Dienstag, 7. Juni 2016

Wird Trauerbegleitung von den Krankenkassen bezahlt? Was bringt Trauerbegleitung überhaupt - und warum ist es nötig, dass es dafür einen Bundesverband gibt? Ausführliches Interview mit Christine Stockstrom, ehemalige Vorsitzende des Bundesverbands Trauerbegleitung , aus dem Jahr 2016 (Teil 2/3)

Osnabrück - In einem Blogbeitrag vor einiger Zeit haben wir hier die Frage behandelt, was Trauerbegleitung eigentlich alles bringen kann. Heute geht es um noch konkretere Fragen rund um das Thema: Wird Trauerbegleitung von den Krankenkassen bezahlt? Warum werden Menschen Trauerbegleiter, was motiviert sie dazu? Und warum muss es einen Bundesverband dafür geben (in dem der Autor dieser Zeilen übrigens - Transparenzhinweis - ebenfalls Mitglied ist)...:

Über diese und viele andere Fragen habe ich 2016 ein Interview führen dürfen mit einer Frau, die sich wie kaum eine andere damit auskennt. Und hier geht es jetzt weiter mit diesem Interview und mit allen Fragen rund um den Nutzen und die Kosten von Trauerbegleitung - und darüber, wie Trauerbegleitung eigentlich funktioniert. .

Übrigens: Wer Interesse daran hat, selbst Trauerbegleiterin oder Trauerbegleiter zu werden und wer auf der Suche nach Informationen zu diesem Thema ist, der findet an anderer Stelle in diesem Blog alle Informationen dazu (Ist Trauerbegleitung ein Beruf? - Bitte hier klicken). 

Weiter geht's: Hier ist nun der zweite Teil des Interviews mit Christine Stockstrom, seinerzeit, im Jahre 2016, Vorsitzende des Bundesverbands Trauerbegleitung:

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Christine Stockstrom, Sie sind jetzt, wo wir dieses Interview führen - im Mai 2016 - die Vorsitzende des Bundesverbands Trauerbegleitung… ist das ein Vollzeitjob?

Christine Stockstrom: (lacht) Ja, manchmal schon. Nein, es ist natürlich ein Ehrenamt. Aber es nimmt viel, viel Zeit in Anspruch, gerade jetzt, weil wir als Verband in einer Umbruchsituation sind und weil es uns noch nicht so lange gibt.

Den Bundesverband Trauerbegleitung gibt es seit 2010, Sie sind also als Institution noch im Kleinkindalter…


Christine Stockstrom, aufgenommen auf der Messe "Leben und Tod" im Frühjahr 2016 - im Interview verrät sie auch etwas zur Frage, warum sie eigentlich Trauerbegleiterin geworden ist.   (Thomas-Achenbach-Foto)

Christine Stockstrom: Nein, nicht ganz. Als Verband – also mit der Rechtsform des Verbandes – gibt es uns erst seit 2010, das stimmt. Seit 2002 gibt es aber schon eine Bundesarbeitsgemeinschaft zum Thema Trauerbegleitung. Darin haben sich viele Menschen versammelt, die Qualifizierungen und Ausbildungen zum Thema Trauerbegleitung anbieten. Wir haben damals festgestellt, dass es sehr, sehr viele Angebote gibt. Von einer qualifizierten mehrtägigen Ausbildung bis zu einem Crashkurs von nur einem Tag ist da alles dabei. Uns war wichtig, dass wir Mindeststandards definieren, die eine Qualifizierung unbedingt erfüllen sollte. Und diese Standards durchzusetzen, das geht nur als Verband. Wir verwenden übrigens bewusst allein den Ausdruck Qualifizierung, weil es uns nicht um eine Berufsausbildung geht.

Ein Verband, der eine Norm aufstellt – das klingt alles ziemlich trocken, oder?

Christine Stockstrom: Worum es uns geht, ist ein Schutz für die Trauernden, also eine Qualität in der Trauerbegleitung. Das war das Ziel. Und das ist wichtig. Dabei geht es bunt und lebendig und gar nicht trocken zu. Es geht auch nicht alleine um Normen. In diesen ersten fünf Jahren als Verband waren bislang nur Qualifizierende bei uns tätig. Seit 2014 sind wir auch geöffnet für die qualifizierten Trauerbegleiter, das heißt, es gibt jetzt auch eine zweite Säule neben den Qualifizierenden, nämlich die Begleitenden, die eine Große Basisqualifikation abgeschlossen haben.

Die sind automatisch Mitglied bei Ihnen – mit Abschluss der Qualifikation?

Christine Stockstrom: Nein, nicht automatisch. Sie können aber eine Mitgliedschaft beantragen. Aktuell sind die Trauerbegleiter dabei, sich selbst als Fachgruppe innerhalb des Bundesverbands eine Struktur zu geben. Außerdem werden die Begleiter, die bei uns Mitglied sind, von uns auch mit vertreten. Wir verhandeln zum Beispiel gerade mit den Krankenkassen.

Den Krankenkassen... Worum geht es dabei?


Noch ein zartes einsames Pflänzchen ist der frisch gegründete Bundesverband Trauerbegleitung - aber, wie es aussieht, in der ersten Aufblühphase?   (Fotografiert im Botanischen Garten Osnabrück, Thomas-Achenbach-Foto) 

Christine Stockstrom: Es geht darum, dass Trauer zwar keine Krankheit ist – aber krank machen kann. Und da kann Trauerbegleitung auch eine sinnvolle Form der Prävention sein, weil es inzwischen längst erwiesene Zusammenhänge gibt zwischen Trauer und zum Beispiel Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Schlaganfällen.

Das Ziel ist also, dass die Krankenkassen für die Trauerbegleitung bezahlen?

Christine Stockstrom: Dass zumindest ein Stück davon refinanzierbar wird, darum geht es derzeit.

Und wie weit sind Sie da?

Christine Stockstrom: Wir haben einzelne Kurse, die uns Trauerbegleiter dafür empfohlen haben, bereits als Präventionsmaßnahme bei den Krankenkassen durchsetzen können. Aber wir wollen gerne das Verfahren vereinfachen und wir wollen gerne, dass Trauerbegleitung auch nur dann refinanzierbar ist von den Krankenkassen, wenn sie auch von Menschen mit einer entsprechenden Qualifikation angeboten wird.

Weil Sie sich als Bundesverband Trauerbegleitung zusammengetan haben, verfügen 
Sie jetzt also über eine Stimme, die auch gehört wird?

Christine Stockstrom: Ja, absolut. Wir haben uns in den vergangenen eineinhalb Jahren mitgliedermäßig verdreifacht und sind ständig am Wachsen, wir haben diese neue Gruppe der Begleiter mit dabei, wir werden in der Öffentlichkeit viel stärker wahrgenommen…

Was macht denn Christine Stockstrom, wenn Sie einmal nicht im Fast-Vollzeit-Ehrenamt der Bundesvorsitzenden tätig ist?

Christine Stockstrom: (lacht) Ich bin vom Grundberuf Diakonin, arbeite aber seit sechs Jahren als Freiberuflerin in Sachen Supervision und Trauerbegleitung. Ich qualifiziere in Trauerbegleitung. Ich biete Erwachsenen-Fortbildungen an. Nebenbei bin ich noch Mitglied einer riesengroßen Familie  – und ein Familienmensch.

Auch das kann ja ein Vollzeitjob sein…

Christine Stockstrom: (lacht) Richtig! Das Leben ist bunt und vielfältig…

Was hat Sie denn seinerzeit motiviert, Trauerbegleiterin zu werden? Sie haben das ja auch einmal gelernt?

Christine Stockstrom: Ich habe acht Geschwister, aber ich hätte auch noch einen älteren Bruder haben sollen, der schon gestorben war, als ich geboren wurde. Der Tod war also ein Thema in unserer Familie. Ich war  dann in der Kirchengemeinde sehr aktiv und habe auch dort Tod und Sterben kennengelernt, habe im Studium dann persönlich große Hilflosigkeiten erlebt, als mein Vermieter plötzlich umgekippt ist. Und dann habe ich gedacht: So, jetzt finde ich mal das Patentrezept… (lacht). Ich bin dann über einige Umwege zur Hospizarbeit gekommen… Und da habe ich gedacht: Ich muss auch was für die Angehörigen tun und habe eine Trauerbegleiterausbildung bei Ruthmarijke Smeding gemacht.

Wenn man sich so umhört, bei angehenden Trauerbegleitern oder bei anderen Menschen, die in diesem Umfeld arbeiten, dann stößt man eigentlich fast immer auf eine persönliche Geschichte, so wie bei Ihnen. Das führt offenbar oft dazu, Trauerbegleiter zu werden.

Christine Stockstrom: Ich glaube, dass das bei vielen eine hohe Motivation war, vielleicht auch, weil sie selbst viel Unterstützung erfahren durften – oder eben eine solche vermisst haben. Eine andere Motivation, die ich sehr deutlich bei unseren Mitgliedern wahrnehme, ist, dass sie in Berufen arbeiten, wo sie in Kontakt sind mit Trauernden.

Auch dieser Faktor – die persönliche Betroffenheit – ist ja in den Standards einer Qualifizierung des Bundesverbands Trauerbegleitung mitberücksichtigt.

Christine Stockstrom: Genau. Das ist die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte. Es ist wichtig, um seine eigenen Erfahrungen zu wissen und spüren zu können, wann man zu sehr mit sich selbst beschäftigt ist, um andere zu begleiten. Wer beispielsweise gerade selbst in einer Trauerphase ist, kann oft nicht so gut andere Trauernde begleiten.

Was gehört noch zu den Standards?

Zum einen die Fachkompetenz, das Wissen um Trauer und ihre Vorgänge. Dazu aber auch die Sozialkompetenz: Kann ich gut mit anderen Menschen umgehen? Die Methodenkompetenz spielt auch eine Rolle – das alles im Zusammenspiel ist wichtig. Es geht um die Frage: Bin ich wirklich handlungsfähig im Umgang mit Trauer und Leid?

Das Thema Trauer… - ist das zurzeit auch ein Modethema?

Christine Stockstrom: Ja, eindeutig. Einerseits können wir uns als Gesellschaft jetzt diesen Luxus leisten zu trauern. In früheren Zeiten ging es oft nur ums nackte Übeleben. Und es ist modern – so erlebe ich es auch bei Anfragen für Trauerbegleitung – sich mit diesem Thema zu beschäftigen. Es ist „in“.

„In?“ Ein Trend?

Christine Stockstrom: Einerseits ja – und andererseits ist es ein Tabu, wenn ich es auf mich selbst anwende. Ich will mich mit diesem Thema beschäftigen, aber der Gedanke, dass es dabei auch um meine Angehörigen und um mich gehen könnte, wird oft nicht zugelassen...

(Aktualisierung 2020: Christine Stockstrom hatte sich aus eigenem Wunsch nicht mehr zur Kandidatin für den Vorsitz des Bundesverbands aufstellen lassen und ist seit März 2017 nicht mehr in dieser Funktion tätig, aber noch Mitglied des Verbands. Die von ihr in diesem Interview getätigten Aussagen sind allerdings so allgemeingültig, dass ich den Text weiterhin auf meinem Blog stehenlasse).

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Der Autor dieser Zeilen steht in Osnabrück und im Osnabrücker Land als Trauerbegleiter zur Verfügung. Thomas Achenbach ist zertifizierter Trauerbegleiter nach den Standards des BVT (Große Basisqualifikation). 

Thomas Achenbach ist der Autor dieser drei Bücher: 

-> NEU: "Das ABC der Trauer" (Patmos-Verlag, Herbst 2023)
-> "Mitarbeiter in Ausnahmesituationen - Trauer, Pflege, Krise" (Campus-Verlag).
-> "Männer trauern anders - was ihnen hilft und gut tut" (Patmos-Verlag)

Mehr Infos auf www.thomasachenbach.de

Lesungen, Vorträge, Workshops, Seminare, Trauergruppen und mehr: Alle aktuellen Termine mit Thomas Achenbach finden sich unter diesem Link 

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Ebenfalls auf diesem Blog: Ein neuer Raum und neue Möglichkeiten - wo ich in Osnabrück jetzt Trauerbegleitung anbieten darf (weiterhin auch als Spaziergang)  

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