Donnerstag, 10. Januar 2019

Wir müssen besser mit dem Tod umgehen lernen - und mit unseren Toten (und wir müssen den Kindern den Tod gut vermitteln)... - Noch ein wichtiger Baustein auf dem Weg zu einer neuen Trauerkultur und Bestattungskultur - der Berliner Bestattungs-Revoluzzer Eric Wrede hat ein Buch geschrieben - warum "The End" zur gesellschaftlichen Pflichtlektüre werden sollte (Buchtipp)

Osnabrück/Berlin - Immer mehr Bücher und immer mehr Akteure gibt es heutzutage, die eine wichtige Botschaft vermitteln: Wir brauchen eine neue Trauer- und Bestattungskultur in unserer Gesellschaft. Wir brauchen wieder eine gemeinsame Sprache für diese Dinge, ein gemeinsames Verständnis und neue, uns alle verbindende Rituale. Diese Thesen sind hier auf diesem Blog schon desöfteren geäußert worden - und nun gibt es ein neues und grandioses und meiner Meinung nach durchaus lesenswertes Buch, das diesen Bogen noch weiter spannt. Geschrieben von einem Mann, dessen Lebensgeschichte alleine schon ein halbes Buch wert ist - was er nun auch selbst erkannt hat, weswegen seine eigene Geschichte einen kleineren Teil des Werkes füllt. Aber eben nur einen kleineren Teil: Die Rede ist von Eric Wrede, der schon mehrmals als Gast auf der Bremer Messe "Leben und Tod" dabei war. Hatte er einstmals beim Musikgiganten Motor Music/Universal für Bands wie Selig und Polarkeis 18 ("Allein allein") gearbeitet, schmiss er eines Tages alles hin - um ein eigenes Bestattungsunternehmen aufzumachen. Aus enorm guten Gründen. 

"Warum gibt es eigentlich keine GPS-erfassten Grabstellen? Bei einer Seebestattung bekommen die Angehörigen die exakten Koordinaten übermittelt, wo die Seeurne im Wasser versenkt wurde. Auf Friedhöfen schert das niemanden" - Es sind Impulse und Absätze wie diese, die mich dieses Buch so mögen lassen: Gleichsam hemdsärmelig und trotzdem mit ganz viel Wärme und Verständnis für Menschen in einer Trauer- und Verlustkrise geschrieben, immer ganz nah dran am eigentlich Machbaren, gibt das Buch vielfältige Ideen und Anregungen für moderne und entstaubte Trauerfeiern, für das eigene Sterben und für die Begleitung von Trauernden - vor allem auch: trauernden Kindern. Gerade an diesen Stellen ist das Buch besonders gut. Und es hat mich selbst dazu gebracht, dass ich meine eigenen schon länger vorbereiteten Verfügungen für mein Lebensende nochmal überarbeiten möchte. Beispielsweise weil mir die Idee so gut gefällt, die besten Freunde zu fragen, ob sie dann ggf. den Sarg tragen würden/könnten.


Eric Wrede und sein Absprung: Aus dem Musikzirkus hinein in die Bestattungsbranche... (Random-House-/Erik-Weiss-Foto mit freundlicher Genehmigung).

Das Buch beginnt dann auch gleich mit Eric Wredes Testament - bzw. mit einem Auszug daraus. Klingt nach Nabelschau, ist aber extrem lehrreich, denn in nur wenigen Zeilen macht Wrede eindrucksvoll deutlich, wie einfach so etwas sein kann und dass es kein halbes oder ganzes juristisches Studium braucht, um eine eindeutige und sehr klare Verfügung zu verfassen. Soviel sei vorab schon verraten: Auf seinem Grabstein soll stehen: 'E. W., ich habe gelebt.' Später erfahren wir: Bei seiner eigenen Bestattung sollen später mal die Kings und John Cale gespielt werden. Auch das hat Eric Wrede bereits verfügt. Da ist  die Nähe zum ehemaligen Musikmanager (A&-R-Manager, für die Auskenner) noch immer spürbar, wie an vielen anderen Stellen des Buches. 

"Schick mir die Post schon ins Spital...." - mit Musik durchs Buch


Die Kapitelüberschriften sind nämlich allesamt Songtitel - die allerdings ein ganz kleines bisschen musikliasches Auskennertum erfordern, wenn auch kein Spezialwissen. Darunter sind beispielsweise "Bring mir die Post schon ins Spital" von der österreichischen Rock'n'Roll-Kapelle Wanda, die im Konzert zu erleben ein enormer Spaß sein kann, oder "Keep Me In Your Heart" von Warron Zevon, das dieser - bereits um seinen nahenden Tod wissend - auf seinem bewegenden Album "The Wind" veröffentlichte. Der Song wird in meiner ganz eigenen Serie rund um "die hilfreichsten und wirkmächtigsten Songs und Alben über Trauer, Tod und Sterben" ganz sicher auch noch an die Reihe kommen (die erste Folge dieser Serie findet sich hier).


Alle weiteren Fotos: Thomas Achenbach.

Besonders erfreulich an dem Buch: Die Kinder nehmen darin viel Raum ein Beziehungsweise die Frage: Wie gehen Kinder eigentlich mit dem Tod um? Auch hier kann Eric Wrede viele hervorragende Praxistipps anbieten, wie man das Thema mit Kindern am besten besprechen kann – und wieviel die Erwachsenen dabei immer wieder falsch machen in der irrigen Annahme, die Kinder vor diesem Thema irgendwie schützen zu müssen (auch das war bereits ein viel beachtetes Thema hier auf diesm Blog – bei Interesse hier klicken). Denn Kinder haben oft ganz pragmatische Alltagsfragen, wenn es um den Tod geht. Pupst der noch, beispielsweise. Aber eben auch ganz praktische Fragen des Alltagslebens. Wenn die Oma sterben kann, dann vielleicht auch die Mama – aber wer kocht denn dann noch für mich?  Wir sprechen nämlich ganz falsch vom Tod, sagt Eric Wrede an einer Stelle. Und auch damit trifft er voll ins Schwarze. Wir senken unsere Stimmen, werden bei dem Thema ganz andachtsvoll und würdevoll und irgendwie vorsichtig. Das macht es im Umgang mit Kindern, aber überhaupt im Umgang mit dem Tod, alles nur noch schlimmer. Alleine deswegen sollte das Buch zur gesellschaftlichen Pflichtlektüre werden.



Aber auch wegen der vielen brauchbaren Praxistipps ist es viel wert: Dass es beispielsweise, wenn man sich das leisten kann, enorm sinnvoll sein kann, für seine Trauerfeier gleich eine Doppelfeier zu beantragen, um die extrem kurz getakteten Zeiten in den Friedhofskapellen von maximal 20 bis 30 Minuten für eine Trauerfeier einfach für sich verlängern zu können. Dass es eine schöne Idee sein kann, die Gäste einer Trauerfeier in Form eines kleinen persönlichen Briefes ihre eigenen Erinnerungen an den oder die Verstorbenen aufschreiben zu lassen und diese Briefe dann zu sammeln und zu einer großen Erinnerungsmappe zusammenzutragen. Und dass überhaupt die Trauerfeiern viel individueller auf den Menschen ausgerichtet sein müssen, der dort begraben wird - Eric Wrede erinnert sich an einen etwa 50-Jährigen, dessen Leidenschaft Progressive Metal gewesen ist - also wirklich wirklich frickeliges Musikzeugs, 20 Minuten Laufzeit pro Stück, zahlreiche Tempiwechsel und so. Also hörte sich die gesamte Trauergemeinde auf der Trauerfeier durch solcherlei Musikstücke durch. Das war sauanstrengend - und es wurde dem Menschen, der da gestorben war, tausendmal gerechter als jede staubüberzogene Normalfeier. Am Ende des Buches finden sich in einer Art Serviceteil noch die wichtigsten Informationen zum Thema Bestattungen, wichtige Dokumente, die auch im Internet als Download bereitstehen. Auch das ist hilfreich.


In einer Nacht-und-Nebel-Aktion die Urne ausgebuddelt...


Ebenfalls spannend: Der Blick hinter die Kulissen der Bestatterszene, den Eric Wrede immer wieder unternimmt. Die Schilderungen des Bestatteralltags, die kuriosen, rührenden, harten, aber teils auch lustigen Ereignisse, die es dort gegeben hat. Manchmal wird Wrede dabei ein wenig zynisch, wenn auch zur Recht – wenn er von Bestatterkollegen berichtet, die die toten Omas mit ihren vollen Windeln lieblos in den Sarg hineinwerfen… Kommt leider alles vor, wie Wrede mehrmals erfahren hat. Was auch schon vorgekommen ist: Dass er in einer nicht genehmigten Nacht-und-Nebel-Aktion eine Urne ausgebuddelt hat. Aber leider die falsche. Das ist übrigens ein großer Pluspunkt dieses Buches: Der charmante Plauderton, den Eric Wrede gekonnt anschlagen kann (oder war es ggf. doch sein Ghostwriter – die Dankesworte am Ende des Buches ließen einen solchen Schluss jedenfalls zu). Und es gibt noch mehr.


Denn aufgelockert wird das Buch durch eingestreute Interviews mit Prominenten wie beispielsweise Judith Holofernes, wobei diese Texte jedoch eine Zweitverwertung von bereits auf Eric Wredes Podcast veröffentlichten Sprachbeiträgen sind (der Podcast trägt übrigens gleichfalls den Namen "The End"). Sei's drum, für mich, der ich nicht die Zeit hatte, die Podcasts anzuhören, ist die gedruckte Auswertung der Gespräche in dem Buch eine sinnvolle Ergänzung. 

Coole Socke mit grünen Socken: Ein Schnappschuss von Eric Wredes Füßen - der Bestatter war auch bei der Podiumsdiskussion auf der Messe "Leben und Tod" zu Gast und hatte genauso wie die Moderation Bärbel Schäfer knallgrüne Socken an.  (Thomas-Achenbach-Foto)

"The End" von Eric Wrede ist erschienen im Dezember 2018 im Verlag Heyne-Encore als Taschenbuch, 190 Seiten, 16 Euro.

Übrigens: Noch ein lesenswertes Buch, das viele weitere Tipps enthält, ist "Das letzte Hemd hat viele Farbenvon Sabine Bode und David Roth - hier geht es zu einer Besprechung dieses Buches. 

Transparenzhinweis: Das Buch ist mir auf Anfrage vom Verlag bzw. der zuständigen Presseagentur als Rezensionsexemplar zugeschickt worden, vielen Dank dafür, 


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Der Autor dieser Zeilen bietet Trauerbegleitung an in Osnabrück und im Osnabrücker Land an und hat eine Ausbildung zum Trauerbegleiter absolviert (Große Basisqualifikation gemäß des Bundesverbands Trauerbegleitung) und bietet Podcasts rund um das Thema Trauer an (bitte hier klicken). Thomas Achenbach ist der Autor des Buches "Männer trauern anders - was ihnen hilft und gut tut", 168 Seiten, Patmos-Verlag, 17 Euro, erschienen im März 2019. Mehr Infos gibt es hier.

Alle aktuellen Termine, Lesungen, Vorträge, Workshops, Seminare etc. mit Thomas Achenbach finden sich unter diesem Link 

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Den Blog zum Anhören als Podcast - bitte hier klicken für die aktuelle Episode aus dem Trauer-ist-Leben-Podcast...

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