Freitag, 28. Februar 2020

Wenn simple Bonbons den nahenden Tod symbolisieren... Wie die Trauer-Ausstellung der Hamburger Kunsthalle auch eine Woche später noch nachwirkt in mir und warum ich einen Besuch dort gerne empfehlen kann


Hamburg - Es gibt einen Raum in dieser neuen Trauer-Ausstellung der Hamburger Kunsthalle, den ich nicht aus dem Kopf bekomme. Vermutlich, weil sich seine Wirkungsmacht erst so langsam im Innern entfaltet hat. Der Boden dieses Raums ist gefüllt mit in Zellophan eingewickelten Bonbons, von denen sich jeder Besucher eines nehmen darf. Die Fenster sind mit weißen, aber lichtdurchlässigen Vorhängen versehen, die ein irgendwie gefiltertes Licht in den Raum lassen. Und diese ganze Installation nennt sich "Loverboy" und erzählt vom Tod und vom Sterben. Warum und wie? 

Vor einer Woche hatte ich auf diesem Blog über meinen Besuch der Ausstellung "Trauern" geschrieben, die seit Anfang Februar und noch bis zum 14. Juni 2020 in der Hamburger Kunsthalle gleich neben dem Hauptbahnhof als Sonderausstellung zu sehen ist. 32 moderne Kunstwerke sind in dieser Schau zu erleben, die sich allesamt dem Themenkomplex von Tod, Verlust und Trauern widmen. Manches davon ist recht simpel gehalten in seiner Gestaltung und doch sehr effektiv in seiner Wirkung - so beispielsweise der auf eine ansonsten komplett weiße Wand aufgebrachte schwarze Trauerrand. Auch ein Kunstwerk. Daran wäre ich fast vorbeigelaufen, ohne es zu bemerken, und anfangs hat mich dieses Kunstwerk wenig berührt. Erst später hat sich mir eine Frage ins Bewusstsein gedrängt: Wenn ich als Besucher in diesem Trauerrahmen stehe, ist das dann sozusagen meine eigene Traueranzeige? Die auf meinen Tod hinweist? Und schon ist die Idee von Vergänglichkeit und vom Sterbenmüssen wieder viel greifbarer geworden.


Wer ein Bonbon lutscht, sollte um die Hintergründe wissen


So auch bei dem anfangs erwähnten Bonbon-Raum zum Mitmachen. Wie der Besucher in dem informativen und kostenlosen Begleitheft zur Ausstellung erfährt, wiegt dieser Teppich aus Bonbons zu Beginn genausoviel, wie der damalige Freund und Geliebte des Künstlers Félix González-Torres zu Beginn seines Sterbeprozesses gewogen hatte. Denn der war an Aids erkrankt, weswegen er zunehmend an Gewicht verlor, und starb daran im Alter von 36 Jahren. Wer sich also ein Bonbon von diesem Flickenteppich nimmt, der trägt als Besucher der Ausstellung dazu bei, dass die Vergänglichkeit als Thema spürbar wird. Deswegen auch die Vorhänge: Sie sind zugezogen, wie in einem Sterberaum. 


Kinder putzen einen Friedhof - und das ist alles echt


Wer über einen Besuch der Trauer-Ausstellung nachdenkt, dem seien übrigens zwei Tipps ans Herz gelegt: Erstens kann es nicht schaden, zwischendrin eine Pause einzulegen, weil die vielen Eindrücke doch auch erschöpfend sein können. Auch räumlich gesehen bietet sich eine Pause gut an, denn die Ausstellung erstreckt sich über zwei Etagen. Zweitens werden dort viele Filme gezeigt, die jeweils eine Laufzeit zwischen 7 und 30 Minuten haben. Es kann sich also lohnen, etwas Zeit mitzubringen (mein Tipp: rund drei Stunden). Unter den Filmen ist beispielsweise der eindrucksvolle Dokumentarfilm "The Guardians", der uns auf einen etwas verwahrlosten und in der Sonne dösenden Friedhof mitnimmt. Bis auf einmal eine Kinderhand damit beginnt, ein Grab zu putzen. Was hier gezeigt wird, ist keine bewusst erzeugte Kunst, sondern echtes Leben. 


(Alle Fotos: Thomas Achenbach)

Denn in der kleinen Stadt Shkodra in Nordalbanien gibt es diesen Friedhof, der in den 90er Jahren von Kindern, nicht von Erwachsenen, wieder hergerichtet und gesäubert wurde. Offenbar in Eigenregie, wie die Filmbilder einen vermuten lassen. Weil während der kommunistischen Diktatur in Albanien auch christliche Symbole und Riten verboten waren, dreht sich dieser Film auf eine ganz eigene Weise um die Frage: Wie wollen wir mit dem Tod umgehen, wenn uns ein zur Verfügung stehendes Sprach- und Bearbeitungsrepertoire entzogen wird? Eine von mehreren Fragen, die die Ausstellung auf ein Niveau allgemeiner gesellschaftlicher Relevanz heben.

Mein erster Bericht über meinen Besuch der Hamburger Kunsthalle lässt sich übrigens unter diesem Link finden (bitte hier klicken)...

Alle Infos über die Ausstellung sowie das Programmheft zum Downloaden gibt es auf der Website www.hamburger-kunsthalle.de. Die Ausstellung „Trauer. Von Verlust und Veränderung“ ist in der Galerie der Gegenwart der Hamburger Kunsthalle zu sehen. Adresse: Glockengießerwall 5. Öffnungszeiten von Dienstag bis Sonntag 10 bis 18 Uhr, Donnerstagabend Sonderöffnung bis 21 Uhr. Eintritt 14,-/8,- (ermäßigt).

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Der Autor dieser Zeilen bietet Trauerbegleitung an in Osnabrück und im Osnabrücker Land an und hat eine Ausbildung zum Trauerbegleiter absolviert (Große Basisqualifikation gemäß des Bundesverbands Trauerbegleitung) und bietet Podcasts rund um das Thema Trauer an (bitte hier klicken). Thomas Achenbach ist der Autor der Bücher "Männer trauern anders - was ihnen hilft und gut tut", 168 Seiten, Patmos-Verlag und "Mitarbeiter in Ausnahmesituationen - Trauer, Pflege, Krise", 220 Seiten, Campus-Verlag. Mehr Infos auf www.thomasachenbach.de

Lesungen, Vorträge, Workshops, Seminare, Trauergruppen und mehr: Alle aktuellen Termine mit Thomas Achenbach finden sich unter diesem Link 

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