Freitag, 26. Januar 2024

Nein, die Messe "Leben und Tod" darf nicht eingestellt werden - eine Nachricht, die mich kalt erwischt und ziemlich schockiert hat, und meine erste Reaktion darauf - (Update Anfang April 2024: Inzwischen ist die Messe Leben und Tod verkauft worden)

Update, 9. 4. 2024: Wie sich inzwischen herausgestellt hat, ist die Messe Leben und Tod verkauft worden. "Ab August 2024 wird die Veranstaltung mitsamt dem bewährten Team Meike Wengler und Alexander Kim durch die Ahorn Gruppe übernommen. Sie hat ihren Hauptsitz in Berlin, doch die Veranstaltungsorte bleiben weiterhin Bremen und Freiburg", so heißt es in einer Pressemitteilung der Ahorn Gruppe. Selbige hatte zuvor schon das Internetportal "Emmora" übernommen, das digitale Pakete rund um Bestattungen und Trauerbegleitungen angeboten hatte.

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Osnabrück/Bremen. Sie hatte sich gerade neu aufgestellt, hatte die Coronazeit gut überstanden, hatte mit neuen Digitalangeboten ihr Spektrum erweitert, sie hatte stets hervorragende Besucherzahlen und sie hat sogar einen Süddeutschland-Ableger erfolgreich über den Weißwurst-Äquator exportiert...  - das muss man einer Messe aus Norddeutschland erstmal nachmachen. Und nun soll die "Leben und Tod" dennoch eingestellt werden? 

Oder zumindest soll ihre Überlebensfähigkeit kritisch überprüft werden? So meldet es jedenfalls der Weser Kurier in einem Text am 26. Januar 2024 (mit Paywall) und beruft sich dabei auf Informationen, die die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP) mit Sitz in Berlin erhalten hat.

Harte Worte. "Wir sind darüber informiert worden, dass die Veranstaltung aus wirtschaftlichen Gründen zur Disposition steht", so wird der DGP-Geschäftsführer Heiner Melching in dem Artikel des Weser Kuriers zitiert. Eine Nachricht, die nicht nur in Berlin für "Verwunderung und Bestürzung" gesorgt hat, sondern die alle Menschen betrifft, die in irgendeiner Weise mit den Themen Hospizkultur, Trauberbegleitung, Palliativversorgung, Seelsorge oder Pflege verbunden sind. 

Auch für mich kam das total unerwartet - und es hat mich durchaus schockiert. 

Die Messe "Leben und Tod" selbst hingegen zeigt sich weitestgehend unbeeindruckt. Während die Leser des Artikels noch über dessen Bedeutung rätseln, erscheint auf dem Facebook-Auftritt der Messe ein neuer Post, der auf weitere kommende Vorträge im Mai hinweist. "Ihr seht, auch in diesem Jahr haben wir ein interessantes Programm zusammengestellt", heißt es dort wohlgemut. Also Aufatmen? 

Zumindest die Mai-Ausgabe 2024 in Bremen wird auf jeden Fall stattfinden, das dürfte eindeutig sein. Also woher rühren die apokalyptischen Orakel? Zumal der Weser-Kurier in seinem Text von "mehreren Quellen" spricht, die er nicht näher aufführt, die aber allesamt ein Ende der Veranstaltung für möglich halten.   

Ich erinnere mich an meinen ersten Besuch der Messe, im Mai 2015. Ich war damals als Berichterstatter gekommen. Gegangen bin ich als Fan. Ich erinnere mich, wie mich die Worte von Rolf Zuckowski berührt hatten, als er auf der Bühne über den Tod seiner Mutter gesprochen hatte. Ich erinnere mich, wie mich ein Gefühl von leisem, aber nötigem Revolutionsgeist ergriffen hatte, nachdem ich Bestattern wie David Roth oder Barbara Rolf zugehört hatte. Die Kunden müssten die Bestatterbranche umkrempeln, und nicht umgekehrt, sagten sie. Oder anders gesagt: 


Bunt, sonnig und geradeaus - so soll die Zukunft der "Leben und Tod" bitte sein (Foto: Thomas Achenbach)

Unsere Gesellschaft muss sich mit dem Tabuthema Tod neu auseinandersetzen. Wobei gerade die Messe "Leben und Tod" seit Jahren aktiv einen Raum anbietet, in dem das geschehen kann - in guter Form geschehen kann. Ich denke an die vielen Gedanken und Impulse, die ich von der Messe jeweils mitbringen konnte (Eindrücke davon gibt es hier, oder hier oder hier oder hier). Ich denke gerne daran, wie viele Kolleginnen und Kollegen aus ganz Deutschland und dem Ausland ich treffen konnte, jedes Jahr ein großes Klassentreffen, sich zwischendurch irgendwo verabreden, ach, nicht nötig, wir haben doch die Messe. Man sieht sich also in Bremen. Oder Freiburg. 

Geblieben wird dann meistens mehrere Tage lang - so dass sich die "Leben und Tod" auch in den Hotels bemerkbar machen müsste. In Bremen getroffen habe ich Menschen aus Österreich, Stuttgart, Berlin, Bayern, Hessen, Brandenburg und dem Saarland, alles Gäste, die wenigstens eine Nacht im Hotel verbrachten. Meistens zwei Nächte. Selbst wir aus dem vermeintlich nahen Osnabrück sind mit einer kleinen Delegation von Trauerbegleitern schon mehrfach im Hotel abgestiegen, um nach dem Messetag noch gemeinsam einen Abend in Bremen verbringen zu können. In der Gastronomie vor Ort, die ebenfalls von den Gästen profitiert. 

Und das soll nun alles auf der Kippe stehen?

Der Weser Kurier listet die Erfolge auf, die die "Leben und Tod" in jüngster Zeit vorzuweisen hat: Die Messe sei mit den Jahren deutlich gewachsen – von anfangs rund 60 Ausstellern und gut 300 Teilnehmern bis zu etwa 140 Ausstellern und mehr als 5000 Besucherinnen und Besuchern. Zitiert wird auch die Messeleitung selbst: "Die Messe ist zu einer der führenden Hospizveranstaltungen in Deutschland geworden". Nun gut, zugegeben:


Fernsehteams, großes Medienaufkommen - die "Leben und Tod" stieß jedes Mal auf eine große Resonanz.

Auch ich hatte mich in den vergangenen Jahren mehr auf die Digitalpakete verlassen als mich persönlich in die Messehallen zu begeben. Erst war Corona, dann war einfach keine Zeit, dann war es einfach praktischer (dabei war ich sogar in Freiburg, als die erste Exportmesse dort stattfinden sollte - die fiel dann wegen Corona aus, ich bin trotzdem dorthin gefahren). Zugegeben: Ich habe es genossen, als Interviewgast im Podcast Schlussworte dabei sein zu dürfen, eben weil der Podcast das Qualitätssiegel "Messe Leben und Tod" trägt und damit etwas ganz Besonderes ist (dabei sein zu dürfen, habe ich auch als Ehre empfunden). Zugegeben: Ich habe ein ganz persönliches Interesse daran, dass die Messe weiter existiert, ich soll dort 2025 einen Vortrag halten. Worauf ich schrecklich Lust hätte. 

Und dennoch - was viel wichtiger ist: Wenn es überhaupt eine Messe gibt, die als Publikumsmesse für die breite Öffentlichkeit wirklich eine Relevanz hat, dann ist es die "Leben und Tod". Klar, alles, was mit dem Tod zu tun hat, weckt erstmal irgendwie Ängste - und doch macht gleich der erste Schritt über die Türschwelle in die Messehalle deutlich, dass die Ängste dort gar keinen Platz haben. Freundliche Farben, freundliche Menschen, munteres Stimmengewirr. Tod? Okay.

 


Denn das ist die Messe auch jedes Mal aufs Neue: Ein bunter, lebensfroher, sogar lustiger Ort, an dem herzlich gelacht wird, an dem sich herzlich geherzt wird, an dem das Leben zeigt, wie schön es sein kann. Eben weil sein Ende das Thema ist. 

Wo sonst kann ich mich ein ganzes Wochenende lang in einem so freundlichen Umfeld in aller Ruhe damit auseinandersetzen, wie ich mir mein persönliches Lebensende einmal vorstellen könnte? Wie mein Sterben einmal sein sollte? Wie meine Trauerfeier aussehen könnte? Wo sonst, wenn nicht irgendwann beim Bestatter, dann, wenn es längst zu spät ist und wenn alles auf einmal entschieden sein muss.

Die "Leben und Tod" darf nicht sterben, weil sie es mitten im Leben möglich macht, sich in herzlicher Freundlichkeit dem Tod anzunähern, so nah, wie es eben geht. Und dann wieder weggehen zu können. Weil sie rechtzeitig vorher aufzeigt, wieviel Gestaltungsspielraum wir dennoch haben können - in eine Situation hineingefügt, in der es scheinbar kaum noch Gestaltungsspielraum gibt. Weil sie Perspektiven eröffnet auf dieses Tabuthema, das längst enttabuisiert gehört. Und weil sie trotz allem einfach schön ist. Wo gibt es das schon?

Ganz besiegelt scheint das Ende der Messe tatsächlich noch nicht zu sein. 



So zitiert der Weser Kurier auch einen Sprecher der Bremer Messegesellschaft M3B, Christoph Sonnenberg: "Für die Messe ,Leben und Tod' gibt es keinen Beschluss, dass sie nicht mehr stattfinden wird“.

Noch ist also offenbar alles offen. Oder zumindest vieles. Und deswegen, nochmal und in aller Dringlichkeit: Die "Leben und Tod" darf nicht sterben. Punkt.

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Der Autor dieser Zeilen steht in Osnabrück und im Osnabrücker Land als Trauerbegleiter zur Verfügung. Thomas Achenbach ist zertifizierter Trauerbegleiter nach den Standards des BVT (Große Basisqualifikation). 

Thomas Achenbach ist der Autor dieser drei Bücher: 

-> "Das ABC der Trauer" (Patmos-Verlag, Herbst 2023)
-> "Mitarbeiter in Ausnahmesituationen - Trauer, Pflege, Krise" (Campus-Verlag).
-> "Männer trauern anders - was ihnen hilft und gut tut" (Patmos-Verlag)

Mehr Infos auf www.thomasachenbach.de

Lesungen, Vorträge, Workshops, Seminare, Trauergruppen und mehr: Alle aktuellen Termine mit Thomas Achenbach finden sich unter diesem Link 

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Auf dem Portal der Neuen OZ zu finden: Das ABC der Trauer - wie der Osnabrücker Trauerbegleiter trauernden Menschen Halt geben möchte

Ebenfalls auf diesem Blog: Ist Trauerbegleitung ein echter Beruf? Kann man von Trauerbegleitung leben? Und wie werde ich überhaupt Trauerbegleiter?  

Ebenfalls auf diesem Blog: Warum sich Trauernde förmlich zerrissen fühlen  - eine Einführung in das "Duale Prozessmodell der Trauer" und seine Fallstricke

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