Freitag, 12. Februar 2021

Jeder hat seinen ganz eigenen Blick auf den Toten: Warum es bei Trauerfeiern so wichtig ist, alle Gäste mit einzubeziehen und warum freie Redner in Deutschland neue Qualitätsstandards brauchen - mein Gespräch mit Martin Diederich, Autor des Buchs "Reden als Ritualkunst" ist jetzt in meinem Podcast verfügbar

Osnabrück - Der Osnabrücker Martin Diederich möchte für die immer weiter wachsende Szene der freien Redner für Trauerfeiern und Hochzeiten eine neue Grundlage schaffen. Denn obwohl immer mehr Menschen in Deutschland ihre höchst privaten Rituale in die Hände von nicht-kirchlichen Rednern bzw. Ritualgestaltern geben, gibt es hierfür weder verbindliche Qualitätskriterien, noch Qualitätssiegel, noch gemeinschaftliche Standards, geschweige denn ein bundesweit verbindliches Curriculum für die Qualifizierung. Der Ex-Pastor Martin Diederich möchte das ändern, auch im Hinblick auf Trauerfeiern. Wie genau und warum überhaupt, das erzählt er in einer neuen Episode meines Podcasts "Trauergeschichten - Menschgeschichten", die jetzt online ist.

Martin Diederich hat ein Buch geschrieben, das die fachlichen Grundlagen für das Ritualdesign in Deutschland legen möchte: "Reden als Ritualkunst" heißt es - und sein Anspruch ist es, den Rahmen zu stecken dafür, wie freie Redner ihre Arbeit verstehen und eine eigene Haltung entwickeln können. Denn dass dieser Schritt nötig sein kann, zeigt die aktuelle Entwicklung in Deutschland. Der Markt für freie Redner ist von einem großen Wachstum geprägt - sie bieten Ihre Dienste für Trauerfeiern oder Hochzeiten ebenso an wie für Willkommensfeiern von Babys oder Übergangsfeiern von der Kindheit in die Jugend. Für die Menschen, die eine Feier organisieren wollen, heißt das aber auch: Wer die Auswahl hat, der hat die Qual. Denn wer freier Redner werden möchte, der kann ganz ungeprüft und ohne jede Qualifizierung seine Dienste anbieten. Was heutzutage dazu führt, dass oft schon die für Hochzeiten gebuchten DJs damit beginnen, ihre Dienstleistung einfach zu erweitern.  

(Foto: Thomas Achenbach)

Und wie es derzeit im Bereich des Coachings zu erleben ist, wächst mit dem Angebot an Aktiven auch das Angebot an Ausbildungsmöglichkeiten. Ein gemeinsames, bundesweit gültiges Verständnis von Qualitätskriterien für Redner, ein allerorten angewandtes Curriculum für die Qualifizierung von Rednern, also eine bundesweit genormte Ausbildung, nichts davon gibt es derzeit; das Wenige, was es gibt, steckt noch arg in seinen Kinderschuhen. Deswegen möchte Martin Diederich, der als ehemaliger Pastor in Osnabrück seine Dienste als Ritualgestalter anbietet, dazu anregen, sich noch einmal ganz grundsätzlich mit den fachlichen Grundlagen zu beschäftigen und eine neue Haltung zu entwickeln. Denn es dürfe nicht unterschätzt werden, was die Aufgabe als Freier Redner mit sich brächte. Oder wie Martin Diederich es formuliert: "Wir begleiten Menschen in schwerwiegenden Lebensübergangssituationen..."

Das Ritual teilt das Leben - ins Davor und Danach

Sowohl der Tod eines Menschen als auch der Eintritt in das Eheleben seien Wendepunkte, die das Leben unterteilten in ein Davor und ein Danach. Dem müsse auch das Ritual, das der Freie Redner zu gestalten hat, Rechnung tragen: Die Menschen bei diesem Übergang zu begleiten. "Es ist unsere Aufgabe, dass die Menschen in dieser neuen Lebensphase ankommen." So beschreibt es Martin Diederich in unserem Gespräch. "Und da finde ich es ganz bitter, wenn wir das einfach nur intuitiv machen müssen -  einfach, weil es die fachliche Grundlage dafür noch nicht gibt, und da möchte ich gerne ein bisschen helfen...". Zumal es noch einen weiteren ganz wichtigen Punkt zu berücksichtigen gälte:

(Foto: Thomas Achenbach)

Sowohl bei einer Trauerfeier als auch bei einer Hochzeit müsse es darum gehen, dieses Ritual, dieses Ereignis, nicht nur für die Hauptpersonen zu gestalten, sondern so, dass alle Gäste sich angesprochen fühlten und alle mit einbezogen sein könnten. Was vor allem bei einer Hochzeit eine Herausforderung sein könne, denn da kommt nach Martin Diederichs Worten ein sehr künstlich zusammengesetzter Personenkreis zusammen, der sich im realen Leben sonst nie so treffen würde: Kollegen ebenso wie Angehörige ebenso wie Freunde ebenso wie Nachbarn, etc. Dennoch gelte: Die Gäste müssen erfahren, warum sie wichtig sind. Auch bei Beerdigungen kann das eine Gratwanderung sein.

Martin Diederich aus Osnabrück (Foto: J. Escher).

"Ich will als Mensch auf dieser Beerdigung mitgenommen werden in meiner Sicht auf den Gestorbenen - und zwar so, wie diese Sicht ist", sagt Martin Diederich im Podcast. Das sei aber nicht immer einfach herzustellen, weil ja jeder Anwesende einen ganz eigenen Blick auf den gestorbenen Menschen gehabt habe. "Jeder kennt den ja anders", formuliert es Diederich "Es ist ein Riesenunterschied ob du Abschied nimmst als Ehepartner oder als Kind als als Kollege oder als Kumpel". Es sei durchaus schon vorgekommen, dass ein gestorbener Mensch alleine von seinen Kindern jeweils total unterschiedlich gesehen wurde... Das wiederum wirkt sich alles auf die Erwartungen an die Trauerfeier aus. "Du gehst ja nicht nur um mit einem Menschen, du gehst um mit diesem ganz unterschiedlichen Erleben von Menschen", formuliert der Osnabrücker es. Deswegen ist es nach Diederichs Auffassung so wichtig, dass im Vorgespräch zu den Anlässen sensibel vorgegangen und sehr gut zugehört wird. Nur...:

(Foto: Thomas Achenbach)

"Hören und verstehen, das muss geübt und gelernt sein, sonst versteht man falsch". Zumal das Vorgespräch zu einer Trauerfeier, aber auch zu einer Hochzeit, immer auch eine fast schon therapeutische Funktion erfüllt. "Das hat eine Begleitungsdimension", formuliert es Martin Diederich. "Wenn man mit Leuten redet, in so einer Situation, dann ist es Begleitung - Du redest über Gefühle, über Persönliches. Und es geht immer um die Beziehungsbedeutung." Es geht um Narrative, um Lebensgeschichten, um den Umgang mit Erinnerungen. Alles Ansprüche, die eine gute Haltung und eine fundierte Qualifizierung des Ritualgestalters nötig machen.

Das gesamte Gespräch mit Martin Diederich gibt es in meinem Podcast "Trauergeschichten - Menschgeschichten" unter diesem Link....

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Der Autor dieser Zeilen bietet Trauerbegleitung an in Osnabrück und im Osnabrücker Land an und hat eine Ausbildung zum Trauerbegleiter absolviert (Große Basisqualifikation gemäß des Bundesverbands Trauerbegleitung) und bietet Podcasts rund um das Thema Trauer an (bitte hier klicken). Thomas Achenbach ist der Autor der Bücher "Männer trauern anders - was ihnen hilft und gut tut", 168 Seiten, Patmos-Verlag und "Mitarbeiter in Ausnahmesituationen - Trauer, Pflege, Krise", 220 Seiten, Campus-Verlag. Mehr Infos auf www.thomasachenbach.de

Lesungen, Vorträge, Workshops, Seminare, Trauergruppen und mehr: Alle aktuellen Termine mit Thomas Achenbach finden sich unter diesem Link 

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Der neue Podcast von Thomas Achenbach: "Trauergeschichten - Menschgeschichten", Gespräche über Leben, Tod und Sterben, jetzt online

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