Über diese und viele andere Fragen habe ich 2016 ein Interview führen dürfen mit einer Frau, die sich wie kaum eine andere damit auskennt. Und hier geht es jetzt weiter mit diesem Interview und mit allen Fragen rund um den Nutzen und die Kosten von Trauerbegleitung - und darüber, wie Trauerbegleitung eigentlich funktioniert.
Christine Stockstrom, Sie sind jetzt, wo wir dieses Interview führen die aktuelle Vorsitzende des Bundesverbands Trauerbegleitung… Wenn ich auf der Suche bin nach einem guten Trauerbegleiter – muss der dann unbedingt ein Siegel des Bundesverbands Trauerbegleitung haben?
Christine Stockstrom: Nein, das muss er nicht. Ich stehe dafür, dass es den Trauerbegleiter nicht als neues Berufsbild geben muss. Aber es braucht ein Wissen um Trauer, damit der Begleitende weiß, was die Menschen bewegt, was hilfreich ist und was schädlich ist und damit er lernt, mit seiner eigenen Hilflosigkeit umzugehen. Mir ist wichtig, dass sich jemand seiner Stärken und Schwächen in einer Begleitung bewusst ist.
Eigentlich schade… Für Trauernde wäre es so angenehm leicht gewesen: Einfach nach dem Siegel des Bundesverbands gucken, schon weiß ich, dass ich einen guten Trauerbegleiter vor mir habe. So bleibt die Suche ja eher kompliziert, oder?
Christine Stockstrom: Na klar, da kann unser Angebot schon eine Vereinfachung sein, weil Trauernde zum Beispiel auf unserer Internetseite alle Trauerbegleiter finden, die eine Qualifizierung nach unseren Standards absolviert haben. Das bedeutet: Hier könnt Ihr davon ausgehen, dass Menschen einen längeren Prozess durchlaufen haben und dass sie wissen, was sie tun. Aber das heißt ja nicht, dass die anderen es nicht können oder nicht auch gut machen. Diesen Kehrschluss fände ich verkehrt.
Drehen wir es doch mal um: Woran könnte ich erkennen, dass mir ein Trauerbegleiter zuviel verspricht oder dass sein Angebot für mich nicht geeignet ist?
Auf die Qualifizierungen zu gucken, kann ein hilfreicher erster Schritt sein. Und darauf zu achten, was mir angeboten wird. Wenn mir jemand sehr schnell Lösungen anbietet oder mich eher ver-tröstet als wirklich tröstet, ist das ein schlechtes Zeichen. Wenn ich das Gefühl habe, da will jemand, dass es mir schnell wieder gut geht.
Weil das der falsche Weg ist…? Klingt doch eigentlich ganz vielversprechend?
Christine Stockstrom: Ja, aber Trauer will auch erstmal durchlebt sein.
Werden Ihnen denn schwarze Schafe auch gemeldet? Gibt es da Erfahrungswerte?
Christine Stockstrom: Ja, durchaus. Wir bekommen gelegentlich mitgeteilt, dass Trauernden viel zu rasch Psychopharmaka verschrieben werden. Oder dass uns jemand Angebote mitteilt, die merkwürdig erscheinen, das kommt auch mal vor, allerdings relativ selten. Eher werden wir gefragt, ob wir jemanden empfehlen können.
Wie lange sollte eine gute Trauerbegleitung denn dauern?
Christine Stockstrom: Das ist aus meiner Sicht immer sehr, sehr verschieden. Es gibt Menschen, die kommen nur zu einer einmaligen Trauerberatung, weil sie einen bestimmten Punkt klären wollen, sind aber in ihrem sozialen Umfeld ansonsten gut aufgehoben. Es gibt aber auch Menschen, die gerne über einen bestimmten Zeitraum wie ein Jahr eine regelmäßige Begleitung haben wollen. Oder es gibt Menschen, die das im Einzelgespräch brauchen und wieder andere, die die Solidarität von anderen Trauernden brauchen und sich in Gruppen wohler fühlen. Das ist sehr unterschiedlich. Ich habe selbst schon alles gehabt: Vom einmaligen Treffen bis zu einer dreijährigen Begleitung.
Wenn es so viele Angebote gibt, ist es vermutlich auch schwer zu sagen: Eine gute Trauerbegleitung kostet ungefähr die Summe.... "X"?
Christine Stockstrom: Es ist nicht unbedingt ein Qualitätsmerkmal, ob eine Trauerbegleitung etwas kostet oder nicht. Auch danach kann man nicht gehen.
Aber wonach dann?
Christine Stockstrom: Ich würde immer gucken: Hat jemand eine Qualifikation? Und: Stimmt die Chemie zwischen uns? Das ist ein ganz wichtiger Indikator.
Weil auch die Trauerbegleitung ein zwischenmenschlicher Prozess ist?
Christine Stockstrom: Ja, genau. Ich glaube, dass es eine gute Haltung für einen Begleiter ist, mit aller Achtsamkeit in die Gespräche zu gehen und zu gucken: Was braucht dieser Mensch? Mein Fachwissen wird mir sicher auf der einen Seite nützen, aber gleichzeitig bin ich auch als Mensch gefragt.
Was Trauergruppen angeht, heißt es ja, es sollte ein wenig Zeit verstrichen sein zwischen dem Trauerfall und dem Eintritt in eine Gruppe. Nun haben Sie zuvor schon gesagt: Der Zeitpunkt, an dem Menschen eine Trauerbegleitung aufsuchen, verschiebt sich zurzeit nach vorne. Gilt also die erste Aussage noch?
Christine Stockstrom: Früher hat man oft gesagt, etwa ein halbes Jahr oder drei Monate sollten vergangen sein, bevor man in eine Trauergruppe geht. Das war mal die reine Lehre. Das halte ich für verkehrt. Ich denke, man muss sich bei jedem Einzelnen fragen: Ist dieser Mensch gruppenfähig, kann er mit aushalten, dass dort andere Menschen auch ihre Trauer zeigen und kann er sich schon auf andere einlassen? Wenn das nicht der Fall ist, sollte es erstmal eine Einzelbegleitung sein, denn am Anfang ist das Bedürfnis ungeheuer groß, einfach zu reden, es loszuwerden.
(Aktualisierung 2020: Christine Stockstrom hatte sich aus eigenem Wunsch nicht mehr zur Kandidatin für den Vorsitz des Bundesverbands aufstellen lassen und ist seit März 2017 nicht mehr in dieser Funktion tätig, aber noch Mitglied des Verbands. Die von ihr in diesem Interview getätigten Aussagen sind allerdings so allgemeingültig, dass ich den Text weiterhin auf meinem Blog stehenlasse)
Und hier geht es zum zweiten Teil des Interviews...
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