Osnabrück - Sich jeden Tag darauf zu konzentrieren, was es an "Immerhins" gegeben hat, kann hilfreich sein. Ganz oft wird Menschen in
einer Krisensituation (oder in jeder anderen Lebenslage) empfohlen, ein
"Erfolgstagebuch" oder auch "Glückstagebuch" zu führen.
Also: Jeden Tag das Gute oder Erreichte festzuhalten. Und auch wenn ich meine
persönlichen Erfahrungen mit dieser Methode - trotz anfänglicher Skepsis - als
bahnbrechend erlebt habe, kann ich gut verstehen: Für Trauernde ist dieser
Sprung zu weit (Update 2020: In der Coronakrise gewiss auch). Aber es geht auch anders. Hier ein paar Tipps.
Jedes Jahr am 20. März wird der "Internationale Weltglückstag" begangen. Ist das ein gutes Thema für einen Trauerblog? Glück und Trauer - sollte man das überhaupt zusammenbringen? Ist Menschen in einer Krisensituation überhaupt nach "Glück"? Vermutlich nicht. Muss auch gar nicht sein. Denn ganz oft reicht schon ein: "Dafür, dass..." Also: Ein Tagebuch zu schreiben und jeden Eintrag mit einem „Dafür, dass“ zu beginnen. Es ist die Autorin Barbara Pachl-Eberhardt - sie ist durch einen tragischen Unfall von einer Sekunde auf die andere zur Witwe sowie zur zweifach verwaisten Mutter geworden -, die in ihrem Buch "Vier minus Drei" diese wertvolle Empfehlung ausspricht. Das Geniale daran: Es wird zwar der gleiche Mechanismus benutzt, der ein "Glückstagebuch" so effizient macht (dazu später mehr), aber die Erwartungen und die Begrifflichkeiten werden viel niedrigschwelliger angesetzt. Das ist gut so und richtig so. In einer Trauerkrise ist jedes "Dafür, dass.." schon eine Menge wert. Und auch nicht immer leicht zu finden.
Ein leeres Buch, ein Stift und ein paar kleine Immerhins - kann was bringen.... (Thomas-Achenbach-Foto) |
Manchmal kann so ein "Dafür, dass" auch gefolgt
sein von dem Wort „immerhin“… Dann läst sich also beispielsweise ein Satz
aufschreiben wie dieser: "Dafür, dass ich es derzeit fast gar nicht unter
Menschen aushalte derzeit, habe ich es immerhin geschafft, einkaufen zu
gehen..." Manchmal reicht auch ein zartes "Immerhin" anstelle
des "Dafür, dass..." schon aus für einen Eintrag in dieses Tagebuch.
Dass dadurch zu einem wirkmächtigen Instrument werden kann. Gerade für
Trauernde. Warum das so ist?
Der Trick dabei: Worauf Du achtest, das verstärkt sich
Wegen des psychologischen Tricks, den sich der Tagebuchautor
- unbewusst - zunutze macht. Sich am Ende eines jeden Tages wenigstens
drei Dinge notieren, die positiver gewesen sind als gedacht, hilft uns dabei,
den Fokus zu verschieben. Es hilft dabei, den Fokus auf das Gute im Leben zu
richten. Denn: „Beachtung bringt Verstärkung.“ So sagen es die Psychologen.
Soll heißen: Das, worauf ich meinen Fokus richte, verstärkt sich dadurch
automatisch selbst.
Ein "Dafür, dass" als Frucht des Tages
Und so geht es: Man besorgt sich ein Buch mit leeren Seiten
und einen Stift - oder einfach nur ein Blatt Papier. Am Ende des Tages lässt man, vielleicht vor dem Schlafengehen, das Erlebte in Gedanken noch einmal Revue passieren und notiert sich einfach alles, was
besser gewesen ist als gedacht. Oder was anders gewesen ist als am Tag davor.
Man sammelt alle "Immerhins" und "Dafür, dass"'s des erlebten Tages als die Früchte
zusammen, die dieser Tag gebracht hat. Aber, und das ist das Wichtige: eben nur
das. Das Schlechte bleibt einfach weg. Das Ganze ist also weniger ein Tagebuch
als vielmehr eine Art Wahrnehmungsschule. Es hilft aber viel. Denn was dieses Training so effektiv macht, ist schnell gesagt:
Eine Strategie gegen menschliche Programmierung
Es hebelt eine der menschlichsten Grundprogrammierungen aus, die seit
Jahrhunderten in uns Menschen drinstecken. Nämlich die Fokussierung auf alles
Negative. Evolutionstechnisch gesehen ist diesse Fokussierung überlebenswichtig:
Wer einmal eine richtig schlechte Erfahrung gemacht hatte - zu lange dort gebadet, wo
einen die wilden Tiere reißen können und nur mit Müh und Not den Bestien
davongekommen -, der lernt dadurch besser. Seine Chancen auf Überlebe steigen also. Leider ist auch der moderne Mensch
noch immer so gestrickt, dass er immer zuerst auf die negativen Seiten des
Lebens sieht. Was heutzutage nicht mehr ganz so sinnvoll ist wie früher. Und so sind
es vor allem die sehr vielen, sehr kleinen, aber irgendwie doch positiven Ereignisse des
Tages, die viel, viel schneller, fast automatisch, in Vergessenheit geraten als
alles andere. Einmal erlebt, ist es auch schon wieder aus der Wahrnehmung verschwunden.
Wer nicht weiterkommt, dem helfen die Finger
Der Trick ist also, die Perspektive zu wechseln und diesen
Wechsel dauerhaft zu trainieren. Sich die automatische Verstärkung der
Wahrnehmung zunutze zu machen. Wer sich mit der konkreten Bewertung von
Tagen schwer tut, dem hilft vielleicht eine kleine innere Checkliste, die man
sich anhand einer Hand gut merken kann: D steht für Daumen oder für
Denken/Lernen: Was habe ich heute Neues gelernt? Z steht für Zeigefinger oder
Ziele: Bin ich heute meinen Zielen nähergekommen? M für Mittelfinger oder
Mentalität/Motivation: Wann habe ich mich heute okay oder sogar gut gefühlt?
Was hat mir gut getan? R steht für Ringfinger oder für Relationen/Ratgeber:
Habe ich heute jemanden geholfen? Wurde mir geholfen? Hat mir jemand eine
Freude gemacht? Habe ich jemandem etwas Gutes getan?
Und nach dem Glückstag: Der Tag des Waldes
Und schließlich der kleine
Finger für Körper: Was habe ich heute für meine Gesundheit getan? Habe ich mich
bewegt, war ich spazieren, habe ich okay oder gut geschlafen, Sport
getrieben? Gerade in akuten Krisen ist ein solches „Positiv-Training“ –
wie ich es gerne nenne und seit 10 Jahren erfolgreich betreibe - hilfreich: Denn vor allem, wenn es einem gerade
schlecht geht, ist es wichtig, das Gute an den Tagen herauszuarbeiten. Und sei
es auch nur so etwas wie „Ich habe heute meine innere Unruhe ausgehalten“ -
denn dann erst ahnt man, dass einem das vielleicht zukünftig wieder gelingen
könnte. Oder wird. Dann ist der Weg zum Glück noch immer weit. Aber er lässt
sich aktiver gestalten. Apropos: Jeweils einen Tag nach dem "Weltglückstag", also jeweils am 21. März, ist der "Welttag des Waldes". Vielleicht ein Anlass für einen Spaziergang an der frischen Luft (Update 2020: Solange wir wegen der Coronakrise noch keine Ausgangssperre bekommen haben)? Das könnte dann ein neues Immerhin werden... - und im Fall der Ausgangssperre lauschen wir halt den Vögeln draußen... Auch ein Immerhin.
Ein paar persönliche Gedanken über die Coronakrise: Auch dieses ganz unnormale Leben in der Krise könnte uns einmal normaler vorkommen als wir uns das vorstellen
Ein paar persönliche Gedanken über die Coronakrise: Auch dieses ganz unnormale Leben in der Krise könnte uns einmal normaler vorkommen als wir uns das vorstellen
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Der Autor dieser Zeilen bietet Trauerbegleitung an in Osnabrück und im Osnabrücker Land an und hat eine Ausbildung zum Trauerbegleiter absolviert (Große Basisqualifikation gemäß des Bundesverbands Trauerbegleitung) und bietet Podcasts rund um das Thema Trauer an (bitte hier klicken). Thomas Achenbach ist der Autor der Bücher "Männer trauern anders - was ihnen hilft und gut tut", 168 Seiten, Patmos-Verlag und "Mitarbeiter in Ausnahmesituationen - Trauer, Pflege, Krise", 220 Seiten, Campus-Verlag. Mehr Infos auf www.thomasachenbach.de.
Lesungen, Vorträge, Workshops, Seminare, Trauergruppen und mehr: Alle aktuellen Termine mit Thomas Achenbach finden sich unter diesem Link
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Der Podcast zu diesem Blog: Warum eine bayerische Behörde mit einer bislang einmaligen Initiative zum Vorreiter in Sachen Trauerkultur wird - ein Interview
Ebenfalls auf diesem Blog: Tipps zum Umgang mit Trauernden und mit Trauer - was Menschen in einer Trauer- und Verlustkrise hilft und was man Trauernden sagen kann
Ebenfalls auf diesem Blog: Warum das Sterben in Deutschland seit Januar 2020 nochmal deutlich teurer geworden ist - Die so genannte Leichenschau steht in der Kritik
Ebenfalls auf diesem Blog: Die Kunden müssen die Bestatterbranche bewegen - was alles möglich sein kann, wenn Menschen in einer Verlustsituation das wollen
Ebenfalls auf diesem Blog: Was soll nach einem Todesfall gefeiert werden? "Nur" der Todestag - oder auch noch der Geburtstag des gestorbenen Menschen?
Ebenfalls auf diesem Blog: Tango auf der Trauerfeier, die Trauerrede als Audiodatei - was heute bei modernen Trauerfeiern alles möglich sein sollte
Ebenfalls auf diesem Blog: Der Fluch der Tapferkeit - warum es Menschen in der modernen Gesellschaft so schwer fällt Trauer als etwas Normales anzuerkennen
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