Osnabrück/Frankfurt - Vor kurzem habe ich mich mit dem Thema der Spirituellen Patientenverfügung beschäftigen dürfen und habe dazu ein Interview in meinem Podcast veröffentlicht. Aber was genau ist das denn eigentlich? Eine spirituelle Patientenverfügung - im Gegensatz zur medizinischen Patientenverfügung oder zur Vorsorgevollmacht -, und was kann man mit ihr alles regeln? Wenn ich das mit eigenen Beispielen bebildern darf, muss ich ein paar Jahre in meine eigene Vergangenheit zurückgehen. Denn eine der prägendsten Zeiten meines Lebens war mein Zivildienst in einem Osnabrücker Altenheim Ende der 90er Jahre. Was ich dort alles miterleben musste, hat mich nachhaltig beschäftigt.
Da wurden morgens beispielsweise die wehrlosen Senioren in ein Wohnzimmer hineingerollt und auf Sofas verfrachtet, weil sie dort den ganzen Tag gut beobachtet sitzenbleiben und niemandem Probleme machen sollten. Und den ganzen Tag lief: Der Radiosender NDR 1, der damals noch eine völlig andere Klangfarbe hatte als heute. Ende der 90er lief dort vor allem Volksmusik und deutscher Schlager von Roberto Blanco bis Roland Kaiser - für mich als junger Mitt-20er war das eine musikalische Zumutung sondergleichen, aber vielleicht auch für manchen Bewohner? Gefragt worden, ob das Radio laufen sollte oder nicht, war nämlich keiner. Und selbst wenn diese Musik sicher manchem der Bewohner tatsächlich gefiel, wenn auch nicht allen, war das schlicht übergriffig. Ich habe mir damals schon gedacht: Lieber tot überm Zaun als den ganzen Tag wehrlos etwas ausgesetzt zu sein, was für mich eine musikalische Beschallungsvergewaltigung bedeutet. Was das mit dem Thema Spiritualität zu tun hat? Klare Sache: Alles.
(Alle Fotos: Thomas Achenbach) |
Denn wer beim Stichwort Spiritualität zuerst an eine Religion wie das Christentum oder den Buddhismus denkt, der verkennt den tatsächlichen Kern der Sache: Es geht zunächst einmal ausschließlich um den "Spirit", übersetzt den "Geist", also um alles, was unsere innere Würde und inneren Werte prägt, ob nun religiös konnotiert oder nicht. Man könnte sagen: Es geht um die Seele. Oder: Das Innere. Oder, eben, den Geist, wobei diese Bezeichnung bereits an buddhistische Interpretationen angelehnt ist. Und da kommt nun wieder der Faktor Altenheim ins Spiel: Wer jeden Tag einem Musikprogramm ausgesetzt sein muss, das ihm alle andere als behagt, der hat kein ruhiges Inneres, der sträubt sich innerlich dagegen. Es ließe sich auch so formulieren: Da ist der Geist im Aufruhr. Und nun stelle Dir bitte einmal vor, dies geschähe in Deinem eigenen Sterbeprozess - Du möchtest in Frieden gehen und neben Dir plärrt die Rosenberg: "Er gehööört zu mir, wie mein Naahame an der Tühüürr...", tüdelüdtüdelüd. Mal ehrlich, Leute, so möchte ich nicht sterben.
Würdevoll und in Frieden "sein" können - darum geht's
Und doch ist auch diese Sterberealität eine in Deutschland gerne praktizierte Sterberealität. Als meine Großmutter nach mehreren Schlaganfällen und der raschen Entlassung aus dem Krankenhaus in ein Einzelzimmer eines in Hameln am Berghang gelegenen Pflegeheimes umziehen musste, - wie wir heute wissen, bereits im beginnenden Sterbeprozess -, hielten es die Pflegekräfte dort für eine gute Idee, der alten Dame ein um das Vierfache als üblich lauter gedrehtes TV-Programm als 12-Stunden-Dauerbeschallung anzustellen, ohne jede Pause und vor allem: ungefragt. Woraufhin wir dann zugesehen haben, dass meine Großmutter in ein anderes Pflegeheim umziehen konnte, wo sie, in mehrfacher Hinsicht, würdevoll in Ruhe gelassen wurde. Und auch das ist ein Thema von Spiritualität - von einem inneren Kern, der würdevoll und in Frieden einfach "sein" kann. Im Sterben.
Als Expertin für dieses Thema gilt die Buchautorin Dorothea Mihm aus Frankfurt, die in ihrem Buch "Verbunden bis zuletzt", erschienen im Arkana-Verlag, eine Vorlage für eine spirituelle Patientenverfügung veröffentlicht hat. Wobei Dorothea Mihms klare Empfehlung wäre, dass ein jeder seine eigene Verfügung am besten handschriftlich verfassen sollte. So sagt es die ehemalige Krankenschwester und heutige Fachfrau für palliative-spirituelle Pflege in dem Interview, das sie mir freundlicherweise für meinen neuen Podcast "Trauergeschichten - Menschgeschichten" gegeben hat. Und wie sich in dem Interview zeigt, geben die vorab geschilderten Situationen aus den Altenheimen tatsächlich gute Impulse für das Thema Spirituelle Patientenverfügung. Es geht um die Hilflosigkeit. Und die Abhängigkeit - und der Hörsinn ist übrigens einer der letzten, der seine Arbeit einstellt. Stell Dir also vor, Du liegst da im Sterben und dann läuft Christian Anders im Radio: "Es fährt ein Zu-hug, nach Nirgend-wo, den es noch geee-heestern gar nicht gab...". Würdest Du das mögen? Oder doch lieber "Stairway To Heaven?" Oder gar nichts?
Hilflos als Mensch - in totaler Abhängigkeit
In einer Situation der totalen Abhängigkeit von anderen zeigt sich, wie wichtig es ist, dass die ureigene Individualität gewürdigt wird. Hierfür kann ich über eine Patientenverfügung gute Hinweise geben, indem ich mich vorab einmal frage: Wie möchte ich gepflegt werden, wenn ich selbst weder sprechen noch mich bewegen kann, aber trotzdem alles um mich herum mitbekomme? Was würde mir gut tun, was nicht? Möchte ich überhaupt, dass Musik läuft? Wo möchten ich gerne berührt werden? Möchte ich lieber von einem Mann oder von einer Frau behandelt werden oder ist es mir egal? Stichwort Inkontinenz - möchte ich so etwas wie einen Blasendauerkatheter, ja oder nein? Dem einen tut das gut, den anderen stört es sehr. Die Grundfrage ist: Was ist für mich Wesentlich? Erlebe ich mich beispielsweise als ein Mensch, dessen Geschlechtllichkeit eine wesentliche Rolle spielt - in meinem Fall also: Als Mann? Warum solche Fragen so wichtig sind, macht Dorothea Mihm in unserem Interview an einem eindrucksvollen Beispiel deutlich.
Sie erinnert sich an einen jungen Mann, der aufgrund der Behandlung seines fortschreitenden Hodenkrebses vom Bauchnabel an gelähmt war, der also seine Fäkalien und seinen Urin nicht mehr halten konnte. Als sie ihn - in ihrer damaligen Funktion als Krankenschwester - waschen wollte, blickt der Mann auf seine Windel hinunter und sagt: Wissen Sie ich bin zwar krank, aber ich bin immer noch ein Mann - warum werde ich hier behandelt als wäre ich ein Kind? Entwertet in seinem Bild als Mann, in seiner Männlichkeit, ist dieser Mann einem Leidensprozess ausgesetzt, der auch sein Inneres in Wut und Zorn bringt. Spirituell ausgedrückt: Es ist keine Ruhe im Geist. Weltlich gesagt: Der Mann ist aufgewühlt. Und wie Dorothea Mihm es schildert, gäbe es auch aus medizinischer Sicht Alternativen für die Windel, es gäbe andere Lösungen, die weniger lächerlich wären. "Es geht darum, dass ich mich in einem zu-friedenen Geisteszustand befinde, der so wenig wie möglich gestört wird durch die äußeren Umstände", beschreibt es Mihm in unserem Gespräch.
Große Wünsche: Natürliche Geburt, natürliches Sterben
Dorothea Mihm vergleicht in unserem Podcast-Gespräch die Wünsche, die Menschen an ihren Sterbeprozess anlegen könnten mit den Wüschen, die werdende Mütter für die Geburt ihres Kindes haben: Die meisten Mütter wollen am liebsten auf natürliche Art und Weise gebären. Nur wenn es wirklich nicht anders gehen sollte, sind sie mit medizinisch notwendigen Einschnitten einverstanden. Genauso wollen viele Menschen ein bewusstes Sterben erfahren in einem Prozess, den sich als möglichst natürlich erleben können.
Düfte, Gebete, Riten - was darf sein, was nicht?
Unser Gespräch zum Thema Spirituelle Patientenverfügung gibt es in meinem Podcast "Trauergeschichten - Menschgeschichten" unter diesem Link
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Lesungen, Vorträge, Workshops, Seminare, Trauergruppen und mehr: Alle aktuellen Termine mit Thomas Achenbach finden sich unter diesem Link
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