Osnabrück - Ich weiß noch genau, was ich nach dem Tod meiner Mutter am merkwürdigsten fand... Fast bizarr: Dass all diese Gegenstände noch da waren, so wie immer, aber ihre Benutzerin nicht mehr. Zwar war ich schon längst zuhause ausgezogen und, wenn ich mal in meinem Elternhaus war, dann dort eben als Gast zu Besuch. Aber die Dinge, die es dort gab, waren mir natürlich seit Kindertagen wohlvertraut. Jedes Mal, wenn ich dort so einen Gegenstand gesehen habe wie beispielsweise die Nähmaschine, eine alte Haarbürste oder diese flachen Plastikbehälter mit den Nadeln oder Reißzwecken darin, stellte sich ein ganz komisches Gefühl ein. Dass die Gegenstände so eine Beständigkeit haben weit über den Tod hinaus, ist einerseits logisch, es sind eben Dinge - andererseits aber, auf der Gefühlsebene nämlich, ist es absolut nicht zu verstehen. Und aus vielen Gesprächen mit Trauerndenweiß ich inzwischen: So geht es vielen Menschen in einer Verlustkrise.
Der Prozess entwickelt sich so schleichend, dass wir es gar nicht aktiv mitbekommen: Da haben wir über viele Jahre erlebt, wie ein Mensch einen Gegenstand benutzt hat - und haben dabei kaum bemerkt, wie sehr beides für uns zu einer Einheit verschmolzen ist, die so etwas wie eine Unauflöslichkeit darstellt. Gegenstand und Mensch sind irgendwie eines, sind zusammengehörig. Entfernt man nun einen wesentlichen Teil dieser Symbiose, wirkt das Ganze irgendwie unfertig, fast ungehörig. Denn plötzlich soll das alles irgendwie weiter existieren, ohne seinen zweiten Teil, ohne das Gegenstück? Nur weil dieses Gegenstück sich als tausendfach empfindlicher, weil menschlicher, als eben ein Gegenstand erwiesen hat? Wie soll man DAS denn bitte in den Kopf kriegen? Denn als Barriere davor steht immer noch: Diese Unauflöslichkeit, die nicht zu kappende Verbindung des Dings mit dem Menschen, der es benutzte.
Wie sehr müssen Eltern wohl leiden, die ein Kind verloren haben und die dann vor all diesen Dingen stehen. Spielzeug. Malstifte. Alles, was mal eine Einheit gebildet hatte mit seinem Benutzer. Das zu sehen ist brutal für eine menschliche Seele, na klar, das kann einen innerlich zerreißen. Die Gegenstände wecken zwiespältige Gefühle. Manches Mal erzeugen Sie einen beißenden Schmerz - weil sie plötzlich alljene Bilder in unserem inneren Kopfkino antriggern, die den verlorenen Menschen beim Benutzen der Gegenstände zeigen. Dann wieder nerven sie uns einfach nur. Denn anstatt irgendeine Form von neuem Eigenleben zu entwickeln - wie auch? - tun sie das, was Dinge eben tun: Sie erzeugen durch ihr stumpfsinniges Einfachvorhandensein eine Form von Kümmerungsbedürfnis. Denn das ist ja das allergrößte Problem von Gegenständen - nicht nur in einem Trauerfall, auch sonst: Sie stellen Forderungen. Sie wollen benutzt werden oder wenigstens gut aufgeräumt. Doch gerade das geht oft nicht, wenn eine Trauerkrise über uns hereingebrochen ist.
Das Umfeld drängt zum Wegschmiss - aber das wäre zu früh
So werden die Gegenstände oft zum Streitpunkt unter Angehörigen. Da liegen auf einmal Dinge in den Schränken, die keine Funktion mehr erfüllen. Wochen, Monate, oft auch Jahre liegen diese Dinge da und nehmen ihren Platz ein. Klar, dass allzu schnell die Forderung laut wird "Das könnt ihr jetzt aber mal wegschmeißen oder weitergeben, oder?" Aber das ist nicht so leicht - Menschen in einer Verlustkrise kommt es oft genauso vor, als würden sie dann den geliebten, gestorbenen Menschen erneut wegschmeißen. Und wer kann das schon? Was es stattdessen braucht: Eine neue Bindung an den gestorbenen Menschen zu finden. Eine, die nicht (mehr) über Gegenstände funktioniert. Aber das geht alles - nicht so leicht. Nicht so schnell. Und solange es sie nicht gibt, wird sie eben bleiben: Die Beständigkeit der Gegenstände. Auch das - gehört dazu.
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Der Autor dieser Zeilen bietet Trauerbegleitung an in Osnabrück und im Osnabrücker Land an und hat eine Ausbildung zum Trauerbegleiter absolviert (Große Basisqualifikation gemäß des Bundesverbands Trauerbegleitung) und bietet Podcasts rund um das Thema Trauer an (bitte hier klicken). Thomas Achenbach ist der Autor der Bücher "Männer trauern anders - was ihnen hilft und gut tut", 168 Seiten, Patmos-Verlag und "Mitarbeiter in Ausnahmesituationen - Trauer, Pflege, Krise", 220 Seiten, Campus-Verlag. Mehr Infos auf www.thomasachenbach.de.
Lesungen, Vorträge, Workshops, Seminare, Trauergruppen und mehr: Alle aktuellen Termine mit Thomas Achenbach finden sich unter diesem Link
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