Sonntag, 5. März 2017

Über das Tabuthema Suizid: In einer Radiosendung kommen "Angehörige um Suizid" aus der Region Osnabrück zu Wort - wird über das Thema in unserer Gesellschaft zu wenig gesprochen?

Osnabrück (eb) - "So wenig einen 'Mord' begeht, wer sich umbringt, so wenig 'frei' ist, wer in den Freitod geht", schrieb einmal Roger Willemsen. Auch in der Radiosendung "Tabuthema Suizid" des Deutschlandradios Kultur werden diese klugen Zeilen zitiert - und nicht nur das. Zu Wort kommen auch die Mitglieder einer Selbsthilfegruppe aus dem Raum Osnabrück: Nämlich die "Angehörigen um Suizid" (Agus). Zudem birgt die Sendung durchaus Diskussionspotenzial: Es wird in unserer Gesellschaft nicht offen genug über Suizid gesprochen, lautet eine der Thesen.

Die Sendung ist am 20. 2. ausgestrahlt worden und kann entweder auf der Internetseite des Deutschlandradios als Manuskript nachgelesen werden oder kann ebendort per Mausklick auf Button "Beitrag hören" auch angehört werden. In dem Beitrag werden auch alle (falschen) Vorurteile und Mutmaßungen angesprochen, denen sich die Angehörigen eines Suizidanten oft ausgesetzt sehen und die sehr schmerzhaft sein können. Beispielsweise der Satz: "In der Familie muss doch etwas schief gelaufen sein..."


Wenn die Verzweiflung groß ist und sich das Gedankenkarussell um den eigenen Tod dreht, gibt es kostenlose und anonyme Hilfe beispielsweise bei der Telefonseelsorge, die auch E-Mail-Beratung anbietet.   (Pixabay.de-Foto, Creative-Commons-0-Lizenz)

Als Journalist und Redakteur habe ich verinnerlicht: Mediale Zurückhaltung beim Thema Suizid ist immer geboten, weil man davon ausgehen kann, dass es den 1974 erstmals so klassifizierten "Werther-Effekt" gibt. Soll heißen: So wie sich seinerzeit nach Erscheinen des Briefromans "Die Leiden des jungen Werther" von Johann Wolfgang von Goethe die (zumeist männlichen) Leser in den Suizid stürzten - wie es die Romanfigur am Ende tut -, so ist davon auszugehen, ist sogar nachgewiesen, dass nach Medienberichten über einen Suizid selbiges geschieht. Konkret...: 


Fehlt es an einem "aufklärerischen Kurs"?


Je mehr darüber berichtet wird, umso mehr Nachahmer gibt es. So weit, so bekannt. Dass aber diese Zurückhaltung eine vielleicht nötige Debatte über das Thema erschwert, ist ein neuer Aspekt, der bedacht werden sollte. Die Empfehlung eines in der Sendung zu Wort kommenden Experten ist ein "analytisch aufklärerischen Kurs – nur so kann es einen angemessenen Umgang geben". Ganz unaufgeregt an das Thema heranzugehen, empfehlen in der Sendung auch betroffene Angehörige. Gerade sie wissen natürlich am besten: Wo soviele Emotionen im Raum sind, ist unaufgeregt nicht immer einfach.


Noch Jahre danach die Hoffnung: Ist nicht alles nur ein Irrtum?


Wie schmal dieser Grat indes ist, zeigte bereits 1981 die im ZDF gezeigte erwähnte fiktive Sendung "Tod eines Schülers" – der Anstieg an Selbsttötungen stieg nach Ausstrahlung messbar an. Der Radiobeitrag geht auch hierauf ein, ebenso wie auf die Gefühle der Hinterbliebenen, die oft noch Jahre nach dem Ereignis die Hoffnung in sich tragen, es könnte vielleicht doch ein Irrtum gewesen sein.


Suizidgedanken? Anonyme Hilfe gibt es auch per E-Mail


Die lohnenswerte Sendung soll nach Angaben der Pressestelle des Deutschlandradios Kultur noch bis Sommer 2017 online bleiben (6 Monate nach Ausstrahlung) - unter diesem Link lässt sie sich finden. - Wichtig: Wer tatsächlich an einen Suizid denkt und diese Gedanken nicht loswird, findet kostenlose und anonyme Hilfe z.B. bei der Telefonseelsorge unter 0800/1110111 - oder als E-Mail-Beratung über die Internetseite www.telefonseelsorge.de.

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Der Autor dieser Zeilen bietet Trauerbegleitung an in Osnabrück und im Osnabrücker Land an und hat eine Ausbildung zum Trauerbegleiter absolviert (Große Basisqualifikation gemäß des Bundesverbands Trauerbegleitung). Er hält auch Vorträge zum Thema Trauer und Umgang mit Trauernden. Mehr Infos gibt es hier

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