Sie war die "erste Kaiserin", die schwerstbehinderte Tochter der Bloggerin Marice Kaiser aus Berlin. In ihrem Blog mit dem Namen "Kaiserinnenreich" berichtet die Mutter zweier Kinder über das nicht immer leichte Familienleben - übrigens auch weiterhin. Allen, die sich als berufstätiges Elternteil von ihrem Leben generell mal überfordert fühlen, sei beispielsweise ihr Artikel über "Das Unwohlsein der modernen Eltern" empfohlen (heißt eigentlich "der modernen Mutter" und richtet sich nur an Frauen, war aber für mich als generall mal überforderten Vater genauso lesenswert, deswegen nahm ich mir die Freiheit einer Namensanpassung). Kurz nach Weihnachten vor drei Jahren, am 30. Dezember 2016, starb die vierjährige erste Kaiserin im Alter von vier Jahren. Und Marice Kaiser ließ ihrer Trauer freien Lauf - in einem mittlerweile nicht mehr verfügbaren Blogbeitrag berichtete sie von ihrem Schmerz und dem, was der Tod ihrer Tochter in ihr ausgelöst hatte. Und sie fügte ein paar Zeilen aus dem Lied "Ein Elefant für Dich" mit dazu - tatsächlich ein paar Textzeilen, die einem den Hals immer wieder aufs Neue zuschnüren können:
(Alle Fotos: Thomas Achenbach) |
"Ich werde riesengroß für dich, ein Elefant für dich, ich trag dich meilenweiter, über's Land - und ich trag dich so weit wie ich kann". Gefolgt von der Textstelle, die mich persönlich jedes Mal aufs Neue tief im Inneren berührt: "Und am Ende des Wegs, wenn ich muss - trage ich dich, trag' ich dich über den Fluss." Denn, mal ehrlich, wir alle, die wir einen Menschen, vielleicht auch einen kleinen Menschen, wirklich lieb haben: Würden wir das nicht alle tun bzw. es tun wollen? Sofern es möglich ist? Meilenweiter gehen, ausloten, was dieses Schicksal an letzter Energie in uns freisetzen kann, den Menschen soweit begleiten, wie es irgendwie geht? Und nicht mehr als das steckt in diesen Textzeilen darin. Doch geht die Geschichte damit erst richtig los.
Und dann kam Judith Holofernes persönlich
Denn kurz nachdem Marice Kaiser ihren Artikel veröffentlicht hatte, meldete sich die Sängerin der Band "Wir sind Helden", Judith Holofernes, und schrieb auf dem Kurznachrichtendienst Twitter: "Ich bin sprachlos, kann nicht aufhören zu weinen. Mein Elefant soll immer #einElefantfuerDich sein, und für euch." Die Twitternachricht verbreitete sich rasant. Das Internet hatte einen neuen viralen Erfolg, aber es war mehr als das. Denn die Anteilnahme war gewaltig. Jeder, der seine Solidarität mit der Familie bekunden wollte, stellte unter dem Hashtag #einelefantfuerdich zum Beispiel Fotos von Elefanten oder ein paar Zeilen der Anteilnahme für das verstorbene Mädchen und seine Familie ein. Für ein paar Tage gab es im Netz des Hasses und der Bösartigkeit mal nichts als Zuneigung, Zuwendung und Menschlichkeit. Und eine Ahnung davon, was Trauer mit uns Menschen machen kann und warum es so wichtig ist, davon zu wissen. Ich habe mit Marice Kaiser keinen Kontakt und kenne sie nicht, aber ich könnte mir vorstellen: Auch jetzt noch geht die Trauer tief, drei Jahre nach dem Tod, auch wenn sich das sicher kaum jemand vorstellen kann, der so etwas noch nicht selbst erlebt hat. Kein Mensch kennt diese Gebirge der Trauer, der noch nicht seine Schroffheit selbst gespürt hat.
Zwar ist der Original-Blogbeitrag über den Tod der "Ersten Kaiserin" nicht mehr verfügbar - vielleicht war es der Familie am Ende doch etwas zuviel der Öffentlichkeit und es brauchte wieder mehr Privates -, doch findet sich in einem Artikel des Sterns über diese Ereignisse noch das folgende Zitat aus diesem Text: "Am 30. Dezember 2015 ist unsere Tochter in unseren Armen eingeschlafen und gestorben", habe sie geschrieben, zitiert der Stern. "Wir sind fassungslos und traurig - und unendlich dankbar, vier Jahre und zwei Monate mit ihr gelebt haben zu dürfen. Wir wünschen uns kein Beileid; wir möchten uns lieber darüber freuen, dass sie da war. Dass sie uns verzaubert hat und glücklich mit uns war."
Die besten Songs & Alben über Trauer und Tod - die ganze Serie:
- Folge 1 - Auftakt mit Mumford & Sons, Genesis, Eric Clapton - hier klicken
- Folge 2 - Auf dem Rücksitz, mitten in der Trauer, Arcade Fire - hier klicken
- Folge 3 - Ein alter Mann, der in einem Raben die gestorbene Schwester entdeckt
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Über diese Serie: Musik ist meine größte Leidenschaft. Die Trauerbegleitung ist eine meiner Professionen und eine meiner Tätigkeiten. Beide Themen zu vermischen, das habe ich schon lange vorgehabt. Jetzt ist eine gute Zeit dafür. Denn in den vergangenen Jahren habe ich emsig gesammelt: Ganz viel Musik über Trauer und Schmerz. Songs, Alben, Orchesterwerke; dazu ganz viele Geschichten, die sich in diesen Tönen und Texten verstecken. Seine eigene Trauer über Musik kreativ auszudrücken, das hat für Komponisten Tradition - überwiegend für männliche Komponisten, übrigens, aber dazu ein andermal mehr. Manchmal führt ein einziger Tod sogar zu mehreren Songs darüber.
Der Autor dieser Zeilen bietet Trauerbegleitung an in Osnabrück und im Osnabrücker Land an und hat eine Ausbildung zum Trauerbegleiter absolviert (Große Basisqualifikation gemäß des Bundesverbands Trauerbegleitung) und bietet Podcasts rund um das Thema Trauer an (bitte hier klicken). Thomas Achenbach ist der Autor des Buches "Männer trauern anders - was ihnen hilft und gut tut", 168 Seiten, Patmos-Verlag, 17 Euro, erschienen im März 2019. Mehr Infos gibt es hier.
Lesungen, Vorträge, Workshops, Seminare, Trauergruppen und mehr: Alle aktuellen Termine mit Thomas Achenbach finden sich unter diesem Link
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