Osnabrück - Irgendwann im Laufe dieses Silvesternachmittags schickt mir meine Frau eine E-Mail mit Anhang. Tenor: Guck mal, das wäre meine Version gewesen von dem Essay, das heute erschienen ist (hoffnungsvoller Ausblick 2021). Ein Kollege der Neuen Osnabrücker Zeitung hatte ihr gesagt, dass sie eventuell einen entsprechenden Text schreiben müsste - dazu kam es am Ende nicht; ein anderer Kollege aus dem Feuilleton hat diese Aufgaben dann übernommen. Doch der Text war schon im Kopf. Und deswegen jetzt hier - als Gastbeitrag, von Cornelia Achenbach:
Ich habe einen Arbeitsauftrag. Ich soll einen Text schreiben, das ist mein Job. Einen Text, der Mut machen soll. Ein Ausblick auf das neue Jahr.
Ich sitze in meinem improvisierten Arbeitszimmer in
Osnabrück und blicke nach draußen. Es regnet, schon wieder. In den
Kinderbüchern meiner Tochter schneit es zu dieser Jahreszeit immer. Seit sieben
Jahren wartet sie auf weiße Weihnacht. Sie wird es schon noch lernen.
Das RKI meldet 32.552 Corona-Neuinfektionen und 964 neue
Todesfälle. Ich versuche meinen Kollegen am Handy zu erreichen: Entschuldige,
ich kann diesen Text nicht schreiben. Gibt es nicht irgendwas Konkretes, über
das ich berichten kann? Wird irgendwo eine Straße gesperrt? Ein Gebäude
eingeweiht? Ein Scheck übergeben?
Ich erreiche ihn nicht.
964 Todesfälle mal die dazugehörigen Familien, Freunde,
Nachbarschaften, Arbeitskollegen. Wie könnte ich da den zugelassenen Impfstoff
zu einer großen Hoffnungsblase aufpumpen, irgendetwas salbadern vom Licht am
Ende des Tunnels, mir Sätze aus Literatur und Geschichte ziehen, die zwar nicht
trösten, dafür gebildet klingen?
(Foto: Pixabay.com, Cc-0-Lizenz) |
Wen sehe ich überhaupt noch? Mein improvisiertes
Arbeitszimmer und den Osnabrücker Regen, meinen Mann und mein Kind und den eng
gezogenen Radius um unser Haus. Ich muss an dieser Stelle unbedingt
einschieben, dass wir privilegiert sind, uns
geht’s ja so gut, wir sind gesund und haben keine finanziellen Sorgen, wir
haben ein Haus und einen Garten, das muss unbedingt in diesen Text rein.
Ich lese, dass es Probleme mit der Lieferung des Impfstoffes
gibt. Dass Israel viel schneller mit dem Impfen voran kommt als wir. Und dass
dieser daran Schuld trägt oder jener, dass jetzt
endlich Köpfe rollen sollen.
Im Wohnzimmer läuft schon das dritte Hörspiel der „Fünf
Freunde“ an diesem Morgen. Ich muss ja diesen Text schreiben, ich habe jetzt
keine Zeit zum Spielen. Fünf Haushalte und Timmy, der Hund. Der zählt nicht.
Meine Tochter will ihre Freundinnen sehen. Aber ob das so gut ist? Schule
wird’s so bald vermutlich nicht geben, ich muss dringend mal meine Urlaubstage
durchzählen. Das könnte ich dem Kollegen, der mir diesen Arbeitsauftrag gegeben
hat, auch gleich noch mitteilen. Ich wähle noch mal, aber niemand geht ran. Ich
schreibe ihm eine Email: Ruf mich bitte mal zurück – ich habe noch keinen
einzigen brauchbaren Satz geschrieben. Ich kann keine Hoffnung machen auf
irgendwas, sorry.
Wir diskutieren über Grundrechte, Privilegien und sind alle
müde. Ich weiß von Menschen, die in diesem Jahr alleine im Krankenhaus sterben
mussten.
Impfstoff, Frühling, alles wird gut? Mir ist zum Heulen
zumute.
In meinem Umfeld hat es immer Menschen gegeben, die gegen
Depressionen ankämpfen mussten. Ich erinnere mich an einen Kommilitonen, der
nicht mehr in der Lage war, sein Bett zu verlassen. Der morgens aufwachte und plötzlich nichts mehr fühlte. Er sagte mir, er fühle sich innerlich tot. Eiskalt. Da
sei keine Melancholie, er sei nicht traurig, da sei einfach nichts.
Ich kann nicht für die Gesellschaft sprechen, Gott bewahre.
(Foto: Thomas Achenbach) |
Das große Wir macht mir Sorgen. Ich
kann nur über die Menschen schreiben, die mich umgeben. Und die stecken derzeit
in keiner Depression. Sie sind traurig.
Und das ist gut. Das ist vielleicht das einzig Gute, das ich derzeit wirklich sehen kann. Dass wir uns vermissen. Dass es verdammt schwer fällt, auf Abstand zu gehen und sich nicht zu umarmen. Und dass da noch so viel über Achtsamkeit oder Entschleunigung geschrieben werden kann – da draußen sind Menschen, die wir lieb haben und denen wir nah sein wollen. Ich will, dass sie alle noch da sind, wenn ich geimpft bin, wenn sie geimpft sind. Ein Mut machender Hoffnungsschimmer für 2021 ist das vielleicht nicht. Aber mein allergrößter Wunsch.
Mein Kollege ruft an. Ich muss keinen Text schreiben. Das übernimmt ein anderer. Besser ist es. Ein frohes Neues.
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