Mittwoch, 4. April 2018

Menschen können wieder lernen, Trauernden unbefangen zu begegnen - ein neues Buch holt Trauernde bei ihren Bedürfnissen ab und macht sich für eine neue Trauer- und Bestatungskultur in unserer Gesellschaft stark - und einer der beiden Autoren: Ist ein Bestatter!

Das neue Buch von Sabine Bode und David Roth.   (Thomas-Achenbach-Fotos)

Osnabrück/Bergisch Gladbach - Wir brauchen eine neue Trauer- und Bestattungskultur in unserer Gesellschaft. Wir brauchen wieder eine gemeinsame Sprache für diese Dinge, ein gemeinsames Verständnis und neue, uns alle verbindende Rituale. Diese Thesen sind hier auf diesem Blog schon einmal geäußert worden - unter anderem als Aussage des Bestattungsmodernisierers David Roth. Nun gibt es ein neues Buch, bei dem David Roth einer der beiden Autoren gewesen ist und das diese These noch einmal ausführlich umtermauert. Es geschieht mir selten, dass mich ein ganz neu erschienenes Buch so dermaßen – mit dem Wort bin ich sonst extrem vorsichtig - begeistert, dass ich meine kritische Distanz verliere, aber bei diesem Buch ist es tatsächlich so. Daher hier als Tipp allen Lesern meines Blogs ans Herz gelegt. 

"Es wird selten bedacht, dass ein Todesfall in der Familie - genau wie die Geburt eines Kindes - immer einen Wendepunkt darstellt. Kommt der Tode ohne jede Vorwarnung ins Haus, sind die Auswirkungen noch gnadenloser... (...) - Eine Krise ist also unvermeidbar. Und in Krisen braucht man Geduld, nicht nur als Hinterbliebener, sondern auch als Person, die sich einem Trauernden eng verbunden fühlt.." - Es sind Absätze wie diese, die mich dieses Buch so mögen lassen: Mit viel Wärme und Verständnis für Menschen in einer Trauer- und Verlustkrise geschrieben, gehen Sabine Bode und David Roth nicht nur auf die dann entstehenden Bedürfnisse ein, sondern beschreiben immer auch einen besseren Weg des Umgangs damit als ihn unsere Gesellschaft derzeit beschreitet. Denn was immer wieder ausbricht, wenn es um Trauer geht: Hilflosigket. "Aber diese Hilflosigkeit muss kein Dauerzustand sein", heißt es dazu im Buch: "Menschen können wieder lernen, Trauernden unbefangen zu begegnen. Und Hinterbliebene können lernen, in der Zeit der Trauer ihre eigenen Bedürfnisse zu entdecken." Ja, so ist das. Wenn das gelingt, macht es zwar meine Profession - die eines ausgebildeten Trauerbegleiters - weitestgehend überflüssig, aber das gemeinsame Ziel wäre das wert, oder?


Eine Trauerfeier, die so ganz anders war - warum nicht?


Die Autorin Sabine Bode – vielen vielleicht schon bekannt als Autorin-/Stimmrohr der Kriegskindergeneration – und der Bestatter David Roth, der Sohn des gestorbenen Bestatter-Revoluzzers Fritz Pütz aus Bergisch Gladbach, haben dieses Buch mit dem Titel "Das letzte Hemd hat viele Farben" geschrieben. Es ist: Eben nicht mehr und nicht weniger als ein Plädoyer für eine ganz neue Trauer- und Bestattungskultur in der Gesellschaft. In dem Buch erzählt Sabine Bode beispielsweise die Geschichte eines Paares, das sein lange erwartetes Baby durch den plötzlichen Kindstod verloren hat. Nach einer Trauerfeier, die mit allen gängigen Vorstellungen gebrochen hat (bunt, kindsgerecht, mit Kinderliedern), stellen die Eltern ein Vogelhäuschen auf das Grab und lassen Meisen darin ein- und ausziehen, weil die Meisen schon vorher eine wichtige Rolle gespielt haben im gemeinsam geteilten Leben. "Noch Monate nach der Beerdigung wird die Mutter dem Bedürfnis nachgeben, ihrem toten Kind hin und wieder aus einem Bilderbuch vorzulesen". Und dabei ist es den Eltern recht egal, ob ihr Verhalten Kopfschütteln auslöst - was es natürlich tut. Aber eben: Nicht mehr tun sollte. Denn wie normal solch ein Verhalten in einer Trauer- und Verlustkrise ist - das aufzuzeigen ist immer wieder auch Credo und Botschaft dieses Blogs hier, insofern sind sich dieses Buch und mein Blog in ihrer Aussage recht ähnlich. Und es gibt noch mehr Entdeckenswertes.




Denn immer wieder geht es in dem Buch auch um eine neue Bestattungskultur. Okay, da hat David Roth natürlich, so gesehen, leichtes Spiel, bietet er doch mit dem bereits von seinem Vater geprägten "Haus der menschlichen Begegnungen" die Blaupause für ein Treff- und Bestattungshaus moderner Ausprägung. Und doch gehen die Gedanken des Buches eben einen Schritt weiter, wenn Sabine Bode das in unserer Gesellschaft zelebrierte "Unsichtbare Sterben" und den generell "Unsichtbaren Tod" beklagt. Dass dieses Ausweichen und Wegducken vor dem Tod rasch zu einer generellen "Unfähigkeit zu trauern" führen kann, ist die eine weitere These des Buches - die die beiden immer wieder zu beweisen verstehen. Dabei stellen sie oft fest, dass es gar nicht viel bräuchte, um schon Veränderungen einzuleiten. Oft reichen kleine Details schon aus. Aber was ist, wenn eine neuer Trauerkultur bei allen anderen eben Kopfschütteln und Unverständnis hervorruft? Wenn es andere stört, Nachbarn, Familie, Freunde, weil dann vielleicht getuschelt wird? Dann ist das eben so, hatte David Roth noch 2017 auf der Messe Leben und Tod in Bremen gesagt. „Ich bin kein Freund von dem Begriff Pietät“, sagt David Roth dazu, „weil Pietät nur bedeutet, dass uns Dritte vorschreiben, was richtig ist." Diese Einstellung findet sich ebenfalls im Buch: Es ist die Ermutigung an alle Menschen in einer Trauer- und Verlustkrise, konsequent ihren ganz eigenen Weg zu gehen und ihren eigenen Gefühlen nicht nur zu vertrauen, sondern auch zu folgen... 

"Das letzte Hemd hat viele Farben" ist erschienen im März 2018 im Lübbe-Verlag als Hardcover, 215 Seiten, 18 Euro. 

Übrigens: Noch ein lesenswertes Buch, das viele weitere Tipps enthält und im lockeren Tonfall existenzielle Fragen rund um den Tod behandelt, ist "The End" von Eric Wrede, hier geht es zu einer Besprechung. 


Transparenzhinweis: Das Buch ist mir auf Anfrage vom Verlag als Rezensionsexemplar zugeschickt worden.

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Der Autor dieser Zeilen 
bietet Trauerbegleitung an in Osnabrück und im Osnabrücker Land an und hat eine Ausbildung zum Trauerbegleiter absolviert (Große Basisqualifikation gemäß des Bundesverbands Trauerbegleitung). Er hält auch Vorträge zum Thema Trauer und Umgang mit Trauernden. Mehr Infos gibt es hier

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Männertrauergruppe in der Region Osnabrück: Offene Gruppe, Einstieg jederzeit möglich - alle Infos über die Gruppe gibt es hier

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