Osnabrück - Auch wenn sich dieser Blog vorwiegend an Trauernde wendet und Ihnen mit ein wenig Rat und Tat zur Seite stehen möchte, wird es hier immer mal wieder auch um alle anderen Themen gehen, die mit Tod, Sterben und Trauer in Berührung stehen. Zum Beispiel die große Politik - und die Frage, was das neue Gesetz bisher gebracht hat. Und dass es zum Beispiel auch Ängste weckt. Und warum es noch eine gesellschaftliche Veränderung diesen Themen gegenüber braucht.
Denn inzwischen gibt es seit dem 5. November 2015 ein neues "Hospiz- und Palliativgesetz", das der Bundestag mit großer Mehrheit beschlossen hat und das im Dezember rechtskräftig wurde. In einem Interview, das mir der Vorsitzende des deutschen Hospiz- und Palliativverbands, Prof. Dr. Winfried Hardinghaus, gegeben hat und das heute in der Neuen Osnabrücker Zeitung erschienen ist (Zum Wortlaut hier klicken), beschreibt der Mediziner die aktuelle Lage ein Jahr nach dem Beschluss und erzählt, wie die Verhandlungen mit den Krankenkassen derzeit laufen. Und so positiv das Gesetz auch gesehen wird - bei manchen Mitarbeitern weckt es auch Sorgen und Ängste. Hier sind die Fragen und Antworten, die ich wegen ihrer speziellen Thematik aus dem Neue-OZ-Interview herausgekürzt habe.
Herr Hardinghaus, wir sprachen auch über die unterschiedlichen Interessen der verschiedenen Bereiche. Das Stichwort greife ich mal in anderer Form auf: Sehen Sie denn eine
Gefahr, dass die Hospizinitiativen und die Palliativinitiativen jetzt
gegensätzliche Interessen entwickeln oder um Gelder konkurrieren könnten? Dass
die beiden also auseinanderdriften?
Hardinghaus: Ich sehe eher die Tendenz, dass beide mehr
zusammenkommen, was auch sinnvoll ist. Es ist ja in wenigen Ländern wie in
Deutschland so, dass Hospiz und Palliativ so getrennt sind. Viele Menschen
verstehen den Unterschied auch gar nicht. Nach wie vor nicht. Das Hospiz als von
vornherein bis zum Ende geplante Einrichtung – und die Palliativmedizin im Krankenhaus
als akute Krisenintervention, geplant mit dem Ziel der Entlassung, meinetwegen
ins Hospiz, meinetwegen nach Hause. Das sind die großen Unterschiede. Und so
erlebe ich auf den Tagungen und Kongressen, auf denen ich bin: Hospiz- und Palliativszene kommen immer mehr
zusammen, gehen zusammen zu Fortbildungen, sprechen sich ab. Es gibt in
Deutschland zwei große Fachgesellschaften, einmal der Deutsche Hospiz- und
Palliativverband, den ich leite, und die Deutsche Gesellschaft für
Palliativmedizin, die mehr so die wissenschaftliche Seite vertritt. Wir
verstehen uns gut und treffen uns in Vorständen, stimmen uns ab. Also das wird
sowohl auf Verbands- als auch auf Mitarbeiterarbeiterebene sicher
zusammenwachsen, was auch sehr vernünftig ist.
Fehlt es eher an ambulanten Diensten oder ist auch da die
Versorgungslage gut?
Hardinghaus: Beides. Sowohl ambulant als auch stationär. In
manchen ländlichen Gebieten fehlt insbesondere noch ein ambulantes Angebot, auch
die sogenannte spezialisierte ambulante Palliativversorgung, SAPV genannt.
Bräuchten wir denn nicht auch eine Sterbehilfe in
Deutschland? Der Bundestag hat ja parallel mit dem Hospiz- und Palliativgesetz
auch über dieses Thema beraten.
Hardinghaus: Eine aktive Sterbehilfe? Nein. Klares Nein!
Einmal ethisch nicht, aber auch spirituell nicht. Das wäre eine ganz große
gesellschaftliche Gefahr. Wenn wir da einmal die Tür öffnen, dann geht es los. Vor
der großen Urlaubszeit heißt die Frage dann: Wohin mit Oma oder Opa? Das kommt
garantiert! In Holland gibt es bereits eine virtuelle Sterbeklinik. Das heißt,
Sie können anrufen, da kommt dann einer vorbei, wie der Bäcker am Donnerstag,
und macht Sterbehilfe. Und das ist vor Urlaubszeiten stärker frequentiert. Man
hat die ersten paar Hundert Fälle untersucht und solche Auffälligkeiten
festgestellt. In Belgien hat es ja jetzt gerade den ersten Fall der aktiven
Sterbehilfe am Kind gegeben.
Die Zeit hatte mal berichtet über einen Mediziner, der sinngemäß
sowas sagt wie: „Natürlich gibt es solche Fälle. Wir dürfen keinen assistierten
Suizid durchführen, aber wir können natürlich Medikamente hinstellen und den
Raum verlassen. Der Patient nimmt die Medikamente dann selbst. Dann haben wir
keinen assistierten Suizid durchgeführt.“
Hardinghaus: Genau. Denn bleiben Sie im Raum drin, können
Sie sich wegen unterlassener Hilfeleistung strafbar machen.
Das ist ja letztlich eine völlig verzwackte Rechtslage.
Brauchen wir da ein schärferes Gesetz?
Hardinghaus: Nein. Weil man nicht alles gesetzlich regeln
kann. Auch das nicht. Dann wird es ein schärferes Gesetz geben - und dann wird
es wieder eine Lücke geben. Ich würde mal diese Grauzone, die es da gibt, so belassen.
Gerade am Ende des Lebens ist es für Mediziner hilfreich, ein klein bisschen
Spielraum zu haben. Gerade, wenn solche Entscheidungen anstehen, die ja immer
ganz individuell sind und eigentlich nie vergleichbar sind und vor denen lange
Gespräche vorausgehen mit Angehörigen, mit dem Betroffenen selbst, mit dem Team….
Auch das ist wichtig: Alles, was man macht als Mediziner, sind
Teambesprechungsergebnisse. Es wird ja niemals ein Arzt allein entscheiden,
auch auf der Palliativstation nicht, beispielsweise.
Sie sind jetzt knapp ein Jahr aus
dem aktiven Dienst als Mediziner ausgeschieden, sind aber trotzdem noch sehr aktiv. Wo wäre
Ihre persönliche Ziellinie, wo Sie sagen: „Jetzt kann ich mich richtig in
meinen totalen Ruhestand zurückziehen?“
Hardinghaus: (lächelt) Ich habe ja auch meine Schwächen. Jeder
Mensch hat seine Schwächen. Ich bin in meinem Leben mehr eine Art Workaholic
gewesen und insofern wird mir das auch nicht leichtfallen, dieses Loslassen
eines Tages, was ich dann aber auch mal tun muss. Aber er wird kommen, dieser
Zeitpunkt, da bin ich ganz realistisch.
Wie alt sind Sie jetzt?
Hardinghaus: 65 Jahre.
Was würden Sie sich denn noch wünschen? Sie haben ja gesagt:
Das Gesetz ist gut, die Hospizlage in Deutschland ist gut. Also alle Wünsche
erfüllt?
Hardinghaus: Ein großer Wunsch ist immer noch das
gesellschaftliche Bewusstsein. Das muss noch offener werden für die Themen
Sterben, Tod und Trauer - und dass wir eines Tages dahin kommen, dass jeder Mensch
an jedem Ort in Deutschland gut und würdevoll begleitet werden kann und
schmerzfrei sterben kann.
Gesellschaftlich gesehen ist die Angsthürde bei diesen
Themen noch immer zu hoch - oder wie beobachten Sie das?
Hardinghaus: Es ist auch immer noch ein Tabuthema, dass
viele Menschen weit von sich drängen. Dahinter steckt meines Erachtens die
Angst vor dem eigenen Tod. Damit will man sich nicht befassen. Wir müssen uns
hier noch weiter enttabuisieren. In allen Schichten bei allen Menschen.
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Der Autor dieser Zeilen bietet Trauerbegleitung in Osnabrück sowie im Osnabrücker Land an und hat eine Ausbildung zum Trauerbegleiter absolviert (Große Basisqualifikation gemäß des Bundesverbands Trauerbegleitung). Mehr Infos gibt es hier.
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