Mittwoch, 19. Dezember 2018

Wie die grandiose Netflix-Serie "The Kominsky Method" mit Michael Douglas einen auf gleichsam unterhaltsame wie berührende Weise an die Trauer als menschliches Phänomen heranführen kann - und was die Serie in Stafffel Eins alles richtig macht.... (und warum die Staffel Drei dann nur noch enttäuscht)


Das ungleiche Freundespaar, vom Leben zusammengeschweißt: Alan Arkin als Norman Newlander und Michael Douglas als Sandy Kominsky  (Netflix-Media-Center-Fotos).

Osnabrück - Da kann sich die Haushälterin nur noch kopfschüttelnd abwenden, um alsbald nach getaner Arbeit die Flucht zu ergreifen - als sie einmal miterlebt, wie der rund 80 Jahre alte und frisch verwitwete Norman Newlander einen Dialog führt mit seiner nicht mehr anwesenden Frau, wie er einfach ins leere Zimmer hineinspricht, erlebt sie das als überaus befremdlich. Doch wenn die Kamera sich nähert und wir als Zuschauer daran teilhaben dürfen, wie der Witwer selbst diese Szene erlebt, dann sitzt ihm dort seine Frau gegenüber - und er holt sich Rat bei ihr, der Gestorbenen, darüber, wie er mit der drogensüchtigen Tochter umgehen soll. Es ist eine von vielen Szenen, in denen die Netflix-Serie "The Kominsky Method" - prominent besetzt mit Michael Douglas (74) und Alan Arkin (84) - wunderbar realistisch und trotzdem angenehm unprätentiös darstellt, wie sich Trauer auswirkt und was Menschen in einer Trauer- und Verlustkrise alles tun....

"Natürlich rede ich mit ihr - und ich bin nicht verrückt!", sagt Newlander kurz danach zu seinem besten Freund, dem von Michael Douglas gespielten Schauspieltrainer Sandy Kominsky. Dieser ist der abgehalfterte, gerade pleite gehende Womanizer, also mehr so der Antiheld, während sein Freund Norman als wohlhabender Mann den Erfolg des "American Dreams" verkörpert, obwohl innerlich gebrochen. Die Serie, die als klassische Sitcom angelegt ist, bezieht einen Großteil ihres Charmes aus diesem Aufeinanderprallen der unterschiedlichen Charaktere und der Reibungspunkte, die das mit sich bringt sowie der zynisch-grimmigen Wortgefechte. Denn noch am Sterbebett hatte der von Douglas herrlich ironisch gespielte Sandy der Ehefrau seines Freundes, Eileen, ein Versprechen gegeben: Dass er auf ihren Norman achtgeben wird. Was er dann auch tut.


Schlüsselszene und Ausgangsszene der Serie: Sandy verspricht der sterbenden Gattin Eileen, auf ihren Norman aufzupassen.

Übrigens: "Natürlich rede ich mit ihr..." - genau wortgleich kommt diese Formulierung in dem Buch "Lebensstufen" des britischen Literaten Julian Barnes vor, in dem er seinen eigenen Trauerprozess nach dem Tod seiner Frau beschreibt. Und nicht nur dort. Auch in der Erfahrungssammlung "Männer trauern anders", die Dr. Martin Kreuels im Selbstverlag herausgegeben hat, berichten mehrere der befragten Witwer davon, dass sie mit ihren Toten aktiv in den Dialog gehen, sich Rat und Hilfe holen von den gestorbenen Frauen. Und auch der fiktive Charakter des Norman Newlander tut dies nicht nur ein einziges Mal, sondern öfters. Das ist das Kunstvolle an "The Kominsky Method": Einerseits lässt die Serie  einen nur selten im Zweifel darüber, dass sie eine Sitcom ist und eigentlich nichts anderes sein will. 


Danny De Vito als quirliger Urologe ist nur einer von mehreren prominenten Gast-Stars. 

So ist das Meiste, was hier geschieht, auf den nächsten guten Gag und die nächste treffsichere Dialogzeile ausgerichtet. Und doch geht die Serie andererseits weiter und tiefer als man es von einer Sitcom erwarten könnte und es gelingt den Machern scheinbar lockerleicht, das Gezeigte ins Tragische auszudehnen, ohne den Bogen zu überspannen oder jemals die Unterhaltungswerte zu verlieren. Eine Episode endet sogar mit einem weinend zusammenbrechenden Witwer - weil er in der Reinigung unerwarteterweise das vergessene Kleid seiner gestorbenen Frau ausgehändigt bekommt. Das muss man erstmal wagen - in einer eigentlich komödiantisch angelegten TV-Serie mit einem weinenden Mann aufhören. Respekt! Und so ist "The Kominsky Method" - übrigens vom Produzenten der Serienhits "Big Bang Theory" und "Two And A Half Man" verantwortet - eben doch mehr als nur eine Komödienserie. Zumal sie dankbarerweise auf die eingespielten Publikumslacher verzichtet. Was gut ist, bleibt einem das Lachen trotz allem Charmes doch oft auch im Halse stecken (vor allem, wenn es um geschwollene Prostatas und andere Probleme des Alterns geht).


Kaum Witwer, schon umschwärmt: Norman Newlander ist mit seinen neuen Rollen wenig zufrieden.

Was die Serie außerdem auszeichnet: Zig Außendrehs statt, wie in Sitcoms allgemein üblich, die immergleichen Studiokulissen, prominente Gastschauspieler - grandios sind Danny De Vito als Urologe oder der Talkmaster Jay Leno als Trauerredner - und ein Drehbuch, das auch vor Schamthemen nicht zurückschreckt. Hier wurde weder gespart noch auf größtmöglich geglättete Werbeblockkompatibilität geschielt. Qualität statt Masse. Dafür umfasst die erste Staffel auch nur acht Folgen. Bei maximal 30 Minuten Länge pro Folge ist das "Binge Watching" der gesamten Serie also locker an einem Abend zu bewältigen. Und das lohnt sich. Eben auch wegen der vielen Einblicke in eine Welt, wie sie ein Mensch in einer Trauer- und Verlustkrise so erlebt. Und das ist oft ebenso treffsicher wie fein ausgehorcht. 



Da ist beispielsweise die Tatsache, dass Normans Frau Eileen noch vor ihrem Tod alles genau verfügt hat, wie sie sich ihre Trauerfeier vorstellt - bis hin zur Schriftart, in der die Trauerkarten gestaltet werden sollen und zur Materialart des Sarges, was den Bestatter vor gewisse organisatorische Schwierigkeiten stellt. Wir sehen aber auch, wie gut es den Hinterbliebenen tut, dass sie die Trauerfeier ganz im Sinne der Verstorbenen gestalten können, auch, wenn sie für manche Wünsche kreative Notlösungen finden müssen (beispielsweise, was den Auftritt von Barbra Streisand angeht). Da ist die in dem Witwer später aufkommende Leere und Verzweiflung, die sich bis hin zu Suizidgedanken steigert - und wie elegant und gleichzeitig sehr komisch es die Serienmacher schaffen, auch diese Aspekte mit zu berücksichtigen, ohne sich in peinliche Plattitüden zu verlieren, zeichnet ihre Feinfühligkeit aus. Überhaupt, Zynismus und Bitterkeit, Abgeklärtheit und nur scheinbar ironisch aufgeladenes Gebrochensein, die Zerbrechlichkeit des Alterns und die Nichtbeständigkeit von allem, was einmal war, alles das sind Themen, die die Serie souverän durchdekliniert, ohne jemals ihre Leichtigkeit zu verlieren dabei. Respekt. Und auch von den weiteren hier gezeigten Ereignissen berichten einem frische Witwer: Kaum ist die Frau tot, wird der angenehm wohlhabende Alleinstehende relativ unverblümt angebaggert - von anderen Witwen. Doch Norman Newlander bleibt seiner Eileen weiter treu. Schließlich spricht er noch immer mit ihr, abends, daheim. "Mensch zu sein und verletzt zu sein - das ist doch ein und dasselbe", sagt Norman an einer Stelle. Und da ist doch eine ganze Menge dran. Durchaus sehenswert, jedenfalls die erste Staffel.

Update im September 2021: Nachdem Netflix mittlerweile ganze drei Staffeln dieser Serie veröffentlicht hat (und es dabei auch belassen wird), muss gesagt sein: Der Trauerkontext wird von Folge zu Folge, vor allem von Staffel zu Staffel leider immer unbedeutender. Als ob die Autoren gerade mit diesem so spannenden Aspekt dieses Settings am Wenigsten hätten anfangen können. Vielleicht liegt es daran, dass der grandiose Hauptdarsteller Alan Arkin die Serie bereits nach der zweiten Staffel verlassen hat, womit sie auch einen Großteil ihres Charmes eingebüßt hat. Staffel Zwei legt den Fokus auf Norman und seine Tochter, in Staffel Drei scheint es dann vor allem um Sandy Kominskys Sexleben zu gehen - schwer zu sagen, ich bin nach Folge Drei dort ausgestiegen. Hätten sich die Autoren getraut, eine echte Trauer-Sitcom abzuliefern - was hätte das für ein großartiges Projekt werden können. Nun denn, es gilt, was für viele Serien gilt: Staffel Eins angucken. Danach was Anderes. Reicht doch


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Der Autor dieser Zeilen steht in Osnabrück und im Osnabrücker Land als Trauerbegleiter zur Verfügung. Thomas Achenbach ist zertifizierter Trauerbegleiter nach den Standards des BVT (Große Basisqualifikation). 

Thomas Achenbach ist der Autor dieser drei Bücher: 

-> "Das ABC der Trauer - 77 Rituale und Impulse" (Patmos-Verlag)
-> "Mitarbeiter in Ausnahmesituationen - Trauer, Pflege, Krise" (Campus-Verlag)
-> "Männer trauern anders - was ihnen hilft und gut tut" (Patmos-Verlag)

Mehr Infos auf www.thomasachenbach.de

Lesungen, Vorträge, Workshops, Seminare, Trauergruppen und mehr: Alle aktuellen Termine mit Thomas Achenbach finden sich unter diesem Link 

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