Wer das Internet durchforstet, der findet diese Frage oft auf den Ratgeberforen: Warum muss ich bis Totensonntag warten mit meinem Weihnachtsschmuck? Manchmal, wenn auch nicht immer, geht die Frage mit einem Unterton nahe der Empörung einher, so nach dem Motto: Worauf muss ich denn noch alles Rücksicht nehmen? Und, zugegeben, auch mir hat es spätestens mit der Zeitumstellung und der langen, langen Dunkelheit am Abend in den Fingern gejuckt, die ersten Lichterketten aufzuhängen, denn wenn es so nasskalt, fies und düster ist, braucht es so sanftes Licht. Es kann einem so gemütlich die Seele ausleuchten, kann eine neuen Form innerer Wärme mit sich bringen. Aber eben nur: Solange es einem gut geht, solange das Leben gerade ohne Tiefschläge verläuft, solange es sich in einer relativ stabilen Phase befindet. Das wissend, habe ich es also gelassen. Aus Respekt - wie oben erwähnt. Weniger aus religiösen Gründen, vielmehr aus allgemein seelischen.
Wenn schon ein Lichterleuchten vor der Adventszeit, dann vielleicht besser als Grableuchten? (Pixabay.de-Foto, Creative-Commons-CC0-Lizenz) |
Ein preußischer König, der Verluste zu beklagen hatte
Was heute kaum noch einer weiß: der Totensonntag als Institution ist erst von den Preußen eingeführt worden. Friedrich Wilhelm der Dritte war es, der mit der Einführung dieses - kirchlich gesehen: rein evangelischen - Gedenktages tief in die Gestaltung des Kirchenjahres eingriff. Dies vermutlich weniger aus religiösen Gründen als vielmehr aus ganz pragmatischen. Im Kriegsjahr 1813 hatte es auch auf preußischer Seite viele Verluste gegeben in jenen Schlachten, die heute als "Befreiungskriege" (gegen Napoleon) in die Geschichte eingegangen sind. Drei Jahre später ordnete der König das Totengedenken neu. Es muss ihm wohl ein Bedürfnis gewesen sein. Bei den Katholiken ist das traditionell alles etwas anders.
Empfinden nicht nur Gläubige als unpassend: Leuchtender Adventsschmuck noch vor dem Totensonntag. (Pixabay.de-Foto, Creative-Commons-CC0-Lizenz) |
Mit dem Volkstrauertag in die "traurigen Tage"
Für sie beginnt das traditionellen Totengedenken alljährlich mit Allerseelen (immer am 2. November), dem Tag nach Allerheiligen. Doch viele Katholiken feiern auch am evangelischen Totensonntag - der in ihrem eigenen Kirchenjahr "Christkönigstag" heißt - das Totengedenken mit. Zumal dieser Totensonntag alljährlich perfekt eingebettet ist in ebenjene weltliche Woche, die mit dem 1925 erstmals und 1952 erneut eingeführten Volkstrauertag beginnt, der dem Gedenken der in den Weltkriegen gestorbenen Menschen gewidmet ist. So ergibt sich also eine "traurige Woche" (oder auch die "traurigen Tage"), in der ausgiebig getrauert werden darf. Und auch das erleben viele Trauernde als hilfreich: Dass sie eben auch mal trauern dürfen. Bekommen sie doch oft das Gefühl vermittelt, sie dürften es nicht (mehr).
Und dann: Lichter - das hat auch was Tröstendes
Und wenn dann, am Ende einer Woche voller trauriger Tage, überall die Lichter angehen, dann kann doch auch das eine fast spirituelle, heilsame, vielleicht tröstende Wirkung haben. Wenn auch nicht immer auf Trauernde. Und deswegen: Warten bis nach dem Totensonntag. Aus Respekt. Vor dem Leben...
----------------------------------------------------------------------------------------
Der Autor dieser Zeilen steht in Osnabrück und im Osnabrücker Land als Trauerbegleiter zur Verfügung. Thomas Achenbach ist zertifizierter Trauerbegleiter nach den Standards des BVT (Große Basisqualifikation).
Thomas Achenbach ist der Autor dieser drei Bücher:
-> "Das ABC der Trauer" (Patmos-Verlag, Herbst 2023)
-> "Mitarbeiter in Ausnahmesituationen - Trauer, Pflege, Krise" (Campus-Verlag).
-> "Männer trauern anders - was ihnen hilft und gut tut" (Patmos-Verlag)
Mehr Infos auf www.thomasachenbach.de.
Lesungen, Vorträge, Workshops, Seminare, Trauergruppen und mehr: Alle aktuellen Termine mit Thomas Achenbach finden sich unter diesem Link
-------------------------------------------------------------------------------------------
Auf dem Portal der Neuen OZ zu finden: Das ABC der Trauer - wie der Osnabrücker Trauerbegleiter trauernden Menschen Halt geben möchte
Ebenfalls auf diesem Blog: Ein neuer Raum und neue Möglichkeiten - wo ich in Osnabrück jetzt Trauerbegleitung anbieten darf (weiterhin auch als Spaziergang)
Ebenfalls auf diesem Blog: Wie lange darf Trauer dauern? Ist es normal, wenn es jahrelang weh tut? Und ab wann wird trauern krankhaft?
Ebenfalls auf diesem Blog: Trauer und Schuldgefühle gehören zusammen - warum sich so viele Trauernde nach dem Tod eines Menschen schuldig fühlen
Ebenfalls auf diesem Blog: Keine Sorge, alles normal - was Trauernde alles so vermeintlich "Merkwürdiges" tun und warum das nicht peinlich ist
Ebenfalls auf diesem Blog: Wie uns die Trauer vor Aufgaben stellt und was das für den Trauerprozess bedeuten kann - über die "Aufgaben der Trauer"
Ebenfalls auf diesem Blog: Entrümpeln, Ausmisten und Aufräumen nach dem Tod eines Menschen - was mache ich damit und warum ist das so hart?
Ebenfalls auf diesem Blog: Professionelle Gesprächsführung mit Menschen in einer Krise - was wir von der Spiegeltechnik fürs Leben lernen können
Ebenfalls auf diesem Blog: Wir sind auf dem Weg in eine Sterbegesellschaft - Zahlen, Fakten und Daten darüber, wir eine gute Trauerkultur brauchen werden
Ebenfalls auf diesem Blog: Wer ein Kind verloren hat, sollte nicht arbeiten gehen müssen - was wir von einer britischen Rechtsprechung lernen können
-------------------------------------------------------------------------------------------
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen