Montag, 10. August 2020

Warum ich der festen Überzeugung bin, dass das Thema "Trauer am Arbeitsplatz"/"Trauer im Beruf" in den kommenden 5 bis 10 Jahren zu einem der wichtigsten Themen für Unternehmen & Institutionen werden wird und warum dieses Thema auch und gerade mitten in der Coronakrise weiter im Fokus stehen sollte - und was sich alles schon getan hat (Neue Serie, Teil 1)

Osnabrück - Die erste große Welle der Coronakrise war gerade überstanden, da landeten wieder die ersten Einladungen zu Online-Vorträgen und Workshops in meinen E-Mail-Postfächern. Ob ich nicht weiterhin am Thema "Arbeitgebermarke" interessiert sei - oder auf Englisch "Employer Branding". Diese beiden Worte mögen für Nicht-Personalabteilungs-Erfahrene zwar so klingen, als würde da einem Angestellten ein Brandzeichen in die Haut eingedampft, wollen aber etwas ganz Anderes sagen: Es geht darum, sich als Arbeitgeber so attraktiv zu machen, dass die Angestellten gar nicht anders können als das Unternehmen einfach nur toll zu finden. Das soll Fluktuationen verhindern, soll Mitarbeiter motivierter machen und für ein so gutes Miteinander sorgen, das es sich in den Ergebnissen der Unternehmen bemerkbar macht. Meiner Meinung nach gehört das Thema "Trauer am Arbeitsplatz" unbedingt dazu - vor allem, wenn man auf die kommenden zehn Jahre guckt.

Im Augenblick, mitten in der beginnenden zweiten Welle der Coronakrise, haben die Unternehmen in Deutschland wieder andere Sorgen als sich um trauernde Mitarbeiter kümmern zu können. Oder um Mitarbeiter, die in einer Pflegeverantwortung stehen. Das ist klar. Und doch ist es gerade mitten im erneuten Aufschäumen dieser Coronakrise so wichtig, die oben erwähnte langfristige Perspektive nicht aus den Augen zu verlieren und über den Tellerrand der aktuellen Krise hinaus zu denken. Vor allem aus Sicht der Unternehmen. Denn die langfristige Perspektive heißt: Es gibt immer weniger Menschen, die arbeiten werden; die Menschen, die arbeiten gehen, werden immer älter sein und damit auch stärker betroffen von Pflegesituationen sowie von krisenhaften Ereignissen wie Tod, Trauer, Sterben. Das bedingt der Wandel der Gesellschaft. Eine kürzlich veröffentlichte Studie brachte es auf den Punkt: In manchen Regionen kommen in 10 bis 20 Jahren auf jedes neu geborene Kind rund vier gestorbene Menschen (mein Beitrag dazu findet sich hier).


(Alle Fotos: Thomas Achenbach)

Trauer am Arbeitsplatz, so etwas hat es bis vor kurzem offiziell gar nicht geben dürfen. Oder anders gesagt: So etwas war weder geduldet noch willkommen. Doch wer schon einmal in Trauer gewesen ist, der weiß, dass das so nicht funktionieren kann. Inzwischen bröckelt diese Einstellung jedoch, weltweit - und nicht nur die. Wie sehr dieses Thema die Menschen bewegen kann und wie wichtig es für den Unternehmeskontext ist, belegen auch die Zahlen meines Blogs: Der am meisten gelesene Artikel, der schon weit über 100000 Mal aufgerufen worden ist und jeden Tag wenigstens einmal einen neuen Leser findet, behandelt die Frage, ob ich als Arbeitnehmer in einer Trauer- und Verlustsituation eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bekommen kann oder nicht (ein frisch aktualisierter Artikel dazu findet sich unter diesem Link). Was wir dadurch lernen können: Menschen in einer Trauer- und Verlustsituation wollen wahrgenommen werden. Auch und gerade im Beruf. Hier und dort geschieht das auch bereits.


Aktuelle Ereignisse 


Denn schon vor Ausbruch der Coronakrise hatte sich viel getan, was das Thema Trauer im Beruf angeht (aktuelle Entwicklungen finden sich in dieser Artikelserie und in meinem aktuellen Buch "Mitarbeiter in Ausnahmesituationen - Trauer, Pflege, Krise", veröffentlicht im Campus-Verlag). Dann dauerte es nur zwei Wochen und die Welt war eine ganz andere. Doch je länger diese Krise nun andauert, desto klarer wird eines: Das Thema Trauer, sei es am Arbeitsplatz oder andernorts in unserer Gesellschaft, wird in Zukunft eine immer wichtigere Rolle spielen. Es wird höchste Zeit also, dass wir als Gesellschaft hier sprachfähiger werden. 


20 Tage bezahlte Trauerkarenz - das ist (noch) Ausnahme


Trauer, das war früher einfach nur Privatsache. Das gehörte nicht ins Büro oder an den Arbeitsplatz, es gehörte nicht zum Straßengespräch unter Nachbarn und nicht in den Smalltalk. So lautet viele Jahre lang die Maxime. Aber das funktioniert so einfach nicht: Abgesehen von Konzentrationsverlusten können sich zahlreiche Gefühle und Situationen einstellen, die ein Arbeiten nicht mehr möglich machen. Facebook hatte bereits vor ein paar Jahren den Anfang gemacht - das Unternehmen gewährt seinen Angestellt 20 Tage bezahlte Auszeit bei einem Trauerfall und ist damit international ein Vorreiter. Noch? Noch, das ist sicher. Denn Facebook ist inzwischen kein Einzelfall mehr, wie die kommenden Beiträge zu dieser Serie auf diesem Blog zeigen werden und wie es die Praxisbeispiele in meinem Buch "Mitarbeiter in Ausnahmesituationen" (Campus-Verlag) zeigen. Und auch wenn die Coronakrise viele Parameter in den Unternehmen umgestellt hat: Das Thema passt nach wie vor gut in unsere moderne Zeit. Vielleicht sogar: Gerade wegen der Krise. 



Denn mittlerweile ist die Arbeitswelt in Deutschland und in der ganzen Welt im Umbruch begriffen. Stand bis vor kurzem alleine die Effizienz im Vordergrund, sozusagen "Ohne Rücksicht auf Verluste", hatte sich der Fokus vor Ausbruch der Coronakrise immer mehr verschoben - hin zum einzelnen Arbeitnehmer und zu seinen Gefühlen. Aktuell dürften diese Trends wegen Kurzarbeit und Rezessionsängsten ein wenig an Tempo verloren haben, ihre allgemeine Gültigkeit bleibt jedoch. Der erste von zwei Megatrends wird dabei mit „Purpose“ beschrieben. Sprich: Unternehmen müssen ihren Mitarbeitern heutzutage Sinnhaftigkeit und Tiefe in ihrem Tun anbieten. Mitarbeiter wollen - und sollen - in ihrer Arbeit eine Aufgabe entdecken, die ihnen Sinn und Erfüllung bringen kann und mit mit der sie außerdem zu einem höheren Gemeinwohl beitragen können, das ist der Anspruch. Und der zweite Megatrend: Eine konsequente Hinwendung zum einzelnen Mitarbeiter und zu seinen Sorgen und Nöten. 

Mitarbeiter wollen Sinn in ihrer Arbeit finden


Wie weitreichend diese Entwicklungen sind, zeigen allerlei aktuelle Entwicklungen. So hat beispielsweise der ehemalige Geschäftsführer des Handelsblattes, Frank Dopheide, eine Agentur gegründet, die Unternehmen in Sachen Purpose und Mitarbeiterbindung berät: „Human unlimited“ heißt sie. Übersetzen ließe sich das mit „Unbegrenzte Menschlichkeit“. Da steckt ein hoher Anspruch in diesen zwei Worten. Und doch ist seine Agentur nicht die einzige, die sich diesem Ziel verschrieben hat. Wer "Purpose" googelt, findet mehrere Einträge gleich auf der ersten Seite. Und es tut sich noch eine Menge mehr, wie zum Beispiel in meinem Podcast zu hören ist (bei Interesse bitte hier klicken). 



Unter anderem deswegen bin ich überzeugt davon, dass die Themen meines neuen Buches - also; Trauer am Arbeitsplatz sowie die Pflege von Angehörigen durch Mitarbeiter - in den kommenden fünf bis zehn Jahren an gesellschaftlicher und unternehmerischer Relevanz enorm zunehmen werden. Alleine schon, weil der demographische Wandel die Arbeitnehmer immer älter werden lässt, aber auch weil diese Themen sehr gut in die großen aktuellen Trends in der internationalen Wirtschaft passen.


Hier wird nicht getrauert, hier wird geschuftet?!


"Bei uns wird gearbeitet, nicht getrauert“ – solche Sprüche hat die Münchner Trauerbegleiterin Franziska Offermann noch vor zehn Jahren zu hören bekommen, als sie auf einer Messe für Personalverantwortliche erstmals ihr Angebot vorstellte, wie sie einmal in einem Vortrag schilderte. Doch in Zeiten knapper werdenden Personals und in Zeiten der immer mehr in den Fokus rückenden sozialen Verantwortung von Unternehmen und Institutionen ihren Mitarbeitern gegenüber, geht das so nicht mehr. Ganz abgesehen von plötzlich über die Welt hereinbrechenden Krisen wie die aktuelle rund um das Coronavirus.



Einige neue und vorbildliche Entwicklungen hat es in Sachen Trauer am Arbeitsplatz inzwischen in Deutschland und in der Welt gegeben, die in mein Buch gar nicht mehr mit aufgenommen werden konnten, ganz einfach aus dem Grund, dass sie noch nicht offiziell waren, als das Buch in Druck gegangen ist. In den kommenden Wochen werde ich in Form einer Mini-Serie diese neuen Entwicklungen in den Blick nehmen und sie einzeln vorstellen. Noch weitere positive Praxisbeispiele, wie sich mit den Themen Trauer am Arbeitsplatz  und Pflegeverantwortung von Mitarbeitern vorbildlich umgehen lässt, finden sich in meinem Buch "Mitarbeiter in Ausnahmesituationen - Trauer, Pflege, Krise". Dieses ist im März 2020 im Campus-Verlag, Frankfurt, erschienen und versteht sich als Leitfaden für Führungskräfte, Personalverantwortliche und für Betriebsräte. In dem Buch finden sich viele Best-Practice-Beispiele dafür aus Hamburg, dem Ruhrgebiet, Nordhorn, aber auch aus Süddeutschland. Und doch ist diese Sammlung noch nicht komplett und muss laufend aktualisiert werden, denn es ist nach wie vor viel Schwung in diesem Thema 

Alle Folgen der Artikelserie zum Thema "Trauer am Arbeitsplatz":


Folge 1: In fünf bis zehn Jahren braucht jedes Unternehmen ein tragfähiges Konzept
Folge 2: England macht es vor: Das Jack's Law hilft Eltern beim Verlust eines Kindes
Folge 3: Damit ganz Europa sprachfähig wird in Sachen Trauer - eine neue Initiative
Folge 4: Warum "Trauer am Arbeitsplatz" jetzt Thema im Schulunterricht wird
Folge 5: Die deutschlandweit erste Trauer-Betriebsvereinbarung - so funktioniert sie

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Der Autor dieser Zeilen bietet Trauerbegleitung an in Osnabrück und im Osnabrücker Land an und hat eine Ausbildung zum Trauerbegleiter absolviert (Große Basisqualifikation gemäß des Bundesverbands Trauerbegleitung). Thomas Achenbach ist der Autor der Bücher "Männer trauern anders - was ihnen hilft und gut tut", 168 Seiten, Patmos-Verlag und "Mitarbeiter in Ausnahmesituationen - Trauer, Pflege, Krise", 220 Seiten, Campus-Verlag. Mehr Infos auf www.thomasachenbach.de

Lesungen, Vorträge, Workshops, Seminare, Trauergruppen und mehr: Alle aktuellen Termine mit Thomas Achenbach finden sich unter diesem Link 

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