war ein Mann, mit dem ich in
den Begleitungen über alles Mögliche gesprochen habe, aber eben nicht - oder
nur sehr wenig - über das Thema. Trotzdem hat er mir immer gespiegelt, es tue
ihm richtig gut. Das war schon irritierend für mich. Ich habe gedacht: Das ist
jetzt schon ein bisschen wenig. Warum reden wir jetzt nicht über Trauer, Tod
und Sterben?
Philip: Dabei ist das doch das eigentliche Thema, oder nicht?
Sophie: Würdest du diese Erfahrung auch als deine
prägendste bezeichnen?
Das war auf jeden Fall eine davon. Besonders herausfordernd
sind auch Begleitungen, bei denen es ganz tief und existenziell um das Thema
Schuld geht. Das kann eine große Rolle spielen. Das ist herausfordernd, weil
die Menschen wirklich zutiefst davon überzeugt sind, dass sie schuld an dem Tod
eines anderen Menschen sind. Ich weiß zwar, dass diese Schuld eine wichtige
Funktion hat, aber das kann ich den Leuten nicht so um die Ohren knallen.
Sophie: Solche Schuldgefühle müssen für Trauernde sehr belastend sein. Was ist denn die Funktion dieser Schuld?
Für viele Menschen ist es so: Wenn sie mit dem Thema Tod
konfrontiert sind, sind sie konfrontiert mit einer enormen Ohnmacht und
Hilflosigkeit. Da ist ein Mensch gestorben, der ist jetzt weg und man muss
versuchen, damit weiterzuleben und das zu begreifen irgendwie. Das kann
unheimlich sprachlos, hilflos und ohnmächtig machen. Für manche Menschen ist es
einfacher zu sagen: Ich hätte ja doch etwas tun können, weil sich das immer
noch besser anfühlt als einfach die Ohnmacht ertragen zu müssen. Das ist der
Prozess, der psychologisch eine Rolle spielt. Deswegen ist es so wichtig, dass
die Menschen die Schuld als Anker haben, weil so eine brutale Ohnmacht für uns
Menschen oft komplett unaushaltbar ist. Das geht gar nicht.
Philip: Warum lädst du dir die Trauer anderer Menschen auf?
Das tue ich ja gar nicht. Ich habe ja gelernt, genau das
nicht zu tun. Für mich geht es darum, dass ich mit den Menschen ins Schwingen
komme, ins Mitschwingen, aber nicht ins Mitleiden. Denn das nützt keinem was.
Ich stelle mir vor, ich bin so eine Art Schale und die Leute können in diese
Schale alles reinfüllen, was sie mitbringen. Wenn ich selber ins Kippen gerate,
geht das nicht mehr. Und wenn mich selbst das Gehörte sehr stark anfasst oder
ich mich bei einer Frage unsicher fühle, kann ich mir immer Rat bei einer
Supervision holen. Das ist ein ganz wichtiges Leitmotiv: Es kann nur gut
begleiten, wer selbst gut begleitet ist.
Sophie: Wie gehst Du damit um, sich fürs Zuhören und für Empathie bezahlen zu lassen? Ist das für dich ein moralischer Konflikt?
Damit habe ich eigentlich kein großes Problem. Haben meine
Klienten auch nicht. Es ist zwar ein Zweitjob, aber zuweilen auch ein Ehrenamt.
Leben kann ich von dem Betrag, den ich verlange, ohnehin nicht. Es gibt, was
Trauer angeht, eben diese groß Lücke in unserer Gesellschaft - und auch in
unseren professionellen Hilfesystemen. Und alle Menschen, die professionell
zuhören, werden letztlich dafür bezahlt.
Sophie: Gibt es einen Tipp, den du allen Menschen geben würdest, um sich auf
das Thema Tod besser einzulassen?
Jeder sollte sich frühzeitig mit dem Thema Trauer und Tod
auseinandersetzen. Dann können das stark lebensbereichernde Erfahrungen sein.
Ich kann allen empfehlen, sich vor den Spiegel zu stellen, sich tief in die
Augen zu schauen und sich selbst zu sagen: “Ich werde sterben”. Die Botschaft
wird wohl nicht ganz ankommen, aber es ist wertvoll, sich damit
auseinanderzusetzen und nachzudenken, wer aus dem Umfeld überhaupt wissen
würde, was dann zu tun wäre.
Philip: Hast du dein eigenes Begräbnis schon geplant?
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Thomas Achenbach im Sommer 2024 bei einem Vortrag für den Mittelstands-Verband BMW (Foto: Hermann Pentermann) |
Oh ja, schon lange. Ich ändere das auch immer mal wieder,
sehr zum Leidwesen meiner Frau. Tatsächlich war ich während der Coronapandemie
mal auf dem Trip zu sagen, ich möchte lieber nicht verbrannt werden, aber davon
bin ich bald wieder abgewichen. Ich habe eine Patientenverfügung, eine
Vorsorgevollmacht, ich habe verfügt, welche Musik gespielt werden soll und wie
ungefähr eine Trauerrede aussehen könnte. Meine Mutter hatte das auch vor ihrem
Tod festgehalten - das war ein ungemein wertvolle Erfahrung. Sich ganz sicher
sein zu dürfen, dass du die Trauerfeier ganz im Sinne des gestorbenen Menschen
gestalten kannst, das habe ich bei aller Tragik auch als Geschenk erlebt.
Philip: Welche Musik läuft denn bei deiner
Trauerfeier?
Ich habe es inzwischen auf einen einzigen Song reduziert. Kennst du Brian Wilson von den Beach Boys? Der hat später noch Solo-Alben gemacht und einen Song, der “The Last Song” heißt. In dem singt er am Ende, immer wieder: “There’s never enough time for the ones that you love”. Übersetzt also: Wir haben nie genug Zeit für die Menschen, die wir lieben. Und das ist mir eine ganz wichtige Botschaft, weil es stimmt. Ich bin oft länger unterwegs und weg von meiner Familie, ich habe auch viele Freunde, denen ich nie gerecht werde. Das ist ein großes Thema für mich. Deswegen habe ich den Song ausgewählt. Und er hat genau die richtige Spur Pathos und Kitsch. Passt (lacht).
Lesungen, Vorträge, Workshops, Seminare, Trauergruppen und mehr: Alle aktuellen Termine mit Thomas Achenbach finden sich unter diesem Link
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