Osnabrück - Die schwierigste Phase für Angehörige, die einen geliebten
Menschen verloren haben, ist nicht etwa die Zeit kurz nach dem Ereignis. Es
sind die Monate oder die Jahre lange nach dem Verlust, in denen die Betroffenen sich ganz
alleingelassen fühlen. Das kann lange dauern.
Denn kurz nach dem Tod ist die Bereitschaft zu helfen bei Freunden und Verwandten noch groß: Unterstützung geben, da sein, zuhören, das alles ist möglich und wird gerne zugestanden. Aber die Empathie im Todesfall schwindet oft schnell – und schon bald schleicht sich bei vielen dem Trauernden Nahestehenden so etwas wie eine Erwartungshaltung ein, unter der die Betroffenen besonders leiden: „So langsam muss es doch wieder gut sein“, „Allmählich müsste wieder etwas mehr Normalität einkehren“… so empfinden es die Angehörigen und Freunde.
An den Erwartungen, die bald an sie gerichtet werden, können Menschen in einer Verlustsituation auch mal verzweifeln. (Pixabay.de-Foto, Creative-Commons-CC0-Lizenz) |
Auch wenn Gedanken wie diese nicht immer unmittelbar geäußert werden, stehen sie oft störend im Raum. Denn Trauernde befinden sich in einer emotionalen und seelischen Krise – und in einer solchen Situation sind Menschen hochsensibel, nehmen auch kleinste Signale wahr, begreifen viel von dem, was nicht ausgesprochen wird.
Was gebraucht wird: Aushalten können, auch gemeinsam
Es ist den Menschen, die einem Trauernden so begegnen, kein Vorwurf zu machen. Denn tatsächlich ist das Schwierigste im Umgang mit Verlusterfahrungen das (gemeinsame) Aushalten der Ohnmacht und der Schwere, die sich bei Trauer zwangsläufig einstellt. Das zu ertragen ist nicht leicht. Vor allem als Nicht-Betroffener. Was das Aushalten zusätzlich erschwert, ist die Tatsache, dass es so wenig konkrete Hilfsmöglichkeiten gibt. Verständlich, dass sich Freunde und Angehörige im Aktionismus-Modus stets wohler fühlen als im Schweigen. Etwas tun, etwas unternehmen, das fühlt sich eben besser an als ein - vielleicht sogar wohltuendes – Nichtstun. Klar: Für den Rest der Welt geht das Leben einfach weiter wie bisher, bleibt der Alltag turbulent und munter, vielleicht sogar bunt und lebenswert. Wer in diesem Lebensstrudel steckt, kann sich auf Trauernde nur schwer einlassen. Das ist okay so. Denn genau dafür gibt es die Trauerbegleitung
Menschen dort abholen können, wo sie gerade stehen
„Trauerbegleitung ist ein Aushaltenkönnen, mehr ist es auch nicht“. So hatte es die Vorsitzende des Bundesverbands Verwaiste Eltern in Deutschland, Petra Hohn, auf der Messe „Leben und Tod“ im Jahr 2015 bei einem Vortrag formuliert. Und sie trifft es auf den Punkt: Mehr ist es nicht, weniger aber auch nicht. Was kann Trauerbegleitung also? Sie kann Trauernde dort abholen, wo sie gerade stehen. Kann sie so sein lassen, wie sie gerade sind, wenn es den anderen Menschen schwer fällt, das zu tun. Sie kann Trauernde annehmen und aufnehmen, wenn sie sich anderen schon nicht mehr zumuten wollen, weil sie mit ihren Gefühlen nicht nerven wollen. Sie kann die Trauer indes nicht aus der Welt verschwinden lassen, das kann vermutlich nichts. Nicht einmal die Trauerarbeit oder Verarbeitung, falls es so etwas überhaupt gibt. Aber das ist auch gar nicht nötig.
Trauer lässt sich nicht "bewältigen" - das geht gar nicht
Die Therapeutin Monika Müller aus Rheinbach, eine der Expertinnen für Trauer und eine Ikone der Hospizbewegung, hat in einem Vortrag einmal sinngemäß gesagt: Es ist ein Märchen, dass sich Trauer verarbeiten lässt. Wozu auch? Trauer ist ein so naturgegebenes Gefühl wie Freude. „Und in keinem Buch der Welt steht, man solle doch bitte seine Freude einmal verarbeiten und bewältigen“, sagt Müller weiter. Überhaupt, das Wort „bewältigen“ missfällt der „Grande Dame der Trauer“ ganz besonders, denn eytmologisch gesehen heißt es: „Gewaltsam unter Kontrolle bringen“. Was sich aus diesen klugen Sätzen herausfiltern lässt, ist der beste Umgang mit Trauer: Sie sollte durchlebt werden. Oder anders gesagt: „Ins Fließen kommen‘“. Das bestätigte auch die Vorsitzende des Bundesverbands Trauerbegleitung, Christine Strockstrom, in einem Interview auf diesem Blog (siehe hier).
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Der Autor dieser Zeilen steht in Osnabrück und im Osnabrücker Land als Trauerbegleiter zur Verfügung. Thomas Achenbach ist zertifizierter Trauerbegleiter nach den Standards des BVT (Große Basisqualifikation).
Thomas Achenbach ist der Autor dieser drei Bücher:
-> "Das ABC der Trauer - 77 Rituale und Impulse" (Patmos-Verlag)
-> "Mitarbeiter in Ausnahmesituationen - Trauer, Pflege, Krise" (Campus-Verlag)
-> "Männer trauern anders - was ihnen hilft und gut tut" (Patmos-Verlag)
Mehr Infos auf www.thomasachenbach.de.
Lesungen, Vorträge, Workshops, Seminare, Trauergruppen und mehr: Alle aktuellen Termine mit Thomas Achenbach finden sich unter diesem Link
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