Dienstag, 12. Juni 2018

Die alte Teekanne meiner Oma als ein Symbol für die Beständigkeit von Erinnerungen und Geteiltem im Leben - aber auch als Symbol für viel erlebtes Leiden - Meine Juni-Fotos für die Mitmachaktion "Hoffnungsvoll und Seelenschwer..." (Bundesverband Trauerbegleitung)

Seit Jahrzehnten im Familienbesitz und nach wie vor im Einsatz - die alte Teekanne meiner Oma. Vermutlich fünfzig Jahre alt oder so ähnlich, das weiß keiner so genau.  (Thomas-Achenbach-Foto)

Osnabrück - Das meiste, was meine Oma einmal besessen hat, ist längst kaputt oder weggeworfen. Aber diese Teekanne hat es irgendwie geschafft, immer heile zu bleiben, immer bei mir zu bleiben und weiterhin ein Begleiter meines Lebens zu bleiben. Denn ich war es, der nach dem Tod meiner Oma in ihre kleine Wohnung einziehen durfte - als mein Auszug von Daheim in meine erste Alleine-leben-Wohnung, so hatte sie sich das gewünscht und so haben wir das dann auch umgesetzt. Einen Großteil des vorhandenen Haushaltes durfte ich praktischerweise auch gleich übernehmen. Und damit auch diese Teekanne, die ich schon als kleines Kind kennengelernt hatte. Für mich war diese Kanne: Irgendwie Oma. Und später dann: Irgendwie auch ich. Und das ist sie auch heute noch, beides, wenn ich jeden Samstag und Sonntag daraus meinen Wochenend-Frühstückstee trinke. Auch diese Teekanne ist, irgendwie: "Hoffnungsvoll und Seelenschwer". Und damit ist sie als Motiv prädestiniert für meine inoffizielle Teilnahme an dieser offiziellen Aktion...

Am Ende ihres Lebens bekam meine Oma unerwarteterweise noch ein paar zusätzliche Jahre geschenkt. Das entwickelte sich, wie ja fast alles im Leben, alles ganz ungeplant und chaotisch und hat uns alle irgendwie überfahren. So, dass wir da gar nicht so richtig hinterhergekommen sind. Aber am Ende war es wirklich gut - denn alles hatte sich erstaunlich gut gefügt. Weil ihre Herzinsuffizienz ihr zunehmend zu schaffen machte, hatten wir meine Oma aus ihrer Wohnung in Emmerich, wo sie alleine lebte, zu uns nach Osnabrück geholt, wo sie ein paar Tage bleiben und dann die geplante Operation in einer Klinik wahrnehmen sollte. Doch dazu kam es erst gar nicht: Noch Tage, sogar Wochen, vor dieser OP war meine Oma bei uns zuhause kollabiert und musste im Rettungswagen zur Notoperation in eine ganz andere Klinik gebracht werden. Ausgang: Unklar. Es stand alles Spitz auf Knopf und wir erlebten ein paar dramatische Stunden.


Dass ich für diese Fotoaktion die Chance hatte, mit einem Makroobjektiv viele Detailaufnahmen der Kanne versuchen zu können, habe ich als Bereicherung erlebt...  (Thomas-Achenbach-Fotos)

Aber es wurde alles gut. Und die Oma, die da aus dem Krankenhaus zurückkam, war plötzlich eine ganz andere ältere Frau als vorher. Aller Schwermut, alles an Aufgegebenhaben war plötzlich von ihr gefallen, eine ganz neue Lebensintensität und Lebenslust strömte spürbar aus ihrem ganzen Körper - und als wir ihr vorschlugen, eine neue Wohnung ganz in unserer Nähe zu suchen, wo sie alleine leben, aber uns doch erreichbar wissen konnte, nahm sie diese Idee dankbar an. Ich war damals gerade 19 Jahre alt und frisch im Zivildienst, meistens unterwegs und für meine Eltern war das alles natürlich maximaler Stress, wie sehr wirklich, das kann ich auch heute nur erahnen. Wir kaufen neue Möbel - ebenfalls recht mühsam, weil Osnabrück damals noch keinen eigenen Ikea hatte - und ein Umzugsunternehmen brachte einen Großteil des großmütterlichen Haushalts nach Osnabrück. Mit dabei: Die alte schicke Teekanne. Die mit den Jahren eine ganz neue Bedeutung für mich bekommen hat. 



Denn je älter ich selbst werde, desto nachvollziehbarer und verständlicher wird für mich, was für ein hartes Leben meine Oma eigentlich geführt haben muss. Ihr Mann, also mein leiblicher Opa, den ich nie kennengelernt habe, war im Zweiten Weltkrieg als Sanitäter eingesetzt und noch in den letzten Kriegstagen erschossen worden. Schlimm genug, aber dann musste meine Oma, hochschwanger mit meiner Mutter im Bauch, ihr Zuhause verlassen - der Niederrhein war heftigstes Kriegsgebiet, in Kleve und Emmerich und dem dazugehörigen Reichswald finden sich noch heute zahlreiche Zeugnisse davon. Die Schwangerschaft dürfte indes ein Segen gewesen sein - im hessischen Hochland, bei Biedenkopf, fanden die beiden eine neue Heimat und Unterschlupf. Und vor allem: Sicherheit. Nach dem Krieg dann der Wiederaufbau. Und doch blieb meine Oma alleine, also ohne neuen Partner, bis an ihr Lebensende. Hart. Traurig. Heute kann ich das  nachspüren. Als kleines Kind war mir die Tragweite natürlich nicht klar. Als Jugendlicher auch nicht wirklich. Heute stelle ich mir gerne vor, dass meine diese Teekanne vielleicht in einer Phase neuen Aufschwungs und neuer Sicherheit bekommen hat. Aber auch von Geheimnissen, die im Leben ungeteilt bleiben - alleine schon die Tatsache, dass niemand mehr genau weiß, wann diese Teekanne angeschafft wurde oder ob es ein Geschenk gewesen ist. Außerdem wird die Kanne für mich zu einem Symbol von Beständigkeit, geteilten Erinnerungen und Lebensmut. Damit ist sie irgendwie "auch Hoffnungsvoll und Seelenschwer". So wie diese Aktion hier. 



Denn der Bundesverband Trauerbegleitung (BVT) - in dem ich ebenfalls Mitglied bin - feiert seinen zehnten Geburtstag in Form einer kreativen Mitmachaktion, zu der noch bis zum Ende des Jahres alle, die Lust haben, zur Teilnahme aufgerufen sind. Auch ohne jeden Bezug zum Thema. Wobei es interessant sein kann, sich den BVT einmal näher anzugucken.



Gegründet mit dem Ziel, der Ausbildung zum Trauerbegleiter in Deutschland einen einheitlichen Lehrplan und ein einheitliches Zertifikat verschaffen zu können, versteht sich der Verband inzwischen als Sprachrohr und Interessenvertretung für alle Menschen in einer Trauer- und Verlustkrise. Sie sind es auch, die sich zur Teilnahme an der Aktion eingeladen fühlen sollen (alle Infos gibt es unter diesem Link). Wer sich ganz kreativ beteiligen möchte, kann sogar versuchen, ganze 365 Beiträge beizusteuern. Also für jeden Tag eines Kalenderjahres einen. Der Kreativität und der Phantasie sind dabei keine Grenzen gesetzt, allein das Oberthema der Aktion gilt es zu beachten:



Nämlich die Fragestellung: Was sind Kraftquellen, Stolpersteine, was trägt mich in meiner Achtsamkeit, was ist hilfreich für meine Selbstfürsorge? Was bringt Wut in den Bauch, was streichelt meine Seele? Was lässt mich stolpern und wobei schöpfe ich Kraft? Es geht darum, Gefühle und Ressourcen sichtbar zu machen. In Wort, Bild oder anderen kreativen Ausdrucksformen. Die Idee ist es, aus allen Einsendungen eine bundesweite Wanderausstellung zu schaffen. Gleichermaßen soll die Aktion dazu dienen, wieder fokussierter und konzentrierter durchs Leben gehen zu können. Denn dass sich auf den Smartphones die schnell gemachten Fotos häufen, diese aber kaum mehr wahrgenommen werden, ist ein Phänomen unserer Zeit.



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Alle Infos zur Aktion "Hoffnungsvoll und Seelenschwer" gibt es auf der BVT-Website....

Erster Beitrag zur Fotoaktion (Januar): Warum auch meine alten ausgelatschten Chucks eine Kraftquelle für mich sind

Zweiter Beitrag zur Fotoaktion (Februar): Kraftquelle Waldeswillen - wie sich ein alter und gestürzter Baum einfach nicht unterkriegen lässt und warum das so gut tut

Dritter Beitrag zur Fotoaktion (März): Kraftquelle Kulturerlebnisse - wie sich mein Leben mit allen Tiefern und Höhen auch in Eintrittskarten abbilden lässt

Vierter Beitrag zur Fotoaktion (April): Kraftquellen Fotografie, Kreativität & Gestaltung: Wie das Fotografieren mir den Zen-Buddhismus näherbringt

Fünfter Beitrag zur Fotoaktion (Mai): Warum blühende Kastanien für mich zu einem Symbol dafür geworden sind, dass sich Krisen auch überstehen lassen

Sechster Beitrag zur Fotoaktion (Juni): Die alte Teekanne meiner Oma als ein Symbol für die Beständigkeit von Geteiltem im Leben - und für erlebtes Leiden

Siebter Beitrag zur Fotoaktion (Juli): Kindheit, die erste Heimat auf dieser Welt - so voller Mysterien und doch so zerbrechlich - von der Wirkmacht der ersten Jahre

Achter Beitrag zur Fotoaktion (August): Eintauchen in andere Welten durch Rock-LPs und ihre Plattencover - wie mir die Vermischung zweier Künste durch die Zeit half

Neunter Beitrag zur Fotoaktion (September): Standfest, sicher und ausgesetzt - warum die Bäume auf einem Osnabrücker Berg einen so hohen Symbolwert haben 

Zehnter Beitrag zur Fotoaktion (Herbst, die erste): Warum eine fundierte Ausbildung für einen Trauerbegleiter so wichtig ist und warum in meiner Schlümpfe eine Rolle spielen

Elfter Beitrag zur Fotoaktion (Herbst, die zweite): Ein ganzes Leben unter bunten Buchdeckeln - Warum Blanko-Notizbücher eine Kraftquelle sein können

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Der Autor dieser Zeilen 
bietet Trauerbegleitung an in Osnabrück und im Osnabrücker Land an und hat eine Ausbildung zum Trauerbegleiter absolviert (Große Basisqualifikation gemäß des Bundesverbands Trauerbegleitung). Er hält auch Vorträge zum Thema Trauer und Umgang mit Trauernden. Mehr Infos gibt es hier

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Ebenfalls auf diesem Blog: Die merkwürdige Beständigkeit der Dinge - warum das Wegwerfen von Sachen für Menschen in einer Trauerkrise erstmal nicht möglich ist

Ebenfalls auf diesem Blog: Eine der schwierigsten Aufgaben in einem Trauerprozess - überhaupt begreifen zu können, was da geschehen ist - was das so schwer macht

Ebenfalls auf diesem Blog: Der Fluch der Tapferkeit - warum es Menschen in der modernen Gesellschaft so schwer fällt Trauer als etwas Normales anzuerkennen

Ebenfalls auf diesem Blog: Wer Öffentlichkeit will, muss sie selbst herstellen - Praxis-Tipps für gute Presse- und Öffentlichkeitsarbeit für Hospiz-, Trauer & Palliativinitiativen


Ebenfalls auf diesem Blog: Wenn Töne und Texte die Seele ins Schwingen bringen, Teil #01: Serie über Trauer und Musik - die besten Songs und Alben über Trauer und Tod 

Und im Kultur-Blog des Autors: Was "Babylon Berlin" wirklich zu einer ganz besonderen Serie macht - und das ist nicht alleine Bryan Ferry von Roxy Music





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