Osnabrück - Immer für eine Überraschung gut, fragte die Stuttgarter Bestatterin Barbara Rolf - die als eine Art "Junge Wilde der Bestattungsbranche" bekannt ist - kürzlich all ihre Facebook-Freunde im sozialen Netzwerk: Was versteht Ihr eigentlich unter "Haltung", was bedeutet dieses Wort für Euch....? Eine sehr gute Frage, wie ich finde. Wir schmeißen oft allzu inflationär und allzu unbedacht mit diesem Wort um ums, ohne es zu hinterfragen. Gerade für ausgebildete Trauerbegleiter, die Menschen in hochsensiblen Phasen ihres Lebens zur Seite stehen, ist es wichtig, sich mit dieser Frage auseinanderzusetzen. Nicht bloß einmal, sondern immer wieder. Also ein guter Anlass, noch einmal selbst zu gucken, wie das mit der Haltung so ist. Hier also ein paar persönliche Ideen zum Thema - und meine Überlegungen, warum es so wichtig ist, eine Haltung zu haben. Und warum Trauerbegleiter immer selbst ganz stabil sein sollten und wissen sollten, wo ihre Schwachstellen liegen.
Wenn wir uns das Wörtchen "Haltung" mal vom Wortsinne her anschauen, dann bedeutet es etwas, das einem Halt gibt, also: Halt und Stütze. Soll also heißen: Wenn ich mich schon vorher mit allem beschäftigt habe, was mich unsicher machen könnte, was meine Stabilität gefährden könnte, wenn ich um diese Gefahren weiß, wenn ich mir wichtige Fragen dazu gestellt habe, dann habe ich auch eine Haltung gefunden. Dazu gehört, sich eine klare Meinung zu bilden - und aus dieser dann auch Verhaltensweisen abzuleiten. Hmmm.... Alles etwas zu abstakt? Stimmt schon, also ein paar Beispiele.
Wenn die Menschen von einem Trauerbegleiter eines erwarten sollten und können, dann ist es vor allem dies: Dass dieser Mensch, der Ihnen gerade zur Seite steht, während dieser Phase einer Begleitung ganz frei ist von eigenen Schicksalsschlägen, dass er vergangene Schicksalsschläge angenommen und für sich geklärt hat und eben eine eigene Haltung dazu ausgebildet hat. Kurz gesagt: Dass er stabil genug ist um begleiten zu können. Denn kein Mensch kann begleiten, wenn er sich selbst gerade trösten lassen muss, wenn er selbst gerade emotional instabil sein sollte. Nicht umsonst gehört es zur Ausbildung eines Trauerbegleiters dazu, sich mit seinen eigenen Gefühlen und Erfahrungen, mit seiner ganz eigenen Trauerbiografie und den gemachten Todeserfahrungen intensiv auseinanderzusetzen (das gilt natürlich auch für alle weiblichen Trauerbegleiterinnen - doch angesichts des Frauenüberschusses in diesem Metier bevorzuge ich die rein männliche Schreibweise, sozusagen aus der Sicht der Underdogs).
Es geht darum, als Trauerbegleiter seine eigenen Schwachstellen zu kennen. Was wirft mich evtl. aus der Bahn? Welche Themen sind mir zu übermächtig? Welche Themen machen mir andererseits gar keine Angst mehr? Das alles zu wissen ist wichtig. Denn am Ende des Tages geht es um ganz andere Fragen: Wen kann ich wirklich begleiten, wen vielleicht nicht? Wessen Trauer- und Todesgeschichte kann in mir etwas auslösen, das mich begleitungsunfähig machen sollte, weil ich dadurch selbst ins Wanken gerate? Wann wird aus dem Mitfühlen ein solches Mitleiden, dass ich selbst umgerissen werde? Damit beginnt die Auseinandersetzung, die zu einer Haltung führt, aber damit ist sie noch nicht zu Ende. Denn es gibt noch eine Reihe weiterer Fragen, die es mit sich selbst zu klären gilt.
Jeder Mensch ist einzigartig und etwas Besonderes, jeder hat seine eigene Disposition und seine Geschichte, die ihn zu dem gemacht hat, was er (jetzt gerade) ist. Jeder Mensch ist sehr daran interessiert, sein Leben selbst zu bestimmen, ihm Sinn und Ziel zu geben, aber gerade das kann in einer Verlustkrise besonders schwer fallen. Denn da regiert oft die Ohnmacht, nicht unbedingt die Lebensfähigkeit, da sind Ressourcen oft verschüttet und bleiben erstmal unzugänglich. Für die Traubegleitung übersetzt bedeutet das, dass ein Trauernder mit einem festen Gefüge und mit einer Idee zu uns kommt, wie die Welt aus seiner Sicht ist bzw. wie sie zu sein hat. Dem sollte - das wäre jedenfalls meine Haltung - eine Begleitung auch Rechnung tragen. Letztlich geht es um die alte, aber wichtige Frage: Will ich einem Menschen, den ich begleite, in Wahrheit nur mein Weltbild aufdrängen oder kann ich ihn in seiner eigenen Welt lassen und ihn dort abholen? Wann droht mir die Gefahr, dass ich damit anfange, vielleicht auch nur unbewusst, mein eigenes Weltbild aufdrängen zu wollen? Bin ich immer davor gefeit, dass das geschieht?
Der Autor dieser Zeilen bietet Trauerbegleitung an in Osnabrück und im Osnabrücker Land an und hat eine Ausbildung zum Trauerbegleiter absolviert (Große Basisqualifikation gemäß des Bundesverbands Trauerbegleitung) und bietet Podcasts rund um das Thema Trauer an (bitte hier klicken). Thomas Achenbach ist der Autor des Buches "Männer trauern anders - was ihnen hilft und gut tut", 168 Seiten, Patmos-Verlag, 17 Euro, erschienen im März 2019. Mehr Infos gibt es hier.
Alle aktuellen Termine, Lesungen, Vorträge, Workshops, Seminare etc. mit Thomas Achenbach finden sich unter diesem Link
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Wenn wir uns das Wörtchen "Haltung" mal vom Wortsinne her anschauen, dann bedeutet es etwas, das einem Halt gibt, also: Halt und Stütze. Soll also heißen: Wenn ich mich schon vorher mit allem beschäftigt habe, was mich unsicher machen könnte, was meine Stabilität gefährden könnte, wenn ich um diese Gefahren weiß, wenn ich mir wichtige Fragen dazu gestellt habe, dann habe ich auch eine Haltung gefunden. Dazu gehört, sich eine klare Meinung zu bilden - und aus dieser dann auch Verhaltensweisen abzuleiten. Hmmm.... Alles etwas zu abstakt? Stimmt schon, also ein paar Beispiele.
Wenn die Menschen von einem Trauerbegleiter eines erwarten sollten und können, dann ist es vor allem dies: Dass dieser Mensch, der Ihnen gerade zur Seite steht, während dieser Phase einer Begleitung ganz frei ist von eigenen Schicksalsschlägen, dass er vergangene Schicksalsschläge angenommen und für sich geklärt hat und eben eine eigene Haltung dazu ausgebildet hat. Kurz gesagt: Dass er stabil genug ist um begleiten zu können. Denn kein Mensch kann begleiten, wenn er sich selbst gerade trösten lassen muss, wenn er selbst gerade emotional instabil sein sollte. Nicht umsonst gehört es zur Ausbildung eines Trauerbegleiters dazu, sich mit seinen eigenen Gefühlen und Erfahrungen, mit seiner ganz eigenen Trauerbiografie und den gemachten Todeserfahrungen intensiv auseinanderzusetzen (das gilt natürlich auch für alle weiblichen Trauerbegleiterinnen - doch angesichts des Frauenüberschusses in diesem Metier bevorzuge ich die rein männliche Schreibweise, sozusagen aus der Sicht der Underdogs).
Wenn das Mitfühlen zu eigenem Leiden wird - Obacht!
Es geht darum, als Trauerbegleiter seine eigenen Schwachstellen zu kennen. Was wirft mich evtl. aus der Bahn? Welche Themen sind mir zu übermächtig? Welche Themen machen mir andererseits gar keine Angst mehr? Das alles zu wissen ist wichtig. Denn am Ende des Tages geht es um ganz andere Fragen: Wen kann ich wirklich begleiten, wen vielleicht nicht? Wessen Trauer- und Todesgeschichte kann in mir etwas auslösen, das mich begleitungsunfähig machen sollte, weil ich dadurch selbst ins Wanken gerate? Wann wird aus dem Mitfühlen ein solches Mitleiden, dass ich selbst umgerissen werde? Damit beginnt die Auseinandersetzung, die zu einer Haltung führt, aber damit ist sie noch nicht zu Ende. Denn es gibt noch eine Reihe weiterer Fragen, die es mit sich selbst zu klären gilt.
Jeder Mensch ist einzigartig und etwas Besonderes, jeder hat seine eigene Disposition und seine Geschichte, die ihn zu dem gemacht hat, was er (jetzt gerade) ist. Jeder Mensch ist sehr daran interessiert, sein Leben selbst zu bestimmen, ihm Sinn und Ziel zu geben, aber gerade das kann in einer Verlustkrise besonders schwer fallen. Denn da regiert oft die Ohnmacht, nicht unbedingt die Lebensfähigkeit, da sind Ressourcen oft verschüttet und bleiben erstmal unzugänglich. Für die Traubegleitung übersetzt bedeutet das, dass ein Trauernder mit einem festen Gefüge und mit einer Idee zu uns kommt, wie die Welt aus seiner Sicht ist bzw. wie sie zu sein hat. Dem sollte - das wäre jedenfalls meine Haltung - eine Begleitung auch Rechnung tragen. Letztlich geht es um die alte, aber wichtige Frage: Will ich einem Menschen, den ich begleite, in Wahrheit nur mein Weltbild aufdrängen oder kann ich ihn in seiner eigenen Welt lassen und ihn dort abholen? Wann droht mir die Gefahr, dass ich damit anfange, vielleicht auch nur unbewusst, mein eigenes Weltbild aufdrängen zu wollen? Bin ich immer davor gefeit, dass das geschieht?
Was Trauerbegleitung leistet: Verstehen & aushalten können
Was mir ganz persönlich meine Trauerbegleiterausbildung vermittelt
hat, neben vielem anderen, ist zudem der seelsorgerische Aspekt des
Sich-Hineinfühlens in andere. Also nicht tiefenanalytisch auf Ursachenforschung
gehen und in der Psyche herumwühlen, sondern alleine die Gefühle wirken lassen, so, wie sie sind – das galt es zu lernen, das war war mir, der ich mich bislang vorwiegend mit Coachingzielen auseinandergesetzt hatte, seinerzeit neu. Es gibt den wunderbaren Satz: Verstehen hilft. „Das möchte ich verstehen“ – als grundsätzliche Fragehaltung, das gehört für mich ebenfalls zur Haltung dazu. Aushaltenkönnen ist außerdem eine wichtige Fähigkeit. Es gibt eine Menge, das auszuhalten ist, das lehrt die Erfahrung immer wieder. Gemeinsam Ohnmacht ertragen. Keine Angst vor Schweigen haben, keine Angst vor Tiefe, keine
Angst vor Tränen, keine Angst vor dem Grundwasser im Menschen – dort anzukommen
kann ein hilfreicher Schritt sein. Den Schmerz nicht lindern wollen. Ihn annehmen, aushalten, ihn aber nicht kleinreden, wie es das Umfeld oft tut. Kein „Aber“. Und um nochmal zum Ausgangspunkt zurückzukehren - offen zu sein für ein eigenes Begleitetwerden ist ebenfalls eine wichtige Haltungsfrage.
Vorsicht, Stolperfallen: Die Gefahren lauern in Details
Denn wer andere begleitet, sollte sich selbst immer wieder in eine Supervision oder eine andere Form von eigener Begleitung begeben, jendenfalls, wenn er (oder sie) merkt, dass da etwas im Inneren ins Wanken gerät. Das geschieht vielleicht schneller als man denkt - oder es kommt zu einem anderen Zeitpunkt als gedacht. Oft halten wir uns jedoch für abgeklärter, als wir es vielleicht sind, und während wir es kaum merken, beginnen die zuvor so klar abgesteckten Grenzen bereits zu erodieren oder sich aufzuweichen. Oft lauern die Fallstricke in den Details, die man noch nicht genug beachtet hat. Das alles sind natürlich auch ganz persönlichen Haltungen, es sind Fragen, die ich mir selbst gestellt habe. Es sind allerdings auch Beobachtungen und Erfahrungen drin, die mein Spektrum in den vergangenen Jahren dankbarerweise erweitert haben. Hatte ich anfangs, direkt nach meiner Ausbildung zum Trauerbegleiter, noch gedacht, dass ich bei einer ganz bestimmten Sorte von Verlust andere Menschen nicht würde begleiten können, weil ich mich da zu nah am eigenen Grundwasser wähnte, hat die Erfahrung dann gezeigt, dass es doch geht. Dass es sogar sehr viel besser geht als gedacht. Was mich zum letzten, meiner Meinung nach fast dem wichtigsten Punkt beim Thema Haltung führt...:
Nämlich: Was auch immer ich mir einmal als Haltung überlegt habe, es muss auch flexibel dehnbar bleiben, es darf nicht gänzlich verwischen, darf aber auch kein so starres Konzept werden, dass es einen selbst bis zur Erstarrung verkrampfen lässt. Dann gibt eine solche Haltung eben keinen Halt mehr, sondern wird zur dogmatischen Fahrbahnverengung. Und dass so etwas nicht geschehen darf - das ist auch wieder eine Frage von Haltung....
Sich mit den Trümmern seines Lebens auseinanderzusetzen, kann hilfreich sein. Auch aus Stolpersteinen lässt sich schließlich etwas bauen. (Thomas-Achenbach-Symbolfoto) |
Nämlich: Was auch immer ich mir einmal als Haltung überlegt habe, es muss auch flexibel dehnbar bleiben, es darf nicht gänzlich verwischen, darf aber auch kein so starres Konzept werden, dass es einen selbst bis zur Erstarrung verkrampfen lässt. Dann gibt eine solche Haltung eben keinen Halt mehr, sondern wird zur dogmatischen Fahrbahnverengung. Und dass so etwas nicht geschehen darf - das ist auch wieder eine Frage von Haltung....
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Der Autor dieser Zeilen bietet Trauerbegleitung an in Osnabrück und im Osnabrücker Land an und hat eine Ausbildung zum Trauerbegleiter absolviert (Große Basisqualifikation gemäß des Bundesverbands Trauerbegleitung) und bietet Podcasts rund um das Thema Trauer an (bitte hier klicken). Thomas Achenbach ist der Autor des Buches "Männer trauern anders - was ihnen hilft und gut tut", 168 Seiten, Patmos-Verlag, 17 Euro, erschienen im März 2019. Mehr Infos gibt es hier.
Alle aktuellen Termine, Lesungen, Vorträge, Workshops, Seminare etc. mit Thomas Achenbach finden sich unter diesem Link
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Ebenfalls auf diesem Blog: Die Kunden müssen die Bestatterbranche bewegen - was alles möglich sein kann, wenn Menschen in einer Verlustsituation das wollen
Ebenfalls auf diesem Blog: Was soll nach einem Todesfall gefeiert werden? "Nur" der Todestag - oder auch noch der Geburtstag des gestorbenen Menschen?
Ebenfalls auf diesem Blog: Keine Sorge, alles normal - was Trauernde in einer Verlustkrise alles so tun und warum einem das nicht peinlich sein sollte
Ebenfalls auf diesem Blog: Tango auf der Trauerfeier, die Trauerrede als Audiodatei - was heute bei modernen Trauerfeiern alles möglich sein sollte
Ebenfalls auf diesem Blog: Der Fluch der Tapferkeit - warum es Menschen in der modernen Gesellschaft so schwer fällt Trauer als etwas Normales anzuerkennen
Ebenfalls auf diesem Blog: Wenn Töne und Texte die Seele ins Schwingen bringen, Teil #01: Serie über Trauer und Musik - die besten Songs und Alben über Trauer und Tod
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