Osnabrück - Es war ein richtungsweisendes Jahr, dieses Coronajahr 2020 - auch und vor allem im Hinblick auf die Themen Tod, Trauer und Sterben. Hier sind fünf meiner Meinung bemerkenswerte Ereignisse, die eine Nachbetrachtung verdient haben und die uns noch weiter beschäftigen werden und auch sollten. Auch wenn es unpassend zu sein scheint, bei dem vielen Leid und den vielen zusätzlichen Nöten, die dieses Jahr über uns gebracht hat, von "Ermutigungen" zu sprechen, gibt es doch Ereignisse, die gerade in der Krise ein wenig Hoffnung gemacht haben und die die richtigen Schlaglichter gesetzt haben. Hier sind sie:
1.) Wie Herzogin Meghan allen Eltern Mut macht, über ihre Fehlgeburten zu sprechen und diese nicht verschämt in der Schweigezone zu verstecken: In einem persönlich verfassten Artikel für die "New York Times" machte die Herzogin ihre Schmerzen und Erfahrungen rund um eine im Sommer erlebte Fehlgeburt öffentlich. Und sie lobt in ihrem Text, sinngemäß, alle Menschen, die offen über ihre schmerzvollen Lebenserfahrungen wie eine solche sprechen können und ermutigt ihre Leserinnen und Leser, genau das zu tun. Meghan bezeichnet solche Menschen als Türöffner. "Dadurch, dass wir eingeladen sind, unseren Schmerz zu teilen, unternehmen wir gemeinsam die ersten Schritte zur Heilung" - was die Herzogin hier formuliert, ist letztlich die Quintessenz von Trauerbegleitung. Und in diesen Zeiten, in denen eine professionell angebotene Trauerbegleitung immer öfter ein Opfer der pandemischen Auflagen wird, ist es umso wichtiger, dass auch in Familien- und Freundeskreisen über all das Schwere und Schmerzvolle in einer wertschätzenden Atmosphäre gesprochen werden kann, daran könnten wir als Gesellschaft weiter arbeiten. Was ich mir jetzt noch wünschen würde und was die Sache perfekt machen würde: Einen genauso offenen Artikel ihres Mannes, Prinz Harry, darüber, wie er diese Fehlgeburt erlebt hat. Denn das Leiden der Väter bei einem solchen Ereignis bleibt noch viel zu oft unbeachtet - es bleibt ein stilles Leiden. Das muss es nicht sein.
Raus aus der verschämten Verschwiegenheit: Verwaiste Eltern (alle Fotos: Thomas Achenbach). |
2.) Wie das Bundesverfassungsgericht uns alle auffordert, über Sterben und Lebenssinn neu nachzudenken: Es war die größte Überraschung des Jahres, niemand hatte damit gerechnet, dass dieser Urteilsspruch so radikal ausfallen würde. Und doch lässt sich das, was das Bundesverfassungsgericht am 26. Februar 2020 gesprochen hat, folgendermaßen zusammenfassen: Jeder hat ein Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben - und das sogar jederzeit. Wobei das Bundesverfasssungsgericht nicht damit gemeint hat, dass dem Suizid jetzt kein Einhalt mehr geboten werden sollte, sondern dieses Urteil ist vielmehr als Aufforderung an die Politik, die Gesetzgeber und die Gesellschaft zu verstehen, bitte andere und bessere Regeln zu schaffen als die bisherigen. Ich mag dieses Urteil gerade wegen seiner Radikalität so gerne, öffnet es doch Türen und Möglichkeiten und zwingt uns alle, uns mit dem Thema Sterbehilfe neu auseinanderzusetzen. Als Gesellschaft - und als darin lebender Mensch. Gleichsam ist es eine Aufforderung an alle, die im Hospiz- und Palliativkontext unterwegs sind, über eine sinnvolle Öffentlichkeitsarbeit nachzudenken. Selten zuvor war es wichtiger, zielgerichtet über die weitreichenden Linderungsmöglichkeiten und Angebote zu informieren, die die Palliativmedizin heutzutage bringen kann; selten zuvor war es wichtiger, dass Hospize in der öffentlichen Wahrnehmung nicht als Orte eines Dahinsiechens gesehen werden, sondern als gar nicht so unangenehme, vielmehr wertvolle Einrichtungen, in denen vor allem die Qualität des Lebens zählt. Gleichsam ist das Urteil für jeden Menschen in diesem Land ein Aufruf, sich zu informieren und seine persönlichen Verfügungen entsprechend zu formulieren: Wie geht Sterben in unserer modernen Gesellschaft, was ist alles möglich, was nicht, was könnte das für mich bedeuten?
3.) Wie die Initiative „Niemand sollte alleine sterben“ ganz kurzfristig die digitale Sterbebegleitung durch Tablets etabliert: Die Pandemie in Deutschland war kaum einen Monat alt, als der Hospiz- und Palliativverband Schleswig-Holstein im April 2020 die Zeichen der Zeit erkannte und einen Pilotversuch startete, der ebenso bahnbrechend wie zukunftsweisend ist. In Kooperation mit dem Städtischen Krankenhaus in Kiel und dem Institut für Informatik an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel wurde kurzerhand die Möglichkeit der Sterbebegleitung durch Tablets geschaffen. Weil viele der Menschen, deren Sterbeprozess im Zusammenhang mit einer Infektion durch das Coronavirus stand, zu einem ganz isolierten und einsamen Sterben unter höchsten Quarantäneauflagen gezwungen waren, erkannte die Initiative die dadurch ausgelöste seelische Not und versuchte, sie zu mindern. Drückt man den Sterbenden ein Tablet in die Hand, über das der Begleiter mit ihnen Kontakt aufnimmt (der sich vielleicht sogar im Nachbarraum befindet), sind sie nicht ganz so alleine in ihrem Alleinesein. Das Projekt war ein voller Erfolg, unter anderem auch, weil Banken und andere Geldgeber erkannten, wie öffentlichkeitswirksam und zeitgerecht sie als Spender wahrgenommen werden können. Und weil wir, derweil ich diese Zeilen schreibe, bei uns in Deutschland mit so vielen Toten wie noch nie im Zusammenhang mit Covid-19 und dem Coronavirus zu tun haben, gewinnt das Projekt aktuell wieder mit jedem Tag an Wichtigkeit.
4.) Wie der Live-Stream einer Trauerfeier zum von allen gefragten Standard wird und sich die Bestattungsbranche immer mehr darauf einstellt: Es hat einmal eine Zeit gegeben, in der war die Fernsehübertragung einer Trauerfeier ein Merkmal für die Prominenz des gestorbenen Menschen. In Coronazeiten werden wir jetzt alle ein bisschen gleicher: Die Trauerfeier per Livestream in einen gesonderten Internetbereich zu übertragen (idealerweise per Passwort geschützt und nur eingeladenen Zuschauern zugänglich) oder sie aufzuzeichnen und später z. B. als DVD zur Verfügung zu stellen, macht es den vielen nicht zugelassenen Gästen möglich, sie dennoch verfolgen zu können. Und nicht zugelassen sind, je nach aktuellen Coronaregeln, derzeit eine ganze Menge an Menschen, denen es vielleicht ein Bedürfnis gewesen wäre, an der Trauerfeier teilnehmen zu können. Natürlich kann diese digitale Teilhabe ein Dabeisein vor Ort nicht ersetzen, aber sie ist immer noch besser als gar nicht teilhaben zu können. Als die ersten Bestatter noch vor der Coronakrise zaghaft damit anfingen, den Livestream von Trauerfeiern anzubieten, blieben sie vorsichtshalber in einer dezenten Verteidigungshaltung: Natürlich gehe es nicht darum, die Trauerfeier in Gänze ins Internet abzuschieben, hieß es auf deren Websites. Heute gehört die digitale Ausweitung einer Trauerfeier fast schon zum allgemeinen Standard, weil sonst zu wenig Gäste etwas davon mitbekommen. Sollte es einmal bessere Zeiten geben, wird es vielleicht bei einer Mischform bleiben. Das könnte für alle ein Gewinn sein, erstens, weil es ein späteres Nacherleben der Trauerfeier möglich machen könnte (Stichwort: Aufzeichnung via DVD etc.), was für manche in ihrem Trauerprozess hilfreich sein könnte, zweitens weil gebrechlichere Menschen trotzdem eine Chance hätten, an der Trauerfeier teilnehmen zu können.
5.) Wie sehr sich die professionelle Trauerbegleitung langsam, aber mit der nötigen Ernsthaftigkeit zu wandeln beginnt: Was noch während des ersten Lockdowns im März für viele undenkbar schien, hat gegen Ende des Jahres auch die Trauerbegleitung erreicht: Gruppentreffen in Form von Telefon- oder Videokonferenzen, Begleitungen über den Bildschirm. In Sachen Datenschutz bleibt das sensibel, aber immerhin ist es eine Möglichkeit, immerhin ein Angebot aufrecht zu erhalten. Das sind erste wertvolle Schritte - dass sie im Vergleich mit anderen Bereichen relativ lange auf sich haben warten lassen, hat mit dem hohen Anteil an Ehrenamt in der Trauerbegleitung zu tun. Der auch ein Mitgrund dafür war, dass vergleichsweise viele Angebote ausgefallen sind oder abgesagt werden mussten. Doch ziehen wir diese Umstände einmal in Betracht, ist es umso erstaunlicher, wieviel Aufbruch und Wandel tatsächlich am Ende des ersten pandemischen Jahres bemerkbar ist: Kurzfristig hat der Bundesverband Trauerbegleitung eine ganze Online-Fortbildungsreihe zum Thema Digitalisierung organisiert und gestemmt, Fortbildungsangebote beispielsweise des Landesstützpunktes für Hospizarbeit und Palliativversorgung aus Niedersachsen wurden auf dem digitalen Weg angeboten, Trauerbegleiter treffen sich zu Online-Stammtischen, der Wandel ist ebenso angekommen wie die Einsicht seiner Notwendigkeit. Das sind ermutigende erste Schritte auf einem sicherlich noch längeren Weg - für den hoffentlich auch in 2021 noch genug Engagement und Möglichkeiten übrigbleiben. Wäre ich selbst nicht kurz vor Jahresende durch Home Schooling und geschlossene Schulen (erneut) kräftig ausgebremst worden, hätte ich auch neue Angebote versuchen wollen... Also vielleicht im nächsten Jahr.
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