Osnabrück - Kochgruppen sind der Renner. Oder Wandergruppen. Wenn es um Männer in Trauer geht und um die Frage, wie wir diese Zielgruppe erreichen können, müssen diese beiden Angebote an erster Stelle genannt werden. Weil sie allerorten als Erfolg verbucht werden, wie ich oft am Rande meiner Vorträge und Workshops zu hören bekomme... Mit dieser Einleitung beginnt ein Artikel, der sich weiter unten vollständig lesen lässt und den ich vor kurzem für die "Trauerräume Dresden" schreiben durfte (trauerraeume-dresden.de) - ein Netzwerk von allerlei Experten, die sich zusammengeschlossen haben, um Eltern nach dem frischen Verlust eines Kindes zu unterstützen. Außerdem ein Netzwerk, das einen in vielerlei Hinsicht bemerkenswerten Newsletter auf die Beine gestellt hat.
Allein das Netzwerk ist spannend - und ein Vorbild für andere Städte: Die darin zusammengefassten Angebote stammen aus den Bereichen Bestattung, Hebammen(-nachsorge), Elterninitiativen und Selbsthilfegruppen, Therapien und Trauerbegleitung, Psychotherapie, Schwangerschaftsberatung und Vereine und Beratungsdienste. Aktuell sind es 52 verschiedene Angebote. In seinem aktuellen Newsletter behandelt das Netzwerk die Trauer der Väter. Das Thema wird aus vielen ganz unterschiedlichen Perspektiven durchleuchtet: Betroffene kommen zu Wort, viele verschiedene Angebote werden vorgestellt, zahlreiche Facetten werden sichtbar - und mit meinem Text unter der Überschrift "Wie Männer ihre Trauer erleben und ausleben und warum sie etwas anderes brauchen als Frauen" durfte ich ebenfalls einen kleinen Beitrag beisteuern, der ganz allein auf meinen eigenen Erfahrungen beruht und auf meinen eigenen Einstellungen. Denn wenn es um die Frage geht, "wie ticken eigentlich Männer (einer bestimmten Generation)", möchte ich eines ergänzen: Ich kann auch deswegen etwas darüber sagen, weil ich selbst dazugehöre. Hier ist der Beitrag, für alle zum Mitlesen:
Der Inbegriff eines heldenhaften Mannes: He-Man. Aber was, wenn er einen Verlust erleiden muss - Trauergruppen, Kerzen, alles klar? (Alle Fotos: Thomas Achenbach) |
Aktivitäten locken trauernde Männer eher an als
Stuhlkreise – das zeigen die Erfahrungen immer wieder. Jedoch, die passenden
Aktivitäten sollten es schon sein: „Dann mussten wir auch noch Kerzen basteln“,
beklagte sich einst ein verwitweter Vater über seine Erfahrungen, bevor er zu
uns in die Trauergruppe für verwaiste Väter kam, zu deren Leitungsteam ich
seinerzeit gehören durfte.
Von der Trauer der Frauen habe er sich bedrängt gefühlt. Auch das erzählte uns dieser Mann. Die anderen Mitglieder in der Runde konnten es ihm gut nachfühlen: Basteln, Malen, Schreiben, vieles von dem, was üblicherweise zum methodischen Repertoire in Trauergruppen gehört, das kam für sie nicht in Frage. Aber reden wollten sie, ihre Trauer sichtbar machen, sich damit zeigen. Die Gefühle gingen tief und die Gespräche waren intensiv. Gebastelt wurde nichts, gemeinsam gelitten wurde viel. Und am Ende eines solchen Gruppentreffens war nicht selten der Stoßseufzer zu vernehmen: Das hat heute aber wieder gut getan!
Spielregeln geben Sicherheit - das ist wichtig
Was die
Männer in dieser Runde als große Hilfe erlebt haben: Dass wir uns ganz am
Anfang beim ersten Treffen auf gemeinsame Spielregeln verständigt hatten, die
uns als gestaltetes Flipchart immer wieder begleiteten. Bei jedem
Gruppentreffen hingen sie öffentlich sichtbar aus. Die erste und wichtigste
Regel darauf lautete: Was hier im Raum besprochen wird, das bleibt auch hier.
Eine Regel, deren Verlässlichkeit von den Männern immer wieder eingefordert
wurde: „Das bleibt aber doch alles hier“, blieb nach sehr gefühlsbetonten
Berichten ein mehrfach gesagter Satz.
Für mich
war das ein wertvolles Zeichen, das ich so zu deuten gelernt habe: Wenn sich
Männer wirklich öffnen wollen, dann brauchen sie einen gut geschützten Rahmen,
in dem sie sich sicher fühlen können. Nur wenn diese Sicherheit spürbar wird
und wenn sie genug Vertrauen zulässt, trauen sich die Männer auf diesen Weg in
ihr Inneres, der für sie oft ungewohnt ist.
Kochgruppen sind der Renner... Wandergruppen kommen an zweiter Stelle. |
Was sie
vermutlich ebenfalls brauchen: Andere Männer. Das jedenfalls spiegeln mir die
Herren, die ich in Einzelbegleitungen betreue, immer wieder. Dass es ihnen
wichtig gewesen sei, von einem Mann begleitet zu werden. Dass sie dann das
Gefühl hätten, besser verstanden zu werden. Dass sie bei Frauen nicht so sehr
in die Tiefe gegangen wären. Das könnte an der Überforderung liegen, die die
Trauer allgemein mit sich bringt. Wer in diesem Strudel an Emotionalität noch
nicht dringesteckt hat, verkennt oft und gerne, wie lebensverändernd und
einschneidend und vor allem wie langfristig das ist. Es ist enorm viel – und
vor allem, vieles auf einmal –, was da über einen hereinbrechen kann: Zorn
genauso wie Verzweiflung, Hilflosigkeit genauso wie ein inneres Aufbäumen,
Kummer und Gram genauso wie ein großes Nicht-verstanden-sein, Ohnmacht genauso
wie Angst. Trauer, sage ich gerne bei Begleitungen, ist das am meisten
unterschätzte Gefühl, das es gibt. Wer das erlebt, bleibt oft unverstanden,
gewiss aber ungetröstet.
Und doch
ist bei alledem eine gewisse Vorsicht angebracht. Das Geschlecht muss unbedingt
eine Rolle spielen in der Betrachtung der Menschen, die uns begegnen – aber
erst die zweite Rolle.
Wann ist "der Mann" überhaupt "ein Mann"?
Denn „Der Mann“,
das ist wie „Spiritualität“ vor allem eins: Ein Containerbegriff, den jeder mit
seiner ganz eigenen Vorstellung belädt. Das eigene Männerbild zu reflektieren
und zu definieren, lautet eine der Aufgaben, mit denen ich meine Workshops
gerne beginne. Die Ergebnisse sind oft facettenreich. Nur eine Richtung
zeichnet sich ab: Geschlechterfragen sind Generationsfragen. Die heute 20-Jährigen
haben meist andere Vorstellungen als die ältere Generation. Diejenigen also,
die man als „Kriegskinder“ und „Kriegsenkel“ zusammenfasst.
An dieser Stelle
wird es bei der Betrachtung der modernen Männer insofern interessant, als dass
eine zentrale Rolle spielt, welche Art von Vorbildern sie haben erleben dürfen:
Männer, die eher schweigend mit sich selbst ausmachten, was sie beschäftigte –
oder solche, die offen auch über solche Themen reden konnten? Wie hast Du
deinen Vater erlebt, wenn er in einer Krise war, die Frage kann ein guter
Gesprächseinstieg sein – oder sie ist einen Themenabend in der Trauergruppe
wert.
Zählt vor allem das Bauchgefühl. Und eine gewisse Vorsicht. Vor allem, was die
in einer Trauerbegleitung eingesetzten Methoden angeht.
Kerzen basteln, da wäre ich selbst auch raus, das muss ich zugeben. Zumal, wenn ich eine solche Aktion anleiten sollte.
Lesungen, Vorträge, Workshops, Seminare, Trauergruppen und mehr: Alle aktuellen Termine mit Thomas Achenbach finden sich unter diesem Link
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