Osnabrück - Es hat nur ein Jahr gedauert und die Welt hat sich grundlegend gewandelt. Allem voran die Welt der Unternehmen und Betriebe, die Arbeitswelt, das Alltagsleben zahlreicher Mitarbeiter. Vieles von dem, was vor Ausbruch der Coronakrise gut funktioniert hat, ist weitestgehend verschwunden oder durch etwas Anderes ersetzt worden. Das gilt auch - und so ehrlich muss ich sein - für manche, wenn auch nicht alle, der Ideen aus meinem Buch "Mitarbeiter in Ausnahmesituationen". Dieses Buch ist am 11. März 2020 erschienen. Und nur sieben Tage später, am 18. März 2020, hatte Angela Merkel den ersten Lockdown angekündigt. Schulen und Kitas waren da schon ab dem Vormittag geschlossen, fast überall in Deutschland. Seither ist die Welt eine andere - und es ist allerhöchste Zeit für ein erstes Corona-Update in Sachen Trauer und Krise am Arbeitsplatz. Wobei wir auch die durch die Coronapandemie ausgelösten seelischen Krisen in den Blick nehmen, ganz außerhalb vom Kontext Trauer oder Pflege.
Denn die Krise ist überall. Viele Mitarbeiter sind in Kurzarbeit und wissen bis heute nicht, ob es sich dabei nun um eine verzögerte Kündigung handelt oder weiter eine Ausnahme auf Zeit (und wenn ja, wie lange noch?). Viele haben Angst. Vor dem Verlust des Jobs, dem Verlust der Gesundheit, dem Verlust von Wohlstand und Status. Manche Mitarbeiter in Deutschland und in ganz Europa haben seit März 2020 ihren Arbeitsplatz nicht mehr gesehen, weil sie dauerhaft ins Home Office verfrachtet wurden. Und selbst diejenigen, die nach wie vor morgens zur Firma oder in den Betrieb gehen, haben seit März 2020 nicht mehr alle ihrer Kolleginnen oder Kollegen gesehen. Manche Abteilungen sind quasi dauerhaft ausgegliedert worden ins Home Office - manchmal ist sogar eine mögliche Rückkehr nach der Coronakrise fraglich. Und sogar die vor der Krise emsig reisenden Geschäftsführer oder Führungskräfte beteuern heute, dass durchaus nicht alle wichtigen Geschäfstermine im persönlichen Kontakt stattfinden müssen - Zoomen statt Fliegen reicht meistens vollkommen aus, auch das ist eine der Lehren aus der Coronakrise (oder, um es mal im modernen Businessdeutsch zu sagen: Es ist eines der Key Learnings). All das hat aber auch gravierende Auswirkungen auf das Miteinander - und auf das Soziale. Und da wird es schwierig: Denn es bleibt vieles auf der Strecke. Vieles von dem, was bis vor kurzem noch selbstverständlich war. Vor allem, was das Thema Krise und Trauer am Arbeitsplatz angeht. Und mal ganz ehrlich: Mitten im Lockdown, nach einem Jahr Pandemie, ist an jedem Arbeitsplatz auch eine Portion Trauer anzutreffen, auch ganz ohne "echten" Trauerfall. Was also muss jetzt geschehen? Hier sind ein paar Thesen:
(Alle Fotos: Thomas Achenbach) |
Punkt Eins: Der persönliche Umgang miteinander muss ganz neu gelernt werden – teilweise sogar ganz neu hergestellt werden. Nicht selten sind in den Wirtschaftsteilen der deutschen Zeitungen im vergangenen Jahr Sätze zu finden gewesen wie beispielsweise diese: Es braucht ein neues Verständnis von Führung in den deutschen Unternehmen. Es braucht eine neue Führungskultur. Eine, die dem Gedanken gerecht wird, dass Mitarbeiter eben nicht mehr "zentral verfügbar" an einem bestimmten Platz zusammenkommen können. Und was dieses Thema angeht, lässt sich aus der Trauerbegleitung vieles abgucken, was hilfreich ist für einen guten Umgang von Chef und Mitarbeiter. Denn Führungsarbeit war ja immer schon Beziehungsarbeit, nur gilt das inzwischen umso mehr. Mit dem Ausgliedern ins Home Office engleiten den Führungskräften auch die Mitarbeiter zunehmends - nicht alleine, was die Arbeitskontrolle angeht (der übrigens heutzutage eine ohnehin immer geringere Rolle zukommen sollte), sondern vor allem, was die Beziehung zueinander angeht. Und damit auch die Beziehung zum Unternehmen. Wo man als Führungskraft zuvor beim Gang durch die Abteilungen hier mal einen kleinen Schnack halten konnte und dort mal nach einem kurzen "Hallo" einen ganz guten Eindruck davon bekommen konnte, wie es den Mitarbeitern gerade so geht, fällt der meiste persönliche Kontakt heutzutage fast ganz weg. Vielleicht gibt es in gewisser Regelmäßigkeit eine Teamkonferenz über eine Videoplattform, aber ein direkter Kontakt zueinander, von Führungskraft zu Mitarbeiter oder von Kollege zu Kollege, also ein wirkliches Miteinander, das auch als ein solches erlebt wird, das gibt es oft gar nicht mehr. Oder es wird, wenn es mal versucht wird, unangenehm krampfig - wer schon einmal ein Team-Abendessen via Videokonferenz erlebt hat, braucht eine solche Erfahrung sobald nicht noch einmal...
Sprechen ist ein Zaubermittel - Kontakt halten erst recht
Ein kurzes Gespräch - auch mal ganz außerhalb des Arbeitskontextes - ist aber das Zaubermittel, das es braucht. Der persönliche Kontakt, das Haltenkönnen einer sozialen Beziehung zueinander, ist das einzig wichtige und einzig nötige soziale Schmiermittel, ohne das das Führungskraft-Mitarbeiter-Verhältnis unweigerlich ins Stocken gerät. Wir müssen also lernen, neu miteinander zu reden. Wir müssen lernen, die Kontakte, die es vorher gab, wieder herzustellen und auf ein neues Niveau zu stellen, das die dafür nötigen technischen Mittel mitdenken kann. Wichtig für Chefs ist hierbei vor allem ein gutes empathisches Verständnis dafür, wie die einzelnen Mitarbeiter auf die neuen Techniken reagieren: Nicht alle fühlen sich auf einer Videoplattform gut aufgehoben oder sicher, auch wenn die einzigen Teilnehmer des Gesprächs nur die Führungskraft und der Mitarbeiter sind.
Darauf achten, ob Mitarbeiter sich technisch wohlfühlen
Nicht alle Mitarbeiter haben beim Benutzen moderner Kommunikationstools wie z. B. Slack ein gutes Vertrauen in Sachen Datenschutz und persönlicher Sicherheit. Überhaupt ist Slack sowohl Segen wie auch Fluch - denn wer den ganzen lieben langen Tag nur slackt, dem ist oft ein simples Telefonat schon zu anstrengend, dabei ist gerade das Telefon das am besten nutzbare und am meisten bringende Kommunikationswerkzeug, dessen wohltuende Wirkmacht heutzutage viel zu oft unterschätzt bleibt. Für manche Mitarbeiter ist ein Gespräch über Telefon tatsächlich immer noch die beste Möglichkeit für einen guten persönlichen Kontakt. Doch was auch immer es sei: Es geht nicht ohne einen persönlichen und direkten Kontakt! Es geht nicht ohne Empathie und Einfühlungsvermögen. Führungskräfte in Coronazeiten müssen ihre Hauptaufmerksamkeit darauf richten, wie sie mit ihren Mitarbeitern in Kontakt bleiben können - und sie müssen diesen ganz persönlichen Kontakt zueinander zu ihrer ersten Priorität machen. Denn das Wichtigste für Mitarbeiter ist, vor allem in Zeiten der Pandemie, sich verstanden zu fühlen! Wer sich verstanden fühlt, ist immer ein Stück zufriedener, vor allem als einer, der sich alleingelassen fühlt. Führungskräfte müssen heutzutage hinspüren lernen, auch über den technischen Weg, wie belastet der jeweilige Mitarbeiter vielleicht gerade ist - Stichworte Kinderbetreuung, Pflegeverantwortung, Homeschooling, Doppel-Home-Office, und, ganz wichtig und viel zu selten ernst genommen, Arbeitsplatzausgestaltung! Wer dauerhaft in krummer Haltung an engen Esstischen seinen eigentlich improvisierten Arbeitsplatz einrichten muss, gerät nicht nur seelisch, sondern auch körperlich rascher an seine Grenzen. Auch hier hilft nur: Kontakt halten, hinspüren, reden, gemeinsam in den Austausch gehen.
Denn, nochmal - Botschaft Nummer Eins: Ein Mitarbeiter, der sich einfach verstanden fühlt von seinem Chef, ist immer ein zufriedenerer Mitarbeiter als einer, der weiter alleingelassen bleibt! - Kommen wir zu These Nr. 2.
Punkt Zwei: Einer gut gepflegten Erinnerungskultur bzw. Trauerkultur in einem Unternehmen kommt eine noch viel größere Bedeutung zu als noch vor der Coronakrise. Ich kenne Mitarbeitermagazine - also von Unternehmen für Ihre Mitarbeiter produzierte Magazine –, in denen die frisch geborenen Babys von Angestellten auf einer ganzen Seite gezeigt werden. Das ist niedlich und macht einen guten Eindruck. Und doch haben diese Babys mit dem Unternehmen an sich eher wenig zu tun. Die gestorbenen (Ex-) Mitarbeiter werden derweil noch immer in Form einer Auflistung irgendwoanders abgehandelt. An dieser Stelle könnte eine gute Erinnerungskultur bzw. Trauerkultur auch in Coronazeiten ansetzen. In meinem Buch "Mitarbeiter in Ausnahmesituationen - Trauer, Pflege, Krise" mache ich mich für den intensiven Einsatz eines Intranets stark, also eines nur Mitarbeitern zugänglichen, internen Netzwerks - dem gerade im Trauerkontext eine große Bedeutung zukommen kann. Im Buch empfehle ich, auch dort im Intranet eine eigene Unterseite zur Würdigung gestorbener Mitarbeiter einzurichten. Dort könnten kleine Nachrufe stehen, Bilder der Gestorbenen, vielleicht könnte es die Möglichkeit geben, dass Kolleginnen und Kollegen kurze Nachrichten unter den Nachrufen hinterlassen können, z.B. so etwas wie "Wir vermissen Dich". Vor allem in diesen Zeiten, in denen viele Mitarbeiter weit verstreut in ihren verschiedenen Zuhausebüros arbeiten, sollte eine weitgehende Würdigung eines jeden Mitarbeiters, lebend wie gestorben, zum wichtigsten Ziel des Personalmanagements werden. Diese Würdigung muss sichtbar werden, wo immer es auch geht, und das darf durch den Tod eines Mitarbeiters nicht enden. Gerade der Tod ist eine gute Möglichkeit für Unternehmen, eine Wertschätzung der einzelnen Mitarbeiter unabhängig von Zeit, Raum und Gesundheitszustand ausdrücken zu können, darin liegt eine große Chance - bei überschaubarem Aufwand. Es gibt noch weitere Möglichkeiten, kleine Nachrufe auf gestorbene Mitarbeiter zu implementieren - ich kenne beispielsweise Unternehmen, in denen die Geschäftsführer in Coronazeiten in Form von regelmäßigen Videobotschaften ihre Belegschaft über den aktuellen Stand informieren. In dieses wertvolle Instrument ließe sich beispielsweise eine kleine Gedenkminute mit einbauen, wenn ein Mitarbeiter gestorben sein sollte.
Denn, Botschaft Nummer Zwei: Die Würdigungskultur für Mitarbeiter muss gerade dann umso mehr in den Vordergrund rücken, je weiter sich die Mitarbeiter räumlich (und wer weiß - dadurch vielleicht auch seelisch) vom Unternehmen entfernen, und das gilt eben auch für gestorbene Mitarbeiter. Und damit kommen wir zum dritten und, heute erstmal, letzten Punkt dieses Beitrags:
Punkt Drei: Unternehmen könnten "Belastungspaten" ausbilden und deren Gesprächsangebote offensiv allen Mitarbeitern anbieten - dabei handelt es sich um die Weiterführung zweier Ideen, die sich ebenfalls in meinem Buch finden lassen. Dort berichte ich zum einen von eigens dafür qualifizierten Trauer-Vertrauenspersonen, die in Unternehmen als Ansprechpartner bei Trauerfällen implementiert worden sind, sowie von den eigens dafür qualifizierten "Vereinbarkeitslotsen für Pflege und Beruf", die von Mitarbeitern bei einer sich einstellenden Pflegeverantwortung angesprochen werden können. Das Wichtige bei diesen beiden Ideen ist, dass diese derart qualifizierten Menschen aus dem Mitarbeiterkreis stammen. Das ist ein wesentlicher Unterschied zur vielleicht ebenfalls im Unternehmen angebotenen betrieblichen Sozialberatung, die sich zwar meist aus eigens ausgebildeten Sozialpädagogen etc. zusammensetzt, der aber manche Mitarbeiter nicht immer ihr volles Vertrauen entgegenbringen. Ich hielte es für eine gute Idee, in diesen besonders belastenden Zeiten auch so genannte Belastungspaten in einem Unternehmen zu implementieren (diesen Namen habe ich mir übrigens selbst ausgedacht, man könnte auch Zuhörpaten zu ihnen sagen), die in Form von Gesprächen von Kollege zu Kollege ihre Angebote unterbreiten könnten. Es geht dabei vor allem ums Zuhören, wie bei einem seelsorgerischen Gespräch. Ziel dieser Gespräche könnte es sein, dass Mitarbeiter ihre Belastungen einfach einmal aussprechen können und erfahren können, dass jemand Verständnis dafür hat, manchmal ist das alleine schon Hilfe genug. Gemeinsam ließe sich dann überlegen, ob es ggf. eine Veränderung bräuchte, um die Belastung ein wenig abzumildern, manchmal sind es ja schon Kleinigkeiten, die ausreichen, das Verschieben von Pausenzeiten, eine Veränderung in den Arbeitszeiten, so etwas. Die klare Abgrenzung zu den Themen Trauer und Pflege liegt bei diesen Belastungspaten in der durch die Pandemie neu dazugekommenen Herausforderungen: Es geht darum, dass Mitarbeiter, die im Home Office arbeiten, einen Ansprechpartner finden können, der sich vertrauensvoll mit ihnen auseinandersetzen kann. Dies kann z. B. in Form von Spaziergängen oder Telefonaten geschehen. Was diese "Belastungspaten" an Qualifizierung bräuchten, ist natürlich etwas ganz neu zu Schaffendes, was sich jedoch in großen Teilen an den Kursen orientieren kann, die Telefonseelsorger oder Trauerbegleiter belegen, weil beide mit einer gleichen Haltung an ihre Tätigkeit herangehen (wer Lust drauf hat, gemeinsam über ein Curriculum zu "brainstormen": Kontakt über thomas-achenbach@gmx.de).
Denn - Botschaft Nummer Drei: Sorgen und Belastungen, die einmal ausgesprochen werden können und an einen wirklich zuhörenden Menschen adressiert werden können, verlieren einen Teil ihrer Bedrohlichkeit alleine durch das Aussprechendürfen.
Soweit dieses erste Update für mein Buch und meinen Blog... es wird bald weitere Updates geben, hier auf diesem Blog.
Das Buch "Mitarbeiter in Ausnahmesituationen - Trauer, Pflege, Krise" ist im Campus-Verlag erschienen, hier gibt es alle Infos darüber.
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Der Autor dieser Zeilen bietet Trauerbegleitung an in Osnabrück und im Osnabrücker Land an und hat eine Ausbildung zum Trauerbegleiter absolviert (Große Basisqualifikation gemäß des Bundesverbands Trauerbegleitung) und bietet Podcasts rund um das Thema Trauer an (bitte hier klicken). Thomas Achenbach ist der Autor der Bücher "Männer trauern anders - was ihnen hilft und gut tut", 168 Seiten, Patmos-Verlag und "Mitarbeiter in Ausnahmesituationen - Trauer, Pflege, Krise", 220 Seiten, Campus-Verlag. Mehr Infos auf www.thomasachenbach.de.
Lesungen, Vorträge, Workshops, Seminare, Trauergruppen und mehr: Alle aktuellen Termine mit Thomas Achenbach finden sich unter diesem Link
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