Wie die dpa (Deutsche Presse-Agentur) im Februar 2016 schrieb, gibt es Schätzungen zufolge bundesweit jährlich zwischen 100 000 und 200 000 Fehlgeburten. Aber noch viel wichtiger „Anders als bei Totgeburten – das sind Föten über 500 Gramm – besteht keine Meldepflicht. Die Anzahl der Kinder, die mit weniger als 500 Gramm lebend zur Welt kommen und dann sterben, ist nicht bekannt“, so schrieb es die dpa weiter. Tatsächlich gibt es eine große Dunkelziffer, weil sich Eltern von Sternenkindern auch selten in die Öffentlichkeit trauen. Was schade ist, denn ihr Leid ist oft groß. Was also kann helfen im Umgang mit Eltern, die ein Kind noch im Mutterbauch verlieren müssen? Oder während der Geburt - oder kurz danach? Denn all diese Dinge kommen vor...
Das Schlimmste, was werdenden Eltern geschehen kann.... (Thomas-Achenbach-Foto) |
Wichtig ist vor allem, sich zu verinnerlichen: Jedes gestorbene Kind, egal in welcher Phase, ist eine emotionale Katastrophe für die Eltern. Es ist dabei ganz egal, ob das Kind erst ein Embryo von acht Wochen war oder ein drei Jahre altes Kindergartenkind. Das Kind hatte einen Namen, soviel ist sicher. Es hatte ein Kinderzimmer, in dem es wohnen sollte (oder, später, gewohnt hat). Und so ist das Wichtigste im Umgang mit Eltern, die ein Kind verlieren mussten, ihnen das zu spiegeln: Dass es sich dabei immer um den Verlust von etwas Unersetzlichem handelt. Dass ihr Schmerz so tief sein darf, wie er sich anfühlt. Dass das dazugehört. Dass sie sich aber völlig zu Recht als Eltern fühlen dürfen, als Eltern eines Kindes, auch, wenn dieses leider nicht lange leben durfte. Was ebenfalls gut tun könnte:
Jedes Kind hat einen Namen - also nennen wir ihn
Das Kind, wenn bekannt, bei seinem Namen nennen. Es ist eben nicht einfach nur "das Baby", sondern es war ein kleiner Mensch mit einem eigenen Namen. Bestimmt auch schon mit einem Zimmer, in dem er hätte wohnen sollen. Wem es gelingt, das Kind beim Namen zu nennen, der tut den Eltern von Sternenkinder vermutlich einen großen Gefallen. Denn darin schwingt die Anerkennung mit, dass eben ein "vollwertiger Mensch" leider viel zu früh wieder gehen musste. Und ansonsten gilt im Umgang mit trauernden Eltern genau das, was allgemein im Umgang mit Menschen in Trauer gilt... Nämlich:
Wiederholungen aushalten - und die Stille auch
Keine Angst vor der Stille haben. Auch gemeinsames Schweigen kann hilfreich sein. Es ist wichtiger, bei den Trauernden zu sein, als vor der Stille zu flüchten oder sie mit allzu vielen Worten auszukleiden zu versuchen. Wenn etwas gesagt wird, kann es durchaus sein, dass es sich dabei oft um das Gleiche handelt. Vielleicht sogar wieder und wieder und wieder. Das ist normal und gehört dazu. Wiederholungen auszuhalten ist wichtig im Umgang mit Menschen in einer Verlustkrise. Denn das ist kein Zeichen von Stillstand, sondern im Gegenteil ein wichtiger Bestandteil des Prozesses. Denn es hilft den Menschen dabei, sich einem Begreifen anzunähern - einem Begreifen von etwas eigentlich ganz Unbegreifbarem. Und ein ganz wichtiger Tipp:
Es ist hilfreich Trauernden möglichst nicht die eigenen Erfahrungen mit Tod und Trauer mitteilen zu wollen oder gut gemeinte Tipps geben zu wollen, mag die Versuchung auch sehr, sehr groß sein (das ist sie durchaus, selbst mir geht das manchmal noch so, das ist ja nur menschlich!). Vorsicht gilt vor allem vor allen Killerphrasen: Die Zeit heilt alle Wunden. Oder: Da wirst Du schon noch drüber wegkommen. So gut gemeint all das auch ist, es hat doch den gegenteiligen Effekt: Es versucht die Gefühle abzuschwächen, die Trauer milder zu machen als sie ist. Aber Trauer darf wild sein und einen durchschütteln, sie darf einen zu Boden drücken und einen so wütend machen wie kaum etwas anderes. Das gehört alles dazu. Das ist okay so. Wenn Sie gar nichts zu sagen wissen, sprechen Sie das einfach an - "mich macht das so sprachlos" ist allemal besser als "Du kannst ja noch andere Kinder haben". Und als kleines Zeichen: Zünden Sie am Tag des "World Wide Candlelightings" eine Kerze an für die verstorbenen Kinder, stellen Sie sie in ihr Fenster (und schicken vielleicht den Eltern davon ein Handyfoto). Als kleines Zeichen des Mit-Gedenkens und Mit-Trauerns und des Mit-Gehens auf einem der schwierigsten Wege, die das Leben bieten kann.
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Der Autor dieser Zeilen steht in Osnabrück und im Osnabrücker Land als Trauerbegleiter zur Verfügung. Thomas Achenbach ist zertifizierter Trauerbegleiter nach den Standards des BVT (Große Basisqualifikation).
Thomas Achenbach ist der Autor dieser drei Bücher:
-> "Das ABC der Trauer - 77 Rituale und Impulse" (Patmos-Verlag)
-> "Mitarbeiter in Ausnahmesituationen - Trauer, Pflege, Krise" (Campus-Verlag)
-> "Männer trauern anders - was ihnen hilft und gut tut" (Patmos-Verlag)
Mehr Infos auf www.thomasachenbach.de.
Lesungen, Vorträge, Workshops, Seminare, Trauergruppen und mehr: Alle aktuellen Termine mit Thomas Achenbach finden sich unter diesem Link
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Lieber Thomas,
AntwortenLöschendanke, dass du mich auf dich, deinen Blog aufmerksam gemacht hast!
Ich habe mich gerade etwas umgeschaut, und finde toll, was du machst!
Neben all den Geschichten und Erlebtem der Sternenkindmamas auf meinem Blog, habe ich selbst meinen ersten Sohn verloren und bin froh, dass es Leute wie dich gibt,
Hut ab!
Lieben Gruß
Yvi von mamasdaily.net
Liebe Yvi, vielen Dank für deine nette Antwort. Ich finde es toll, wenn es Leute gibt wie Dich, die so offen ihre Geschichte erzählen - dafür vielen dank!
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