Montag, 31. August 2020

Warum das Thema "Trauer am Arbeitsplatz" jetzt auch im Schulunterricht behandelt wird - ein neues Arbeitsbuch macht es bundesweit möglich (Serie zum Thema "Trauer im Arbeitsleben", Folge 4)

Osnabrück/Koblenz - Dass das Thema Trauer am Arbeitsplatz inzwischen sogar zum Schulstoff geworden ist, ist eine bemerkenswerte Entwicklung. Und sie zeigt wieder einmal, wieviel Schwung und Entwicklung im Augenblick in diesem Themenkomplex stecken. Im Frühjahr 2020 hat der Verlag "Vandenhoeck & Ruprecht" (V&R) ein Arbeitsbuch herausgebracht, das sich an die in Berufsschulen tätigen Religionslehrer richtet. "Trauer am Arbeitsplatz", heißt es - und mitbeteiligt an der Entwicklung des Buches war die Handwerkskammer Koblenz (HWK), die sich schon vor vielen Jahren diesem Thema zugewandt hat. 

Unter anderem deswegen taucht die Handwerkskammer auch als ein Praxisbeispiel von mehreren in meinem vor kurzem erschienen Buch "Mitarbeiter in Ausnahmesituationen - Trauer, Pflege, Krise" auf (Campus-Verlag, Frankfurt). Das Projekt Religionsunterricht wird in diesem Buchbeitrag am Ende bereits kurz erwähnt - ist dort aber noch als "im Entstehen begriffen" gekennzeichnet. Jetzt ist es fertig und deswegen lohnt sich ein genauerer Blick darauf. Dankenswerterweise hat mir die zuständige Geschäftsführerin der HWK Koblenz, Barbara Koch, ein Exemplar des neuen V-&-R-Buches zukommen lassen, das ich hier gerne vorstellen möchte. Wobei die erste Frage, die sich einem stellen kann, vermutlich lautet: Wieso eigentlich ausgerechnet im Religionsunterricht?


(Alle Fotos: Thomas Achenbach)

Zwar finden sich es im Vorwort zu dem Buch allerlei Antworten auf diese Frage - unter anderem wird auf Jesus von Nazareth und das Alte Testament Bezug genommen -, aber meiner Meinung ist die wichtigste Antwort: Weil es sich um Unterrichtisdeen für eine Berufsschule handelt. Und weil gerade eine Berufsschule in besonderer Weise auf das praktische, tatsächliche Leben vorbereitet, nicht nur das Berufsleben. Das durfte ich erstens selbst erleben während meiner Ausbildung zum Schriftsetzer Mitte der 90er Jahre und zweitens habe ich einmal am Rande einer Ausstellung über Straßenkreuze erfahren, dass es gerade die Berufsschulen sind, die oft mit dem Tod von Schülern zu tun haben. Meistens, weil sie bei Verkehrsunfällen sterben und weil an einer Berufsschule bis zu 1000 Schüler und mehr zusammenkommen, von denen viele schon erwachsen sind. 


Praktische Anwendbarkeit und viele Hintergründe


Inhaltlich spannt das Buch einen recht großen Bogen: Beginnend bei allgemeinen Informationen über Formen der Trauer und darüber, wie sich Trauer zeigen kann, geht es später sogar in den beinahe seelsorgerischen bzw. trauerbegleitenden Bereich. Wichtig war den Autoren die Anwendbarkeit in der beruflichen Praxis. Wenn es beispielsweise um den Tod eines Vaters geht, dessen Kind in einer Kita betreut wird, wird dieser Fall aus der Perspektive der dort angestellten Erzieher beleuchtet: Wie können sie sich verhalten? Was können sie sagen? Was hilft? Wie gehen sie mit ihrer eigenen Sprachlosigkeit und ihrem Entsetzen um? Das Buch macht an dieser Stelle nicht Halt, sondern dekliniert die verschiedensten Möglichkeiten durch - was tun, wenn Chefs sterben? Kollegen? Mitarbeiter? Geschäftspartner? Aber auch die verschiedensten religiösen Fragen finden Raum: Sollte es einen Gott geben - wovon das Buch, weil es sich an Religionspädagogen wendet, eher ausgeht -, warum lässt er soviel Trauer und Tod dann zu? 


Jedoch handelt es sich immer auch um ein Arbeitsbuch. Das wird deutlich an den Stellen, an denen es um die Frage von Orten der Trauer in Unternehmen geht und um die Frage, welche Rituale dann hilfreich sein können. Wo ein Ratgeber wie beispielsweise mein aktuelles Buch "Mitarbeiter in Ausnahmesituationen - Trauer, Pflege, Krise" mit allerlei Ideen und Praxisbeispielen aufwarten kann, lädt das V&R-Buch die Schüler dazu ein, eigene Ideen zu entwickeln. Für das Verfassen eines Kondolenzschreibens sowie einer Beileidskarte gibt das Buch wiederum praktische Baukastensysteme mit, aus denen sich eignene Texte entwickeln lassen. Weil es sich um ein grundsätzlich religiös geprägtes Arbeitsbuch handelt, gibt das Autorenteam immer wieder Einblicke in andere religiöse Traditionen als die christliche: Wie werden die Themen Trauer, Tod und Sterben im jüdischen oder muslimischen Kontext behandelt, auch darauf geht das Buch ein (dass die buddhistische Perspektive hierbei ausgeschlossen wird, mag sich durch den Fokus auf das Religiöse erklären, ist aber dennoch bedauerlich - einer meiner wenigen Kritikpunkte).


Eine gelungene Mixtur der verschiedensten Themen rund um Trauer, spannende Ansätze und die gute Übertragbarkeit in den Beufsalltag machen dieses Buch zu etwas ganz Besonderem. Möge es eine vielfältige Anwendung finden - denn dieses so wichtige Thema schon in den jungen Berufsjahren zu etablieren, ist ein wichtiger und zielführender Ansatz. Zumal das Thema Trauer am Arbeitsplatz, davon bin ich überzeugt, in den kommenden fünf bis zehn Jahren zu einem immer wichtigeren und immer nötigerem Thema werden wird (wie im ersten Artikel dieser Serie näher ausgeführt, siehe hier).


Praxisbeispiele aus ganz Deutschland


Viele Beispiele aus der konkreten Praxis darüber, wie das Thema Trauer im Arbeitsleben derzeit von Unternehmen und Institutionen gepflegt und bearbeitet wird, finden sich übrigens in meinem Buch "Mitarbeiter in Ausnahmesituationen - Trauer, Pflege, Krise". Das Buch versteht sich als Leitfaden für Führungskräfte, Personalverantwortliche und für Betriebsräte. Die darin versammelten Beispiele zeigen, was sich in Deutschland in Sachen Trauer am Arbeitsplatz bzw. Unterstützung von pflegenden Mitarbeitern getan hat, beispielsweise aus Hamburg, dem Ruhrgebiet, Nordhorn, aber auch aus Süddeutschland 

Alle Folgen der Artikelserie zum Thema "Trauer am Arbeitsplatz":


Folge 1: In fünf bis zehn Jahren braucht jedes Unternehmen ein tragfähiges Konzept
Folge 2: England macht es vor: Das Jack's Law hilft Eltern beim Verlust eines Kindes
Folge 3: Damit ganz Europa sprachfähig wird in Sachen Trauer - eine neue Initiative
Folge 4: Warum "Trauer am Arbeitsplatz" jetzt Thema im Schulunterricht wird
Folge 5: Die deutschlandweit erste Trauer-Betriebsvereinbarung - so funktioniert sie

--------------------------------------------------------------------------------------------------------------

Der Autor dieser Zeilen bietet Trauerbegleitung an in Osnabrück und im Osnabrücker Land an und hat eine Ausbildung zum Trauerbegleiter absolviert (Große Basisqualifikation gemäß des Bundesverbands Trauerbegleitung). Thomas Achenbach ist der Autor der Bücher "Männer trauern anders - was ihnen hilft und gut tut", 168 Seiten, Patmos-Verlag und "Mitarbeiter in Ausnahmesituationen - Trauer, Pflege, Krise", 220 Seiten, Campus-Verlag. Mehr Infos auf www.thomasachenbach.de

Lesungen, Vorträge, Workshops, Seminare, Trauergruppen und mehr: Alle aktuellen Termine mit Thomas Achenbach finden sich unter diesem Link 

-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------

Ebenfalls auf diesem Blog: Warum sich Trauernde förmlich zerrissen fühlen müssen - eine Einführung in das "Duale Prozessmodell der Trauer" und seine Fallstricke

Ebenfalls auf diesem Blog: Gibt es so etwas wie Leichengift? Und stimmt es, dass die Nägel von Toten noch lange weiterwachsen? Ein paar Antworten auf sechs große Fragen

Ebenfalls auf diesem Blog: Tipps zum Umgang mit Trauernden und mit Trauer - was Menschen in einer Trauer- und Verlustkrise hilft und was man Trauernden sagen kann 

Ebenfalls auf diesem Blog: Wie eine Familie den Geburtstag der gestorbenen Tochter jedes Jahr als Abschieds- und Lebensfest gestaltet und warum das Mut machen kann

Ebenfalls auf diesem Blog: Darf ich einen Menschen in Trauer eigentlich auf seinen Trauerfall ansprechen oder mache ich damit alles nur noch schlimmer? Ein paar Tipps...

Ebenfalls auf diesem Blog: 27 gute Rituale für eine Trauerfeier - wie sich eine Gedenkfeier so gestalten lässt, das sie den Angehörigen/Trauenden gut tun kann

Ebenfalls auf diesem Blog: Was muss ich machen, wenn ich wegen Trauer krankgeschrieben werden möchte? Geht das überhaupt und wenn ja, wie denn?

Ebenfalls auf diesem Blog: Der Fluch der Tapferkeit - warum es Menschen in der modernen Gesellschaft so schwer fällt Trauer als etwas Normales anzuerkennen

-----------------------------------------------------------------------------------------------------------------------


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen